Wat willze machen

Als wir mit diesem Heft angefangen haben, wollten wir zunächst Land und Leute verstehen. Es war der Versuch einer Standortbestimmung, wenn man so will. Und um es vorwegzunehmen: Es ist beim Versuch geblieben.




Der Niederrheiner, der Mensch also, der irgendwo zwischen Kleve, Wesel und Viersen, in Mönchengladbach, in Neuss oder in Krefeld lebt, ist erstaunlich schwer zu fassen. Ronald Pofalla, CDU-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Kleve hat sogar mal gesagt: Den Niederrheiner, den gebe es gar nicht. Man werde in dieser wunderschönen Region vermutlich niemanden finden, der sich analog zu einem Schwaben oder Friesen selbst als Niederrheiner bezeichne. Seine Begründung: Die Region sei weder historisch, kulturell, geografisch noch politisch eine klar umrissene Einheit.

Er ist gerne hier, der Einheimische, so viel ist heute immerhin sicher. In einer Studie des Forschungsinstituts Emnid im Auftrag des WDR gaben kürzlich jedenfalls 66 Prozent der Befragten zu Protokoll, "sehr gerne" am Niederrhein zu leben. Das deckt sich mit der Definition, die Dieter Porschen, der Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, uns gab. Die Menschen redeten und lachten gerne, sagt er, und seien mit sich und der Welt zufrieden. Sie brauchten eigentlich nur sich selbst, sonst nichts, das bescheinigte seinen Landsleuten auch der verstorbene Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, den Die Zeit einst zum "Chefideologen" der Region kürte. Hüsch sagte auch: "Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären."

Wie entsteht zum Beispiel Aluminium? Wie sieht der Supermarkt der Zukunft aus? Wie kreiert man Düfte? Und wieso glaubt der Mensch an Wunder? Wo kauft Elton John edle Bäume ein? Was schätzt der Japaner? Was lässt sich aus einem abbruchreifen Atomkraftwerk machen, aus einem guten Buch, aus Kraut und Rüben, ehrenamtlichem Engagement oder aus einem alten Fliegerhorst? Wer näht heute noch Krawatten von Hand und buddelt sich durch den Gotthard? Wer baut die besten Röstmaschinen der Welt? Wer erntet die meisten Tomaten? Und warum ist der Himmel über Grevenbroich eigentlich so oft dunkel?

Auf all diese Fragen haben wir vor Ort Antworten gefunden. Wir haben den wichtigsten Aluminiumstandort der Welt kennengelernt, die größte Gartenbauregion Deutschlands, einen der wenigen erfolgreichen Regionalflughäfen des Landes, den einzigen Hersteller von Fertiggerichten für strenggläubige Muslime, einen Baumschulbetreiber von Weltruf und die drittgrößte europäische Japan-Community nach London und Paris.

Was uns angesichts der Vielfalt mit am meisten beeindruckt hat, ist neben der grandiosen Landschaft die Kunst, die hier, fernab der Großstadt, mit der Natur und den Menschen zusammengeht. Insel Hombroich, Kurhaus Kleve, Schloss Moyland, Abteiberg, Haus Lange, Haus Esters ­ kaum eine andere Region hat eine derartige Kunst- und Kulturszene vorzuweisen. "Am Niederrhein ist es", so schreiben die Autoren Michaela Schlagenwerth und Peter Lau in ihrem Stück, "als wäre man über Jahre in ferne Länder gereist, um dort Berge, Wälder und Seen zu bewundern, bis man plötzlich bemerkt, dass man inmitten eines Naturwunders lebt." Vielleicht hat Hanns Dieter Hüsch ja genau das gemeint, als er sagte: "Der Niederrhein will angeguckt werden. Und dann beginnt die große Liebe. Dat is dat Geheimnis des Niederrheins."

Susanne Risch,

Chefredakteurin

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