Zarte Triebe

Im Gartenbau macht dem Niederrhein so leicht keiner etwas vor. Mit Ausnahme der Nachbarn: Die Niederländer sind besser aufgestellt. Zusammen könnten sie im weltweiten Wettbewerb punkten. Dazu müsste aber erst zusammenwachsen, was bislang nicht zusammengehört. Ein Besuch im deutsch-niederländischen Grenzgebiet.




Der Weg zum Weltmarkt führt durch blühende Landschaften. Salat-köpfe färben das Land grün, Eriken und Callunen fügen lila Streifen hinzu. Gewächshäuser so weit das Auge reicht, darin blühen Geranien, Azaleen, Orchideen. Armeen von Pflanzentöpfen unter Glas und Blumen in Gelb, Rot und Weiß, die sich bei 18 Grad Celsius und satter Feuchte langsam dem Licht entgegendrehen. Ein frischer Duft liegt in der Luft, wer an einer Handvoll Er-de schnuppert, saugt kräftige Schwere in sich hinein. Es ist ein fruchtbares Land, und mittendrin in dieser Üppigkeit lebt Heinrich Hiep, auf seinem Betrieb bei Kevelaer.

Hiep ist Rosenzüchter, er gehört zu den Großen. Jedes Jahr bringt der Bauer 25000 Stammrosen auf den Markt, dazu 40000 Buschrosen, 300000 Minitöpfe und 1,2 Millionen ganz kleine Kaliber ­ Sämlinge, die später irgendwo in Deutschland, Frankreich, Österreich, Tschechien, Polen, der Schweiz oder in Skandinavien zu voller Pracht aufblühen. Auf 1,4 Hektar Unterglasfläche erwirtschaftet der Bauer einen Jahresumsatz von 1,6 Millionen Euro. Ein komplexes Geschäft, sagt der 61-Jährige: "Was alles hinterm Gartenbau steckt, weiß keine Socke."

Darin würden ihm die meisten seiner Kollegen wohl zustimmen, und Kollegen hat Heinrich Hiep viele. Seit der Holzkaufmann Hans Tenhaeff im Jahr 1914 in Straelen die erste Gemüseversteigerung auf deutschem Boden organisierte, haben sich zwischen Emmerich, Nettetal und Wesel Hunderte großer und kleiner Betriebe angesiedelt. Auf ihren Feldern und in ihren Hallen wird Gemüse angebaut, geerntet und verarbeitet, hier werden Blumen gesät, gezüchtet und veredelt. Der Niederrhein ist der wichtigste Produzent für alles, was hierzulande grünt und blüht.

In den vergangenen Jahrzehnten sorgte die geballte Kompetenz für einträgliche Geschäfte, inzwischen spürt der Bauer am Niederrhein, was auch die Produzenten in anderen Industrien umtreibt: Nicht nur Autos, Elektroartikel oder Kleider werden heute gut und günstig im Ausland gefertigt ­ die Wettbewerber können auch Blumen, Obst und Gemüse anbauen. Die Konkurrenz sitzt in den Sonnenländern Europas, in Afrika oder in China. Und so lernt auch das grüne Gewerbe derzeit die Regeln des weltweiten Produktionsgeschäftes: Wer auf Dauer im internationalen Wettbewerb bestehen will, muss größer, effizienter und billiger werden.

Sonnenverwöhnte Wettbewerber

Eigentlich ist der Niederrhein dafür nicht schlecht aufgestellt. Innerhalb Deutschlands ist das Gebiet an der Grenze zu den Niederlanden das bedeutendste im Gartengeschäft. In der Region konzentriert sich die Macht der Branche in einer ungeheuren Ansammlung von Produzenten, Verarbeitern und Vermarktern: Rund 1600 Gartenbaubetriebe produzieren hier zusammen im Wert von 630 Millionen Euro, gemeinsam decken sie die gesamte industrielle Wert-schöpfungskette ab. Fast die Hälfte des Gemüses aus Nordrhein-Westfalen stammt von hier, bei Zierpflanzen sind es sogar 56 Prozent. Heute wachsen auf mehr als 1600 Hektar in der Region Blumen und Zierpflanzen, fast 8500 Hektar Niederrhein sind mit Gemüse und Erdbeeren bedeckt.

