Riesig klein

Erfolgsmodell im Osten oder private Image-Kampagne eines Selbstdarstellers? Die Legende der Sportstadt Riesa.




Es ist Ende Juni, ein Donnerstagnachmittag. Der Himmel hängt über Riesa wie ein grauer Lappen. Vor der erdgas arena werden alte Autoreifen abgeladen, die zwei Tage später den Parcours markieren bei einer Veranstaltung, die sich Langstrecken-Mopedrennen nennt. Ihr Reiz liegt darin, dass eine Horde Kleinkrafträder zwölf Stunden über einen Parkplatz knattert. Auf die Plätze, fertig, Vollgas mit 50 Kubik.

Drinnen steht Renate Kühne auf einer Empore und schaut in die Halle. Gerade werden Tische dekoriert für eine Abitur- feier. Der Hausmeister steht auf einer hydraulischen Leiter und montiert die Beleuchtung, während Kühne schwärmt. Von ihrer tollen Arena, von wagemutigen Mopedfahrern und glücklichen Gymnasiasten. Und von den Kulissen, die neben den Tischen für die Abi-Feier stehen; sie sind von einer Fernseh-Show übrig geblieben. "Musikantenstadl" oder so. Warum nirgends Tribünen? Kühne: "Die haben wir gerade vermietet."

Frau Kühne ist Geschäftsführerin der Förder- und Verwaltungsgesellschaft Riesa mit beschränkter Haftung. Die FVG ist neben der erdgas arena unter anderem zuständig für Stadthalle, Stadtbibliothek, Stadtmuseum, Städtische Galerie und Tierpark. Ihre Visitenkarte weist Kühne quasi als Riesas Supermanagerin in den Ressorts Wirtschaft, Kultur und Sport aus. Doch Frau Kühne, rote Schuhe, rote Halskette, rotes Brillengestell, im Haar wohl Wasserstoffperoxid, Frau Kühne spricht nicht vom Wirtschaftsstandort Riesa oder der Neuen Elbland Philharmonie, die öfter in der Stadthalle gastiert, sie spricht nicht von Büchern, Kunst und Heimatkunde. Sie erzählt, dass irgendwann "Apassionata" in der erdgas arena gastiert, das kunterbunte Varieté rund ums Pferd.

"Diese Halle gibt alles her", sagt Frau Kühne, "sie hat keine Handicaps." Und dann referiert sie über Steckdosen und Stromleitungen im Boden und die Vorzüge der Umkleideräume. Irgendwann steht sie andächtig in einem kahlen Raum. Da sind Sofas, eine Theke, an den Wänden Fotos in rahmenlosen Bildhaltern. Es ist eine der vier Logen der erdgas arena. Sie riecht nach kaltem Rauch. Danach noch ein Blick auf den VIP-Balkon, der laut Kühne einen sächsischen Marktplatz nachempfindet. Kopfsteinpflaster, ein paar Laternen. Kühne sagt, bei Veranstaltungen qualme der Gully. Die Idee sei ihm in Las Vegas gekommen. "Im Hotel New York New York. Kühne: "Er wusste genau, was er wollte."

Er.

Frau Kühne spricht oft von ihm, ihrem "besten Freund", mit dem sie fast täglich telefoniere, der "uns alle geformt hat". Alle in Riesa sprechen von ihm, immer noch, obwohl er schon 2003 nach Dresden ging, obwohl er später nach Florida zog, in die Nähe von Fort Myers. Er, Pfarrerssohn aus Templin. Liedermacher mit Berufsausweis, wie das hieß in der DDR, Künstlername Eiswolf.

1987 wird Eiswolf abgeschoben, landet bei einem Radiosender in Ludwigshafen. Als er nach dem Fall der Mauer eine Veranstaltung der Partnerstädte Mannheim und Riesa moderiert, macht man ihm ein Angebot. Er ist 22, als er Dezernent für Wirtschaft, Kultur und Sport der Stadt Riesa wird. Ein junger Mann ohne sichtbare Eigenschaften, nicht groß, nicht schlank, weiche Gesichtszüge. Bei seiner ersten Reise nach Las Vegas steht er am Gepäckband in kurzen Hosen, weißen Socken und Sandalen. Er ist Wolfram Köhler, Erfinder der Sportstadt Riesa.

