Dem Himmel sei Dank

Von Luftschlössern und Schnapsideen. Verrückte Baupläne in der Sächsischen Schweiz, die gottlob gescheitert sind.




Ein Meer ist es, wenn auch eines aus Stein. Fasst man diesen Stein an, zerfällt er in den Händen zu feinstem hellem Sand. Ein Wunder beinahe, dass dieses steinerne Meer immer noch steht und Jahr für Jahr Hunderttausende Besucher verkraftet. Denn was Touristen anzieht, zieht auch Geschäftemacher an. Und die bringen oft Ideen mit, die skandalträchtige Schlagzeilen machen.

Schon die Entstehung war spektakulär. Vor Millionen Jahren, im Tertiär, hob sich eine gewaltige Sandsteinplatte aus dem Urmeer und zerfiel fortan unwiederbringlich. Was heute die Sächsische Schweiz ist, sind nur die Überreste, die beständigsten Türme, die widerstandsfähigsten Blöcke dieser gigantischen Sandbank. Manche wie Kleckerburgen von Riesenkinderhand gebaut, andere stattliche Wände wie erstarrte Wogen. Trotz aller Vergänglichkeit: Aus diesem Sandstein wurde die imposante Dresd-ner Frauenkirche erbaut, das Rathaus von Antwerpen und das Brandenburger Tor in Berlin.

Die Sächsische Schweiz, das Elbsandsteingebirge, ist eines der kleinsten deutschen Mittelgebirge. Die höchste Erhebung, der Große Winterberg, kratzt nicht einmal an der 600-Meter-Marke, und doch ist er weltberühmt. Hier wurde das Sportklettern erfunden, und hier wanderten Künstler wie Adrian Zingg, Caspar David Friedrich und Adrian Ludwig Richter, lange bevor Scharen von furchtlosen Bergsteigern die Felsenwelt erstürmten. Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer", eines seiner berühmtesten Gemälde, könnte die Stimmung dieser Landschaft nicht schöner ausdrücken: geheimnisvoll, entrückt, bizarr.

Das Elbsandsteingebirge beherbergt auch Sachsens einzigen Nationalpark. Nach nur sechs Monaten Planungszeit 1990 gegründet, kam seine Entstehung einer "Sturzgeburt nach fast40-jähriger Schwangerschaft" gleich, wie Nationalparkchef Jürgen Stein es formuliert. Rund 90 Quadratkilometer groß, grenzt er an die Tschechische Republik, wo sich weitere 80 Quadratkilometer Naturschutzgebiet anschließen. Luchse, Feuersalamander, Gelbe Veilchen, Wanderfalken und Lachse sind hier heimisch. Dank geschickter Besucherleitung sind Flora und Fauna weitgehend ungestört von den rund zwei Millionen Übernachtungsgästen und zahllosen Tagestouris-ten, die hier jedes Jahr einfallen.

Die Touristen kamen schon, bevor die Maler der Romantik und Dichter wie Hans Christian Andersen von der Gegend schwärmten. Schweizreisende hießen sie damals, und wem es zu Fuß zu mühsam war, der ließ sich in einer Sänfte tragen oder kam mit dem Schaufelraddampfer. Anfang des 19. Jahrhunderts war die Sächsische Schweiz so en vogue, dass es geradezu zwingend war, den Besuch der Residenzstadt Dresden mit einem Abstecher hierher zu verbinden. Heute kann man den Spuren der Künstler auf dem historischen "Malerweg" folgen, der wie damals durch unberührte Landschaft führt. Selbstverständlich ist das nicht: Immer wieder gab es Pläne für Eingriffe in die Natur, die dem Besucher nur dank Zufall, Protest oder Gesetzestext erspart blieben.

Himmelsstürmer, Jesusstatuen und steinerne Gesichter

Wie eine Krone dieser Landschaft thront der 415 Meter hohe Lilienstein über der Elbe. Als ihn Sachsens berühmtester Herrscher, Kurfürst August der Starke, 1708 mit seiner Gefolgschaft erklettern wollte, ließ er eigens dafür Stufen in den Fels hauen. Knapp 200 Jahre später hatte der Wirt der Bergwirtschaft eine noch bessere Idee: Ein Aufzug sollte her, damit die Besucher den steilen Felsen bequemer erklimmen konnten. Das Vorhaben wurde abgelehnt, der Naturschutz ging vor.

Was der geschäftstüchtige Wirt nicht ahnen konnte: Der Streit um Bergaufzüge in der Sächsischen Schweiz wird bis heute geführt. Ob auf die berühmte Bastei, den "Balkon" der Sächsischen Schweiz, ob auf den Lilienstein oder hinauf auf die höchste Erhebung, den Großen Winterberg ­ immer wieder sollte Kletterern der mühsame Aufstieg erleichtert werden. Jüngster Plan der Stadt Königstein am Fuße der Festung, auf der Johann Friedrich Böttger versuchte, weißes Porzellan herzustellen, das spätere Meissener Porzellan: eine Magnetbahn, die pro Stunde 700 Menschen zur Festung hinaufbefördern könnte.

Doch es gab auch Pläne, die weit mehr als Staunen auslösten: "Christus darf nicht auf den Lilienstein", titelte 2007 eine Zeitung. Wenn Christus sogar übers Wasser gehen kann, was sollte ihn dann daran hindern, auf den Lilienstein zu kommen? Doch es war kein Scherz: Ein Hamburger Immobilienmakler wollte, getreu dem Vorbild aus Rio de Janeiro, tatsächlich eine überdimensionale Jesusfigur auf dem Felsen platzieren. 55 Meter hoch, mit Gebetsraum im Sockel. "Das Vorhaben ist ein Segen für die Sächsische Schweiz", erklärte der Spiritus Rector den erstaunten Medien. Die Sachsen sahen das anders und gaben einen abschlägigen Bescheid.