Allein das Gebiet zwischen Straelen, Kevelaer und Geldern stellt rund zehn Prozent der deutschen Gewächshausfläche. Auch Landgard hat sich dort angesiedelt, der mit rund 1,2 Milliarden Euro Jahresumsatz größte deutsche Vermarkter von Blumen, Zierpflanzen, Gemüse und Obst. Der Genossenschaftsbetrieb bringt die Erzeugnisse aller Bauern der Region an die Kunden ­ darunter eine stattliche Zahl von Lebensmittelbetrieben wie Katjes Fassin, Kühne oder Bofrost, die alles veredeln, verarbeiten und vertreiben, was aus dem fruchtbaren Boden wächst. Am Niederrhein verdienen fast sieben Prozent aller Beschäftigten ihren Lebensunterhalt im Ernährungsgewerbe.

Das klingt nach wohlgeordneten Verhältnissen zwischen Industrie, Abnehmern und Kunden, aber der Schein trügt. Heinrich Hiep sagt: "Wir sind unter Zwang, wir müssen uns ändern." Was der Rosenzüchter und Präsident des Landesverbandes Gartenbau Rheinland damit meint: Blumen und Gemüse sind ein knallhartes Geschäft.

Vor allem der Markt für Schnittblumen hat sich in der Vergangenheit gedreht. Leicht und standardisiert werden sie massenweise und kostengünstig in Sonnenländern wie Kenia, Äthiopien und Israel produziert. Logistiker haben der Blume Kühlketten gebaut, die von einem Ende der Erde zum anderen reichen. Per Flugzeug gelangen sie nach Europa, auch nach Deutschland, dem mit mehr als acht Milliarden Euro Umsatz größten europäischen Markt für Blumen und Pflanzen. Selbst bei Zimmer- und Gartenpflanzen, deren Versand teurer ist, wächst inzwischen die Konkurrenz, beispielsweise in der Türkei. Oder in Südafrika. Mit seinem guten Klima und den billigen Arbeitskräften rollt das Land sukzessive den Markt für Jungpflanzen auf.

Auch die Kundenseite setzt die Branche heftig unter Druck. Nur rund 60 Prozent der Blumen nimmt heutzutage der Fachhandel ab. Viele kleine Händler sind darunter, aber die Großhändler gewinnen an Kraft. Sie bedienen die Märkte im prosperierenden Osteuropa, verlangen Menge und drücken die Preise, genau wie Baumarktketten oder Kommunen. Im Geschäft mit Obst und Gemüse wirken die Kräfte noch stärker: 80 Prozent der Waren gehen inzwischen an die großen Lebensmittelketten, mehr als die Hälfte davon an preisgetriebene Discounter.

Die harten Rahmenbedingungen fordern ihren Tribut ­ und zwingen den Produzenten all jene Veränderungen auf, die auch die Hersteller in anderen Branchen umtreiben: Die Gartenbauer müssen sich weiter industrialisieren. Mehr Fertigungstiefe entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist gefragt. Mit anderen Worten: Die Bauern müssen schneller, besser, billiger und mehr produzieren.

Wie das im Norden der Erdhalbkugel funktioniert, lässt sich zurzeit am besten in Venlo studieren, etwa zehn Kilometer von Straelen entfernt. Auch hier, in der Gegend von Nord-Limburg in den Niederlanden, arbeiten die Bauern unter Hochdruck an der Zukunft ihres Gewerbes. Die Niederländer stehen nicht minder unter Druck als ihre deutschen Nachbarn. Aber sie sind noch besser aufgestellt.

Rund um die Stadt Venlo bauen sie vor allem Gemüse an. Gurken, Tomaten, Paprika, aber natürlich auch Blumen und Topfpflanzen. 3400 Betriebe haben sich hier angesiedelt, inklusive eigener Vermarkter: Allein FloraHolland kommt auf einen Umsatz von vier Milliarden Euro. Auch die Niederländer müssen größer und effizienter werden. Dazu wollen sie vor allem ihre ohnehin gewaltigen Gewächshausflächen ausbauen ­ essenzielle Voraussetzung für eine Produktion mit höherer Marge. Auf der deutschen Seite ist Rosenzüchter Hiep mit seinen 1,4 Hektar Land ein Großer ­ jenseits der Grenze bewirtschaftet jeder Bauer im Schnitt drei bis vier Hektar, in Venlo sogar fünf.

