Stein und Bein

Die Borussia vom Bökelberg gewann Titel um Titel, kreierte den Mythos der Fohlenelf und machte Mönchengladbach in ganz Europa bekannt. Dann kam der Absturz, erst sportlich, dann wirtschaftlich. Die Borussia von heute spielt in einer modernen Arena und stand finanziell nie besser da. Dafür gewinnt sie nur noch selten. Ein Lehrstück darüber, was Fußball war und was Fußball geworden ist.




I.

Im Foyer stehen die Trophäen. Meisterschale, DFB-Pokal, UEFA Cup. An der Wand gegenüber leuchtet Acryl auf Leinwand. Das Kunstwerk, sehr groß, sehr bunt, wird als chromatische Konstellation ausgewiesen und trägt den Titel "Das Licht in den Farben zwei Felder".

Hinter dem Foyer, in der Lounge, hängen gerahmte Trikots ehemaliger Spieler. Vogts. Bonhof. Simonsen. Dazu Schwarz-Weiß-Bilder von legendären Spielen. Die Sitzbereiche sind nach den Gegnern der legendären Spiele benannt. Liverpool. Enschede. Mailand. Sie grenzen an Büfetts mit Brezeln, exotischen Früchten und Lachs aus Grönland. Und zwischen allem eine Gruppe Hostessen in weißen Kostümen und schwarzen Seidenschals, die ihr Briefing für den Nachmittag bekommen.

Gestern und heute. Vergangenheit und Gegenwart. Was Fußball war und was Fußball geworden ist. Das ist die Geschichte. Wohin man auch schaut im Borussia-Park, stets wird man daran erinnert.

So auch auf dem Weg von der Lounge zu den Logen, wo eine Vitrine steht mit einem Fußballschuh. Puma, blaues Leder, goldener Streifen. Die Nähte an der Ferse sind geplatzt. Es ist der linke Schuh, den Günter Netzer 1973 beim Pokalfinale gegen den 1. FC Köln trug. Dramatisches Match. Verlängerung. Und dann schießt Netzer, ausgerechnet Netzer, eines der berühmtesten Tore der deutschen Fußballgeschichte. Ob die Abonnenten der Logen, die Damen und Herren von CiV Versicherungen, Credit Life oder der Santander Consumer Bank, die heute Nachmittag mit Geschäftspartnern und Freunden zwischen Polstergarnitur und Pilshahn stehen werden, ob die auch die Story dahinter kennen?

II.

Das Gestern bei Borussia Mönchengladbach, das waren die siebziger Jahre, das war der Bökelberg mit seiner zugigen, kuriosen Betonschüssel auf einem Hügel, ringsum Einfamilienhäuschen mit Ziersträuchern im Vorgarten. Das Gestern war der knorrige Trainer Weisweiler, das waren der Mythos von der Fohlenelf und "verschwenderische Angriffslust", wie Christopher Keil im Buch "Das war die BRD" feststellt: "Im Grunde war Borussia Mönchengladbach der sportliche Beitrag zur ersten sozialliberalen Regierung der ... erwachenden Bundesrepublik."

Im Grunde war Weisweilers Borussia ein deutsches Fußballwunder. Sie erfand das überfallartige Flügelspiel, sie verlor entweder tragisch oder gewann hoch, mitunter zweistellig, und an einem milden Oktoberabend 1971 sogar gegen den Weltpokalsieger Inter aus Mailand 7:1. Der Reporter von La Stampa meldete zur Halbzeit einen "... vernichtenden Nibelungenangriff, nur der Ausfall des Flutlichts könnte Inter retten". "Netzer, Vogts und Heynckes Jupp", skandierten die Fans, "holen den Europacup." Cup mit u, logisch. Inter rettete damals eine Cola-Dose, doch das ist eine andere Geschichte.

Netzer, Vogts und Heynckes Jupp kamen, wie die meisten "Fohlen", vom Niederrhein. Junge Burschen, unbekümmert, talentiert, ehrgeizig. "Wir waren", wie Herbert Laumen sagt, "einfach nur happy, am Samstag Fußball spielen zu dürfen." So kam alles zusammen. Vogts konnte grätschen, Wimmer konnte rennen, Torhüter Kleff fast fliegen. Und Netzer, ihr grandioser Stratege im Mittelfeld, sorgte auch abseits des Platzes für Glamour. Netzer hatte langes Haar, eine Diskothek und fuhr Ferrari. Der erste Popstar des deutschen Fußballs. Laumen, der 108 Tore für die Borussia erzielte, bedauert noch heute, dass er 1971 nach Bremen wechselte.

