Nach oben offen

In Deutschland gibt es zu viele Regionalflughäfen. Hoch subventioniert, nicht ausgelastet und operativ im Minus, kämpft die Mehrheit ums Überleben. Anders der Airport Weeze. Der Flughafen in privater Hand ist zur Wirtschaftlichkeit verdammt ­ und auf dem besten Weg in die Gewinnzone.




Acht Uhr morgens. Cappuccino, Rührei, Brötchen und Aufstrich auf dem Tisch. Ludger van Bebber ist ausgeschlafen, hungrig und ziemlich gut gelaunt. In zwei Stunden wird der Geschäftsführer des Airports Weeze auf einer Pressekonferenz verkünden, dass die Chartergesellschaft Hamburg International im Sommer 2009 ein Flugzeug in Weeze stationieren wird. Wieder eine neue Erfolgsmeldung.

Heute war im Terminal schon Hochbetrieb, lange bevor die Glockentürme im benachbarten Kevelaer den Tag einläuteten. Im Zehn-Minuten-Takt sind im Morgengrauen sechs voll besetzte Ryanair-Maschinen gestartet, nach Alicante, Fuerteventura, Dublin, Riga. So geht das jeden Tag, montags bis sonntags. Im Schnitt rollen täglich 40 Verkehrsmaschinen über den Platz, die blau-gelb lackierten Jets fliegen von früh bis Mitternacht über olivgrüne Kasernengebäude und einen moosigen Luftschutzbunker, über rot geklinkerte Dörfer und endloses Grün. "Anderthalb Millionen Passagiere schaffen wir dieses Jahr mindestens", sagt van Bebber und beißt beherzt in sein Schinkenbrötchen. Ein zufriedener Blick aufs Rollfeld. Gerade ist ein Ryanair-Jet gelandet. "Wir machen 2008 schwarze Zahlen, operativ."

Mit dieser Bilanz ist der ehemalige Fliegerhorst, den die Briten 1999 verwaist zurückließen, nicht nur einer der wichtigsten Arbeitgeber in der strukturschwachen Region. Der Airport Weeze ist auch deutschlandweit eine Erfolgsgeschichte. Wo andere ums Überleben kämpfen und sich mit schlechten Nachrichten überbieten, vermelden die Betreiber am Niederrhein einen Coup nach dem anderen ­ und machen dem Rest der Republik vor, dass Kreativität, Unternehmertum und Wirtschaftlichkeit auch im krisengeschüttelten Flugverkehr zusammengehen. Knapp sechs Jahre nach seinem holprigen Start ist Weeze ein Leuchtturm mitten im nebligen Grenzgebiet.

Ludger van Bebber diktiert die entsprechenden Kennzahlen mit sichtlichem Vergnügen, während er sich sein zweites Brötchen schmiert. Alles in allem ist die ehemalige Militärbasis, die lange als Provinzlandebahn verspottet war, in den vergangenen Jahren von der Regional- in die Bundesliga der Flughäfen aufgestiegen. Allein im laufenden Geschäftsjahr 2008 konnte van Bebber die Passagierzahlen fast verdoppeln und ver-zeichnet damit laut Flughafenverband ADV den größten Zuwachs unter allen 24 internationalen Airports in Deutschland. Erreicht Weeze sein Jahresziel von mehr als 1,5 Millionen Gästen, rückt der Flughafen bundesweit auf Rang 16. Ein Anstieg auf 2,5 Millionen Fluggäste ist bis 2011 angepeilt. 800 Jobs sind rund um das Terminal entstanden, 2009 werden es schon 1000 sein. Und 2010, spätestens 2011 sollen in der Bilanz des Flughafens Weeze auch unterm Strich schwarze Zahlen stehen.

Teure Prestigeobjekte

Mit dem Vorstoß in die Gewinnzone wäre der Regionalflughafen Mitglied eines recht elitären deutschen Grüppchens. Laut ADV arbeitet hierzulande lediglich ein Dutzend der rund 100 Flughäfen und Flugplätze profitabel. Die anderen dümpeln dahin, verfolgen mit Schrecken hohe Kerosinpreise, Streckenschließungen und Konzentrationen im Luftverkehr ­ und versuchen sich gegenseitig ihre Kunden abspenstig zu machen. Es gibt einfach zu viele Flughäfen für zu wenige Passagiere.