Und jeder will weiter wachsen. Innerhalb weniger Jahre, so der Plan, soll sich der Umsatz der niederländischen Gartenbauer verdoppeln, auf zwei Milliarden Euro bis zum Jahr 2015. Dazu wollen die Bauern mehr Gemüse, Blumen und Bäumchen für den globalen Markt produzieren ­ und ihr riesiges Gartenbaugebiet in einen "Greenport" umbauen. "Wir wollen hier nicht nur Tomaten produzieren, sondern auch Tomatensuppe daraus machen", erklärt Jos van der Heijden, der das ehrgeizige Großprojekt bei der Gemeinde Venlo koordiniert. Statt nur mit der Pflanzenaufzucht wollen die Niederländer künftig entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Frischware bis zum fertigen Essen verdienen. "In China und Russland werden die Gartenbauflächen immer größer", sagt van der Heijden. "Dagegen kommt man mit Pflanzenaufzucht allein nicht länger an."

Die Politik unterstützt die Flucht nach vorn, Greenport ist ganz oben angesiedelt. Die Regierung hat schon 24 Millionen Euro für das Vorhaben bewilligt, das Geld fließt vor allem in Infrastruktur und in den Ausbau der Unterglas-flächen. 2012 sollen die Investitionen der Weltgartenbauausstellung "Floriade" zugute kommen, die in Venlo stattfinden wird. Danach profitieren Forschungsstätten und verarbeitende Betriebe. Die Niederländer bauen eine neue Erschließungsstraße und mit dem "Trade Port Noord" ein neues Gewerbegebiet. "Daneben wollen wir Innovationen schaffen", sagt van der Heijden. Industrie und Wissenschaft kooperieren schon heute.

Um bei gleicher Qualität das Wachstum zu erhöhen, arbeiten Tomatenbauern mit der Universität Wageningen zusammen. Champignonzüchter und Wissenschaftler erforschen, was Pilze so unschön braun verfärbt oder wie man Vitamine am besten im Pilz erhält. Gartenbauer, Elektrofirmen und Forscher tüfteln gemeinsam an energieeffizienten Gewächshäusern. Parallel zu all dem wächst das akademische Know-how: An der privaten Fachhochschule Fontys in Venlo kann man seit diesem Jahr "Food & Flower Management" studieren, übrigens auch in deutscher Sprache.

Noch sind einige dieser Projekte Zukunftsmusik. Fakten hingegen schaffen die Niederländer beim konsequenten Ausbau der Unterglasflächen. Um die Produktion wetterunabhängig, größer und damit kostengünstiger zu machen, haben die Gemeinden mit staatlichen Zuschüssen Land aufgekauft und zwei riesige Unterglasgebiete ausgewiesen: Californië mit 150 Hektar und Siberië mit 300 Hektar. "Wenn es sein muss, können wir auf 1200 Hektar erweitern", sagt Jos van der Heijden. Das wäre doppelt so viel wie alle Unterglasflächen auf deutscher Niederrheinseite zusammen ­ und ein riesiger Effizienzgewinn. "Ist doch logisch", meint Pieter Wijnen, während er über Californië stapft, diesen riesigen, in Parzellen aufgeteilten Acker. "Je größer, desto geringer die Kosten pro Quadratmeter."

Wijnen ist Gärtner, aber kein knorriger Bauer mit grünem Daumen. Der 35-Jährige ist ein Manager, wie man ihn kennt aus Wirtschaft und Industrie. Marktorientiert, kostenbewusst, ohne Sentimentalitäten. Künftig wird er auf 55 Hektar Fläche in fünf Glashäusern, die derzeit auf seinem Gelände entstehen, jedes Jahr 27 Millionen Kilogramm Paprika ernten. Eine computergesteuerte Paprikafarm auf Betonboden wird das sein, auf der von Hand eigentlich nur noch gepflanzt und geerntet wird. In seinem alten 18-Hektar-Betrieb läuft es genauso, aber in Zukunft sorgt Größe für noch mehr Effizienz.

