Zwischenraum Detmold

Die Gruppe zwischen_raum, ein Zusammenschluss von Absolventen der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur, will von der Provinz aus die Welt erobern.




Ein fröhlicher Tag für Detmold. Es regnet zwar seit 24 Stunden, und ein kalter, böiger Wind treibt die Menschen durch nasse Straßen. Aber hineingezirkelt zwischen einstigen Kasernengebäuden aus wilhelminischer und national-sozialistischer Vergangenheit, überstrah- len zwei vielfarbig leuchtende Baukörper den grauen Novembertag: Einweihung des "Campus Emilie", der auch die Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur beheimatet.

"In Detmold hat eine neue Ära begonnen", proklamiert Tilmann Fischer, der Rektor der Fachhochschule Lippe und Höxter, vor 300 Festgästen. "Ein neuer Campus", spricht der eigens aus Düsseldorf angereiste "Innovationsminister" Andreas Pinkwart, "ist ein gutes Signal für alle, die hier lehren und studieren ... und für die Region." Danach gibt's Mu- sik und Schnittchen und ­ vom Fachbereich Life Science Technologies in Lemgo ­ ein eigens für den Festtag gebrautes Bier.

Der neue Campus an Detmolds Emilienstraße ist vor allem ein Motivationsschub für die Studenten. Nicht nur weil die neuen Gebäude hell, transparent und farbenfroh dastehen. Sondern weil sie sich diese Schul-Häuser auf ungewöhnliche Weise aneignen konnten: An dem internen Entwurfwettbewerb nahmen annähernd 60 Bewerber teil; der erste Preis, der auch ausgeführt wurde, ging an ein Studententeam der Hochschule. Die architektonischen und innenarchitektonischen Detailplanungen waren Gegenstand von Workshops und belebten den Lehrplan.

In der eigens für den Bauzweck gegründeten "Werkstatt Emilie" haben Professoren und Studenten, dazu die Vertreter der Landesliegenschaft, partnerschaftlich zusammengearbeitet. "Das Prozesshafte einer Werkstatt", meint Rektor Fischer, "sollte auch zur Grundhaltung des künftigen Lebens und Arbeitens auf dem Campus werden. Wir arbeiten zusammen, für jeden erkennbar."

Praxisnahes Lehren und Lernen gehört zur Tradition der Detmolder Schule. Die wurde schon 1893 als private Tagesschule für Tischler, Bildhauer und Gra-fiker gegründet. Der auch damals boomende Mittelstand der Region brauchte intelligenten, gut ausgebildeten Nach- wuchs. Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurde daraus eine Fachschule für Holzbetriebstechnik und Innenarchitek- tur. Die Kunst drängte machtvoll ins Gewerbe.

1969 entsteht daraus ­ dem Zeitgeist folgend ­ eine "Höhere Fachschule für Innenarchitektur", sie wird später dem Fachbereich Architektur der Fachhochschule Lippe angegliedert, gemeinsam mit dem Studiengang Bauingenieurwesen 1981 zurück nach Detmold verlegt und trägt seit 2007 wieder selbstbewusst den Namen "Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur". Schließlich möchte man Schule machen. Für Innenarchitekten, immerhin, ist es laut Eigenwerbung mit rund 670 Studenten schon mal die größte Ausbildungsstätte in Europa.

Zeitgemäßer Pragmatismus

Einer der Absolventen ist Christian Gallei. Der hat vergangenen Sommer in Detmold seinen Dipl. Ing. für Innenarchitektur gemacht. Gemeinsam mit vier ehemaligen Kommilitonen hat er gleich nach dem Examen die Gruppe "zwischen_raum" gegründet, die sich der "Gestaltung von Lebensräumen" angenommen hat.

Das Besondere daran: Sie ziehen nicht in die Welt wie die anderen Absolventen, die sich ­ kaum diplomiert ­ in Hamburg, Berlin, Düsseldorf oder Leipzig ansiedeln, sondern sie bleiben in Detmold und um Detmold herum.

Weil sie es in der Provinz so gemütlich finden? Weil's ihnen vor der Großstadt graust? Also, sie haben sich an Detmold gewöhnt. Sie mögen den Wochenmarkt, die kurzen Wege, die "positive Enge", wie das Jana Stephainski empfindet. "Detmold hat was", sagt Jana, "die Menschen und das Umfeld, beides stimmt für uns."

"Wir sind hier in der Diaspora", meint Katharina König, "hier muss man nicht cool sein, sondern kann sich wichtigeren Fragen zuwenden wie: Was und wem nützt meine Arbeit? Wem dient sie? Ist sie willkommen?" Ähnlich argumentiert Anke Gewers. "Man hat ein Gesicht in der Stadt", sagt sie, "ich glaube, dass ich hier nützlich bin."

Was ein wenig nach kleinen Fluchten, nach Rückzug in die Provinz klingt, ist in Wahrheit kluger Wirklichkeitssinn und zeitgemäßer Pragmatismus. "Die Region ist für uns ökonomisch sehr interessant", meint Christian Gallei. "Wir sind überzeugt, dass wir hier ein erhebliches Potenzial für unsere Arbeit vor der Tür haben."