Wo sollen die Gäste auch herkommen? Zwar ist das Passagieraufkommen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, weil sich die Deutschen von Auto, Bus und Bahn für Kurztrips oder Urlaubsreisen in ein Flugzeug locken ließen. Aber der Zuwachs reicht bei Weitem nicht aus, um die Vielzahl der Airports zu ernähren, die nicht selten nur 50 Kilometer oder eine halbe Autostunde entfernt voneinander liegen.

Im Zuge des Billigflieger-Booms haben sich Regionalfürsten im ganzen Land mit Steuermilliarden Prestigeobjekte geleistet und unbekannte Pisten oder ehemalige Militärbetriebe zu Verkehrsflughäfen aufgerüstet. Ob Memmingen, Altenburg, Chemnitz, Bayreuth oder Lübeck ­ in der Hoffnung auf Arbeitsplätze und lokale Wirtschaftswunder ist in den vergangenen Jahren quer durch die Republik ein Wildwuchs an Mini-Airports entstanden. Um zu überleben, fehlt vielen die kritische Größe: Kostendeckend arbeitet ein Flughafen erst ab 500000 bis zwei Millionen Fluggästen. Für die meisten utopisch ­ sie halten für zwei bis drei Starts und Landungen am Tag eine enorme Infrastruktur vor, die das Betriebsergebnis tief in die roten Zahlen zieht.

Während sich insbesondere Low-Cost-Carrier wie Ryanair und Easyjet über den Flughafen-Flickenteppich freuen, bleiben die öffentlichen Betreiber ­ Gemeinden, Landkreise oder Stadtwerke ­ auf den Verlusten sitzen. Den Bund hat das bislang kaum gestört, die Luftverkehrsinfrastruktur ist Ländersache. Erst neuerdings, angesichts der absurden Blüten, die diese Kleinstaaterei treibt und infolge der aktuell schwächelnden Flugkonjunktur, fordert die Bundesregierung mehr Mitsprache und erteilt dem Bau neuer Pisten eine Absage. Nordrhein-Westfalen, das Bundesland mit der größten Flughafendichte in Europa, setzt dennoch auf ein dezentrales Logistikkonzept aus drei Großflughäfen, sechs Regional-Airports und insgesamt neun "Schwerpunktlandeplätzen". Zu viele, meinen Kritiker wie der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Horst Becker. Er spricht von einer "massiven Verschwendung öffentlicher Mittel" und von "volkswirtschaftlichem Unsinn". Auch Weeze nennt er dabei regelmäßig als Negativ-Beispiel.

"Wir sind der am niedrigsten subventionierte Flughafen im Land", hält Ludger van Bebber dagegen und pariert auch den Vorwurf mit Zahlen. Zwar habe das Land NRW zum Start dreieinhalb Millionen Euro für den Ausbau des Vorfelds und andere Infrastruktur beigesteuert. Weitere 26,8 Millionen Euro gaben der Kreis Kleve und die Gemeinde Weeze als Darlehen ­ zu marktüblichen Konditionen, versichert van Bebber. Anders als bei den meisten regionalen Mitbewerbern aber würden mit seinem Flughafen nicht fortlaufend Steuermittel versenkt. Dafür sorge schon die deutschlandweit einmalige Eigentümerstruktur.

99,93 Prozent des Airports Weeze gehören dem Niederländer Herman Buurman. Der Kreis Kleve hält lediglich 0,04 Prozent der Anteile, 0,03 Prozent die Gemeinde Weeze. Ein Bruchteil im Vergleich zu den meisten internationalen Verkehrsflughäfen; sie sind zu 50 bis 100 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand. Während dort Landräte und Bürgermeister Finanzmittel nachschießen können, muss ein Flughafen im Privatbesitz sein Geld verdienen. "Das verdammt zur Wirtschaftlichkeit", meint der Flughafenchef und bekommt Unterstützung von einer Studie der Deutsche Bank Research. "Privatfinanzierung führt zu mehr Effizienz", heißt es in dem Papier, deshalb sei der privatwirtschaftliche Betrieb eines Flughafens ordnungspolitisch zu begrüßen. Logisch: "Der Investor trägt das Risiko. Verluste gehen nicht zulasten der Steuerzahler."