Optimierte Gewächshäuser

In Californië werden die Paprikareihen statt wie bisher 125 Meter 155 Meter lang sein. "Da muss ich die Erntewagen seltener umrücken, das spart bis zu 15 Prozent Zeit." Er wird größere Sortiermaschinen einsetzen können. "Pro Jahr und Quadratmeter dauerte das Sortieren bislang 0,7 Stunden, künftig werden es 0,6 Stunden sein." Und weil jedes Gewächshaus einen eigenen Gärtner braucht und weil Top-Gärtner teuer sind, spart Wijnen in Zukunft auch Personalkosten: In Californië kann sich jeder Gärtner um deutlich mehr Pflanzen kümmern. Das Geld, das der Chef spart, kann er in neue Spezialisten investieren ­ Experten für Energiefragen, für die Finanzen. "Dann wird alles besser gemanagt. Ein Gärtner kann das nicht alles perfekt machen."

Mit Größe löst Wijnen auch das zweite existenzielle Problem im Gartenbau: die Energie. Der steigende Gaspreis hat die Energiekosten des Unternehmers innerhalb von vier Jahren verdreifacht. Für seine neuen Gewächshäuser lohnen sich jetzt auch größere Investitionen. Wijnen führt durch eine Halle, die aussieht wie der Maschinenraum eines Schiffs. Instal-lateure schrauben hier seine neuen Gasöfen zusammen, die mit Kraft-Wärme-Kopplung funktionieren. Die Wärme wird er in seine Gewächshäuser leiten, den Strom wird er verkaufen und dadurch ein zusätzliches Einkommen erzielen. Außerdem bohrt Wijnen nach Erdwärme. "Das lohnt sich erst ab einer Betriebsgröße von 15 Hektar." Auf Californië soll 60 Grad heißes Wasser aus zwei Kilometern Tiefe die Pflanzen wärmen, zusätzlich heizen will Wijnen nur im Winter. Er hat alles durchdacht: "Perfektion ist der einzige Weg, heute im Weltmarkt zu bestehen."

Zehn Kilometer weiter, hinter der Grenze, weiß man das auch. Deshalb setzen Gärtner, Unternehmer, Politiker und Wirtschaftsförderer auf deutschem Gebiet zurzeit alles daran, mit einem neuen Konzept gegen die niederländischen Nachbarn ins Feld zu ziehen. Auch der Niederrhein hat sich viel vorgenommen. Bis 2018 will die Region zu einem der wettbewerbsfähigsten Gartenbau- und Food-Cluster in Europa werden. Die Zeit drängt: Die neuen Unterglas-Gebiete in den Niederlanden werden neue niederländische Konkurrenten auf der Suche nach Flächen ins Grenzland ziehen ­ und den Druck auf die Deutschen weiter erhöhen, deren Kunden hüben wie drüben schon lange nach den besten Offerten suchen.

"Wir müssen Gas geben", sagt Martina Reuber. "Sonst hängen die Niederländer uns ab." Die 49-Jährige sitzt in einem kleinen Büro im Haus Riswick, einem Landwirtschaftszentrum der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, mitten auf der grünen Wiese vor den Toren Kleves. Hier, umgeben von Rindvieh und Rehen, koordiniert Reuber die Zukunft des deutschen Gartenbaus: die Netzwerkinitiative "Agrobusiness Niederrhein". Der Zusammenschluss von 49 Kommunen, Banken, Gärtnerverbänden, Vermarktern und Erzeugern will dem starken Nachbarn Paroli bieten ­ und setzt, kaum überraschend, auf die identische Strategie. "Agrobusiness meint alle Prozesse vom Saatgut bis zum Verkaufen", sagt Martina Reuber. "Dafür brauchen wir nicht nur gute Gärtner, sondern auch Forschung und Logistik, all das wollen wir in den nächsten Jahren voranbringen, wir schöpfen unser Potenzial hier noch lange nicht aus."

