Küchenhersteller in Ostwestfalen-Lippe

Blau, weiß, rot, schwarz, gelb, grün, silber, matt, lackiert, furniert, laminiert, poliert, marmoriert, dekoriert, gebürstet, gerundet, Eiche, Buche, Nussbaum, Pinie, Ahorn, Granit, Schiefer, Nickel, Aluminium, Edelstahl, Messing, Glas, Folie, Marmor, puristisch, klassisch, romantisch... Küchen gibt es in unendlich vielen Variationen, gefertigt werden sie von einer stattlichen Zahl von Herstellern. Fast alle an einem Fleck.




Ausstellungsforum. So steht es auf den Schildern, die in Löhne den Weg zu SieMatic weisen. Sicher, man kann das so nennen. Aber eigentlich ist es fast schon eine Kunsthalle, was sich das Familienunternehmen da vor vier Jahren zum 75. Geburtstag errichtet hat. Ein perfekt ausgeleuchtetes Arrangement aus 34 edlen Exponaten: vom minimalistischen Design-Klassiker "6006", dem Vorreiter aller grifflosen Küchen, über die opulente "Painters' Collection Royal", handbemalt und üppig verziert mit Kapitellen und Pilastern, bis zur verspielten "BeauxArts", angelehnt an den gleichnamigen Architekturstil im Amerika des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hier wie auf sämtlichen anderen Werken des Hauses der Hinweis, man möge bitte nicht fotografieren.

Beinahe könnte man vergessen, dass es sich bloß um neuzeitliche Feuerstellen handelt, was man da staunend durchschreitet ­ würde einen Katina Schmeißer, Assistentin der Geschäftsleitung, beim Rundgang nicht immer wieder daran erinnern, dass jede SieMatic-Diva in ihrem Inneren vor allem Diener ist.

Sie macht das sehr effektvoll, indem sie versteckte Schubkästen aufzieht, aus denen geräuschlos versenkbare Brotschneidemaschinen emporsteigen. Oder sie zeigt in den hintersten Winkel von Regalböden, wo winzige Kunststoffeinsätze für "runde Ecken" sorgen, in denen sich kein Schmutz sammeln kann.

Besonders gern wirft Frau Schmeißer Schranktüren zu, um zu demonstrieren, dass da nichts, aber auch wirklich gar nichts knallt. "Dafür sorgt unser spezielles Rundumdämpfungsprofil. In einer SieMatic-Küche können Sie keinen Ehekrach austragen, jedenfalls keinen mit lautem Türenschlagen."

Effizient und leise ­ das gilt wohl insgesamt für das Wesen der ostwestfälischen Küchenhersteller. Zwar ist Kochen seit einiger Zeit das große Thema, zwar wird auf sämtlichen Fernsehkanälen geschnippelt und gebrutzelt, von Köchen, deren Namen inzwischen so bekannt sind wie die von Fußballstars. Aber welcher Zuschauer außerhalb der Möbelbranche weiß schon, welch wichtige Rolle dabei Ostwestfalen-Lippe spielt: Hier wird sie gefertigt, die Kulisse für so manchen kulinarischen Höhenflug vor der Kamera. Hier werden sie entworfen, die Wohnträume der neuen Fami-lien, für die Küchen wieder Zentren des Zusammenlebens sind. Hier entsteht der individuelle Rahmen für die tägliche millionenfache Zubereitung von Speisen in aller Welt, sei es der Morgenkaffee in München, der Lunch in Los Angeles oder ein Sashimi-Abend in einem Loft in Schanghai.

Der Standort ist gut ­ und die Küche ist krisenfest

Natürlich nicht nur hier, aber nirgendwo sonst auf der Welt so konzentriert auf einem Fleck. Drei Viertel aller einheimischen Küchenmöbelproduzenten haben ihren Sitz in OWL, erwirtschaften mit mehr als 2,3 Milliarden Euro 60 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, halten 20 Prozent Marktanteil in Europa. Sicher: Auch im deutschen Küchen-Cluster haben die Unternehmen mit Kaufzurückhaltung und hohen Kosten zu kämpfen; auch zwischen Löhne, Herford und Verl herrscht Verdrängung, und manche müssen aufgeben. Aber es war stets der Bereich Küche, der sich bei Krisen im Möbelgeschäft noch mit am besten behaupten konnte ­ auch und gerade dank des Perfektionismus und der Innovationskraft ostwestfälischer Hersteller.

