Bremer Max-Planck-Institut

Hier ist nicht viel los. Hier gibt es nichts, wovon sich gut leben ließe. Dachte man. Doch dann schaute man genauer hin. Und fand blühendes Leben. Am Meeresgrund der Tiefsee. Und in Bremen.




Was ist hier unten schon zu erwarten? 3000 Meter tief am Grunde des Atlantiks, irgendwo zwischen Karibik und Kapverdischen Inseln. Kein Lichtstrahl dringt bis hierhin durch. Der Druck ist so groß, als würde einem ein Elefant auf dem Kopf stehen. Kilometerweit nur öder Schlamm und Gesteinsbrocken, eine feuchte Wüste. Doch dann tauchen plötzlich Muscheln im Scheinwerferkegel des ferngesteuerten U-Boots auf, ein Teppich aus Hunderttausenden gelbbraunen Schalentieren, über den sogar ein paar Krebse wandern. Eine Oase des Lebens. Aber wovon existieren diese Muscheln, wo es doch kein Licht gibt, das Pflanzen oder Algen als Energiequelle dienen könnte, die ihrerseits Nahrung für Muscheln und andere Tiere wären? Wie konnte sich hier, wo es scheinbar nichts gibt, was Leben ermöglicht, ein Biotop entwickeln?

Was ist hier oben schon zu erwarten? 11,5 Meter über Normalnull, irgendwo zwischen Hamburg und Amsterdam. Selten fällt Licht statt Regen auf Bremen. Schulden lasten schwer auf jedem Bürger-Kopf. Kilometerweit nur Landwirtschaft und feuchte Wiesen. Doch dann finden sich plötzlich Zehntausende Forscher unterschiedlicher Couleur, die sich in der einzigen Exzellenz-Universität des Nordens tummeln, in einem Exzellenzcluster namens Marum, der privaten Jacobs University, dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung der Helmholtz-Gemeinschaft und in fast zwei Dutzend weiteren Einrichtungen außerhalb der Universitäten. Eine Oase der Forschung. Aber was tun diese Wissenschaftler in einem der ärmsten Bundesländer der Republik? Wie konnte sich hier, wo es bis 1971 nicht einmal eine Universität gab, ein so lebhaftes Forscher-Biotop entwickeln?

Am Anfang war der Wurm

„Die Antwort ist Symbiose“, sagt Nicole Dubilier. Und die Meeresbiologin und Gruppenleiterin am Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPI-MM) meint damit nicht nur die Überlebenstricks der Tiefseemuschel Bathymodiolus puteoserpentis, die sie seit Jahren erforscht. Auch den Erfolg der Bremer Wissenschaftslandschaft führt sie auf eine „Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen“ zurück. Die Symbioseforscherin weiß genau: Selbst unter widrigsten Ausgangsbedingungen kann Kooperation blühende Erfolge ermöglichen. Im Meer und an Land. „Für die Qualität meiner Arbeit ist es essenziell, hier in Bremen ein Teil dieser Verbindung aus verschiedenen Spitzeninstituten zu sein“, sagt die Deutschamerikanerin.

Dass in der Tiefsee autarkes Leben möglich ist, wissen Forscher erst seit Anfang der Siebzigerjahre. In der Nähe mehrerer hundert Grad heißer vulkanischer Quellen, sogenannter Schwarzer Raucher, entdecken sie Massen von Röhrenwürmern, die sich unmöglich allein von herabsinkenden Nährstoffen ernähren können. Bald findet man heraus, dass das Wasser aus den heißen Quellen je nach Standort mit vulkanischen Mineralien, Wasserstoff, Methan und dem nach faulem Ei stinkenden Schwefelwasserstoff (Sulfid) angereichert ist. Die Würmer beziehen aus dem Sulfid lebenswichtige Energie. Allerdings brauchen sie dazu symbiontische Bakterien, die sie in ihren Zellen beherbergen. Nur diese Bakterien sind imstande, den Schwefelwasserstoff in Energie umzuwandeln, mit der die Würmer organische Substanzen aus Kohlendioxid aufbauen können. Davon ernährt sich sowohl das Bakterium als auch der Wurm.

Wie interagieren Mensch und Darmbakterium?