Bei Reuber laufen alle Fäden zusammen. Deshalb hat sie auch den besten Überblick über das, was die Aufholjagd so kompliziert macht. Ein großes Handicap hierzulande ist beispielsweise das Standing der Industrie. In Deutschland ist die Branche nur ein Spielfeld von vielen. In den Niederlanden hingegen ist der Gartenbau so etwas wie die deutsche Automobilindustrie ­ die Leitbranche, der ein roter Teppich ausgerollt wird, egal, ob es um die Suche nach einem Standort geht, um billigen Brennstoff oder um Steuervergünstigung. Gäbe es ein Problem, setze man sich mit Königin Beatrix auf eine Tasse Tee zusammen und finde eine Lösung, heißt es auf deutscher Seite mit ein bisschen Neid.

Das ist übertrieben, sicher aber ist: Die niederländische Regierung lässt sich ihr Großprojekt Greenport 24 Millionen Euro kosten, der Agrobusiness-Initia-tive stehen dagegen gerade 1,2 Millionen Euro zu Verfügung. Auch bei Investitionen und Erweiterungen haben es die Niederrheiner ungleich schwerer als ihre Nachbarn. Während die deutschen Banken bei der Kreditvergabe an den Gartenbau traditionell eher zurückhaltend sind, gilt die niederländische Rabobank als größter Gewächshausbetreiber der Welt. Sie bietet ihren Kunden 100-Prozent-Finanzierungen und Gewächshaus-Leasing. Kredite werden vergeben, ohne dass der Gartenbauer mit seinem Privatvermögen haften muss. Die Bank entwickelt und finanziert Unterglasgebiete auch auf eigene Rechnung ­ der Gartenbauer kauft sich anschließend ein oder zahlt ab.

"In den Niederlanden geschieht die Entwicklung top down", lautet das Fazit von Martina Reuber, "wir müssen alles von unten aufbauen." Die Aufgabe ist gewaltig, denn hierzulande mangelt es nicht nur an Mitteln. Am Niederrhein fehlen vor allem Strukturen.

Man muss nur mit Uwe Bons über Land fahren, dann kann man die Probleme leicht sehen. Bons ist der Wirtschaftsförderer der Stadt Straelen, und er treibt sein kleines rotes Auto zügig vorbei an den Gewächshäusern, die sich dicht an dicht aneinanderreihen, eingerahmt von weiten Äckern.

Bons spricht von einem Investitionsstau, viele Glashäuser seien Energiefresser, in denen etwa Tomaten 30 Prozent teurer riefen als in modernen. "Man müsste in die Heizung investieren, weg vom Erdgas hin zu Biogas oder Abwärme", meint der Wirtschaftsförderer. Er erzählt vom Druck auf die Fläche, der verstärkt wird durch den Boom der Energiepflanzen wie Mais, der eine Erweiterung der bestehenden Betriebe an ihren jetzigen Standorten unmöglich mache. "Wir haben kleine gesunde Betriebe", sagt Bons, "aber wir hinken den Niederländern immer einen Schritt hinterher." Was er nicht sagt: Die Zukunft des Gartenbaus liegt in großen Unterglasflächen ­ und die bedeuten das Ende von Kleinbauern und Landwirtschaftsbetrieben.

Heinrich Hiep kann die Ängste der kleinen und mittleren Betriebe in der Region gut verstehen. Aber Angst nütze einem nichts, sagt der Rosenzüchter. "Man rettet die Kleinen nicht, indem man die Großen behindert." Im Wettbewerb mit den Nachbarn ginge es heute um alles oder nichts, um das Wohl der gesamten Region. "Und wenn die leidet, leiden doch gerade die Kleinen." Für Hiep überwiegen die Vorteile einer modernen Gartenbaustruktur. Unterglasanbau muss ja nicht heißen, dass sich da nur ein Großbetrieb breitmacht. So ein Cluster könnte auch viele Kleine versammeln. "Man könnte alles zentralisieren", träumt Hiep, die Wärmeerzeugung, den Verladeplatz. Bei ihm zum Beispiel stauten sich an guten Tagen sechs Sattelschlepper auf dem Wirtschaftsweg, das sei doch nicht sinnvoll. Auch Behördenkram müsste künftig nicht mehr jeder allein durchfechten. Die Gärtner könnten die Arbeit teilen. "Einer macht nur die Jungpflanzen, der Rest teilt sich die Kulturen. Das könnte klappen wie in einem Gewerbe-gebiet, wo auch nicht jeder irgendwo in der Landschaft hockt und vor sich hinfummelt."