Giganten sind darunter wie Nobilia und Nolte, schillernde Namen wie SieMatic und Poggenpohl, feine Manufakturen wie RWK und Eggersmann. Selbst die in Niederbayern gefertigten Bulthaup-Luxusküchen haben einen ­ wenn auch nur historischen ­ Bezug zur Region; der 1978 verstorbene Firmengründer Martin Bulthaup stammt ursprünglich aus Eilshausen im Kreis Herford. "Wenn man zudem die vielen Zulieferer, Handelsorganisationen und Dienstleister berücksichtigt, die sich um die Möbelindustrie herum hier angesiedelt haben, kann man von einem Cluster sprechen, das nahezu einmalig ist für eine mittelständische Branche", behauptet Lucas Heumann, Geschäftsführer beim Verband der Deut-schen Küchenmöbelindustrie (VdDK) in Herford.

Warum gerade Ostwestfalen-Lippe? "Weil der Standort ideal war", sagt Heumann. Zu Beginn der Industrialisierung in der Möbelbranche sei hier alles vorhanden gewesen, was Küchenproduzenten brauchen: Rohstoffvorräte, Trans- portwege und Absatzgebiete. Im Sauerland, der Egge und im Teutoburger Wald gab es eine leistungsfähige Forstwirtschaft. Die Achse Berlin-Ruhrgebiet, zunächst Schienenstrecke, später auch Autobahn, war der entscheidende Trans- portweg in Mitteleuropa. Und mit den Ballungszentren an Rhein und Ruhr lag die bevölkerungsreichste Region Euro-pas in unmittelbarer Nähe.

Dieser Mix muss es gewesen sein, der Leute wie Johann und Willy Stickling bewogen hat, hier ihr Unternehmerglück zu suchen. Die Brüder, Tischlermeister der eine, Kaufmann der andere, gründeten 1945 in Verl bei Gütersloh eine Firma für Kleinmöbel und Nähschränke, mit zunächst sieben Mitarbeitern. Zwei Jahre später begannen sie mit der Produktion von sogenannten Küchenbüfetts, nach einer Unternehmensteilung fertigten die Söhne von Johann ab 1967 unter dem Namen Nobilia Einbauküchen.

Heute ist das Unternehmen, inzwischen direkt an der A 2 gelegen, mit 1940 Beschäftigten und rund 620 Millionen Euro Umsatz der größte Hersteller von Einbauküchen in Deutschland. Jedes Jahr verlassen 420000 komplette Küchen die Werke in Verl-Sürenheide und Verl-Kaunitz. Das sind rund 2000 Küchen pro Arbeitstag, plus 5000 Elektrogeräte täglich. 110 Lkw und 350 Auflieger bilden den hauseigenen Fuhrpark, legen 13 Millionen Kilometer pro Jahr zurück. Nahezu jede vierte Küche, die in einen deutschen Haushalt geliefert wird, kommt von Nobilia.

Ein Massenhersteller, keine Frage. Aber Masse, das klinge so abwertend, meint Günter Scheipermeier, seit 1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung. Er spreche lieber von Mengen, erklärt er gleich zu Beginn des Gesprächs. Und preist danach das Kulturgut Möbel, erzählt von seiner Kindheit in den fünfziger Jahren, als das Leben in der Küche stattfand. "Das erlebt nun eine Renaissance, Essen ist wieder Gemeinschaftserlebnis, Kommunikation. Das ist gut für uns. Und wir sind gut für unsere Kunden. Denn weil wir hoch automatisiert Menge produzieren, können wir dem kleinen Mann eine Qualitäts-Küche zu einem sehr attraktiven Preis bieten."