Borussia war die beste Zeit seines Lebens. Einmal brachte er einen Torpfosten zum Einsturz, weshalb das Spiel abgebrochen werden musste. Auch das ein Kapitel deutscher Fußballgeschichte. "Es hat wehgetan", sagt Laumen, "als sie den Bökelberg sprengten." Er ist ein freundlicher, geduldiger Herr, immer noch athletisch gebaut. Als Mitglied im Ehrenrat des Vereins kümmert er sich um Treffen mit den alten Kameraden, die regelmäßig zu Spielen eingeladen werden. Laumen erzählt davon in der Sportsbar des Borussia-Parks. Sie heißt "gladbach**", sieht mit ihrem uniformierten Interieur und den Fernsehern an der Wand aus wie jede Sportsbar zwischen Vancouver und Tokio. Womit wir beim Heute wären.

Das Heute ist der Borussia-Park, ein 46 Hektar großes Areal, das 95 Millionen Euro gekostet hat samt Stadion, Verwaltungsgebäuden, Reha-Klinik, Trainings- und Parkplätzen. Der Borussia-Park am Rande der Stadt ist die wirtschaftliche Basis der Borussia VfL 1900 Mönchengladbach GmbH. Und natürlich verkauft auch die alles, was der kommerzialisierte Fußball anzubieten hat. Fun, Fan-Artikel, Entertainment. Klubs sind Marken, Sport ist Ware, jeder Kick ein Event.

In Mönchengladbach ist das nicht anders, und die Zeiten, in denen die Spieler vom Nachbarklub kamen (wie Netzer) oder aus der eigenen Jugend (wie Laumen), sind auch hier vorbei. Die Profis der Borussia heißen heute Paauwe, Gohouri, Ndjeng, Colautti, Jaurès oder Alberman, sie wurden zwischen Dronten, Niederlande, Treichville, Elfenbeinküste, und Petach-Tikva, Israel, geboren. Sie werden gehandelt wie Commodities. Legionäre des globalisierten Profisports. Heute haben die Fans kaum noch Gesänge mit den Namen von Spielern. Sie wechseln zu schnell. Dafür gibt es offizielle Vereinshymnen. Die der Borussia klingt nicht anders als die anderen Vereinshymnen und behauptet: "Ja, wir schwören Stein und Bein auf die Elf vom Niederrhein."

III.

4. Oktober 2008, ein Samstag, gegen Mittag. Rolf Königs sitzt in der Geschäftsstelle, ein paar Zimmer entfernt von Netzers Schuh, und spricht über Geld. Und was das angeht, kann Borussias Präsident nicht klagen. Vergangenes Jahr lag der Zuschauerschnitt bei 40000, 280 Sponsoren zahlten 19,4 Millionen Euro. 7,2 Millionen Euro Einnahmen aus Merchandising per anno. 165 Hektoliter Bier wurden pro Heimspiel verkauft. Etwa 400-mal im Jahr ist der Borussia-Park für Veranstaltungen vermietet. Elton John war da, Grönemeyer auch, die Kaiser's- Tengelmann-Gruppe feierte ihr 125-jähriges Firmenjubiläum. 2007 betrug Borussias Umsatz 68,7 Millionen Euro, der Gewinn nach Steuern lag bei 6,8 Millionen. "Wir mussten", sagt Königs, "die Ochsentour mit dem Borussia-Park durchziehen, andernfalls wären wir erledigt gewesen."

Als Königs sich die Borussia im Frühjahr 1999 erstmals genauer ansah, spielte sie noch am Bökelberg, die Büros waren in Containern untergebracht. Königs: "Desolater Zustand wäre eine Untertreibung, das war sportlich und wirtschaftlich total daneben." Die Gründe dafür reichten kurioserweise zurück in die goldene Zeit des Klubs, als die Borussia fünfmal Meister wurde zwischen 1970 und 1977. Doch weil Mönchengladbach sich nicht als Austragungsort für die Weltmeisterschaft 1974 beworben hatte, konnten sie davon wirtschaftlich kaum profitieren. Die Konkurrenz bekam moderne, große Arenen. Bayern München spielte fortan im Olympiastadion vor 70000 Zuschauern, Schalke 04 im Parkstadion vor 60000. In Mönchengladbach war mit 30000 die Hütte voll. Die fehlenden Einnahmen mussten mit Spielerverkäufen wettgemacht werden, dazu kamen Missmanagement, Pech und Pleiten. 1999 war der Verein ein Sanierungsfall. Königs: "Wir brauchten sofort ein Konzept, so konnte, so durfte das nicht bleiben."

