Mia san mia!

12,8 Millionen Übernachtungen, 19000 Arbeitsplätze, rund 1,2 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die Urlaubsindustrie in Niederbayern ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Und sie hat es nicht leicht: Im Tourismus prallen bis heute Marketing und Mentalität aufeinander. Ein Besuch vor Ort.




Im türkischen Hamam in Bad Griesbach, umwabert von Dampf, schöpft Alois Brunnhuber mit der Aluminiumschüssel Wasser aus dem Steinbecken. Erst begießt er sich, dann schüttet er seiner Frau eine Ladung über den Busen. Beide haben ein Tuch um die Hüften, sonst nichts. Ein Luxustag. Gewöhnungsbedürftig, immer noch. "Wir sind ja ganz anders aufgewachsen", erklärt Lieselotte Brunnhuber ­ und meint: So schön es auch ist, es bleibt kompliziert. Öffentliches Nacktsein, Wellness, Nichts- tun, Golf, Genuss, "das ganze moderne Zeug", kurzum: all das, was sich in den vergangenen Jahren vor ihrer Nase ausgebreitet hat, ist den Brunnhubers im Grunde suspekt.

Alois Brunnhuber, 52, und seine Frau Lieselotte, 49, er Schreiner, sie Krankenschwester, sind im Rottal aufgewachsen, sie leben bei Pfarrkirchen, aber etwa alle drei Monate kann man sie in Bad Griesbach treffen. Wenn Lieselotte die Perspektive ihrer 82-jährigen Mutter einnimmt, und das ist der Blickwinkel vieler Menschen vor Ort, dann ist das, was hier stattfindet, ziemlich nah am Frevel. Die Mutter arbeitet auf einem Hof bei Pfarrkirchen mit, da, wo auch die Tochter aufwuchs. In direkter Nachbarschaft zum Hof der berühmt gewordenen Bäuerin Anna Wimschneider, die über die bittere Armut ihrer Kindheit das später verfilmte Erinnerungs-Buch "Herbstmilch" schrieb.

Die Tugenden, mit denen die Menschen hier groß wurden, hießen: Sparen, Beten, Arbeiten. Irgendwann gab es die Kurbäder und die Kurgäste ­ mit beidem hatte man schon in 20 Kilometern Entfernung rein gar nichts zu tun. Wie auch? Die Gäste bewegten sich nicht aus dem Hotel in die Umgebung. Die Leute aus der Umgebung fuhren nicht zur Kur. "Die Einstellung sitzt tief in einem drin", sagt Lieselotte Brunnhuber, "es dauert, bis man sich davon lösen kann." Die Brunnhubers versuchen das, seit ein paar Jahren schon. Man darf es sich auch ab und zu gut gehen lassen, sagt er. Nicht zu oft halt, findet sie.

Schön ­ aber schrumpfend

Das Rottal, in dem Bad Griesbach, Bad Birnbach und Bad Füssing liegen, ist Bauernland. Beim Durchfahren wirkt es, als hätte die moderne Zeit diesen Landstrich einfach ausgelassen. Die Straßen schrauben sich mit abenteuerlichen Kurven und Kuppen durch Orte, die Kerwisching, Haböd oder Mehlsteibl heißen, die Gehöfte sind in die Wiesen gesprenkelt, als hätte eine Riesenhand einen Farbpinsel geschüttelt; weiß und behäbig breiten sie sich aus, die meisten, das ist ihrem gepflegten Zustand anzusehen, sind noch bewirtschaftet. Es ist ein schönes Land, ein unaufdringliches, sanftes Kaum-Touristen-Land immer noch, daran ändern die vielen Radwege nichts, die sich an Inn, Isar, Vils und Donau entlangziehen, die laut klackenden Nordic Walker nicht und auch nicht die Golfspieler, deren rapide Vermehrung dafür sorgt, dass hier, im Rottal, inzwischen mehr als tausend fußballfeldgroße Flächen in dichtrasige, rasierte Greens umgewandelt wurden, auf denen weiße Wimpel im Wind flattern.