Riesa. Linksseitig der Elbe, 35000 Einwohner, Landkreis Meißen. Der Legende nach soll hier ein Riese Rast gemacht und vor der Überquerung des Flusses seine Stiefel ausgeklopft haben. Auf dem Hügel aus Kieselsteinen, der dabei entstand, soll die Stadt gegründet worden sein. Erste urkundliche Erwähnung 1119, als das älteste Kloster der Mark Meißen geweiht wird. Die Klosterkirche wird 1261 fertig. Stadtrecht seit 1623. Wer weiß, was aus der Stadt geworden wäre ohne die Anbindung an die erste deutsche Ferneisenbahnstrecke, die von Dresden nach Leipzig führt und für die in Riesa extra eine Brücke gebaut wird.

Der erste Zug passiert 1839, vier Jahre später bekommt die Stadt ein Eisenhammerwerk und wird erfasst von der industriellen Revolution. Fortan lebt und leidet Riesa mit dem Stahl, wird zur Stahlküche der DDR.

Bis zu 13000 Menschen arbeiten im Stahl- und Walzwerk, dem größten metallurgischen Kombinat des Landes. Der Rauch aus 50 Schloten verdunkelt den Himmel und verrußt die Fassaden der Häuser. Riesa ist Industriestandort der DDR, hier werden Teigwaren, Streichhölzer und Seife produziert, bei Robotron auch Computer, doch es bleibt immer ein Synonym für Stahl. Man könne in Riesa arbeiten und sterben, sagt man, aber nicht leben. Und doch weinen sie, als das Stahl- und Walzwerk nach der Wende abgerissen wird, rund 11000 Menschen ihren Job verlieren, man ihnen ihre Identität nimmt.

Kein Aufwand zu groß

Das ist die Situation, als Köhler nach Riesa kommt. Er sagt: "Diese Stadt hat nichts, was man braucht." Ergo muss es woanders herkommen. Es ist Köhler, der die FVG als hundertprozentige Tochter der Stadt gründet, deren erster Geschäftsführer er wird. Es ist Köhler, der von 1995 an bekannte Sportler nach Riesa lotst, den Bobfahrer und Olympiasieger Harald Czudaj, der dafür mit dem Schriftzug "Investieren in Riesa" startet. Er holt den Gewichtheber Marc Huster, den Schwimmtrainer Uwe Neumann und seine Schützlinge Katrin Jäke und Jens Kruppa. Für Czudaj lässt er eine Rollbob-Doppelstartbahn bauen, für die Schwimmer eine Halle mit 50-Meter-Pool. Er weiß, was er will. "Und was der Kerl will", sagt Kühne, "das kriegt er." 1999 wird die heutige erdgas arena eröffnet. Ein Klotz in der Provinz, 8600 Quadratmeter groß, Fassungsvermögen bis zu 13000 Zuschauern.

So macht Riesa Schlagzeilen. Denn Köhler, inzwischen Bürgermeister, das Ohr pausenlos am Mobiltelefon, besorgt eine Sportveranstaltung, eine internationale Meisterschaft nach der anderen. Boxen, Handball, Turmspringen. Ständig was los. Sumo für Amateure, Sportakrobatik für Senioren. Nichts ist zu skurril, kein Aufwand zu groß. Für eine Europameisterschaft der Schwimmer wird eine Gangway vom Flughafen Dresden angekarrt, damit die Athleten bequem zum Trainingsbecken in der Nebenhalle gehen können. Kati Witt kommt zur Gala auf Schlittschuhen. Muhammad Ali kommt zur deutschen Premiere des Kinofilms "Ali". Kein Star scheint unerreichbar. Wenn der Sport Pause hat, rocken Elton John, Grönemeyer und Rammstein.

Als Köhler den Düsseldorfer Künstler Jörg Immendorff engagiert und der die größte Gusseisenskulptur Europas anschleppt, 25 Meter hoch, 49 Einzelteile, 234 Tonnen schwer, gilt der junge Politiker längst als genialer Macher und Riesa als Erfolgsmodell im Osten. Immendorffs Kunstwerk, angeblich mehr als drei Millionen Mark teuer, heißt Elbquelle und sieht aus wie ein verstümmelter Baumstamm, über den ein Geräteschuppen ausgeleert wurde. "Getarnt durch Baum und Borke", so Immendorff, "wird des Künstlers Pinsel zum Spaten." In der Laudatio zur Einweihung sagt Gabriele Krone-Schmalz: "Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass in Regionen, denen man landläufig ... eher kleinkariertes Denken unterstellt, die große Idee zum Zuge kommt."