Den Zusammenhang zwischen Fertigung und Kosten erklärt der 59-Jährige gern mit Blick auf den Wettbewerb: "Wenn Sie eine SieMatic-Küche wollen und Ihre Wand misst 3,24 Meter, baut Ihnen SieMatic sechs gleich große Schränke, die exakt dieses Maß ausfüllen. Bei uns kriegen Sie sechs Schränke in einer Standardbreite von je 50 Zentimetern ­ die fehlenden 24 Zentimeter überbrücken wir einfach mit zwei seitlich angebrachten Blenden."

Unikate ­ perfekt und in Serie

Ein klassisches Baukastensystem. Ausgerechnet mit einem Produkt, das für Individualität steht wie kaum ein anderes. Schon vom Grundriss her ist jeder Küchenraum anders. Dazu kommt der Kundengeschmack, was Funktion, Form und Farbe der Möbel betrifft. Nobilia bietet 1400 verschiedene Schranktypen, 90 unterschiedliche Fronten, mehr als 40 Arbeitsplattendekore. Insgesamt sind viele Hunderttausend Varianten möglich. Trotzdem dauert die Produktion einer Küche ­ von der Planung bis zur Verladung ­ nicht länger als vier Tage. Der Erfolg des Unternehmens beruht im Grunde auf einem Paradoxon: der Fähig- keit, Unikate in Serie zu fertigen. Und das so perfekt wie möglich.

Scheipermeier beschreibt das mit der Formulierung: den Menschen in seiner Unzulänglichkeit sehen. Als potenzielle Fehlerquelle. Fehler kosten Geld und schaden dem Image. "Gerade wenn Sie als Unternehmen eine gewisse Größe erreicht haben, sind Sie sehr verletzlich, wenn Zweifel an Ihrer Qualität aufkommen. Je höher der Automatisierungsgrad, desto höher ist die Qualität."

Tatsächlich sind in den riesigen Produktionshallen erstaunlich wenig Menschen zu sehen. 1100 Beschäftigte in der Fertigung, das klingt viel, aber sie verteilen sich auf zwei, zum Teil drei Schichten. Und sie verlieren sich zwischen imposanten Maschinenstraßen, einem Hochregallager mit 14 Gassen und 26000 Stellplätzen und den Transportrobotern, von der Belegschaft auf die Namen Maria und Josef getauft, die als sogenannte optische Ameisen führerlos durch den Betrieb finden und Paletten zu den Bändern oder in den Versand fahren.

Qualität ­ in Masse und Detail

Der Mensch hier produziert zwar kaum noch, dafür kontrolliert er umso mehr. Er ist unverzichtbar für das, was Schulungsleiter Burkhard Grütt das Hosenträger/Gürtel-Prinzip nennt. Doppelter Qualitäts-Check, in jeder Fertigungsphase. Beispiel Schubladenproduktion: Die Maschine macht fast alles allein, setzt 10000 Schubkästen und Auszüge pro Tag zusammen. Aber am Anfang und Ende der Produktionseinheit steht ein Mitarbeiter und prüft. An mehr als 50 Stellen in der Fertigung suchen Augen nach Kratzern, tasten Finger Oberflächen auf Pickel ab. Umgekehrt gilt das Prinzip aber auch: Die Technik passt auf, dass der Mensch alles richtig macht. Bis zuletzt. Bevor es auf den Lkw geht, wird jedes Teil gescannt. Beim Ausladen scannt der Fahrer erneut. "Wenn er ein falsches Teil ablädt, bekommt er sofort eine Fehlermeldung", sagt Grütt. "So minimieren wir Reklamationen."