Niederbayern zählt zu den wichtigsten Urlaubsregionen in Deutschland. Die Zahlen belegen das ­ und suggerieren ein bis in die hintersten Winkel erschlossenes Feriengebiet. Allein im Bayerischen Wald wurden im vergangenen Jahr 7,1 Millionen Betten gebucht, dazu addieren sich 5,7 Millionen Übernachtungen hier im bayerischen Golf- und Thermenland, vor allem im Drei-Kilometer-Radius um die Bäderorte. Das ist viel, aber insgesamt immerhin eine Million weniger als noch vor gut zehn Jahren und vielleicht nicht genug, um sich auf Dauer positionieren zu können. Befürchten die Tourismus-Experten. Schließlich ist der Wettbewerb stark, besonders in den Bäderregionen, die seit der letzten Gesundheitsreform landauf, landab um Besucher buhlen. Auch im niederbayerischen Dreibädereck.

Die Zeit der Thermalbad-Besuche auf Rezept ist endgültig vorbei. Heute bleiben die Gäste im Schnitt keine drei Wochen mehr, sondern nur noch fünf Tage, Tendenz abnehmend. Kurz-Trips sind gefragt. Und Ideen, wenn die Umsätze gehalten werden sollen. Für einen Gast von einst, das ist die Faustformel der örtlichen Kurdirektoren, müssen jetzt vier Gäste anreisen. Heißt: gewonnen werden. Man muss die Privatzahler erreichen. Aus Deutschland, aus dem nahen München, aus der Region. Und man muss ihnen etwas bieten. Doch die Einheimischen tun sich schwer mit dem Luxus, und die begehrte Klientel von auswärts ist einer Flut von Angeboten ausgesetzt. Der moderne Urlauber ist kritisch. Wählerisch. Er vergleicht im Internet. Wenn ihm etwas nicht gefällt, wandert er weiter. Nach Bad Wörishofen oder Bad Kissingen. Oder gleich nach Dubai. Das Tourismusgeschäft ist hart geworden, Hoteliers und Kurdirektoren beobachten die Entwicklung mit Sorge. Der große Rest des Rottals nicht. Das ist das Problem.

Schon der erste Versuch der Marketing-leute, die Region besser zu verkaufen, prallt an den Einheimischen ab. Weil Niederbayern in den Ohren der Tourismus-Manager klingt, als wäre Niederbayern Oberbayern unterlegen, schreiben sie in die Prospekte inzwischen "Ostbayern", und das, was in Ostbayern nicht zum Bayerischen Wald oder zur Oberpfalz gehört, wird als bayerisches Golf- und Thermenland oder als "Bayerische Toskana" angepriesen. Ein gebürtiger Rottaler wie Alois Brunnhuber tippt sich an die Stirn, wenn er das hört. "Toskana? Ostbayern? So einSchmarrn!", ruft er, während er sich die Füße schrubbt. "Mia san mia! Niederbayern."

Diese Einstellung ist es, die der Betrachter je nach Standpunkt mal selbstbewusst und mal dickschädelig nennt, die es aber zweifellos allen schwer macht, die sich um neue Gäste bemühen, weil sie die Gegend touristisch attraktiver und zukunftsfest machen wollen.