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Das alles ist umfangreich dokumentiert. Presse, Funk, Fernsehen kommen regelmäßig, angelockt vom Superlativ, in keiner Stadt Deutschlands würden mehr internationale Sportereignisse stattfinden. Die FAZ schreibt: "Riesa erwacht ­ in mancherlei Hinsicht." Der Süddeutschen Zeitung erklärt Köhler, der inzwischen mit 78,4 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt wurde, er könne sich auch einen "schiefen Turm von Riesa" als Bibliothek vorstellen, dem in Pisa in Größe und Neigungswinkel nachempfunden. Der Spiegel titelt: "Hansdampf im Osten." Im Rathaus witzeln sie, jetzt fehle nur noch die Formel 1.

Da macht Köhlers größter Coup bereits Furore. Angeblich sei ihm die Idee während einer Dienstreise in den USA gekommen. Köhler sagt: "Im gemeinsamen Handeln des Wirtschaftsdreiecks Dresden, Leipzig, Chemnitz würde die Stärke unserer Region liegen." Kurzum, Olympia in Sachsen. Köhler gibt der Region, was er vorher Riesa gegeben hat: das Gefühl, wie er es formuliert, "bedeutsam zu sein". Es kommt zur offiziellen Bewerbung unter Führung Leipzigs. Er sagt: "Wir können das Wunder von München noch einmal vollbringen." Er sagt: "Mit Olympia braucht Sachsen keinen Soli mehr." Er sagt: "Ich bin kein Jammer-Ossi."

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Gerti Töpfer steht im Klostergarten der Stadt. Links Kräuter, rechts Obstbäume, dahinter die Klosterkirche, in deren Gruft hervorragend konservierte Mumien lagern, die bald Gegenstand eines internationalen Forschungsprogramms sein werden. Unterhalb des Klostergartens liegt der Tierpark. Klare Luft. Hohe, dichte Bäume. Vögel zwitschern. Ein Weg führt hinunter zur Elbe, an der, wie Frau Töpfer anmerkt, Deutschlands beliebtester Radwanderweg liegt.

Riesas Hauptstraße, die parallel zum Fluss verläuft und in die Bahnhofstraße übergeht, zählt mit Geschäften, Gaststätten und Cafés zu einer der längsten Flaniermeilen Sachsens. "Wir haben hier nicht viel alte Bausubstanz", sagt Frau Töpfer, "aber was wir haben, wurde liebevoll restauriert." Wer die lokale Bimmelbahn nimmt, den Stahl-Max, kommt im Schritttempo vorbei an ansehnlichen Gründerzeit-Häusern.

Frau Töpfer trägt ein schlammfarbenes Kostüm, eher praktisch als elegant, kaum Schminke. Seit 33 Jahren lebt sie in Riesa. Sie kommt als Lehrerin für Biologie und Sport, später leitet sie das Manfred-von-Ardenne-Gymnasium. 2003 wird sie Oberbürgermeisterin. Sie sagt, es habe sie gereizt, mit 50 noch mal etwas ganz Neues anzufangen. Wenngleich: Ganz so neu ist es nicht. Es geht um das Wohl und die Zukunft von Menschen; früher ihrer Schüler, heute aller Bürger. Als Köhler Staatssekretär wird und nach Dresden geht, um Sachsens Olympiakandidatur zu managen, empfiehlt er Töpfer als seine Nachfolgerin. Sie sagt: "Ich habe immer mit großer Bewunderung auf Herrn Köhler geguckt." Sie sind beide in der CDU. Es passt. Gerti Töpfer bekommt 61,4 Prozent der Stimmen.

Nichts spräche dagegen, dass die Geschichte der Sportstadt Riesa weitergeht. Sie geht aber nicht weiter. Besser gesagt: Sie geht anders weiter.

Töpfer sagt, eine Sportstadt stehe nicht nur auf einer Säule. Sie habe nichts gegen große Events, aber Riesa sei keine Metropole. Die Stadt müsse auch an den Vereins- und Breitensport und an den Schulsport denken. Allein der SC Riesa habe 3000 Mitglieder, betreibe 30 Sportarten, ein Sport-Internat für 30 Nachwuchsathleten, dazu drei Kindergärten, in denen Sport gefördert wird. Die Riesaer Sportakrobaten gehören zur deutschen Elite, Gewichtheber, Kegler und Judoka sind zweitklassig. Die Fußballer des TSV Stahl Riesa, die an die Erfolge des BSG Stahl anknüpfen wollen, der fast zwei Jahrzehnte in der DDR-Oberliga spielte, sind dieses Jahr in die Bezirksliga aufgestiegen. Jetzt brauchen sie einen neuen Trainingsplatz. Töpfer: "Wir hatten unter Herrn Köhler tolle Veranstaltungen, aber es ist klar, dass dieses Niveau auf Dauer nicht zu halten sein würde."