Er verweist auf Solarenergie, Fotovoltaik, Biogasanlagenbau, auf das traditionelle mittelständische Handwerk und die Möbelbauer, die von hier aus "mächtig erfolgreich" in ganz Europa seien. Alles potenzielle Kunden? Nein, meint Gallei, "wir sind nicht größenwahnsinnig, wir sehen nur, dass die Region brummt." Und da wollen sie ein wenig mitsummen.

Ihr Thema heißt erst mal Regionalmarketing. Sie stellen sich ein "Schaufenster der Region" vor. "Eine Plattform soll die weitverstreuten Produzenten, Dienstleister und Handwerker in einem Kultur-Shop zusammenfassen." Zunächst einmal in einem Detmolder Ladengeschäft. Sobald die Sache genügend Drive bekommen hat, in kleinen, beweglichen Wanderausstellungen, Mini-Messen, die je nach Bedarf überall im Land für ein paar Tage gastieren können, um Potenz und kreatives Potenzial von Ostwestfalen-Lippe deutlich zu machen.

Mit der Nachfrage, warum Menschen Innenarchitektur studieren, um dann Regionalmarketing zu machen, bringt man das zwischen_raum-Team nicht in Verlegenheit. "Wir möchten mit einer zeitgemäßen Präsentation regionaler Produkte und Ideen für OWL eine Image-Verbesserung leisten", sagt Gallei. "Wie das funktionieren kann, haben wir schon im Studium gelernt und gezeigt." In der Tat beweisen die Projekte der Truppe, dass sie handfeste Probleme fantasievoll meistern kann.

Alles begann mit der Einrichtung einer Bar ­ "um die Aufenthaltsqualität in Detmold zu verbessern", wie Anke Gewers spottet. Es war halt wie in vielen Städten. Abends wurden die Bürgersteige hochgeklappt. Spätestens um 22 Uhr machte die letzte Kneipe dicht. Um zwischen Schule und Bett noch mal durchatmen zu können, wurde zwischen_raum mit wenig Eigenkapital und lockerer Gestaltungshaltung zwischen Tag und Traum gesetzt, und fünf Jahre lang donnerstags und am Wochenende zum beliebten Treff.

Nicht nur Studenten, auch Detmolder Bürger nutzten gern die "Bar auf Zeit", wo es Live- oder DJ-Musik gab, Weinproben, Weihnachtssingen, Kickerturniere oder auch eine Saftbar für Kinder.

"Ich bin froh, dass der Mietvertrag auslief", sagt Christian Gallei, "sonst wären wir am Ende noch Kneipenwirte geworden." Immerhin, man hatte immer genügend Geld in der Tasche, die helle Bar war "ein fantastischer Ort, um Beziehungen zu knüpfen, ein Netzwerk aufzubauen, Ideen zu diskutieren". Die Bar wurde im vergangenen Frühjahr dichtgemacht. Der Name blieb identitätsstiftend.

Multifunktionale Räume

Der "undefinierte Raum, der alles sein kann, aber immer zwischen den Dingen schwebt, die ihn beeinflussen, ihn verändern, der Zwischenraum", so lautet die Positionsbestimmung der Gruppe. "Wir haben gelernt, überdisziplinär zu denken", sagt Gallei, "unsere Projekte waren nur möglich, weil engagierte Menschen an einem Strang gezogen haben." In ihrer Arbeit wird dabei eine Hinwendung zu sozial wirksamer Gestaltung deutlich. So bauten sie, um Detmolds Mitte als "multifunktionalen Lebensraum" erfahrbar zu machen, eine klassische Einbauküche in die Innenstadt und luden Passanten zehn Tage lang zu Frühstück und Gesprächen ein. Abends stand die Küchenzeile im Zentrum von Lesungen, Vorträgen, Diskussionen. Ihre "Statt-Küche" wurde zum Stadtgespräch.

Beim Umbau eines Waldschlösschens in Bünde zu einem Treffpunkt für Alt und Jung, für Kinder und Therapiebedürftige waren Gallei und Co. in ihrem Element und konnten "soziales Design pur" betreiben. Farben und Funktionen waren ins gestalterische Spiel zu bringen. Ein harmonischer Auftritt musste inszeniert werden. Vergangenen Herbst war Eröffnung. Das "Mehrgenerationenhaus" ­ ein Angebot der evangelischen Jugendhilfe Schweicheln ­ war da längst angenommen.

Dass sich auch das eigene Gewerbe attraktiv in öffentliche Aufmerksamkeit ummünzen lässt, zeigten die agilen Grenzüberschreiter mit der Aktion "kulinarische Architekt(o)ur" in einem aufgelassenen Hangar. Die Idee war, zehn wichtige Architekten genau zu analysieren und aus dem Ergebnis ein Gericht zu entwerfen, das in Stil, Präsentation und Materialität eine Hommage und eine Identifikation mit dem Werk der Betroffenen zuließ.