Es könnte, aber bis es so weit ist, wird es dauern. Der erste Vorstoß in Richtung Unterglasanbau ist jedenfalls gescheitert. Bei Straelen wollten Landgard und niederländische Investoren das 120 Hektar große Gebiet "Kastanienburg" überdachen. Die Bodenaufkäufer waren schon unterwegs und beackerten die Landwirte, als aufgebrachte Bauern und Anwohner Hunderte Unterschriften sammelten. Am Ende lehnte der Stadtrat das Vorhaben ab.

Unentschlossene Politiker

Durch die Region zieht sich nämlich nicht nur eine Grenze zwischen zwei Ländern, Modernisierern und Bewahrern, Großen und Kleinen ­ die Gräben ziehen sich auch durch die Politik. Wolfgang Spreen beispielsweise, Landrat des Kreises Kleve, in dem auch das Städtchen Straelen liegt, mag sich bei dem sensiblen Thema am liebsten gar nicht festlegen. Familienbetriebe sollten erhalten bleiben, sagt er. Aber er sagt auch: "Was bislang kleinteilig war, muss sich zusammenschließen."

Straelens Bürgermeister Johannes Giesen findet eine deutlichere Sprache, was an seiner Wachstumsstrategie für die Region liegen kann, vielleicht aber auch daran, dass sich der 60-Jährige nach zehn Jahren Amtszeit nicht wiederwählen lassen will. So etwas wie Kastanienburg jedenfalls dürfe nicht noch einmal passieren, meint Giesen. Politik müsse gestalten, das tue nicht jedem gut, aber so sei nun einmal das Leben. Giesen findet die Idee eines Agroparks gut. Und solange ein Investor seinen Betrieb in Straelen anmelde, schaue er als Bürgermeister auch nicht auf den Pass.

Die ersten deutschen Pioniere haben sich inzwischen auf den Weg gemacht. Martina Reuber weiß von drei Gartenbauern zu berichten, die sich mit einem Berater zusammengetan haben, um gemeinsam Bewässerungsanlagen, Fenstersteuerungen und Reinigungsmaschinen zu optimieren. Zehn andere Betriebe befassen sich derzeit mit der Züchtung neuer Erikasorten. Es ist das Leitprojekt des Niederrheingebiets, das immerhin 60 Prozent der bundesweiten Erika-Produktion abdeckt. Gemeinsam suchen die Gartenbauer aus den rund 1000 Arten diejenigen aus, die sich möglicherweise kreuzen lassen, sammeln Pollen, prüfen sie auf ihre Lagerfähigkeit ­ und schaffen damit die Grundlage für die Arbeit eines biotechnischen Instituts, das anschließend übernehmen soll. Heinrich Hiep engagiert sich mit fünf Kollegen vor allem im Telematik-Projekt, darin geht es um ein System, das die Just-in-time-Herstellung vorantreiben soll, die im Gartenbau immer wichtiger wird.

Mit wachsenden Märkten etwa in Osteuropa kommen die Kundenanfragen immer früher. Nicht nur für Weihnachten und Muttertag wird die Ware inzwischen schon viele Monate im Voraus bestellt. Der Gärtner muss seine Pflanzen genau zum passenden Zeitpunkt verkaufsfertig aufgezogen haben ­ bei einem leicht verderblichen Gut wie Blumen ist das Zeitfenster nur wenige Tage groß. Um das zu erreichen, bedarf es einer präzisen Planung. Wann pflanze ich, wie weit ist die Blume gediehen, wie lange braucht sie noch, bei welcher Gewächshaus-Temperatur? Und wann brauche ich einen freien Pflanztisch, um den nächsten Auftrag anzugehen?

"Bislang läuft noch viel über Zettel", sagt Heinrich Hiep, "aber damit kriegt man das nicht sauber geregelt, vor allem nicht, wenn man viele verschiedene Kulturen anbaut. Erfahrungswerte sind nicht immer exakt. Am Ende kann es passieren, dass man zu spät fertig ist. Oder auch zu früh. Dann verderben die Blumen."