Königs ist keine alltägliche Erscheinung. Das Haar streng nach hinten gekämmt, Jackett, Einstecktuch und Krawatte sitzen perfekt. Der Spiegel schrieb einmal: "Er sieht nicht nach Gladbach aus, eher nach Wall Street." Doch Königs ist Gladbacher, und in Gladbach weiß jeder, dass er aus einem angeschlagenen Familienunternehmen, das Textilien produzierte, einen international erfolgreichen Systemlieferanten für die Autoindustrie gemacht hat. Die AUNDE-Gruppe, zu der auch die Firmen Isringhausen und Esteban gehören und deren geschäftsführender Gesellschafter Königs ist, hat 13000 Angestellte und produziert an 83 Standorten in 22 Ländern. Schon bald soll AUNDE zwei Milliarden Euro Umsatz machen.

Wenn jemand die Borussia retten könne, hieß es 1999, dann Königs. Monatelang wurde er von den damaligen Verantwortlichen gedrängt. Schließlich sagte er zu: "Ich habe das auch für den Verein, für die Region gemacht, unsere Firma ist in der Stadt seit 1899, wir tragen auch eine soziale Verantwortung." Vielleicht war eine Spur Eitelkeit dabei. Vielleicht lockte ihn das Rampenlicht. Bei AUNDE hatte Königs jedenfalls bewiesen, was man erreichen kann, wenn man weiß, was man will. Und er wusste auch bei der Borussia, was er wollte. Ein neues Stadion, aber keinen architektonischen Protzpalast. Qualität, aber bezahlbar, Ästhetik, aber mit Nutzwert. Das überzeugte die Banken, die zudem seine Kreditwürdigkeit zu schätzen wussten.

Wenn Königs erzählt, er höre nur Lob über den Borussia-Park, die Leute glaubten nicht, dass man für 95 Millionen so eine attraktive Anlage bekomme, ist das primär sein Verdienst. Gleichzeitig hat eine relativ geringe Annuität von fünf Millionen Euro der Borussia die drittbeste Bonität aller Bundesligisten eingebracht ­ hinter dem FC Bayern und Werder Bremen. "Erfolge im Geschäft sind zu 75 bis 80 Prozent planbar", sagt Königs, "sicher, man braucht Glück, aber selbst mit Pech geht man nicht unter." Und im Sport? "Dummerweise ist es da genau anders herum." Gleich muss er weg, das Spiel beginnt.

IV.

Siebter Spieltag der laufenden Saison. Die Borussia spielt wieder gegen den 1. FC Köln. Seit Stunden pilgern die Fans mit Fahnen, Trikots und Schals über die Aachener Straße zum Borussia-Park. Ein Defilee in Weiß, Schwarz und Grün. Natürlich wird das Spiel ausverkauft sein. 54067 Zuschauer. Köln gegen Gladbach, das ist eines dieser Derbys, die immer ziehen. Großstadt gegen Provinz. Chuzpe gegen Bescheidenheit. Rheinischer Frohsinn gegen niederrheinischen Feinsinn. 60 Kilometer voneinander entfernt, Welten getrennt. Ein Sieg gegen den Erzrivalen und die Saison ist gerettet, egal, wo man am Ende in der Tabelle landet. Auch deshalb wurde das Pokalfinale 1973, Netzers Tor, 93. Spielminute, zum Klassiker.

Darüber könnten sich die Reporter jetzt unterhalten im Presseraum. Doch es gibt aktuelleren, brisanten Gesprächsstoff. Der Presseraum ist voll. Ein Moderator des ZDF "Sportstudio" ist da. Der Fußballbuchautor Biermann ("Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen"). Und Reiner Calmund. Um den stehen sie jetzt alle andächtig herum. Der dicke Calmund, lange Manager gewesen bei Bayer Leverkusen, jetzt Ulknudel in allen Fernsehshows, hat immer was zu sagen. Natürlich auch zur misslichen Lage der Borussia. Die hat in sechs Spielen bislang nur einmal gewonnen und ist Tabellenletzter.