Die klassische Symbiose: eine Zweckgemeinschaft zweier Organismen zum beiderseitigen Vorteil. Die Würmer bieten den Bakterien Schutz und filtern ihnen mit kiemenartigen Tentakeln einen steten Nachschub an Schwefelwasserstoff heran – die Bakterien bezahlen dafür mit Nährstoffen. Diese Symbiosen können so lukrativ sein, dass manche Würmer auf so etwas wie Mund, Magen und Darm verzichten, wie beispielsweise der mit dem Regenwurm verwandte Olavius algarvensis, der keinen Bissen frisst, aber dennoch prächtig gedeiht: vor Elba, im Sand der Bucht Capo Sant'Andrea, in bis zu acht Metern Wassertiefe. Der Wurm beherbergt nicht nur einen, sondern sogar zwei Typen von Bakterien. Einmal diejenigen, die Sulfid verarbeiten können. Daneben aber auch solche, die Sulfid aus Stoffen herstellen können, die im Sand vor Elba zu finden sind, was praktisch ist – dort gibt es nämlich keine heißen Sulfid-Quellen.

Das fand Nicole Dubilier 2001 heraus – ihr wissenschaftlicher Durchbruch. Inzwischen weiß sie, dass fünf Bakterienarten mit dem Wurm in Symbiose leben. Das ist faszinierende Grundlagenforschung, die sogar die Medizin interessiert. Schließlich lebt auch der Mensch in Symbiose mit zahllosen Bakterien – sie spielen nicht nur im menschlichen Darm bei der Verdauung eine wesentliche Rolle, sondern auch für das Reifen des Immunsystems. „Es ist wichtig, vergleichsweise einfache Systeme wie die in den Würmern zu untersuchen, damit wir irgendwann besser verstehen, wie unsere Darmbakterien mit uns interagieren“, sagt die Forscherin. Goldene Zeiten seien das gerade für die Symbiose-Forschung.

Die Entdeckung vor Elba hat Dubilier in der Wissenschaftslandschaft einen guten Ruf verschafft – und ihr unter den Kollegen einen Spitznamen eingetragen, der inzwischen sogar die Tür ihres Büros am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie ziert: „Nicole von Wurm“. Hierhin wollte die humorvolle, lebendig gestikulierende Forscherin unbedingt, schon als sie noch in Hamburg ihre Doktorarbeit schrieb und auch danach, als sie an die Harvard University nach Massachusetts ging. „Ich wollte das so sehr, dass ich mich damit abgefunden habe, dass mein erster Vertrag nur über drei Monate lief“, erzählt die geborene New Yorkerin, die als Teenager mit ihrer Familie nach Deutschland kam, in Wiesbaden zur Schule ging und sich in den Familienferien auf Fire Island vor New York für die Meeresbiologie entschied.

Ans Bremer Max-Planck-Institut zog sie – was sonst? – die Aussicht auf persönlich und beruflich bereichernde Symbiosen: Hier sollten die drei Abteilungen Mikrobiologie, Geochemie und Molekularbiologie eng zusammenarbeiten. Die Hoffnung hat sich erfüllt: „Es gibt kein anderes Institut für marine Mikrobiologie, das diese Breite an Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zusammenbringt.“ Und das nicht auf einer abstrakten Ebene, sondern ganz praktisch, so wie sie es sich wünschte.

Den Durchbruch vor Elba erzielte Dubilier nicht allein. Sie nennt ihre Abteilung schließlich nicht ohne Grund manchmal „die Symbionten“. Sie bat Geochemiker des MPI-MM um Hilfe, mit deren Methoden sie tatsächlich nachweisen konnte, dass die Bakterien in den Würmern das fehlende Sulfid produzieren. „Erst durch diese Zusammenarbeit kam die Forschung auf ein Niveau, das gut genug war für eine Veröffentlichung im Fachmagazin Nature“, sagt die Wissenschaftlerin.

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„Das Marum ist Teil eines der größten, international anerkannten, interdisziplinären Forschungsschwerpunkte im Hochschul- und außerhochschulischen Bereich.“
Aus dem Bundesbericht Forschung und Innovation

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„Nicole von Wurm“ macht es in Bremen ganz wie Wurm Olavius. Denn hier gibt es immer einen Symbionten, mit dem sie kooperieren und dadurch bessere Ergebnisse erzielen kann. Dass sie mittlerweile nicht mehr nur die seichten Gewässer vor Elba, sondern auch die Verbindungen von Organismen der Tiefsee erforschen kann, verdankt sie der Zusammenarbeit mit dem Marum, einem „umwerfend gut ausgestatteten“ meeresgeologischen Institut, kaum 300 Meter entfernt von Dubiliers Institut auf dem Bremer Universitätscampus. „Tiefseeforschung ist an ein Tauchboot gebunden“, sagt sie, und lange hatten nur Amerikaner, Japaner und Franzosen die Chance, tiefer als tausend Meter zu forschen. Die Exklusivität war eine Frage des Geldes: Ein einziges ferngesteuertes U-Boot (Remotely Operated Vehicle, ROV) kostet gut zwei Millionen Euro.

