Erfolgreich, still und leise

Journalisten arbeiten gern mit Extremen, und so ist es kein Wunder, dass sie für die Beschreibung eines Ostwestfalen regelmäßig den Rheinländer als Referenz wählen. Beide stammen aus Nordrhein-Westfalen, aber wo der eine mit der ihm angedichteten Leutseligkeit gern viele Worte macht, kommt der andere mit einer Handvoll aus. Der legendäre Dialog: "Wie is?" "Muss. Und selbst?" gilt als auskömmliches Gespräch ­ und als typisch ostwestfälisch.




Dr. August Oetker, Chef des gleichnamigen Unternehmens und prominenter Vertreter der Region, hat die Mentalität seiner Landsleute einst ganz ähnlich definiert: Der typische Westfale sei sehr fleißig, aber mindestens ebenso still und zurückhaltend. Wenn er auf eine Leistung stolz sei, erzähle er es höchstens seinem Nachbarn, aber fast nie einer größeren Öffentlichkeit. Oetker, Vizepräsident der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, hat das nicht nur positiv gemeint, denn bei aller Bescheidenheit: Im Zeitalter der Globalisierung ist vornehme Zurückhaltung keine Zier. Heute muss eine Region schon zeigen, was sie hat ­ den eigenen Lands-leuten, aber auch den unterschiedlichen Zielgruppen weltweit.

Genug Spannendes hat Ostwestfalen-Lippe allemal zu bieten. Vor Ort lässt sich zum Beispiel anschaulich nachvollziehen, was gesunder Menschenverstand in Kombination mit Tatkraft und Toleranz bewirkt: OWL ist deutscher Meister im Abbau von Bürokratie (Seite 166) und dient weltweit als Modell für den offenen Strafvollzug (S. 92). Landschaftlich und kulturell locken Schlösser, Burgen und fast 200 Parks (S. 44), als Magnet für Forschung und Wissenschaft haben sich in jüngs-ter Vergangenheit Paderborn und Bielefeld erwiesen. Die Universität Bielefeld, einst Hochburg der Geisteswissenschaften, macht seit Jahren als Zentrum der Roboterforschung von sich reden (S. 18), die wachsende Großstadt Paderborn hat sich als namhafter IT- und Technikstandort etabliert (S. 30).

Mit Blick auf die Industrie muss Ostwestfalen-Lippe den Vergleich ohnehin nicht scheuen. Der Wirtschaftsraum im Nordosten von NRW, der knapp 2,1 Millionen Menschen beherbergt, ist reich an erfolgreichen Marken und Branchen. Unternehmen wie Bertelsmann, Cor, Claas, Miele, Melitta oder Wincor Nixdorf sind hier zu Hause, die Region ist stark in Gesundheit und Maschinenbau ­ und bis heute Zentrum der deutschen Möbelindustrie: Jede dritte Küche, die in Deutschland verkauft wird, stammt aus OWL, zwischen Löhne, Herford und Verl sitzen drei Viertel aller heimischen Hersteller samt Zulieferindustrie (S. 154).

Angesichts dieser Vielfalt fragt sich so mancher Besucher, warum sie in der Region nicht mit mehr Stolz für sich und ihren Wirtschaftsraum werben ­ und findet eine mögliche Antwort beim Blick in die Vergangenheit. Was anderswo lange wachsen und zu dem reifen konnte, was man gemeinhin Regionalbewusstsein nennt, hat im Regierungsbezirk Detmold, wie OWL verwalterisch heißt, eine vergleichsweise kurze Tradition. Formal sind Ostwestfalen und Lippe erst seit 1947 vereint, tatsächlich sind die sechs Landkreise und eine kreisfreie Stadt bis heute politisch, konfessionell und mental in diverse Segmente zerteilt.

Wenn es nach der politischen Führung in Düsseldorf geht, wird zumindest die sprachliche Trennung bald aufgelöst sein. Bis 2012 soll aus dem Bindestrich-Kons-trukt Ostwestfalen-Lippe schlicht Westfalen werden. Besuchern, Bewerbern, Partnern oder Investoren kann das egal sein. Für ein Engagement vor Ort gibt es genug gute Argumente ­ der Name war auch bisher nicht die Stärke der Region.

Susanne Risch,

Chefredakteurin

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