Liebesgrüße aus der Großstadt

Ali Mitgutsch, 72, bewohnte 35 Jahre lang einen alten Bauernhof in Niederbayern, den er in seinem Bilderbuch "Auf dem Lande" sogar verewigte. Der Zeichner und Illustrator wurde weltberühmt mit seinen anarchischen Wimmelbüchern, von denen das erste, "Rundherum in meiner Stadt", 1968 erschien. Fast sechs Millionen Kinderbücher hat Mitgutsch seitdem verkauft. Vor drei Jahren, nach dem zweiten Bandscheibenvorfall, zog er wieder in die Stadt, nach München, wo er mit seiner Lebensgefährtin lebt.


1969 zog ich nach Niederbayern, aus dem Oberbayerischen. Zuerst habe ich die Berge vermisst. Aber das hat sich schnell gelegt. Die Landschaft hier ist urwüchsig, nicht so lieblich wie in Oberbayern. Wenn der Herbst kommt mit seinem Nebel und im Winter der Schnee, sind Sie manchmal geradezu menschlich bewegt von der Umgebung. Bei einem Spaziergang im Nebel war ich einmal zu Tränen gerührt. Ich dachte, ich sei der einzige Mensch auf der ganzen Welt.

Die Menschen sind einfach, gerade und direkt. Als Fremder sind Sie hier kein Verdruss auslösendes Objekt, sondern Sie bringen das Neue mit. Eines Tages kam ich in die Kirche. Da sprach mich der Leiter des Chors an: "Sie! Sie haben doch sicher eine starke Stimme." Ich sagte, dass ich überhaupt nicht singen kann. "Egal!", meinte er, "teilnehmen ist besser als siegen." Und so kam es, dass ich jeden Sonntag in die Kirche ging und im Kirchenchor sang. Da standen wir dann beieinander und sangen: ein paar Bäuerinnen, der Lehrer, ein Bauernsohn und ich.

Natürlich vermisse ich die Zeit. Aber irgendwann löst sich die Familie auf, die Kinder sind in alle Welt verstreut. Da wird so ein Riesenhof einfach zu viel. Aber richtig allein sind Sie auf einem alten Hof ja nie. Am Abend bekommt so ein Holzhaus viele Stimmen. Wenn ich heute an die Zeit denke, dann hängt das Echo von all den Dingen in der Luft, den schönen wie den tragischen. Jedes Jahr haben wir zu Silvester eine große Puppe verbrannt. Und dann haben wir eine kleine Puppe vom Feuer ins Haus zurückgetragen. Niederbayern ist meine Liebe. Und die ist deswegen so stark, weil ich dort nicht geboren wurde.