Durchbruch gelungen

Der Steinkohlebergbau im Kreis Wesel ist bald Geschichte. Eine Firma in Hamminkeln hat vom Strukturwandel profitiert: Die GTA Maschinensysteme bohrt heute so viele Löcher wie nie zuvor. Für Tunnel in aller Welt.




"Glück auf", hallt es durch die 13 Meter hohe Halle, in der es quietscht, knarrt, hämmert und klopft. Helmut Heisterkamp, hager, Fünf-Tage-Kinnbart, kräftiger Händedruck, begrüßt seine Arbeiter und lächelt väterlich. Hier ist seine Welt. Der traditionelle Gruß der Bergleute ist Teil davon, auch wenn es heute nicht mehr darum geht, dass die Kumpel nach der Schicht unter Tage heil aus dem Schacht ausfahren.

"Glück auf? Das sagen wir hier so", erklärt der Geschäftsführer der GTA Maschinensysteme aus Hamminkeln. "Ein Überbleibsel aus der Zeit des Bergbaus. Daran hängt man eben."

Ein Arbeiter im Blaumann und mit gelbem Schutzhelm läuft vorbei. "Glück auf", grüßt Heisterkamp wieder, schüttelt eine ölverschmierte Hand und nickt mit dem Kopf. Der ehemalige Bergmann schraube heute für ihn Maschinen zusammen, sagt Heisterkamp. Einer von vielen Kumpeln, die früher in niederrheinischen Zechen lernten und jetzt bei GTA arbeiten.

Mit rund einem halben Dutzend Bergwerken zählte der Kreis Wesel, zu dem Hamminkeln gehört, einst zu den wichtigsten Zechenregionen Europas. Das ist Vergangenheit. In der einzigen noch aktiven Zeche, dem Bergwerk West in Kamp-Lintfort, ist in vier Jahren Schluss. Mehr als die Hälfte der rund 3000 Kumpel wird dann in den Vorruhestand geschickt, einige jüngere finden vielleicht als Monteure oder Schlosser Arbeit bei GTA. "Solche Leute nehmen wir mit Kusshand. Sie kennen Techniken und Maschinen, sie können sich unter Tage bewegen."

Als Heisterkamp im Jahr 1979 seinen Betrieb gründete, war das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus noch fern. Das zeigt auch der Firmenname. Die drei Buchstaben GTA stehen für "Grubenbedarf, Transporttechnik und Ausbautechnik". Verblichene, fast 30 Jahre alte Bilder zeigen den Chef, wie er selbst mit Helm und Latzhose im Schacht steht. "Ich habe diese Arbeit geliebt", sagt der heute 59-Jährige.

Dass der gebürtige Bocholter, der in Duisburg Maschinenbau studierte und dann an den Niederrhein ging, inzwischen einen feinen Zweireiher und Krawatte trägt, ist seiner Voraussicht zu verdanken. "Vor 15 Jahren habe ich begonnen, konkret über die Zukunft nachzudenken", sagt Heisterkamp. Er entschied sich, gemäß dem Firmenmotto "Wir sorgen für Vortrieb", einfach weiterzubohren. Dass die Lebensader der Bergbausubventionen bald gekappt werden würde, war ihm klar. Also erschloss er sich eine zweite: Tunnel.

"Gebohrt wird immer! Der ganze Verkehr ­ wo soll der denn hin? Es stopft sich ja alles. Je enger es in den Städten wird, desto mehr Tunnel werden benötigt", meint Heisterkamp. "Mobilität ist weltweit das Thema."

Heute machen Tunnelvortriebsportale, Tunnelerweiterungsmaschinen sowie Schieneneinbaumanipulatoren bereits mehr als 50 Prozent des GTA-Umsatzes von knapp zwölf Millionen Euro aus. Für einen Autobahntunnel in Toulon, U-Bahn-Schächte in Bochum, Wien und Rom oder Eisenbahntunnel der Deutschen Bahn hat Heisterkamp Spezialmaschinen entwickelt, die den Weg frei machen. Bis auf wenige Jahre ist der Betrieb immer zweistellig gewachsen und hat den Strukturwandel als Gewinner überlebt. Auf 15000 Quadratmetern Firmenfläche beschäftigt Heisterkamp heute 80 Menschen.

Dabei half ihm, dass er sich in seinem ersten Job bei einer mittelständischen Bergbaufirma in Hünxe mit der "oberen Ebene" im Vortrieb beschäftigte. Während auf der unteren Tunnelebene gebohrt wird, so die Idee, könnte doch eine zweite Maschine in der oberen Ebene Beton spritzen oder Geröll abtransportieren. Das geht, indem sie an einzelnen Schienen hängt, auf Stelzen steht oder einen Greifarm nutzt. Die parallele Bearbeitung spart Zeit, ist flexibler und günstiger. Im Bergbau ist die zweite Arbeitsebene längst etabliert, im Tunnelbau ist sie eine Innovation.