Erwin Rückerl und Anja Horn, er Oberpfälzer, sie Fränkin, sprechen aus Erfahrung. Sie wollten die Region um ein attraktives Ziel reicher machen ­ und sich außerdem einen Traum verwirklichen. Elf Kilometer von Bad Birnbach entfernt, mitten in dieser unlackierten, rauen Gegend, hat Rückerl 1991 einen verfallenen Dreiseithof gekauft und behutsam renoviert, um dort Kochkurse zu geben ­ italienische Gourmet-Küche. Eine touristische Besonderheit, weit entfernt von bayerischer Urigkeit oder 0815-Luxus: Das Hotel Hofgut Hafnerleiten ist ein Ensemble aus Natur und Architektur, aus Hotel und Kochschule, aus Tagungsort und Familien-Pension. Die maximal 18 Gäste übernachten in sechs individuellen Häuslein, darunter ein Baumhaus, ein Hanghaus und ein Bootshaus ­ alles schön anzuschauen, alles sehr stilvoll, alles für niederbayerische Verhältnisse teuer: 135 Euro kos-tet die Übernachtung mit Halbpension pro Person. Das Angebot ist das Ergebnis eines zähen Ringens.

Der Weg von der Idee bis zur Realität war mühsam, erzählen die Gastgeber am Frühstückstisch, die Marmelade ist selbst gekocht, im Milchschaum der Cappuccini ein perfekt gezogenes Herz. Schnickschnack für die Bauern in der Nachbarschaft, das alles. Was sollte das? Ein Hotel auf bisher rein landwirtschaftlich genutzter Fläche wollte keiner haben. Da konnten die Zugereisten noch so lange argumentieren, sie würden mit ihrer Idee doch Leute in die Gegend ziehen, die ihr Geld auch in anderen Gaststätten, in Drogerien und im Thermalbad lassen. Hat alles nichts genutzt. Erst sechs Jahre nach dem Start wurden die Häuschen missmutig genehmigt. Nicht, weil die Idee überzeugte. Dem Gemeinderat gingen die Gegenargumente aus.

Inzwischen ist das Hofgut fast immer ausgebucht, die Gäste kommen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, Magazine von Schöner Wohnen bis Emotion haben darüber berichtet, der Bund Deutscher Architekten verlieh dem Hotel 2006 gar gleich zwei erste Preise, darunter den Publikumspreis der Süddeutschen Zeitung. Erwin Rückerl würde gern ein weiteres Grundstück kaufen und ein Seminarhaus draufstellen. Ob das gelingt, ist fraglich.

Der Koch weiß das, es macht ihn wütend, und er wundert sich bis heute darüber, dass die Nachbarschaft nicht erkennen mag, dass Bewahren und Modernisieren einander nicht ausschließen. Dass die Bauern selbst an unbewirtschafteten Flächen festhalten, statt sich Alternativen zu öffnen. Und dass Österreich und Oberbayern dabei sind, ihnen den Rang abzulaufen. Touristisch seien ihnen die Anrainer um Längen voraus, findet das Hofgut-Paar und hält das für gefährlich: "Dort ist der Gast König", meint Anja Horn. Und dieses Gefühl wünsche sich doch jeder zahlende Gast.

Freundlich ­ aber nicht servil

Der Niederbayer ist nun aber mal kein Königsdiener, das lernt der Reisende immer wieder auf seiner Tour abseits der gängigen Besucher-Routen. Er ist freundlich zu Fremden, das schon. Aber aus Marketingsicht ist er, nun ja, sagen wir: spröde. Er verkauft sich nicht. Beim Streifzug durch die Gegend fällt hier und da zwar eine blau-weiße Fahne vor einem Gasthaus auf, die schnörkellose Botschaft "Fahrradschuppen vorhanden" oder ein Schild an der Hauswand, das von freien Zimmern oder gar "Sauna/Wellness" kündet.

Ein Wegweiser an der Straße weist in Richtung Einfamilienhaus mit Koniferen-Vorgarten: "Geschenkartikel und Schnaps". Doch das ist nicht untypisch: Am Samstagvormittag um elf Uhr ist der Laden geschlossen. Der Vater der Besitzerin, der nebenan im Garten herumstochert, brummt so herzlich wie desinteressiert: "Kommen Sie halt am Montag wieder, die Tochter ist beim Einkaufen und wird nicht so schnell zurück sein." Das Argument des Kunden, Montag sei er nicht mehr da, beeindruckt den Alten wenig: "Versuchen Sie es halt nächstes Jahr!"