Der Qualitätsanspruch, der einen Großen wie Nobilia auszeichnet, findet sich auch bei so manchem kleineren Vertreter der Branche. Wenn auch in ganz anderer Ausprägung. "Bei uns zählen vor allem menschliches Know-how und Teamwork", sagt Michael Wunram, Geschäftsführer von Eggersmann in Hiddenhausen-Schweicheln. Mit 112 Beschäftigten produziert das Unternehmen 25 bis 30 Küchen am Tag, die zwischen 15000 und sage und schreibe 300000 Euro kosten. Maßanzüge seien das, sagt Wunram, "die müssen sitzen wie angegossen." Das sogenannte Customizing ist die Spezialität von Eggersmann. Die ausgefallensten Ideen realisieren, wo andere Hersteller passen müssen.

Unique ­ die Küche zum Parfüm

Da gibt eine Architektin das Stichwort "Chanel No. 5", weil ihre Auftraggeberin das Parfüm so liebt, und Eggersmann baut dazu einen Traum in Schwarz-Weiß, ganz im Stil der Flakon-Verpackung, durch rückseitig lackiertes Glas besonders kostbar in der Anmutung. Hinzu kommt das Objektgeschäft: Pent- house-Projekte oder Villen-Neubauten bestücken, in Moskau, St. Petersburg, Chicago, New York. "Wir sind im Ausland fast bekannter als hier. Vieles läuft über Empfehlungen."

Auch Wunram kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Es war sein Urgroßvater Wilhelm Eggersmann, der das Unternehmen vor 100 Jahren gründete, im Oktober 1908, als Tischlerei, die von Anfang an hochwertige Küchenmöbel fertigte. Michael Wunram wuchs im Haus neben dem Betrieb auf, aber es war immer klar, dass er auch etwas anderes würde sehen wollen. Nach einer Schreinerlehre in Vlotho studierte er in Köln Betriebswirtschaft und ging dann nach Hamburg, um in einem Einrichtungsstudio zu arbeiten.

Mitte der neunziger Jahre kehrt er auf Wunsch der Mutter zurück, führt seitdem die Geschäfte mit Andreas Schewe, der bereits als Schüler im Unternehmen jobbte. "Allein ginge es gar nicht, denn einer von uns ist quasi immer unterwegs", sagt Wunram. Eggersmann hat eine stetig steigende Exportquote, derzeit sind es 70 Prozent, das Unternehmen ist in 30 Ländern vertreten, im Frühjahr wird der nächste Show-Room eröffnet, in Singapur. Da werden sie dann zu sehen sein: Fronten aus Zink, die matt schimmernd kühle Eleganz ausstrahlen. Oberflächen aus warmem Pappelholz-Furnier, von einem italienischen Hersteller exklusiv für die Schweichelner Manufaktur gefertigt. Sakral anmutende Kochtempel aus poliertem Schiefer, eine Eigen-Kreation Wunrams und Teil der neuen "unique"-Reihe, mit der er "das absolute Topsegment angreifen" möchte.

Modern sein, nicht modisch, lautet Wunrams Devise. Zeitlose Dinge schaffen und gleichzeitig der Zeit ständig vorauseilen. Avantgarde als Überlebensprinzip. "Wenn die Mainstream-Hersteller einem Trend folgen wie zuletzt mit den Hochglanzküchen", sagt Wunram, "dann müssen wir längst in eine andere Richtung unterwegs sein."

Der Anspruch ist ehrgeizig, aber nicht unique. Über neue Trends, neue Märkte und neue Marketingstrategien denken auch andere Hersteller unentwegt nach. Besonders in den vergangenen Monaten. Die drohende Mehrwertsteuererhöhung hatte der Branche in 2006 noch einen Kauf-Boom beschert, seitdem herrscht Flaute, zumindest auf dem deutschen Markt.

Die Situation ist nicht neu. Den letzten großen Aufschwung hatte die Wiedervereinigung den Küchenproduzenten beschert, die sich mit einem Schlag über Millionen neuer Kunden freuen konnten. Seit der Bedarf in den neuen Bundesländern gedeckt ist, ist das Inlandsgeschäft rückläufig. "Von 1997 bis 2006 sind die Umsätze in Deutschland um 20 Prozent eingebrochen", sagt Verbandsgeschäftsführer Lucas Heumann. Diese Talfahrt wird allerdings aufgefangen durch eine gegensätzliche Entwicklung im Auslandsgeschäft: Die Exportquote für Küchen hat sich im selben Zeitraum mehr als verdoppelt.