Mit dem Geschäftsmodell machte sich Heisterkamp selbstständig. "Ich wurde damals 30 und dachte: jetzt oder nie." Als zweitjüngster Sohn unter sieben Kindern war ihm klar, dass nicht er den väterlichen Handwerksbetrieb übernehmen würde, sondern einer der älteren Brüder. Deshalb legte er allein los. Seine Philosophie: "Ich mache das, was für die großen Firmen zu klein ist und für die kleinen Firmen zu groß."

1996 übernahm Heisterkamp den Betrieb seines ersten Arbeitgebers. Inzwischen ist GTA ein typischer Hidden Champion, ein Weltmarktführer, der in seiner Nische international gefragt ist. "Anfragen kommen aus ganz Europa, aus China, Russland, Kasachstan, Mexiko", sagt der Firmenchef. Auch im Bergbau, der jenseits der deutschen Grenzen noch boomt. "Meine Maschinen machen die Arbeit sicherer und humaner und steigern die Leistung", so Heisterkamp. "Sicherer und humaner ­ das war früher im chinesischen oder polnischen Bergbau nicht so wichtig. Doch das ändert sich heute."

Ein entscheidender Durchbruch gelang Heisterkamp am Gotthard. Unter dem Alpenmassiv baut die Schweiz bis voraussichtlich Ende 2016 den längsten Tunnel der Welt. Dann sollen in zwei knapp 57 Kilometer langen Röhren Eisenbahnzüge durch den Gotthard- Basistunnel rauschen ­ und das nur noch 550 Meter über dem Meeresspiegel, mehr als 600 Meter tiefer als der 16,9 Kilometer lange Straßentunnel.

Troubleshooter in den Alpen

Als sie 1999 begannen, merkten die Schweizer Bauherren schnell, dass der mächtige Berg widerspenstig ist. Vom harten Granit über nachgiebigen Schiefer bis zu weichem Gesteinsmehl war alles dabei: Bedingungen, die unterschiedliche Bohrmethoden erfordern ­ auch was die Sicherung und Verfestigung betrifft. "Wechselnde Erdbeschaffenheit und den Druck von kilometerdickem Gestein kennen wir aus dem Bergbau nur zu gut", sagt Heisterkamp. "Diese Erfahrungen kamen beim Gotthard-Basistunnel zum Tragen."

Auf der Suche nach Lösungen schauten sich die Eidgenossen im Bergbau an der Ruhr um. Dabei entdeckten sie, dass ihnen am ehesten ein nachgiebiger Ringbogenausbau helfen würde, den Gotthard an seinen schwierigsten Stellen zu zähmen. Da GTA solche Maschinen baut, dauerte es nicht lange, bis die Schweizer auch in Hamminkeln vorbeikamen. Kurz darauf erhielt Heisterkamp den Auftrag für den teuersten Abschnitt. Die Niederrheiner entwickelten vier Streckenausbaumaschinen, die vier Jahre liefen und die Störungen im Gestein erfolgreich überwanden. "Sie kamen dort zum Einsatz, wo die bis zu zehn Meter durchmessenden Tunnelbohr-maschinen erdrückt oder verschüttet zu werden drohten", sagt Heisterkamp und verweist wieder auf die Parallelen zum Steinkohleabbau: 800 Meter tiefe Schächte wurden für den Zwischenangriff bei Sedrun ins Gotthardmassiv getrieben, 180 Querstollen ausgehoben, ein unterirdisches Labyrinth von 153,5 Kilometer Länge. Der Berg ­ ein löchriger Schweizer Käse.

Im Hamminkelner Gewerbegebiet an der A3 machen Arbeiter die nächsten Maschinen fit für einen neuen "hard rock", wie ihr Chef das zu bearbeitende Gestein nennt. Es ist eine archaische Umgebung aus Stahl, riesigen Schmierölfässern und monströsen Schraubenschlüsseln. Überwiegend per Handarbeit werden hier metallene Wesen erschaffen, die wie Technik-Saurier aus einem Science-Fiction-Film aussehen: kettenbetriebene Echsen mit Bohrrüssel, mehrgliedrige Greifarme, kopfüber hängende Rangierkatzen und auf Stelzen fahrende Schienenwagen. Der Form sind keine Grenzen gesetzt. Entscheidend ist, was der Kunde will.

Helmut Heisterkamp schaltet sich gern selbst in die Entwicklung ein ­ auch ohne 3D-Computer-Kenntnisse. "Ich habe noch am Zeichenbrett gelernt", sagt er. Heute muss der GTA-Chef vor allem Kaufmann sein, aber erst in der Welt des Löcherbohrens lebt Heisterkamp richtig auf. Im Bürotrakt grüßt er jetzt mit "Guten Morgen". Der Bergmannsgruß "Glück auf" klang irgendwie passender für ihn.