Der Drogeriemarkt einen Ort weiter hat geöffnet, dem Touristen sonderlich zugeneigt ist die Kassiererin allerdings auch nicht. Die Frage, was es in der Gegend anzuschauen lohnt, kommentiert sie mit einem Schulterzucken. "Die Kirche in Sammarei vielleicht?", meint sie dann und schiebt vorsichtshalber hinterher: Wie man dahinkomme, dürfe man sie aber, bitte schön, nicht fragen.

Tatsächlich ist die Wallfahrtskirche "Maria Himmelfahrt" nicht schwer zu finden. Sie zählt neben der Asamkirche in Aldersbach und dem ehemaligen Zisterzienserkloster in Fürstenzell zu den herausragenden Schönheiten im Rottal und ist in jeder Touristenkarte vermerkt. Ockergelb ragt das mittelalterliche Kirchlein in den blauen Himmel, auf der Wiese hat sich ein Schwarm Möwen niedergelassen. An einem Tag ohne Wallfahrt ist kein einziger Tourist da, der zur berühmten Votivtafel-Sammlung spaziert. Nur ein paar alte Frauen und Männer vor der Tür schauen neugierig. Ob man gegenüber, im Wirtshaus "Sammareier Hof", gut essen kann, wissen sie nicht. Sie sind nie da gewesen.

Cornelia Bachmeier ist die Chefin dort, vor einem Jahr hat sie das Haus übernommen, davor arbeitete sie im Büro. Früher hat sie in der Kirche immer die Gottesdienste mit vorbereitet. Seit sie von ihrem Mann getrennt lebt, traut sie sich nicht mehr nach drüben, in die Kapelle. Vom Fremdenverkehr habe sie keine Ahnung, erzählt die 42-Jährige, während sie ein großes Stück Kuchen und einen Becher Kaffee serviert, aber sie mag Menschen. Wie sehr sie sich wünschen würde, dass die Niederbayern ein wenig mehr mit der Zeit gingen, es den Besuchern leichter machten. Und dass ihre Wirtschaft in Schwung komme, sodass sie und die Tochter davon leben können. "Das war jetzt nett", sagt sie zum Abschied. Und will sich Kaffee und Kuchen auf keinen Fall bezahlen lassen. Wie sich das Geschäft je lohnen soll, wenn sie ihre Gäste aushält? Das passt schon, meint sie. So weit komme es noch. Vom Geld lasse sie sich noch lange nicht alles diktieren.

Diktieren funktioniert vor Ort grundsätzlich nicht. Egal, wer es versucht, egal, zu welchem Thema. Wer die Region touristisch entwickeln will, braucht gute Argumente ­ und einen langen Atem. Es hat ja auch sehr lange funktioniert, die deutsche Gesundheitspolitik passte zur niederbayerischen Mentalität wie der Knödel zur Schweinshaxe. Die Kurgäste wurden von den Kankenkassen regelmäßig geschickt, und besonders anspruchsvoll waren sie nicht. Das ging gut, bis die Reformen ins Kurland schwappten.

Treu ­ aber sparsam

Seitdem ist auch in den Bäderorten ein harter Kampf um die Urlauber entbrannt, über die Landesgrenzen hinaus, aber auch innerhalb der Region, in der sich die einzelnen Kurbetriebe übertrumpfen. Bad Griesbach hat sein türkisches Hamam, aus Bad Birnbach, das sich als "ländliches Bad" versteht, ist ein FKK-Paradies geworden, Bad Füssing, eines der bekanntesten deutschen Kurbäder, renoviert und renoviert und hat in den vergangenen 15 Jahren 125 Millionen Euro ausgegeben.