Fünfzehn Jahre zuvor, die Wende war gerade verdaut, überraschte ein Unternehmer aus Gießen die kleine Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna mit einem hehren Plan. Die gewaltigen, 100 Meter hohen Sandsteinbrüche entlang der Elbe sollten Kulisse für ein ebenso gewaltiges Wende-Denkmal werden, das im Volksmund als "die Kanzlerköpfe" bekannt wurde. Auch dafür gab es ein Vorbild: der Mount Rushmore in South Dakota, USA. So wie dort die Köpfe berühmter US-Präsidenten in Granit gemeißelt sind, sollten nun die Köpfe der Bundeskanzler Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl sowie des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan in Sandstein verewigt werden. Kosten: fünf bis zehn Millionen D-Mark pro Kopf, finanziert aus Spendengeldern.

Kaum war der Plan heraus und eine Fotomontage in einer Zeitung, schlugen die Wellen der Empörung hoch. Die Bürger Sachsens nutzten ihre neu gewonnene Meinungsfreiheit voll aus. Von Irrsinn, Schnapsidee, Geschmacklosigkeit, Verbrechen an der Natur war die Rede. Und, ganz pragmatisch, davon, dass die gemeißelten Nasen der Sandstein-Ikonen wegen des weichen Materials bröckeln würden. Auch die Behörden lehnten den Plan ab. Offizielle Begründung: Die Köpfe seien für die Landschaft wesensfremd.

Rennstrecken, Serpentinen und Querverbindungen

Kaum weniger radikal waren die Eingriffe, die Freunde des Motorsports in der Region vornehmen wollten ­ anders als Aufzüge, Statuen und Kanzlerköpfe wurden sie jedoch zumindest teilweise realisiert.

Ende der zwanziger Jahre wurden im motorsportverrückten Sachsen die ersten Rennstrecken gebaut. Auch im Elbsandsteingebirge, nahe der kleinen Burgstadt Hohnstein, begannen Bauarbeiten. Der "Großdeutschlandring" sollte entstehen, die modernste Rennstrecke des Landes. Exakt zehn Kilometer lang, durchgehend zwölf Meter breit (der Nürburgring war damals nur acht Meter breit), Kurvenbreite 20 Meter, 16 Serpentinen.

Eine Million Zuschauer sollte an der Strecke Platz finden, 350000 Parkplätze waren geplant. Die Nazis betrieben den Bau später als gewaltiges Propagandaprojekt. Am 26. April 1939, vier Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, wurde die Strecke eingeweiht ­ allerdings ohne Pomp. Zwar war die Straße fertig, nicht aber Tribünen, Fahrerlager, Boxen oder Hotels. Die Kriegsvorbereitungen verschlangen alle Ressourcen.

Nach dem Krieg gab es nur noch ein einziges Autorennen auf der Strecke rund um Hohnstein. Bei dem Wettkampf 1951 gab es allerdings zwei Tote, danach war es gänzlich vorbei. Heute nutzen nur noch Motorradfahrer gelegentlich und illegal die Serpentinen hinunter ins Tal der Polenz.

Auch eine der berühmtesten Landschaftsmalerinnen Sachsens hatte zeitweilig Anteil an der verkehrstechnischen Erschließung dieser Felsenlandschaft. Als blutjunge technische Zeichnerin bei einem Landschaftsarchitekten erhielt Irmgard Uhlig, heute 99 Jahre alt und noch immer rüstig, den Auftrag, einen Lageplan des angedachten Nationalparkes zu zeichnen. 1953 brachte sie auch den Entwurf für eine Autobahn zu Papier. "Der erste Plan war eine hohe Überbrückung der Elbe bei Pirna. Um das Elbtal zu entlasten, sollte zunächst die Autobahn Dresden-Prag gebaut und dann ein Nationalparkring angeschlossen werden, mit Elbbrücken bei Pillnitz und Bad Schandau", erzählt sie.

Rastplätze an der Bastei und auf anderen exzellenten Aussichtspunkten waren geplant. Die Malerin hält kopfschüttelnd das von ihr gezeichnete Auftragswerk in den Händen: "Wir sind mit dem Fahrrad in die Natur und zum Klettern gefahren. Ich hätte diese Straßen nicht gebraucht." Aber es waren andere Zeiten: "Es gab wenig Protest gegen die Pläne, einen Autobahnring mitten durch die Sächsische Schweiz zu bauen. Das war eben damals nicht üblich."

Das Projekt "Nationalparkring" scheiterte, wenn auch vermutlich nur aus Kostengründen. Die Autobahn Dresden-Prag dagegen wurde realisiert und ist die heutige A17 ­ zwischen Irmgard Uhligs ersten Skizzen und der Fertigstellung vergingen allerdings noch mehr als 50 Jahre.

Verrückte Ideen, abenteuerliche Pläne, der Kampf der Moderne gegen die Natur. Vieles, was heute ein Touristenmagnet dieser Gegend ist, war zu seiner Bauzeit ein Skandal, wie der eiserne Personenaufzug in Bad Schandau oder die elektrische Straßenbahn durch das Kirnitzschtal. Trotzdem erleichternd, dass manches in der Schublade "Luftschlösser" landete und noch heute dort vor sich hin dämmert.

Oder doch nicht? Hatte da nicht ein Unternehmer aus Sebnitz gerade den Plan für eine Seilbahn quer durch den Wald zum Lichtenhainer Wasserfall? Die Ideen gehen nicht aus ...