Wenig später sitzt Töpfer im Auto. Sie fährt die Pausitzer Straße runter, lässt Sportzentrum, erdgas arena, Schwimmhalle und Leichtathletikstadion samt Rollbob-Dingsda rechts liegen. Sie will zu einer Firma in der Nähe.

Wo Robotron war, ist heute die BuS Elektronik GmbH & Co. KG, die Leiterplatten herstellt. Angefangen haben sie mit sechs Leuten, heute arbeiten hier rund 700 Menschen. Töpfer: "Das ist eine echte Erfolgsgeschichte." Wo in der DDR Pneumant Reifen produzierte, ist heute Goodyear; 400 Arbeitsplätze, eine neue Fabrikhalle ist geplant. Die Elbe Stahlwerke Feralpi stellen Betonstahl und Walzdraht her; 410 Arbeitsplätze. Teigwaren Riesa ist mit der gläsernen Fabrik und dem Nudelmuseum eine Touristenattraktion.

Töpfer stoppt vor einer Wiese. Hier werden bald drei Firmen bauen. Große Hoffnungen setzt die Stadt in das Gewerbegebiet RIO, einen Zweckverbund mit der Stadt Oschatz und der Großgemeinde Stauchitz, 35 Hektar sofort erschließbare Industriefläche an der neuerdings vierspurigen B 169, die zur Autobahn führt. Auch der Binnenhafen, nach Magdeburg der zweitgrößte Ostdeutschlands, soll nächstes Jahr ausgebaut werden. "Diese Stadt", sagt Töpfer, "lebt von der Wirtschaft."

So sei es immer gewesen. So sei Riesas außergewöhnliches Fachkräftepotenzial entstanden, Ingenieurswissen, das sich über hundert Jahre aufgebaut habe. Die Berufsakademie Sachsen bietet sechs technische Studiengänge. Das Werner-Heisenberg-Gymnasium ist auch nach der Wende eine Spezialschule mit mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Ausrichtung geblieben. Dazu passt, dass die Schule künftig angeschlossen sein wird an ein Forschungszentrum, das Vallourec & Mannesmann plant, Weltmarktführer bei nahtlos warmgewalzten Stahlrohren.

In Riesa steht das einzige Universalschrägwalzwerk der Welt, mit dem Töpfer das Unternehmen lockte. Frank Gerlach, der die Anlage betreut, sagt: "Das ist zwar kein schiefer Turm von Riesa, aber ein Leuchtturm, den man vorzeigen kann." Und muss. Der Altersdurchschnitt der Stadt liegt bei 48 Jahren. "Wir haben seit 1990 eine ganze Generation verloren", sagt Töpfer, "wir müssen dafür sorgen, dass die jungen Leute wieder hierbleiben."

Spätestens jetzt ist klar, dass irgendetwas nicht stimmen kann am Image der erfolgreichen Sportstadt Riesa. Wer das Milieu kennt, weiß, dass die Entertainment-Ware Sport teuer ist. Man braucht dafür moderne, kostspielige Arenen, zahlt für die Veranstaltungs- und Namensrechte, zahlt Antrittsgelder für Athleten. Muhammad Ali beispielsweise soll 250000 US-Dollar bekommen haben. Dazu die Kosten für die Organisation, Betreuung der Athleten, Trainer, ein Pressezentrum. Eine Woche WM summiert sich schnell auf Millionen. Wenn Sponsoren und Einnahmen aus TV-Übertragungsrechten die Ausgaben nicht einspielen, bleibt schnell ein fettes Minus.

War es in Riesa nicht häufiger so? Muss es nicht so gewesen sein? Gerti Töpfer gibt keine eindeutige Antwort. Sie gesteht, es sei viel Geld geflossen früher, auch in Köhlers Brieftasche, der für die Akquisition von Sponsoren eine Provision erhält ­ er hatte ein Team von 270 Mitarbeitern, externe Berater. Und das für Randsportarten wie Sportakrobatik? Nischenprodukte wie Sumo? Sportexoten wie Stepptänzer? Der Spiegel nannte es eine "skurrile Event-Schwemme". Und die Idee für Olympia soll von einem Berater sein. Töpfer sagt dazu nur so viel: "Im ersten Jahr meiner Amtszeit war das Budget so knapp, dass wir praktisch nichts investieren konnten."