Die Europa Therme ist das Schmuckstück dort, ein Becken liegt dicht am anderen, kaum sonst irgendwo kann man bei 39 Grad baden. Besonders beliebt ist das Schwefelbad, das angeblich fast alles lindert, was der Mensch an Beschwerden haben kann. Das Schwefelwasser blubbert im Abendlicht in geleeartigem Froschgrün, fast nur ältere Herrschaften mit roten, entspannten Gesichtern räkeln sich darin.

Unter ihnen Rudolf und Gertrud Stöhr aus Limburg an der Lahn, 75 und 72 Jahre alt, die typischen Kurgäste, die gern kommen, jedes Jahr; die beiden halten Bad Füssing schon lange die Treue. Leider lassen sie nur wenig Geld da. Rudolf Stöhr hat bis zur Pensionierung unter Tage gearbeitet, die Rente ist knapp, Gott sei Dank bekommen er und seine Frau noch immer einen Zuschuss von der Kasse. Auch deshalb lieben sie die Erholung hier: Niederbayern ist so billig. Diesmal hat Rudolf Stöhr extra sechs Wochen mit dem Friseurtermin gewartet. Zu Hause in Limburg bezahlt er für den Haarschnitt 14 Euro, in Bad Füssing nur acht.

Das alte Image, Hauptsache billig, hält sich hartnäckig, die Region ist nicht unschuldig daran, sie hat es lange gepflegt. Aber ein Image lässt sich auch drehen, die Tourismus-Manager werden nicht müde, das zu erklären, und sie haben den Beweis dafür auch direkt vor der Tür. Der Bayerische Wald hat es vorgemacht. Noch bis Mitte der neunziger Jahre stand der Besucher-Magnet in dem Ruf, vor allem günstige Erholung zu bieten. Dann haben sich die Orte zusammen-geschlossen, ein Konzept entwickelt. Sie vermarkten sich seitdem mit Zertifikaten als gesund, modern und familienfreundlich und haben die Gästezahlen erst gesteigert, dann stabilisiert.

Der Bayerische Wald ist auf dem richtigen Kurs, findet der Geschäftsführer des "Centrums für marktorientierte Tourismusforschung" an der Uni Passau. Auch die Thermalbäder selbst, meint Günther Hribek, hätten die Zeichen der Zeit erkannt, bieten sie ihrem Publikum doch immer neue Attraktionen. Die weitere Bilanz? Diplomatisch: "Im Zwischenland gibt es noch Potenzial, das brachliegt." Hier habe der Tourismusverband zwar ein Netz an bestens ausgeschilderten Rad- und Wanderwegen geschaffen, an den Flüssen und quer durchs Hügelland. Aber es mangele an vielen kleinen Innovationen und Annehmlichkeiten, die dem Gast den Aufenthalt versüßen ­ oder begehrte Zielgruppen wie den Freizeitsportler erst locken. Bring- und Holservice für Fahrradfahrer, Extra-Sportler-Frühstück, Lunch-Pakete statt Abendessen im Gasthof, gute Kenntnis über schöne Ausflugsziele: Es sind Ansätze wie diese, die Hribek vermisst und die er gern in den Rottaler Köpfen verankern würde.

Aus der Sicht von Politik und Wirtschaft fehlt eine gemeinsame Idee. Die Junge Union in Niederbayern hat kürzlich darüber beraten, wie sich die Dörfer und Städtchen wirkungsvoll verbinden könnten. Die Tourismus-Manager denken angestrengt darüber nach, wie man aus den drei Bädern mit Land drum herum ein Touristenland machen könnte, in dem es auch drei Bäder gibt.

Noch größer denkt Alois Hartl, der für Überlegungen im großen Stil weit über die Region hinaus bekannt und deshalb in der Region nicht unumstritten ist. Hartl ist gern zum Gespräch bereit, er hat viel zu sagen aber nicht viel Zeit, die Golfsaison beginnt, illustre Gäste kommen, er muss raus, auf die Plätze.