Insgesamt verzeichnet die Branche dadurch weiterhin leichte Zuwächse, bei jedoch stark gestiegenen Kosten. Für die einzelnen Unternehmen gilt: Anbieter mit hohem Exportanteil haben im Moment weit weniger Sorgen als andere. Sicherheit bedeutet das nicht: Bei den Traditionsfirmen Ebke in Enger und Nieburg in Löhne zum Beispiel, die beide im November vergangenen Jahres vorläufige Insolvenz anmelden muss-ten, ging es mit dem Auslandsgeschäft durchaus bergauf ­ doch die zuletzt erreichten Quoten von 30 und 25 Prozent langten nicht zur Rettung.

Hohe Kosten ­ hohe Rabatte

Es sind nicht nur Kaufzurückhaltung, hohe Energiekosten und eine Preisexplosion beim Grundmaterial Spanplatte, die es der Branche schwer machen. Beklagt wird auch immer wieder die starke Stellung der Einkaufsverbände. Die vielen deutschen Küchenspezialisten, Möbelhäuser und Einrichtungsketten sind in mächtigen Verbänden organisiert, die so manchen Hersteller mit Rabattforderungen in die Knie zwingen. Ein gewiefter Zwischenhandel ist das, der die Margen der Produzenten erheblich schmälert. "Deshalb scheuen sich viele Hersteller auch, Ertragszahlen zu nennen, selbst wenn sie gut sind", sagt Heumann. "Denn das nehmen die Einkaufsverbände sofort zum Anlass, noch bessere Konditionen zu fordern."

Das Ringen um Prozente, Preise und Produktqualität bleibt auch einer Firma wie Danielmeyer nicht erspart, wenngleich das Terrain des Mittelständlers ein anderes ist. Danielmeyer sitzt in Löhne, der "Weltstadt der Küchen", wie sie Bürgermeister Kurt Quernheim vor drei Jahren ausgerufen hat. Andere sogenannte Alleinstellungsmerkmale hat die Stadt nicht, also platzierte das Stadtmarketing an allen Ortseinfahrten unübersehbare Säulen mit den Logos der fünf namhaften Hersteller, die hier zu Hause sind ­ darunter SieMatic, Nolte und Bauformat, drei der 15 größten in Europa. Jeder vierte Arbeitsplatz in der 43000-Einwohner-Stadt hängt an der Branche. Auch die 120 Mitarbeiter von Danielmeyer, obwohl das Unternehmen nicht auftaucht auf den Küchen-Weltstadt-Tafeln, denn Danielmeyer ist nur Zulieferer. Doch was heißt nur?

Danielmeyer produziert das, was in einer Küche neben dem Herd am wichtigsten ist: Arbeitsplatten. 1200 am Tag, in drei Schichten, rund um die Uhr. Etwa 30 Küchenhersteller, viele aus der Region, schätzen die individuell zugeschnittene und auf den Punkt gelieferte Ware. Der von den Geschwistern Regina, 43, und Rainer Danielmeyer, 47, in dritter Generation geführte Familienbetrieb würde aber nicht seit Jahren zweistellige Zuwachsraten verzeichnen, wenn es da nicht noch den einen, den etwas anderen Kunden gäbe: Ikea. Jede Arbeitsplatte, die der schwedische Möbelriese in Deutschland, Holland und England verkauft, kommt von Danielmeyer in Löhne-Ort.

Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Großlieferant vor nicht allzu langer Zeit noch keine einzige Arbeitsplatte produziert hat. Das 70 Jahre alte Unternehmen hatte mit Kommoden begonnen, fertigte später Schrankwände aus Eiche, stellte schließlich auf Profil- und Griffleisten um. Anfang der neunziger Jahre, als eine Küchenfirma im nahe gelegenen Bünde pleiteging, übernahm Danielmeyer einen Teil der Technik, mit dem sich Arbeitsplatten herstellen ließen. "Damals haben wir 40 Platten am Tag gemacht und uns dabei am Anfang fast die Hände gebrochen", sagt Regina Danielmeyer. Doch langfris-tig sollte sich zeigen, dass die Geschwis-ter das richtige Gespür hatten ­ und für das Unternehmen wieder mal eine neue Zeit angebrochen war.