Nein, in der Sportstadt Riesa stimmt tatsächlich einiges nicht. Der Eindruck verstärkt sich bei dem Versuch, Köhlers ehemalige Protagonisten zu sprechen. Der Bobfahrer Czudaj, dem Köhler offenbar günstig ein Grundstück für sein Fitnesscenter zuschanzte, antwortet weder auf Anfragen per Telefon noch per E-Mail. Daran, dass er früher IM bei der Stasi war, kann es nicht liegen. Das interessiert längst niemanden mehr.

Der Schwimmtrainer Neumann ist bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin. Sein früherer Athlet Kruppa hat die Karriere beendet. Es kommt zwar nach einigen Telefonaten zu einem Treffen in einem Eiscafé, doch Kruppa druckst herum und wird erst beim Thema Doping gesprächig. Ihn ärgere der Generalverdacht der Medien bei Schwimmern. Dabei würden sie nicht. Er jedenfalls habe nie. Ehrenwort. Neumann, sein früherer Coach, musste zugeben, in der DDR das systematische Dopen von Minderjährigen akzeptiert zu haben. Aber das gehört nicht hierher.

Es ist mühsam. Anfrage per E-Mail zum Thema Sportstadt bei der SPD Riesa. Keine Antwort. Anfrage per E-Mail beim Kreisverband Die Linke Riesa-Großenhain. Keine Antwort. Wäre es nicht naheliegend, direkt mit Köhler zu sprechen? Schließlich ist er immer noch als Berater der FVG tätig. Zudem berät der Stadtrat in Dresden gerade über seine Berufung zum Geschäftsführer des Sportstätten- und Bäderbetriebs und der Messe Dresden GmbH. Köhlers Jahressalär soll 250000 Euro betragen. Plus die obligatorische Beteiligung an Werbe- einnahmen. Das ist viel Geld für jemanden, der keine Berufsausbildung hat.

Dafür fehlt es nicht an Ego. Wolfram Köhlers Buch aus 2005 trägt den Titel "Mr. Riesa. In Deutschland geht's auch anders." Die Dresdner Stadträtin Christine Ostrowski sagt: "Ich hoffe sehr, dass er bald Mister Dresden genannt wird." Er ist doch in Riesa, oder? FVG-Chefin Kühne bejaht. Ob er zu sprechen sei? Kühne: "Nein."

Nun gut, man kann sich die Geschichte ja auch selbst zusammenreimen. Der Lokalteil der Sächsischen Zeitung berichtet über einen offenen Brief, den Riesa-Stadtrat Thoralf Koß der Dresd-ner Oberbürgermeisterin geschrieben hat. Darin warnt Koß vor dem "selbstverliebten Image-Berater Köhler", der zwar einiges erreicht, aber dabei oft nur Kosten verursacht und ansonsten "grandios zur 'Kaltstellung' aller Kritiker im Riesaer Umfeld beigetragen" habe.

"Endlich hat einmal jemand den Mund aufgemacht", kommentiert ein Leser. "Er entblättert den 'Mythos' Köhler. Als OB hat Köhler zwar die Stadt bundesweit bekannt gemacht. Von diesem Bekanntheitsgrad haben aber die Riesaer wenig. ... Während seiner Amtszeit wurden Hunderttausende für einige wenige Leistungssportler, Millionen für große Hallen und riesige Kunstwerke ausgegeben. Die Schulsporthallen waren aber in einem desolaten Zustand." In einem weiteren Leserbrief heißt es: "... wenn wir mal ehrlich sind, hat er immer das Handtuch geworfen, sobald es schwierig wird."

So kann man es sehen. 2003 ist Köhler seinen Job als Staatssekretär jedenfalls ruck, zuck wieder los; angeblich gab es zweifelhafte Zahlungen von Sponsoren an Köhlers Ehefrau Franziska, die als freie Mitarbeiterin der FVG fungierte. Köhler lässt sich daraufhin in den Landtag wählen, einige Monate später legt er sein Mandat nieder, er fühlt sich "auf der Ersatzbank".