Inzwischen gibt es in Deutschland drei ROVs, zwei in Kiel, eines in Bremen. Die Tauchboote sind ständig auf See, wo sie von den deutschen Forschungsschiffen „Sonne“, „Merian“ und „Meteor“ über Hydrothermalquellen oder anderen Tiefseephänomenen abgesetzt werden. Dubilier und die anderen Wissenschaftler sitzen dann mit den Piloten des U-Boots in einem kleinen, dunklen Raum und beobachten konzentriert die Kamerabilder, die auf Bildschirme übertragen werden. Wenn das ROV über Muscheln oder Würmer „fliegt“, wie es heißt, instruiert Dubilier die Piloten, was sich die Greifarme angeln sollen. Sobald das U-Boot wieder an Bord ist, müssen die Forscher das Gesammelte sofort untersuchen, präparieren oder erste Experimente durchführen – mitunter bis spät in die Nacht. Pappbecher und Pillen gegen die Seekrankheit sind immer in Reichweite.

Solche „Ausfahrten“ dauern fünf bis sechs Wochen und werden oft monatelang vorbereitet. In dieser Zeit muss Dubilier mit ganz unterschiedlichen Spezialisten zusammenarbeiten – ein Aufwand, der sich rechnet. Sie und ihre Kollegen waren beispielsweise nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie das ROV mit einer Art Schmetterlingsnetz über die Felsen kratzte, um die Muschel-Proben einzusammeln. Also besprach sie vor der nächsten Ausfahrt mit den Technikern und Piloten am Marum, wie die Greifarme des U-Boots verbessert werden könnten. Ein paar Zehntausend Euro Reise- und Transportkosten investiert Dubilier, um bessere Messungen des Wassers zu ermöglichen, das aus den heißen Quellen schießt. „Bislang mussten wir die Proben immer erst nach oben schaffen, um sie auf dem Schiff zu messen“, erzählt sie. Doch das verfälschte die Ergebnisse. „Also habe ich die ROV-Piloten des Marum und einen Kollegen der Harvard University zusammengebracht, damit unser Tauchboot mit einem tiefseetauglichen Massenspektrometer ausgestattet wird.“

Der Zufall hilft – wenn die Basis stimmt

So wie sich Röhrenwürmer oder Tiefseemuscheln und Bakterien im Laufe der Evolution erst aneinander gewöhnen mussten, so brauchte auch Nicole Dubilier ein paar Jahre, um sich gegenüber Geologen, Geochemikern, Technikern und anderen Spezialisten verständlich zu machen. „Mein erster Vortrag am Marum war eine Katastrophe“, erzählt sie und lacht. Inzwischen hat sie mit den Kollegen die richtige Wellenlänge gefunden. Und das zahlt sich aus.

Auf einer der gemeinsamen Ausfahrten mit dem Forschungsschiff „Meteor“ zu den Hydrothermalquellen im Atlantik passierte, was in der Grundlagenforschung nur durch enge Zusammenarbeit möglich ist. Während Dubiliers Team auf See Muscheln und anderes Getier vom Meeresgrund untersuchte, analysierten einige Geochemiker ein Kajüten-Labor weiter gerade den Methan- und Wasserstoffgehalt der heißen Quellen. Dubilier hatte schon länger gewusst, dass die Wasserstoffkonzentration hier besonders hoch war und kam ins Grübeln. Die Tiefseemuscheln wären doch „blöde“, eine solche Energiequelle ungenutzt zu lassen, zumal bereits Bakterien bekannt waren, die Wasserstoff als Energiequelle nutzen können.

Also ging Dubilier nach nebenan und fragte: „Habt ihr Zeit, bei so einer Muschel nachzuschauen, ob sie eventuell Wasserstoff umsetzt?“ Und tatsächlich: Die Muscheln beherbergen auch Bakterien als Symbionten, die Wasserstoff als Energiequelle nutzen. Eine Sensation! Während an Land zahllose Ingenieure an mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen tüfteln, hat die Natur in der Tiefsee diese Energiequelle schon vor Millionen von Jahren anzuzapfen gelernt.