Um das Risiko für den niederländischen Besitzer in Weeze möglichst niedrig zu halten und Gewinne zu erwirtschaften, setzt der Betreiber vor allem auf schlanke Strukturen sowie auf flugferne Einnahmen, also Umsätze aus dem "Non-Aviation-Geschäft". Am Niederrhein wickeln eigenständige Firmen weite Teile des Stammgeschäftes wie Check-in, Flugzeugabfertigung, Parkmanagement, Reinigung oder Infostand ab. "Die arbeiten effizient und flexibel", sagt van Bebber. Er selbst tut das auch: In der Verwaltung beschäftigt der ehemalige Angestellte der Bauentwicklungsbehörde als alleiniger Geschäftsführer gerade 70 Mitarbeiter.

Überall sonst auf dem Gelände ist Masse angesagt. Im Flughafen-Restaurant mit Wurst und Pommes, in den Reisebüros mit "SuperSommerSchnäppchen" und in den Geschäften rundum mit allem, was Kunden gute Laune verschafft ­ ballermanngerechte T-Shirts etwa mit der Aufschrift "Der Beweis. Bier macht schön". Auch die 4700 Parkplätze auf dem Flughafenareal leben von einer hohen Frequenz ­ und sind für 39 bis 60 Euro Wochengebühr meist rund um die Uhr belegt. "Entscheidend ist, dass viele Leute hier sind", sagt van Bebber. "Dann verdienen wir Geld im Handel, mit Mieten und dem Gastrobereich." Genau wie die Großen im Fluggeschäft: Airports wie München oder London machen auf diesem Weg bereits rund die Hälfte ihres Umsatzes.

Allein mit den Start- und Landegebühren, die Airlines einem Betreiber bezahlen, kann ein Flughafen schon lange nicht mehr überleben. Das gilt für internationale Drehkreuze, vor allem aber für kleine Provinzflughäfen. Auch Ryanair, der wichtigste Carrier am Niederrhein, der Weeze 2007 als Basisstation auswählte, ließ sich nur mit niedrigen Gebühren herlocken. Und mit der stattlichen Zahl potenzieller Passagiere.

Das dörfliche Grenzgebiet mag nicht wie ein Verkehrsknotenpunkt aussehen, doch sein Einzugsgebiet ist gewaltig. Neben 3,9 Millionen Niederländern erreichen 6,3 Millionen Deutsche aus dem Rheinland, Ruhrgebiet und Münsterland Weeze mit dem Auto innerhalb einer Stunde. Im Umkreis von zwei Autostunden zählt das Airportmanagement sogar 35,5 Millionen potenzielle Kunden. "Eigentlich reicht schon das deutsche Einzugsgebiet aus, um den Flughafen wirtschaftlich zu betreiben", sagt van Bebber. "Doch wir haben gleich beidseits der Grenze Riesenmärkte."

Etwa jeder zweite Passagier am Niederrhein kommt aus den Niederlanden. Die Nachbarn schätzen neben den Billigtarifen vor allem die Überschaubarkeit des Flughafens und die entspannte Anreise nach Weeze. "Auf dem Weg hierher haben wir keinen Stau, wir checken in zehn Minuten ein und müssen nicht kilometerweit durch Terminals laufen", bestätigt Danny Krasenberg, der gerade mit seiner Familie aus Alicante zurückgekehrt ist. Enorm zugute kam Weeze mit Blick auf die ausländische Klientel außerdem eine im Sommer eingeführte Umweltsteuer von 11,25 bis 45 Euro pro Passagier auf allen niederländischen Flughäfen. "Das war für uns unbezahlbare Werbung", freut sich van Bebber. Die Zahl der niederländischen Passagiere ist seitdem enorm gestiegen.