Auf der Zulieferermesse ZOW in Bad Salzuflen präsentierte sich Danielmeyer erstmals als Just-in-time-Dienstleister, und dort kam zu Beginn des Jahrtausends auch die Anfrage von Ikea. Senior Günter Danielmeyer reagierte mit Skepsis, aber die Kinder überzeugten ihn. "Es war ohnehin eine schwierige Zeit damals, da konnten wir doch ein solches Auftragsvolumen nicht ablehnen", sagt Regina Danielmeyer. Natürlich weiß sie, dass es nicht ungefährlich ist, mit einem einzigen Kunden 40 Prozent des Umsatzes zu erwirtschaften. "Aber erstens sorgen wir dafür, dass keiner unserer anderen Kunden dadurch vernachlässigt wird. Und zweitens haben wir uns noch nie von irgendwas bange machen lassen."

Die bemerkenswerte Kombination aus Bodenständigkeit, Wandlungsfähigkeit und Risikobereitschaft, die den Ostwestfalen gern nachgesagt wird, beeindruckt auch Löhnes Bürgermeister Kurt Quernheim immer wieder: "Die Leute hier stellen sich jeder Herausforderung, bleiben aber auf dem Teppich."

Dazu passt die Definition, die Bernd Riechers, einer der vier Geschäftsführer der Hettich Gruppe zur Beschreibung der Kernkompetenz des Unternehmens anführt. "Eigentlich machen wir nichts anderes, als Stahl zu verbiegen", sagt Riechers mit regionaltypisch trockenem Understatement. Das ist im Prinzip richtig, allerdings verbiegt Hettich mehr Stahl in mehr Varianten als jeder andere in der Branche. Wenn Danielmeyer in der Möbelzulieferindustrie zu den Mittelgewichten zählt, ist Hettich ein absolutes Schwergewicht. Und Weltmeister seiner Klasse. Niemand produziert mehr von dem, was die Möbelwelt, auch die der Küchen, im Innersten zusammenhält: Beschläge. Das 5500 Mitarbeiter starke Unternehmen mit Sitz in Kirchlengern und Vertriebspartnern in mehr als 100 Ländern ist der größte Arbeitgeber im Kreis Herford, setzt mehr als 700 Millionen Euro im Jahr um.

Und liefert mit seinen Produkten die Grundlage für all den Komfort, den moderne Küchen bieten. Nach oben falt-bare Türen, ohne die der Trend zu breiten Oberschränken nicht denkbar wäre. Schubkästen, die schwere Mineralwasserkisten und Stapel von Konserven tragen und dennoch weich wie Butter schließen. Backöfenauszüge, die dank eines Hochtemperaturfetts auch bei 400 Grad noch sanft dahingleiten.

All das wäre nicht denkbar ohne die entsprechende Beschlagtechnik und den Erfindergeist, der schon den Mann auszeichnete, auf den alles zurückgeht: den aus dem Schwarzwald stammenden Karl Hettich, der 1888 einen Biegeautomaten für die Herstellung von Pendel-Hemmungen entwickelte ­ ein damals innovatives Bauteil für die Herstellung von Kuckucksuhren. Sein Sohn Paul ging 1930 nach Ostwestfalen, um die hier ansässigen Möbelfirmen mit Scharnieren zu versorgen.