„Das war purer Zufall, völlig ungeplant“, gibt Dubilier gern zu. „Man geht auf das Schiff und plant seine Experimente eben mit dem, was man schon weiß.“ Doch man müsse offen sein für Neues, mit Gedanken herumspielen. Erst die enge Zusammenarbeit auf dem Schiff und das Wissen um die Arbeit der Kollegen hätten die neuen Erkenntnisse ermöglicht. Eingebracht hat die Schiffs-Symbiose Dubilier und ihren Kollegen eine Veröffentlichung in Nature – für Forscher eine Währung, die sie gegen Drittmittel eintauschen können: neue Planstellen für neue Forscher, neue Tauchboote und so weiter. Und das bringt letztlich die Entwicklung der gesamten Forschungslandschaft voran.

Die Summe der Drittmittel, die Bremer Professoren im Jahr 2010 allein für die Universität Bremen einwarben, belief sich auf 91 Millionen Euro, ein Drittel der Gesamtausgaben für Forschung. Damit landet das kleine Bundesland im Ländervergleich auf dem dritten Platz nach Berlin und Sachsen. Das ist keine Marginalie: „Die Höhe der Drittmittel ist ein Maß für den Erfolg der Hochschullehrer und -lehrerinnen, Forschungsmittel zu akquirieren, und kann gleichzeitig als Indikator für die Qualität der Forschung angesehen werden“, heißt es vom Statistischen Bundesamt.

Laut „Bundesbericht Forschung und Innovation“ ist der Wissenschaftsschwerpunkt Meereswissenschaften mit dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum) in der Universität Bremen „Teil eines der größten, international anerkannten, interdisziplinären Forschungsschwerpunkte im Hochschul- und außerhochschulischen Bereich“. Man könnte meinen, dass dieser Schwerpunkt auf der Hand liegt, angesichts der Lage am Meer, der Hanse-Tradition und der hübschen Kapitänshäuser aus dem vergangenen Jahrhundert. Doch einen Automatismus, der aus der Meeresverbundenheit Spitzen-Meeresforschung machen würde, gibt es nicht. Es seien immer Einzelpersonen, die solche Entwicklungen in Gang setzten, sagt Dubilier: „Wäre Gerold Wefer nicht nach Bremen gekommen, gäbe es das Marum nicht.“

Wer keinen Antrag stellt, kann nicht gewinnen

Der Geologe Gerold Wefer kam 1985 nach Bremen – an eine Universität, die noch gar keinen Fachbereich für Geowissenschaften hatte. Wefer war „dritte Wahl“, die zwei Kollegen vor ihm auf der Auswahlliste hatten den Ruf an die Uni mit dem seinerzeit wohl schlechtesten Ruf der Republik dankend abgelehnt. Damals stand sogar die Schließung der Hochschule im Raum, weil die anderen Bundesländer die Zuschüsse streichen wollten. Es war ungewiss, ob sich mit dem Kurswechsel von einer überwiegend geisteswissenschaftlich orientierten Reform-Uni zu einer mit mindestens 50 Prozent Naturwissenschaften ausgestatteten Universität etwas ändern würde.

Wefer sah vor allem die Chance, etwas Neues aufzubauen. Mit knappen Worten, die sich dem nahe Oldenburg geborenen bärtigen Norddeutschen nur mit einiger Mühe entlocken lassen, betont er, dass damals niemand ahnen oder hätte planen können, dass Bremen heute Standort einer international konkurrenzfähigen Meeresforschung sein würde. „Es gab keinen Strukturplan, in dem das als Ziel ausgewiesen gewesen wäre“, sagt er. „Trotzdem hatte ich durchaus eine Vorstellung davon, wie man das hier entwickeln könnte.“

In Kiel, wo er in den Siebzigerjahren promoviert hatte, hatte Wefer die fruchtbringende Zusammenarbeit mit anderen Forschungsdisziplinen und den Einsatz neuer Technologien schätzen gelernt. Er verlor keine Zeit, beides auch in Bremen zu fördern. Obwohl es in seinem Fachbereich kaum eine Handvoll Forscher gab, überzeugte Wefer die Kollegen, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 1991 den Sonderforschungsbereich „Der Südatlantik im Spätquartär“ zu beantragen. „Wer keinen Antrag stellt, kann auch nicht gewinnen“, sagt er heute lapidar. Die Neulinge bekamen den Zuschlag. Ein Traumstart für Wefers Team, denn Sonderforschungsbereiche garantieren eine Förderung von bis zu zwölf Jahren. Nur so seien „innovative, anspruchsvolle, aufwendige und langfristig konzipierte Forschungsvorhaben" möglich, schreibt dazu die DFG.