Auch ein Intermezzo als Geschäftsführer der Preussag Arena Hannover währt nicht lange. In Erscheinung tritt Köhler danach überwiegend als Manager des Boxers Axel Schulz, der sieben Jahre nach seinem letzten Kampf, trotz ärztlicher Bedenken ein gut bezahltes Come- back wagt. RTL überträgt live. Köhler kassiert mit. Schulz wird von einem zweitklassigen Boxer verdroschen und erleidet laut Bild Tage danach einen Schlaganfall. Natürlich hat so jemand wie Köhler Kritiker. Die Dresdner SPD wirft ihm vor, kein Konzept zu haben, außer eine neue, große Halle zu fordern und maßlos Geld für Sportveranstaltungen ausgeben zu wollen.

Was bleibt?

In Riesa ist von Köhlers Sportstadt derweil bloß noch das Label übrig. Vor der Tour durch die erdgas arena sitzt Renate Kühne in ihrem Büro, vor einer Pinnwand mit Autogrammen und Postkarten aus Florida. Sie schaut auf den Parkplatz, wo bald Moped gefahren wird, und poltert. Leise Töne sind ohnehin nicht ihre Sache, doch jetzt muss sie mal richtig laut werden.

Nicht mal Sportakrobatik könne sie sich noch leisten. Nur die WM im ShowDance und Stepptanz seien ihr geblieben. "Mittlerweile", schreibt der Berliner Tagesspiegel, "bedeutet Sportstadt Riesa vor allem, dass sich dort zweitklassige Boxer auf die Nase hauen." Kühne sagt, dann müsse sie sich die Attraktionen halt selber machen. "Mein Zukunftsprodukt sind die Elbehexen." Die Elbehexen spielen Handball. In der Regionalliga. Frau Kühne spielte auch mal Handball. Bei Traktor Lommatzsch. Sie war Buchhalterin bei Robotron, bevor sie Wolfram Köhler traf.

Am Ende muss man nur eins und eins zusammenzählen. Als Bürgermeisterin Gerti Töpfer ihr Amt von Köhler übernahm, hatte Riesa 54,4 Millionen Euro Schulden und 4,5 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen. Heute hat die Stadt 48,7 Millionen Euro Schulden und 16,6 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen. In Töpfers Ära haben sich die Einnahmen aus Einkommenssteuer verdoppelt, ist die Arbeitslosigkeit von 24 Prozent auf 14 Prozent gesunken, sogar die Übernachtungszahlen sind um ein Viertel höher als bei Köhlers Abgang, obwohl der gern argumentierte, nur seine Sportstadt schaffe dauerhaft Arbeitsplätze und locke Touristen an.

Die Zahlen sprechen nicht für Köhler. Ein genialer Macher? Oder bloß die Image-Kampagne eines Selbstdarstellers auf Kosten des Steuerzahlers?

Noch, sagt jemand, der nicht genannt werden will, trauten sich die meisten nicht, ihre Meinung offen zu sagen. Köhler, heißt es, habe noch viele Freunde in der Stadt, Leute, die an seinen Geschäften partizipierten, die ihre Urlaube in seinem Haus in Florida verbringen würden. Wenn es so wäre, Frau Töpfer dürfte wohl nicht dazugehören. Vor nicht allzu langer Zeit, wird kolportiert, soll Köhler zu ihr gesagt haben, Riesa, das sei immer noch seine Stadt.

Aber ganz egal, was die Riesaer laut sagen oder nicht. Wenn sie an Immendorffs Skulptur vorbeikommen, denken sie sich ihren Teil. Mit dem rostigen Monstrum hat sich Mr. Riesa definitiv ein Denkmal gesetzt. Der Volksmund nennt es "Köhlerpimmel".

PS: Am 26. Juni 2009 beschloss der Dresdner Stadtrat mit Stimmen von CDU, FDP, Linksfraktion.PDS und Bürgerfraktion die Berufung von Wolfram Köhler, CDU, zum Geschäftsführer des Sportstättenbetriebs und der Dresden Messe GmbH. Der ehemalige Oberbürgermeister von Riesa sollte Dresden zur "Sport- und Event-Stadt" (Köhler) machen. Auf Antrag der Fraktion Die Linke erließ das Dresdner Verwaltungsgericht Tage später jedoch eine einstweilige Verfügung gegen den Beschluss. Die Linke hatte erfolgreich argumentiert, der Stadtrat sei nicht ordnungs-gemäß einberufen worden, da den Mitgliedern keine Kopie des Vertrags mit Köhler ausgehändigt wurde. Ende Juli bestätigte das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen dieses Urteil. Köhler zog daraufhin seine Bewerbung in einem Brief an Oberbürgermeisterin Helma Orosz zurück.