Das einfache Scharnier. Trotz aller im Hause entwickelten Raffinessen bleibt es Riechers Lieblingsprodukt. Es öffnet und verbindet, das fasziniere ihn, sagt er ­ und schlägt so eine Brücke, um Hettichs Beziehung zu Kunden zu skizzieren. Ob Nobilia, mit denen man fast 30 Jahre zusammenarbeite, Nolte, Wellmann, Bauformat oder Häcker ­ die Verbindungen seien eng und dauerhaft. "Wenn Sie mit jemandem groß geworden sind, der verlässt Sie nicht so leicht, da müssen Sie schon viel Mist machen. Man kann hier wirklich von Freundschaften fürs Leben sprechen."

Konkurrenten im Verbund

Das klingt nach romantischer Verklärung in einer Zeit, in der anderswo von steigendem Druck und mörderischem Konkurrenzkampf die Rede ist. Aber obwohl gerade den Möbelmarkt ein harter Verdrängungswettbewerb bestimmt, agieren die Küchenhersteller der Region nicht wie Einzelkämpfer, das gilt jedenfalls für die Mehrheit.

Schon vor zehn Jahren schlossen sich 21 ostwestfälische Produzenten zur Marketinggemeinschaft Küchenmeile A30 zusammen, die inzwischen ­ trotz mancher Insolvenz ­ auf 27 Mitglieder gewachsen ist. A30 deshalb, weil alle Firmen entweder ihren Sitz, ein Werk oder eine Ausstellung in unmittelbarer Nähe dieser Autobahn haben ­ einer für die Region eminent wichtigen Querverbindung, die im Westen bis an die niederländische Grenze führt. Auslöser für den Zusammenschluss waren zunehmende Platzprobleme bei der Internationalen Möbelmesse in Köln, sodass immer mehr Aussteller dazu übergingen, Hausmessen zu veranstalten.

Der Verein Küchenmeile A30 bündelte das Ganze zu einer Synchronveranstaltung mit festem Termin. Mitte September vergangenen Jahres tummelten sich auf dem jährlich stattfindenden Event für eine Woche 25000 Fachbesucher in der Region, informierten sich über die Neuheiten und gingen abends mit den Vertriebsmitarbeitern ein Pils trinken. Mehr als ein Drittel von ihnen reiste aus dem Ausland an, Tendenz steigend. Ein liebevoll gestalteter Übersichtskatalog, in dem sich alle Hersteller in Kurzform vorstellen, diente ihnen als Wegweiser.

Global ­ und standorttreu

Die Veranstaltung hat sich zu einem so wichtigen Forum entwickelt, dass inzwischen auch weit abseits der Region beheimatete Küchenhersteller hineindrängen. Etwa die süddeutschen Firmen Zeyko, Schüller, Leicht und die Zeiler Möbelwerk GmbH (Allmilmö) in einem eigens für die Küchenmeile angemieteten Gebäude, dem house4kitchen in Löhne. Natürlich beflügelt dieses Zu-sich-nach-Hause-Einladen auch den Ehrgeiz der Hersteller, sich Kunden wie Konkurrenten besonders stilvoll zu präsentieren. Wer durch das ehemalige Rittergut aus dem 12. Jahrhundert schlendert, in dem beispielsweise Bauformat auf mehr als 1000 Quadratmetern seine Küchenkollektion zwischen Holzbalken und Backsteinmauern ausstellt, der erlebt dort eine Atmosphäre, die in keiner Messehalle zu erzeugen wäre.

Und auch darin sind sich die Hersteller einig: OWL soll und wird in Zukunft Zentrum der europäischen Küchenmöbelindustrie bleiben. Wen immer man fragt dieser Tage, welches Interview man auch liest: allenthalben Treuebekundungen zum Standort Deutschland. Denn auch das ist eine Besonderheit der Branche: Die Globalisierung bedeutet weniger Bedrohung als Chancen. Deutsche Küchen gehen in die Welt, als Markenprodukt "Made in Germany". Einen umgekehrten Warenfluss gibt es kaum, die Importquote liegt bei drei Prozent. Zum Vergleich: Bei Polstermöbeln sind es 40 Prozent.