Noch eine Niederlage, und es wird etwas passieren. Bild stänkert schon seit Wochen. Der ehemalige Gladbacher Kapitän Effenberg hat sich im Kölner Express zu Wort gemeldet: "Da fehlen mir die Leidenschaft, die Ausstrahlung und natürlich der absolute Wille zum Erfolg." Gemeint ist Borussias Trainer, Jos Luhukay, ein kleiner Niederländer mit Oberlippenbärtchen und dunklen Augen. Sympathisch, keine Frage. Aber ist der nicht zu weich für den Job? Zu unerfahren? Lässt die falsche Elf auflaufen, wechselt falsch ein. Noch eine Niederlage, und er ist weg. So ist das Geschäft. Doch Luhukay ist bereits der achte Trainer seit Königs Amtsantritt, und deshalb steht mehr noch als Luhukay die Personalpolitik des Präsidenten zur Debatte.

Es gab Zeiten, da beschäftigte die Borussia in 23 Jahren drei Trainer. Rolf Königs schaffte es, innerhalb von zwei Jahren sogar drei verschiedene Sportdirektoren zu präsentieren. Zwischen Januar 2003 und Mai 2007 kamen 45 Spieler, 49 gingen. Die Borussia verpflichtete unter Königs wahllos Stars und Nobodys, Youngster und Routiniers, Deutsche und Ausländer. Fast alle Enttäuschungen, Nieten, Flops. In der Szene sprach man schon spöttisch vom "Kaufhaus des Westens". Die Süddeutsche Zeitung nannte Königs' Ägide "eine Ära der Konzeptlosigkeit". Und im Mai 2007 schrieb Der Spiegel: "In Mönchengladbach passt nichts mehr zusammen: ... das Geld nicht zum Abstieg, der Anspruch nicht zur Wirklichkeit, die Gegenwart nicht zur Vergangenheit."

V.

Mönchengladbach. Größte Stadt am linken Niederrhein, seit der Gebietsreform 1975 zusammengelegt mit der kreisfreien Stadt Rheydt und dem Amt Wickrath. Früher hieß sie mal Gleidebach, dann Gladbach, dann München-Gladbach, damit sie nicht mit Bergisch Gladbach verwechselt wird, schließlich Mönchen Gladbach oder M. Gladbach, damit sie nicht mit München verwechselt wird. Im Zweiten Weltkrieg wurden 65 Prozent der Gebäude zerbombt.

Was soll man erzählen? Mönchengladbach hat zehn Stadtbezirke, 264000 Einwohner, Autokennzeichen MG. Natürlich gibt es Sehenswürdigkeiten, große Teile der Stadt sind von Wäldern und Parks bedeckt und gehören zum Naturpark Maas-Schwalm-Nette. Es gibt auch Museen, etwa eines über Vogelkunde. Die Hochschule Niederrhein offeriert unter anderem die Fachbereiche Oecotrophologie, Sozialwesen sowie Textil- und Bekleidungstechnik. Aber müsste man versuchen, Mönchengladbach aus der Erinnerung zu beschreiben, man täte sich schwer. Da ist eine Einkaufsstraße, eine Kneipenstraße und der Alte Markt, flankiert von Wirtschaftswunderbeton aus der Nachkriegszeit. "Wenn man einmal fünf Minuten im Kreis gefahren ist", sagt Markus Aretz, Pressechef bei der Borussia, "dann hat man alles gesehen."

Bevor Mönchengladbach die Borussia und das Fohlenwunder hatte, war es in Deutschland allenfalls für seine zahlreichen Webereien bekannt. Noch heute haben Modehersteller wie Cinque, Alberto, Michèle, Gardeur oder van Laack ihren Sitz hier, wenngleich die Produktion längst ins Ausland verlagert wurde. Van Laack lässt seine Hemden in Vietnam nähen, Gardeur seine Hosen in Tunesien. Aber daran kann es nicht liegen, dass Mönchengladbach die größte deutsche Stadt ohne Anschluss an den Fernverkehr der Bundesbahn ist. Sie hat auch keine eigene Tageszeitung. Und wenn man mit Aretz fünf Minuten im Kreis fährt, sind die Sehenswürdigkeiten, die er hervorhebt, Vogts' Lieblingsitaliener und das Haus am Alten Markt 42, in dem sich ein Restaurant befand, das Netzer gehörte.

VI.