Inspirierende Ideen

Als Ergebnis wurden 48 geladene Gäste mit Gerichten traktiert ­ darunter "Variation vom Erdapfel", inspiriert vom Klassizismus-Baumeister Karl Friedrich Schinkel, "Steak-Tartar mit Zwiebelkaramelkruste und Senfeis", inspiriert vom japanischen Architekturstar Tadao Ando oder, beeinflusst vom katalanischen Jugendstil-Fürsten Antoni Gaudi, "La Fougasse mit süßer Kruste". Die Architektur-Adepten gewannen durch den kulinarischen Spaß vertiefte Einsichten in Werk und Philosophie ihrer Vorbilder. Den Testessern hat es dem Vernehmen nach geschmeckt. Eine Gaudi.

Zu Recht stolz ist Christian Gallei, wenn er von einer Aktion berichtet, die er zusammen mit fünf Kommilitonen im Sommer 2004 und 2006 in Mosambik durchgeführt hat. Für das Dorf Gorongosa planten und bauten sie eine Markthalle zur staub- und sonnenfreien Präsentation der Agrarerzeugnisse ­ aus Bambus. Der Rohstoff wurde 2004 geerntet, ein Jahr eingelagert, um ihn gegen biologische Schädlinge zu immunisieren und in Gemeinschaftsarbeit mit lokalen Handwerkern zu einer 400 Quadratmeter großen Halle aufgebaut.

70000 Euro steuerte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Projekt bei, 30000 Euro wurden von den Studenten an Eigenmitteln eingeworben. "Das ist ein gutes Gefühl", sagt Gallei, "dass wir das gemacht haben." Und nach ein paar Erinnerungssekunden: "Eigentlich haben wir das für uns selbst gemacht."

Es lässt sich, lernt man aus solchen Geschichten, im Raum zwischen zwei Wirklichkeiten ein wahrhaft dialektisches Arbeitsprogramm entwickeln. Es macht auch begreiflich, dass die drei Damen und zwei Herren vom zwi-schen_raum ihrer näheren Zukunft gelassen entgegensehen. Sie fühlen sich gut gerüstet und sehr motiviert, wissen, wie man Projekte stemmt, Sponsoren gewinnt, ein soziales Umfeld gestaltet. Sie haben, kurzum, Erfahrungen.

Deshalb starten sie ihr selbst verfügtes Engagement für OWL auch ganz bescheiden. In ihrem Innenstadt-Laden wollen sie mit Präsentationsflächen für "die guten Dinge der Region" beginnen. Sie werden Workshops anbieten, um potenziellen Detmolder Bauherren prak- tischen Rat für Baustoffe, Farben, Inneneinrichtung zu geben. Vor allem aber will der Laden Prüf- und Ausgangsort unterschiedlicher Darbietungsformen für jene Mini-Messen sein, die durchs Land touren sollen.

Bis sich das entwickelt hat, bleibt zwi-schen_raum auf dem erlernten Terrain nicht untätig. Für das Elektrotechnikunternehmen "MT ElectroniX" ist die Neuplanung eines Großraumbüros in Arbeit. In der Vorentwurfsphase steht ein Auftrag für eine Kantine in Dresden. Ein bereits weit gediehenes Konzept zum Thema "Wohnen im Alter für Künstler" soll 2008 in Ilow bei Wismar realisiert werden.

Erlebnisreiche Visionen

Was Christian Gallei mächtig umtreibt, ist ein "Erlebnisraum für erneuerbare Energien". Gemeinsam mit seinem Studienfreund Sven Detering hat er sich eine Architektur ausgedacht, in der "wie unter einem Brennglas" die vier Ele-mente Feuer, Wasser, Luft und Erde zusammenspielen sollen. Die Sonne als Motor aller natürlichen Kreisläufe auf diesem Planeten soll im Zentrum des runden Gebäudes stehen. "Installationen wie Windtunnel, Nebelwand, Wasserfall und Geysire", erklärt Gallei, "sollen dem Besucher helfen, naturwissenschaftliche Phänomene hautnah zu erleben und zu begreifen."

Im März wollen sie ihre Vision bei der "7th International Conference Solar Ener- gy in Architecture and Urban Planning" in Berlin vorstellen. Danach gilt es, politische Organisationen und Unternehmen, die auf die Zukunft erneuerbarer Energien setzen, für eine Realisierung, für Unterstützung jeder Art zu gewinnen. Eine Nummer zu groß? Christian Gallei hält Skeptikern gern ein Wort des US-Schriftstellers Norman Cousins entgegen. "Die Grundvoraussetzung jeden Fortschritts", sagte der Friedens-Aktivist, "ist die Überzeugung, dass das Nötige möglich ist."

Was er neben dem Vertrauen in die eigene Sache sonst noch braucht, haben ihn die Jahre an der Schule für Architektur und Innenarchitektur, die diversen praktischen Projekte und das Leben vor Ort gelehrt. Über Zweifel in der Zeit dazwischen ist zwischen_raum hinweg. Christian Gallei hat gelernt: "Auch von Detmold aus kann man die Welt erobern."