Küchen sind eine der wenigen Sparten in der heimischen Möbelbranche, in der noch ausschließlich in Deutschland produziert wird. Wegen der hohen Automatisierung ist eine Produktionsverlagerung in Billiglohnländer weit weniger verlockend als in anderen Bereichen: In der Küchenherstellung liegt die Lohnquote bei nur zehn Prozent; bei Polstermöbeln beträgt sie das Fünf- bis Sechsfache. "Zudem sind Küchen nun mal Einzelstücke, extrem beratungsintensiv und reklamationsanfällig", sagt Verbandsgeschäftsführer Lucas Heumann. "Es ist schlicht nicht organisierbar, in China für den deutschen Markt produzieren zu lassen." Nobilia hat im vergangenen Jahr an die 8000 Küchen nach China verschifft. Aber dort ein Werk hinzustellen, ist für Geschäftsführer Günter Scheipermeier undenkbar. "Wir bekämen enorme Probleme. Das Produkt ist einfach zu komplex; schon in Polen könnten wir nicht dieselbe Produktivität erreichen wie hier."

Immer wieder verweisen die Hersteller in dem Zusammenhang auf das zuverlässige Netz von Dienstleistern und Zulieferern in der Region: Spezialisten für Maschinensteuerung wie Beckhoff in Verl, Software-Entwickler wie itelligence in Bielefeld und FurniTec in Gütersloh. Eine Firma wie Nobilia kauft insgesamt 22000 Artikel zu ­ davon mindestens 10000 in einem Umkreis von 50 Kilometern. Bei Poggenpohl machen sogar 70 Prozent der Zulieferteile so kurze Wege. Und auch die Unterstützung aus der Wissenschaft rechnet sich. Hettich kooperiert regelmäßig mit der Universität Bielefeld oder der Berufsakademie Holztechnik in Melle. Das zur Fachhochschule Lippe und Höxter gehörende Institut für wirtschaftliche und technologische Unternehmensführung (IWT) in Detmold berät Firmen wie Geba oder Wellmann in Prozessoptimierung. "Das ist hocheffektive Beratung, und weil Studenten unter Anleitung ihrer Professoren daran mitwirken, kostet sie nicht viel", sagt Lucas Heumann.

Auch wenn der Verbandschef davon ausgeht, dass 2008 ein besseres Jahr für die Branche werden wird als das vergangene, macht ihm langfristig die demografische Entwicklung Sorge. Laut Statistischem Bundesamt wird die Bevölkerungszahl in Deutschland bis 2050 um 8,5 bis 13,5 Millionen sinken (bezogen auf das Jahr 2005). Gleichzeitig sind Küchen ein langlebiger Gebrauchsgegenstand, mit einer Lebensdauer von etwa 18 Jahren. "Um die Austauschrhythmen zu verkürzen, wird es für die Hersteller noch wichtiger werden, immer neue Begehrlichkeiten zu wecken", sagt Heumann.

Sie sind schon kräftig dabei. Nolte zum Beispiel setzt im Marketing wie kein anderer auf den Trend, der Kochen zum Lebensgefühl stilisiert. Deutschlands drittgrößter Hersteller stattete Fernsehküchen aus, präsentiert sich auf Genussmessen wie "eat'n STYLE" und schickt sogar ein eigenes Pferd ins Rennen: das "Küchengirl", eine bayerische Stute, mit der Springreiter-Star Marcus Ehning große Turniere gewinnt. SieMatic verkündete kürzlich, dass neuerdings auch der Papst mit einer Küche des Premium- herstellers bekocht wird: einer sandfarbenen SC 15 mit acht Zentimeter dicker Arbeitsplatte aus Granit.

Poggenpohl bringt im Frühjahr das Ergebnis einer Kooperation mit Porsche-Design in den Handel. Die Küche zum Sportwagen, Zielgruppe: Männer. Viel Aluminium. Schubkästen, die ­ kurz angetippt ­ dem Nutzer entgegengleiten. Audio-Video-System. Alles vom Feins-ten. Der Einstiegspreis liegt bei 50000 Euro. Namen verpflichten. Das gilt am heimischen Herd genau wie anderswo.