Der Erfolgreiche genießt - und schweigt

„Und dann ergab sich halt so eins nach dem anderen“, will Wefer spröde abkürzen, was eine in Deutschland wohl beispiellose Entwicklung einer Forschungslandschaft ist. Rund ein Jahrzehnt später öffnet sich nämlich ein zweiter Jackpot, als die DFG 2001 einen Teil der UMTS-Gelder in sechs Wissenschaftszentren investiert. Wefers Idee eines „Forschungszentrums Ozeanränder“, das die Interaktion von Meer und Küste untersuchen soll, wird aus 80 Anträgen ausgewählt und schon in den ersten vier Jahren bis zur Zwischenbegutachtung mit insgesamt 43 Millionen Mark gefördert. „Damals haben wir den Tiefseeroboter Quest gekauft, den auch Frau Dubilier viel benutzt hat“, kommentiert Wefer.

Als Bremen 2006 in der ersten Runde der Exzellenzinitiative gewinnt und eine meereswissenschaftliche Graduiertenschule einrichtet, in der Doktoranden sowohl forschen als auch ein spezielles Ausbildungsprogramm durchlaufen, horcht die Republik zum ersten Mal auf: „Die akademische Welt reibt sich die Augen“, schreibt der Spiegel ungläubig. „Bremen soll zur deutschen Ivy League gehören?“ Während andere sich noch wundern, landet der stille Wefer bereits seinen nächsten Coup: 2007 wird das Forschungszentrum, dessen Direktor er inzwischen ist, mit 7,5 Millionen Euro zum Exzellenzcluster Marum aufgewertet, um den „Ozean im System Erde“ zu untersuchen. Eine Förderung, die 2012 mit 39 Millionen Euro verlängert wurde, sodass Marum nun weitere fünf Jahre Tiefsee und Küstengewässer erforschen kann.

Alles kein Grund für den Geologen, öffentlich Champagner einzuschenken. „Ich freue mich lieber allein und im Stillen“, sagt Wefer. „Ich bin keiner, der rumhampelt.“ Mehr als ein Lächeln ist ihm deshalb auch nicht zu entlocken, als es im Gespräch darum geht, dass Marum mitgeholfen hat, die Universität zu einer der elf Exzellenz-Universitäten der Republik zu machen – die einzige im Norden. Das Prädikat ist mit 50 Millionen Euro verbunden.

Das Meer, die Stadt am Meer, der Mann vom Meer. So logisch der Dreiklang für die Reputation der Bremer Meereswissenschaften auch scheinen mag – Voraussetzung für all die Erfolge sind im Gutachtersystem der Wissenschaftsgemeinde allein die Forschungsergebnisse aus den Vorjahren. Die Erfolgswährung sind Veröffentlichungen, und Wefer hat rund 300 Forschungsarbeiten auf seinem Konto. Sie sind Zeugnis von mehr als 30 Expeditionen, bei denen er mit an Bord war, zuletzt 2012 auf dem Forschungsschiff „Sonne“ vor Japan, wo er – wie immer – auch selbst mit angepackt und Bohrkerne mit Proben vom Meeresgrund über das Schiff geschleppt hat.

Das ist wichtig. Denn es ist das Wissen aus eigener Anschauung, das die Forscher am Marum, an der Universität, am MPI und den anderen Instituten brauchen, um erstklassige Forschung auf die Beine zu stellen. Deshalb wird das Geld in Bremen auch für forschungsnahe Zwecke eingesetzt, etwa für Tauchboote und Bohrapparaturen. Neue Maschinen hat Wefer längst beantragt.