"Wir sind nicht Düsseldorf", sagt Otto Eberhard Schütz, der in der Lokalredaktion der Rheinischen Post das Sportressort leitet, "die Borussia ist der mit Abstand größte Werbeträger der Stadt." Schütz, 63, ist eine Institution in Mönchengladbach. Seit 1969 begleitet er die Borussia als Reporter. Mit Netzer erfand er das FohlenEcho, Deutschlands erste Stadionzeitung. Mit Weisweiler spielte er Skat bei Auswärtsfahrten. Schütz hat Borussias Triumphe erlebt und ihren Niedergang, und nicht alles, was er über die finanzielle Situation 1999 wusste, hat er in die Zeitung geschrieben. "Mich werden Sie auf der Tribüne nie jubeln sehen", sagt Schütz, "aber ich würde nie bestreiten, wie wichtig die Borussia für die Psyche und das Selbstbewusstsein der Stadt ist."

Nein, sie sind nicht Düsseldorf. Sie haben keine Königsallee und keinen Flughafen mit Linienflug nach New York. Umso wichtiger ist die Borussia, über die es sogar Romane gibt, die "Mord am Bökelberg" oder "Borussen-Leo kehrt zurück" heißen. Und umso wichtiger ist "Jünter", das Maskottchen, das natürlich ein Fohlen darstellt und das, wie Pressechef Aretz berichtet, ständig gebucht wird und dabei stundenlang Autogramme gibt. In welcher Stadt würden schon 100000 Menschen feiern, wie dieses Jahr geschehen auf dem Alten Markt, nur weil ein Verein in die Bundesliga aufsteigt? Königs betont mehrfach, wie stolz sie sind, 2011 Austragungsort der WM der Frauen zu sein. Schütz sagt: "Kein Präsidium des Vereins könnte es sich jemals leisten zu sagen, wir verzichten auf sportliche Ambitionen."

Was wollte man Königs so gesehen vorwerfen? Warum wird er bei Mitgliederversammlungen ausgepfiffen und öffentlich beschimpft? Warum fragt Bild: "Leidet Boss Königs unter Größenwahn?" Kann schon sein, dass er bei dem einen oder anderen Transfer tatsächlich "seine Sehnsucht nach großen Namen befriedigen wollte" (Tagesspiegel). Auch, dass er sich vergaloppierte mit der Ankündigung, 2004 im internationalen Geschäft, also mindestens im UEFA Cup, mitspielen zu wollen. Und vielleicht hat der Präsident Königs zu oft gedacht und gehandelt wie der Unternehmer Königs. Doch Ambitionen sind nahe liegend. Irren ist menschlich. Scheitern keine Schande. Dass er keinen Fußballfachmann, noch dazu jemanden aus der Ära Weisweiler in seinem Präsidium haben möchte, ist vielleicht nicht schlau. Aber vielleicht auch das einzig Richtige. Wer will das schon wissen?

Alles, das sagen selbst seine Kritiker, kann der Präsident gar nicht falsch gemacht haben. Wurde mit Stephan Schippers nicht ein kompetenter Finanzfachmann in der Geschäftsleitung installiert? Schippers, an der Bökelstraße aufgewachsen, ist als Kind bei Spielen am Bökelberg stets über den Zaun geklettert, und wenn man ihn im Borussia-Park besucht, spricht er erst leidenschaftlich über Bilanzen und Leitbilder und sagt abschließend: "Niemand, der hier arbeitet, macht einen 08/15-Job." Das gilt nicht zuletzt für Christian Ziege, den Königs zum Sportdirektor machte. Ziege hat schon beim FC Bayern, beim FC Liverpool und bei AC Mailand gekickt und 72 Länderspiele absolviert. Ziege meint: "Ich versuche schon weiterzugeben, was ich erlebt habe, ich denke, das ist ein Plus." Max Eberl bringt es auf den Punkt: "Man hat durchaus eine Strategie, so ist es nicht, die Frage ist nur: Wie viel Handlungsspielraum bleibt einem? Der Druck von außen ist immens."

VII.

Es ist Freitag, der Tag vor dem Spiel gegen den 1. FC Köln. Eberl, Jugendkoordinator bei Borussia, sitzt in der Küche des Fußballinternats. Er ist ein kleiner, kräftiger Mann. Eberl war Publikumsliebling, als er noch für die Borussia spielte. Typ Kämpfer mit Herz. "Ich war nie der Netzer, aber ich bin immer mit einem dreckigen Trikot vom Platz gegangen." Talent zu haben ist im Sport eine Sache, Charakter eine andere. "Wer bei uns im Internat landet, bei dem geht die Tendenz zum bezahlten Fußball", sagt Eberl, "aber entscheidend für den Erfolg sind letztlich Wille, Einstellung, Disziplin." So wie er das gelernt hat im Internat des FC Bayern München. Einmal rief ihn Trainer Gerland morgens an: "Eberl, was machst du?" Eberl: "Ich frühstücke, dann komme ich." Gerland: "Du kommst sofort!" Und nach dem Training arbeiteten beide im Fanshop bis um sechs Uhr abends.