Von einem "Tal der Freude", wie der Flughafenchef seinen Airport neuerdings gern nennt, ist allerdings erst seit wenigen Monaten die Rede. In den vergangenen Jahren hatten die Betreiber trotz guter Prognosen und unternehmerischem Geschick eine Reihe von Problemen. Erst legte im Oktober 2004 der von Buurman mit gegründete Billigflieger V-Bird eine Bruchlandung hin. 100 Beschäftigte wurden durch die Insolvenz ihren Job los. Im Januar 2006 kam es noch schlimmer: Das Oberverwaltungsgericht Münster entzog Weeze die zivile Betriebserlaubnis. Die Richter gaben einer Klage von 16 Anwohnern und der niederländischen Gemeinde Bergen wegen Fluglärms recht; bei der Genehmigung durch die deutschen Behörden hatte eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung gefehlt. Zwar durfte der Flugbetrieb weitergehen ­ das Verfahren ist bis heute nicht endgültig entschieden ­ doch die Rechtsunsicherheit kostete Weeze einen wichtigen Kunden: Der Ferienflieger HapagFly kehrte dem Flughafen noch vor dem ersten geplanten Start den Rücken.

Damals hob in der Region nur hin und wieder eine Ryanair-Maschine ab, ansonsten war es ruhig am Niederrhein. Herman Buurman stopfte die Löcher in der Bilanz mit bis zu einer halben Million Euro im Monat und war kurz davor, die Brocken hinzuschmeißen. "Weeze vor dem Aus", "Harte Landung", "Luftschloss Weeze", hießen die Schlagzeilen jener Tage. "Von mir aus können die Weeze morgen dichtmachen", ätzte Air-Berlin-Chef Joachim Hunold. Düsseldorfs damaliger Oberbürgermeister Joachim Erwin befand: "Wir brauchen Weeze so wenig wie Zahnschmerzen."

Rettung aus Irland

Die Wende für den Betrieb und damit den Aufschwung für die gesamte Re-gion brachte Ryanair-Chef Michael O'Leary, der am 6. Februar 2007 sichtlich gut gelaunt am Niederrhein auftauchte. Im T-Shirt mit dem Aufdruck "Airport Weeze JA!" küsste der Ire vor versammelter Presse Buurmans kahles Haupt und wertete den schwächelnden Fughafen mit der dauerhaften Stationierung von zunächst zwei Boeings zur Basis auf. Kurz zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig die Revision gegen den Entzug der Betriebserlaubnis zugelassen. Bald wird das Oberverwaltungsgericht Münster eine inzwischen vom Flughafen erstellte Umweltverträglichkeitsprüfung unter die Lupe nehmen. Dann ist alles wieder offen.

Herman Buurman, ein Selfmade-Unternehmer wie aus dem Bilderbuch, lässt sich von dem drohenden Unheil offenbar wenig beeindrucken. Genauso unbeirrbar wie der 52-Jährige erst Mopeds, dann Autos und später erfolgreich Lastwagen verkaufte, bevor er sich im Immobiliengeschäft hochackerte und sich als Entwickler großer Bürogebäude und Shopping-Malls einen Namen machte, hält er auch an seinem Flughafen-Projekt fest. Der dreistellige Millionenbetrag, den er einst in Weeze investierte, wird sich langfristig rechnen, da ist Burmann sicher. Und die jüngsten Entwicklungen geben ihm ja auch recht.

Sechs neue Flugzeuge und 200 Beschäftigte, darunter 60 Piloten, haben die Iren inzwischen an den Niederrhein entsandt. Zwei weitere Jets und entsprechend viele Crew-Mitglieder könnten schon 2009 dazukommen. Während im unweit gelegenen Dortmund der Carrier Easyjet sein Streckennetz gerade von elf auf fünf Verbindungen zusammengestrichen hat, stocken sie am Niederrhein unentwegt auf. Ryanair steuert von seiner mittlerweile zweitgrößten Deutschland-Basis Weeze bereits 33 Ziele an, darunter Barcelona, Oslo, Venedig und Marrakesch. Nach dem Beispiel von "Frankfurt (Hahn)" verkaufen die Iren den Airport als "Düsseldorf (Weeze)".