Glück lässt sich auch erzwingen

Dabei denkt der Geologe durchaus strategisch. Seine Projekte waren von Anfang an auf Zusammenarbeit ausgelegt, Symbiose, wenn man so will. So sind am Marum nicht nur Fachbereiche der Universität beteiligt, sondern auch das 1983 gegründete Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, an dem Nicole Dubilier forscht, das Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen, die Jacobs University Bremen und das Forschungsinstitut Senckenberg in Wilhelmshaven. Das Marum mit einem riesigen Kühlschrank auszustatten, wie es Wefer tat, einer Halle auf Meeresgrund-Temperatur, in der Bohrkerne des internationalen Integrated Ocean Drilling Programms IODP lagern, klingt zunächst vielleicht nicht nach einer bahnbrechenden Idee. Weil es aber das einzige Lager außerhalb der USA und Japans ist, müssen alle Wissenschaftler, die mit Sedimenten aus dem Atlantik, dem Arktischen Ozean, dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer forschen, nach Bremen kommen – und lernen dabei Studenten und Forschungsmöglichkeiten kennen. Ein erster kluger Schritt für langfristige Kooperationen.

Anfang November 2012 hat Wefer, nach 27 Jahren Aufbauarbeit in Bremen, die Führung an Michael Schulz übergeben. Gefragt, was ihm und der Universität eine solche Entwicklung ermöglicht hat, zuckt er nur mit den Schultern, denkt kurz nach, sagt dann: „Wir haben hier flache Hierarchien. Man hat nicht Autorität von Amts wegen, sondern muss sie sich erarbeiten.“ Klar, Glück sei irgendwie auch nötig gewesen. „Aber das kann man auch erzwingen“, findet Wefer. Das Offensichtliche sagt er nicht: So ein Erfolg wird von Personen gemacht. Er sagt: „Das Zusammenarbeiten ist bei uns vielleicht auch einfacher, weil wir alle mit zwanzig Leuten auf ein Schiff gehen und dann vier Wochen miteinander verbringen.“

Erfolg ist anziehend

Man könnte Wefer, Dubilier & Co. vorwerfen, dass ihre Grundlagenforschung in der Tiefsee teuer ist, aber keine Biotech-Firmen, neuen Technologien, lukrativen Patente oder sonstigen bilanzierbaren Werte hervorbringt. Nur 149 Patentanmeldungen kamen 2011 in ganz Bremen zusammen, in Bayern waren es 13 340. Und wenn es einmal etwas zu vermarkten gibt, seufzt Wefer, ein einzigartiges Bohrgerät für die Tiefsee zum Beispiel, dann sitzt die einzige Firma, die sich für die Entwicklung und Vermarktung der Technik interessiert, nicht in Bremen, sondern in Bayern.

Aber in erster Linie sei die Universität eine Lehranstalt. „Wenn wir hier gute Forschung machen, erzielt man einen Gewinn.“ Doch der lässt sich eben nicht so einfach messen. „Wir beschäftigen über Drittmittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und anderen Förderinstitutionen allein am Marum 220 Mitarbeiter“, sagt Wefer. „Diese Forscher leben in Bremen und zahlen hier Steuern.“ Außerdem bringe die Forschung junge Leute in die Stadt und wirke so gegen den demografischen Wandel.

Heute jedenfalls. Am Anfang sei es gar nicht leicht gewesen, Wissenschaftler und Studenten in den Norden zu locken, sagt Nicole Dubilier. „Universitäten wie die in Berlin kannte man international, Dresden vielleicht noch, aber Bremen war nicht auf dem Radar.“ Dabei fänden alle Bremen attraktiv, wenn sie erst einmal hier lebten. „Nun gut, das Wetter. Da kann man nichts machen“, schränkt sie ein. Aber die überschaubare Größe, die schmucke Innenstadt mit den netten Kneipen, die bezahlbaren Wohnungen. „Und es gibt hier eine internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler.“

Tatsächlich gehört Bremen neben Berlin und dem Saarland inzwischen zu den Bundesländern, die laut Statistischem Bundesamt „die stärkste Anziehungskraft auf bildungsausländische Studierende ausüben“: 11,5 Prozent der Studenten in Bremen stammen aus dem Ausland, in Berlin sind es 13 Prozent. Von den Bremer Absolventen haben sogar 14 Prozent einen ausländischen Pass – der Bundesdurchschnitt liegt bei 7,6 Prozent.

Nicole Dubilier wird von hier aus weiter nach den Symbiosen auf dem Meeresgrund fahnden. Langsam begreife der Mensch, wie wichtig das Zusammenwirken verschiedener Lebensformen sei, sagt sie. Wohin man auch schaue, in den Boden, auf Bäume, in den eigenen Körper, alles sei durchdrungen von Symbiosen. Glückliches Bremen. ---