Im Telematik-Projekt testet und pflegt Hiep nun mit den anderen ein EDV- System, das den aktuellen Stand nicht nur auf dem einzelnen Pflanztisch, sondern im ganzen Gewächshaus erfasst und zeitgleich dem Vermarkter Landgard zugänglich macht. Der Distributor erhält so eine genaue Übersicht über den Produktionsstand seiner Zulieferer und kann Kundenanfragen besser bearbeiten. Hiep füttert das System mit Temperaturständen, Wassermengen, Erdmassen und Wachstumsdaten: "Im Laufe der Zeit entsteht ein feines Ras-ter, das uns sagt, unter welchen Umständen unsere Pflanzen wie gewachsen sind." So lässt sich der nächste Auftrag leichter planen und günstiger produzieren. Nachahmer finden sich dann vielleicht auch, hofft Hiep: "Wir müssen Ergebnisse liefern, damit die anderen nachziehen. Ein Betrieb allein kann keine Region nach vorn bringen."

Martina Reuber wünscht sich mehr Frontbauern, die mit gutem Beispiel vorangehen und ihren Kollegen von den Erfolgen erzählen. Denn mit wachsender Zuversicht steigt vielleicht auch die Chance, dass aus den beiden starken Wettbewerbern dies- und jenseits der Grenze irgendwann einmal noch stärkere Partner werden.

Die Niederländer würden lieber heute als morgen mit den Nachbarn kooperieren. "Mir ist es ganz recht, dass die Deutschen nun loslegen", sagt etwa Mark Verheijen, der Beigeordnete für Wirtschaft und Finanzen bei der Stadt Venlo. Schließlich seien die Gartenbauregionen hüben wie drüben mit einer Einkaufsstraße vergleichbar, in der es schon heute viele Schuhgeschäfte gebe. "Die sind einander Konkurrenten und profitieren doch gemeinsam, weil jeder, der Schuhe kaufen will, dorthin geht." Globale Märkte und Kunden scheren sich jedenfalls nicht um die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland. Jeder neue Verarbeiter, da ist sich Verheijen ganz sicher, stärke die Produzenten in der gesamten Region. Ginge es nach dem 32-Jährigen, sollten die Vertreter beider Länder gemeinsame Sache machen. In der Produktion und bei der Vermarktung.

Natürlich hat Verheijen gut reden, er ist in der stärkeren Position. Deshalb lehnten die Niederrheiner jüngst auch den niederländischen Vorschlag ab, die Region mit einem "Greenport Europe" schon heute grenzüberschreitend als Einheit zu vermarkten. "Unsere Sorge war, dass unser Vermarkter Landgard dann einfach geschluckt wird", sagt Martina Reuber, "und dass die Niederländer uns mit ihren Riesenbetrieben verdrängen." Vielleicht wären auch Fördergelder künftig eher in die Niederlande geflossen als nach Deutschland. Ganz sicher aber hätte der niederrheinische Bauer sein wichtigstes Unterscheidungsmerkmal verloren, die Herkunft "Deutschland", die zumindest mit Blick auf Gemüse einen besseren Klang hat als die legendäre Holland-Tomate.

Langfristig, "wenn beide Seiten auf Augenhöhe sind", sollten die Nachbarn zu einer gemeinsamen Gartenbauregion zusammenwachsen, findet die Agrobusiness-Koordinatorin Martina Reuber. Sie könnten sich Arbeitskräfte, Marktkenntnisse und Technologien teilen, gemeinsam ihre technische Expertise vorantreiben und Chancen kommerzialisieren. Auch die Vision von Landrat Wolfgang Spreen geht in Richtung einer schlagkräftigen Gesamtregion. Warum, so fragt er sich, können wir nicht Straßen, Flugplätze und Kühlanlagen zusammen nutzen, Unterglasgebiete auf die Grenze stellen und Energieprobleme gemeinsam lösen?

Ja, warum eigentlich nicht? Die sorgfältigen Deutschen und die marketingstarken Niederländer würden einander gut ergänzen. Mit dem global auftretenden deutsch-niederländischen Gartenbau-Cluster wird es aber wohl noch ein wenig dauern. Stärke und Vertrauen wachsen eben langsamer als Paprika, Erika oder Tomaten.