Die Fluggesellschaft ist zufrieden mit dem Geschäft. Die Auslastung liege bei mehr als 90 Prozent, sagt Anja Seugling, Sales-&-Marketing-Managerin bei Ryanair: "Kein Ryanair-Airport hat sich so rasant entwickelt wie Weeze." Neben der niedrigen Kostenstruktur profitiert die Airline vor allem vom guten Service des Flughafen-Managements: Länger als 25 Minuten muss in der Regel keine Ryanair-Maschine am Boden bleiben, bevor sie betankt, beladen und mit neuen Passagieren wieder startet.

Umgekehrt birgt die enge Bindung an Ryanair für den Flughafen erhebliche Risiken. Schon mit einer geänderten Betriebsgenehmigung per Gerichtsentscheid könnte es wieder eng werden. Zurzeit ist in Weeze ein großzügiger Flugbetrieb von 5 bis 24 Uhr erlaubt. Das ermöglicht jeder Ryanair-Maschine zwischen ihrem ersten Start und der Rückkehr zur Basis pro Tag mindestens 16 Stunden Einsatzzeit quer durch Europa. Müsste sie wie beispielsweise in Dortmund bis spätestens 22 Uhr zu Hause landen, würde die Kalkulation des Billigfliegers in Weeze nicht mehr aufgehen ­ die ertragreiche Zusammenarbeit wäre bedroht. Um die Abhängigkeit von dem starken Partner zu reduzieren, bemüht sich der Flughafen deshalb intensiv um neue Kundschaft. Mit Erfolg: Neben Ryanair landen mit Hamburg International, SunExpress, Sky Airlines, Transavia, Corendon Airlines und Welcome Air inzwischen schon sechs weitere Fluggesellschaften am Niederrhein.

Auch die Region selbst steht hinter dem Flughafenprojekt. Kein Wunder, das Aus für den Airport wäre fatal für das gebeutelte Grenzgebiet. Als 1999 nach 45 Jahren die 6000 britischen Soldaten und deren Angehörige abzogen, war das für Weeze ein herber Verlust, der bis heute nachwirkt. 400 zivile Arbeitsplätze am Flughafen und Hunderte bei Baufirmen, Handwerkern und Dienstleistern am Ort gingen mit den Briten verloren ebenso wie 100 Millionen Euro Wirtschaftskraft und zwei Millionen Euro Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich. Die Arbeitslosigkeit kletterte auf mehr als zehn Prozent, Tausende Wohnungen standen leer und drückten die Immobilienpreise. Kurzerhand sprengte die Stadt alle Hochhäuser. Der Abbruch wurde zum Symbol für den Neuanfang.

"Der Strukturwandel war nur mithilfe des Airports zu schaffen", sagt Ulrich Francken, der Bürgermeister von Weeze. Zusammen mit dem Landrat und der gesamten Bevölkerung setzt er deshalb alles daran, dass der Flughafen weiter existieren kann. Seit die zivile Luftfahrt in der Region Einzug gehalten hat, ist die Arbeitslosigkeit wieder gesunken ­ im Herbst 2008 lag sie bei 6,8 Prozent. Und auf jeden der 800 Arbeitsplätze rund ums Terminal, rechnet Francken vor, seien mindestens zwei außerhalb entstanden.

Der Bürgermeister berichtet von der Hotelwirtin, die plötzlich britische Weih-nachtsmarkttouristen begrüßt, von dem Kneipenwirt, bei dem sich die Cockpit-Besatzungen zum Feierabend-Bier treffen und von dem Tankstellenpächter in Flughafennähe, der heute Mietwagen wäscht und seinen Benzinabsatz verzigfacht hat. Ronald Pofalla, CDU-Generalsekretär und Chef des örtlichen Bezirksverbandes seiner Partei, bezeichnet den Airport Weeze nicht ohne Grund als "das zentrale Zukunftsprojekt der Region Niederrhein".