Man trifft sich im "Schlössl", einem seiner Gästehäuser mitten im Golfgelände. Er hätte auch woandershin einladen können, etwa ins Hotel "Maximilian", eines von zwei Fünf-Sterne-Häusern in der Region, 2500 Quadratmeter Wellness-Bereich, von Kleopatra-Massage bis zum Bad in Schokolade alles zu haben: 129,50 Euro pro Nacht und Person mit Halbpension. Das Maximilian thront hoch über Bad Griesbach in einem am Reißbrett entworfenen, auf italienisch getrimmten Städtchen. Eine Urlaubs-Bilderbuchkulisse ­ ihr Schöpfer: Alois Hartl, der wirkungsvollste Visionär in der Gegend.

Anstrengend ­ aber erfolgreich

Hartl ist gebürtiger Bad Griesbacher, ein großer, kräftiger Mann, er trägt Trachtenjanker, ist immer im Job und in Bewegung. Dem Gast, der ihn gerade ehrfürchtig grüßt, schmettert er zu: "Bleiben Sie uns treu!" Vor rund 40 Jahren hat er den Startschuss dafür gegeben, dass sich das fade Griesbach zum noblen Kur- und Badeort entwickelt hat. Auch damals war man skeptisch ­ vor allem, weil der vorgesehene Hauptfinanzier, Eduard Zwick, inzwischen verstorbener "Bäderkönig" von Bad Füssing, nicht mitmachen wollte.

Alois, selbstbewusster Bürgermeistersohn und damals 25 Jahre alt, scherte das wenig. Er lieh sich Geld, er ließ in die Tiefe bohren, das Thermalwasser sprudelte. Hartl baute Hotels wie ein Monopoly-Spieler und wurde reich. Als sich das Kur-Drama abzuzeichnen begann und die Konkurrenz noch kneippte, setzte er auf Golf. Die große Welt kam ins Rottal, Franz Beckenbauer, Boris Becker, Günter Netzer. Inzwischen liegen Golfplätze um Bad Griesbach wie ein breiter grüner Schal ­ und Hartls Hotels sind vor allem wegen des Sports, weniger wegen des Thermalwassers und trotz der Kurkrise gut belegt. Die ganze Region schmückt sich inzwischen mit seinem Werk: Bad Griesbach ist das größte Golfzentrum Europas.

In Hartls Kopf jedoch arbeitet längst die nächste Idee. Wieder liegt er mit den Gemeinderäten im Clinch, wieder ist er den meisten zu schnell; während er davon redet, treten ihm ein paar Schweißtröpfchen auf die Stirn. Griesbach muss jünger werden! Ganz Niederbayern ist zu alt! Das ist sein Credo. Hartl will den Ferienclub "Aldiana" nach Griesbach holen, sein Großhotel "König Ludwig" mit sieben Millionen Euro zum Kinder-Clubhotel umbauen. Er hat Kontakt zu Peter Maffay ­ mit dem würde er gern im Griesbacher Forst ein "Tabaluga-Land" gründen, ein buntes Spieleland, seit Monaten beackert er die Gemeinde. Wie es ihn ärgert, dass seine Landsleute nicht erkennen, welche Chancen die Region in Sachen Tourismus noch hat ­ und welche eben nicht mehr mit Blick auf Kleinbäuerei und Kuren.

Aber er kennt das ja schon, damals war es nicht anders. So viel Überzeugungsarbeit war nötig, als er anfing mit dem Golf. 240 Bauern hat er seinerzeit zusammengetrommelt, deren Land er kaufen wollte. Er hat ihnen sein Konzept vorgetragen, Fotos von prachtvollen Golfregionen gezeigt. Er hat argumentiert, debattiert und gestritten. Die Männer zweifelten, zögerten lange. Am Ende hat er sie weich geklopft, der eine oder andere golft inzwischen sogar. Alles eine Frage des Geldes, sagt der Unternehmer. Und der Geduld. Oder des niederbayerischen Dickschädels. Den hat Alois Hartl nämlich auch.