Elf Jugendliche sind im Internat der Borussia untergebracht. Sie haben ein Apartment, einen Gemeinschaftsraum, Flachbildfernseher, Spielezimmer mit Billardtisch; sie haben Nachhilfelehrer, wenn es in der Schule nicht läuft, einen Psychologen, wenn das Heimweh zu stark wird. Und sie haben Birgitt Lintjens. Frau Lintjens ist Ersatzmutter, Kummerkasten, Mädchen für alles. Sie spielt mit den Jungs Stadt-Land-Fluss, und ihre Pfannkuchen mit Apfelmus, Zimt und Zucker sind der Favorit auf der Speisekarte. "Ich sehe hier keine kleinen Fußballer", sagt Frau Lintjens, die drei Söhne hat, "für mich sind sie wie meine eigenen Kinder." Sie wisse noch, als Marko Marin damals ankam, ein kleiner, schüchterner Kerl. Als er einmal krank war, legte sie ihm ihren Pudel Luna zum Kuscheln ins Bett. Marin gab kürzlich sein Debüt in der Nationalmannschaft. Da hatte Frau Lintjens Tränen in den Augen.

Schöner Erfolg, das mit Marin. Der kleine Dribbler ist nicht der einzige Erfolg der Nachwuchsarbeit. Die aktuelle B-Jugend, sagen sie, ist die beste B-Jugend, die sie jemals hatten. Täglich holen zehn Kleinbusse die Nachwuchskicker aus 60 Kilometer Umkreis zusammen. Doch Eberl sagt auch, die Wiederauferstehung der Fohlenelf dürfe man deshalb nicht erwarten. "Du holst dir externe Qualität und du produzierst interne Qualität, und du hoffst, dass du mit dieser Kombination irgendwann wieder bestehen kannst." Doch wer in der Bundesliga bestehen will, konkurriert mit Vereinen wie dem FC Bayern München, der 2007 allein 72 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben hat, das ist mehr als der Gesamtetat der Borussia. International bekommt man es mit Vereinen zu tun, die US-Milliardären oder russischen Oligarchen gehören. Und einer von denen kauft ihnen irgendwann den kleinen Marin weg. Eberl: "Gegen die sind wir immer noch das kleine gallische Dorf."

Das waren noch Zeiten früher, 1973, Pokalfinale gegen Köln. Als das kleine gallische Dorf noch unbezwingbar war. Als Weisweiler eingeschnappt war und Netzer auf die Reservebank setzte, weil der in der Woche zuvor seinen Wechsel zu Real Madrid bekannt gab. Heute undenkbar. Damals undenkbar war, was Netzer machte. Er wechselte sich ohne Rücksprache mit Weisweiler zu Beginn der Verlängerung selbst ein. Drei Minuten später, Doppelpass mit Bonhof, linke Klebe, Ball im Winkel. Die FAZ nannte das Tor, das Tor des Monats und Tor des Jahres wurde, ein "Naturereignis".

"Wir leben vom Mythos der Siebziger", sagt Eberl, als er später am Trainingsplatz die B-Jugend beobachtet, "doch Gestern ist Gestern, und Heute ist Heute." Hinter Eberl ragt der Klotz in den grauen Himmel, über die Parkplätze pfeift ein eisiger Wind, das ist der Moment, wo man lieber nicht daran denken möchte, was das Morgen für Borussia Mönchengladbach bringt.

PS: Die Borussia verliert am nächsten Tag gegen den 1. FC Köln 1:2. Tags darauf gibt der Verein die Trennung von Trainer Luhukay bekannt. Als Nachfolger wird Hans Meyer verpflichtet, der die Borussia bereits von September 1999 bis März 2003 trainierte. Meyers Assistent wird Christian Ziege, dessen Nachfolger als Sportdirektor ist Max Eberl. Bild fragt Präsident Königs: "Was sind Ihre Konsequenzen?" Königs' Antwort: "Keine."