Mittel- und langfristig soll auf der 620 Hektar großen Fläche rund um Start- und Landebahn ein "Euregionales Zentrum für Luftverkehr, Logistik und Gewerbe" entstehen. "Wegen der fehlenden Rechtssicherheit ist die Entwicklung noch nicht so weit, wie wir es gerne hätten", sagt Landrat Wolfgang Spreen. Aber erste Pflänzchen für neues Wachstum im weiten Grün sind bereits da.

In den ehemaligen Militärbaracken hat sich ein Schulungszentrum für Flugbegleiter und Bodenbeschäftigte angesiedelt, ein Unternehmer trainiert Feuerwehren und Sanitäter, ein Großhändler exportiert Gebrauchtwagen, ein anderer vertreibt Kältemittel, polnische Arbeitskräfte schwärmen jeden Morgen vom Flughafengelände über die nahe Grenze aus, vermittelt von einer niederländischen Zeitarbeitsfirma. Abends kehren sie zurück in die Kasernengebäude, wo früher die britischen Soldaten schliefen.

Rückhalt von den Bürgern

Auch die Bürger machen inzwischen rund um den Flughafen mobil. Mal tragen 5000 "Halbstarke" bei einem halsbrecherischen Geländelauf über das Airport-Gelände den "Fisherman's Friend Strongman" unter sich aus, dann wieder zucken mehr als 10000 Jugendliche beim Q-Base-Festival zu Technobässen durchs Terminal, oder es rocken Tausende mit Nena im Flugzeughangar.

Als die Münsteraner Richter dem Airport die Genehmigung entzogen, sammelten die 10600 Weezer innerhalb von vierzehn Tagen 20000 Unterschriften für den Erhalt des Flughafens. Lärmbelästigung hin oder her, Weeze muss bleiben, die Bevölkerung steht weitgehend geschlossen hinter ihrem größten Arbeitgeber. Landrat Spreen mag sich "beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Betrieb wieder eingestellt wird". Die Weezer auch nicht, schon aus ganz profanem Interesse.

Seit sich die Iren vor Ort niedergelassen haben, fliegen die Bürger zum Taxipreis nach Barcelona, Oslo, Venedig, Marrakesch ­ das Städtchen hat Anschluss an die Welt gefunden. "Ryanair tut eine ganze Menge für die Völkerverständigung", findet etwa Heinz-Willi Knechten. Der Hauptschullehrer revanchiert sich dafür mit der Aktionsgemeinschaft "Pro Niederrhein". Ihr Ziel: die "Förderung des Flughafens Weeze". Wegen der Wirtschaft, der Jobs für die Jugendlichen, der Weltoffenheit der Stadt und auch wegen des Fliegens an sich. "Pro Niederrhein" will "der schweigenden Mehrheit der Bürger eine Stimme verleihen" ­ und dem Klägerverein "Stopp Laarbruch" Paroli bieten. Als Lohn dafür gab es den Bürgerpreis der Stadt.

Knechten fuhr schon als Junge gern mit dem Rad rüber zum Fliegerhost. Er legte sich ins Gras, sah die Jets in den blauen Himmel starten. Seit 2003 hat er den Verkehrsflughafen schon mehr als zwei Dutzend Mal genutzt. Allein, aber auch mit seinen Schülern. Weil viele von ihnen noch nie zuvor geflogen waren, überraschte Knechten zwei Abschlussklassen mit einem besonderen Ausflug. Einen Tag vor der Zeugnisvergabe stiegen der Lehrer und 40 Weezer Jugendliche morgens um halb sieben in eine Maschine nach London-Gatwick und bestaunten dort den Flughafen. Mittags um zwei waren sie wieder zurück.

Es gab Kollegen, die haben Knechten als ökologisch inkorrekt kritisiert, erzählt er. Aber da war eben der Preis: Ein Cent pro Ticket, inklusive Steuern und allem Drum und Dran. Macht 80 Cent für zwei Schulklassen. Kann es eine günstigere Bildungsreise geben?

Jetzt steht Heinz-Willi Knechten im Garten und legt seinen Kopf in den Nacken. Inmitten des Lärms schaut er einer Boeing mit blau-gelbem Heckflügel hinterher. "Die fliegt nach Süden." Knechten freut sich. Wie so viele an-dere. Über jedes Flugzeug am Himmel über Weeze.