Neuland Land Bremen

Ein Heft über Bremen? Was soll darin denn stehen? Eine Geschichte über die Stadtmusikanten? Eine über den traurigen Niedergang der Werftenindustrie? Eine über die angeblich schlechteste Universität des Landes? Es stimmt, der Start war ein wenig zäh. Und vielleicht ist die Stimmung in der Autorenschaft gerade deshalb so extrem gekippt: Die anfängliche Skepsis wich nicht nur Erstaunen und Respekt – so mancher Kollege bewegte sich im Laufe seiner Recherchen an der Grenze zur Euphorie. So schön. So kreativ. So unaufgeregt. Die Menschen so begeisterungsfähig. Und was die alles schaffen!




Sie schaffen tatsächlich Erstaunliches in Bremen und Bremerhaven, den beiden Städten, die gemeinsam Deutschlands kleinstes Bundesland bilden. Sie verschiffen pro Jahr beispielsweise gut 2,1 Millionen Fahrzeuge – mehr als jeder andere maritime Standort in Europa. Sie verarbeiten Fisch, Kaffee, Kakao, Tee und Getreide, stellen Schokolade und Pralinen her, beschäftigen allein damit rund 9000 Menschen und setzen jedes Jahr fast vier Milliarden Euro um.

Sie konstruieren Bauteile für Ariane-Raketen, Materialtransporter für die Raumstation ISS und Satelliten für die Europäische Weltraumbehörde ESA – und bilden Deutschlands wichtigstes Zentrum für die bemannte Raumfahrt. Sie produzieren pro Jahr mehr als 300.000 Autos im zweitgrößten Mercedes-Werk der Welt. Sie rammen vor Bremerhaven riesige Tripoden ins Meer, errichten Offshore-Windparks und siedeln an der Küste ein quicklebendiges Industrie-Cluster an. Sie spielen in der Logistik ganz vorn mit, betreiben riesige Lagerhallen, organisieren Transportketten und verschiffen Tausende von Containern in alle Welt. Tatsächlich erwirtschaften die Menschen im Zwei-Städte-Staat über alle Industrien hinweg das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt des Landes.

Bremens Hochschulen genossen einen schlechten Ruf? Es ist Zeit, das alte Bild ein für allemal zu korrigieren. Heute betreiben die Hanseaten Deutschlands beste Hochschule für Logistik, eine internationale Privathochschule und eine von elf Exzellenz-Universitäten der Republik - die einzige im Norden. Mit dem Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften haben sie einen Wissenschaftsstandort von Weltruf aufgebaut. Bremer Professoren werben regelmäßig mehr als 90 Millionen Euro an Drittmitteln ein – Platz 3 im Bundesländervergleich, nach Berlin und Sachsen.

Richtig ist allerdings auch: Bremen hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung der Bundesrepublik, fast jedes dritte Kind lebt in Armut. Der Niedergang der Werften und der Strukturwandel der Vergangenheit haben tiefe Spuren in der Region hinterlassen und enorme Schulden angehäuft. Die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Kraft einerseits und Haushaltsdefizit andererseits wird die beiden Städte noch lange begleiten. Sorgen muss man sich um die Hanseaten trotzdem nicht, denn auch das ist typisch bremisch: Statt den Status quo zu beklagen, suchen sie vor Ort nach immer neuen Wegen aus der Misere – und schrecken dabei weder vor ehrgeizigen Zielen noch vor unkonventionellen Lösungen zurück.

Wer kann, packt mit an. Bremen ist Sitz von mehr als 300 Stiftungen, die Zahl der sozialen Projekte und Initiativen lässt sich kaum beziffern. Die Hanseaten lernen, musizieren, bauen, planen, entwickeln und schaffen miteinander. Zukunftssorgen? Nütz' ja nix. Oder um es mit Jan Böhmermann zu sagen, dem in Bremen geborenen Autor und Satiriker: „Echte Bremer haben keine Existenzangst. Existenzangst existiert nur außerhalb Bremens. Die Existenz Bremens ängstigt, zugegeben – nur eben nicht uns Bremer.“

Susanne Risch
Chefredakteurin