Leuchtturm am Inn

Geplant war die Universität Passau in den siebziger Jahren als Ausbildungsstätte für Niederbayerns Lehrer. Berühmt wurde sie als Nachwuchsschmiede für die Wirtschaft weit über Bayerns Grenzen hinaus. Wie entwickelt eine Provinz-Hochschule solche Strahlkraft?




Modern ist anders. Die Fürstbischöf- liche Residenz atmet barocke Pracht: Das Treppenhaus voller Putten, Stuck und Gold, die Räume im zweiten Stock mit Antiquitäten vollgestellt. Vorsichtig betritt Karl August Friedrichs den Raum am Ende des Flurs. Das Parkett knarrt. "Hier sind die Grundlagen der Universität gelegt worden", sagt er. Friedrichs war ihr erster Kanzler, der Raum ­ einst das Schlafzimmer des Bischofs ­ diente ihm als Büro.

Hier, mitten im Prunk alter Zeiten, ging 1978 die jüngste Universität Bayerns an den Start. Eigentlich als Regionalhochschule in der Provinz geplant, entwickelte sie sich überraschend schnell zum Magneten für Studenten aus der ganzen Republik und dem Ausland. Mit innovativen Studienangeboten, zupackendem Personal und praxisorientierter Lehre machte sich die kleine Hochschule mit fünf Fakultäten und rund 8200 Studenten rasch einen großen Namen. "Passau hat sich vom Geheimtipp in die zweite Liga hochgearbeitet ­ gleich hinter den Traditionshochburgen wie Köln, Mannheim, München oder Münster", sagt Jens Ohle, Vorstand beim Kölner Recrui- ting-Dienstleister Access.

Die Institution an der Grenze zu Österreich und Tschechien punktet besonders mit ihrer internationalen Ausrichtung. Passau ist mit rund 150 Partneruniversitäten weltweit vernetzt und bietet fachspezifische Fremdsprachenausbildungen für Wirtschaftswissenschaftler und Juristen. Der Studiengang Kulturwirtschaft ­ ein Mix aus Betriebswirtschaftslehre, Fremdsprachen und Kulturraumkunde ­ wurde zu einem weiteren Markenzeichen.

Anfang der Siebziger, in der Gründungs- phase, war so ein Aufstieg unvorstellbar. Auch für Walter Schweitzer, einen der ersten Passauer Professoren. Inzwischen ist er Universitätspräsident. Er sitzt in Raum 309, Innstraße 41, einem seelenlosen Zweckbau der Universitätsverwaltung. "Nach außen haben wir damals so getan, als liefe alles nach Plan. Aber beim abendlichen Bier sah das schon anders aus", erzählt er und steckt seine Halbbrille in die Anzugtasche. "Ob wir als eine so junge Uni ganz ohne Namen bestehen könnten, daran hatten wir manchmal auch Zweifel."

Die Bedenken waren berechtigt. Noch vor der Eröffnung warfen die Gründer ihre ursprünglichen Lehrpläne über den Haufen. Eigentlich war die Universität als Ausbildungsstätte für die Lehrer Niederbayerns gedacht. Aber angesichts der Pädagogen-Schwemme in den siebziger Jahren änderten sie kurzerhand die Marschrichtung. Sie strichen einen Großteil der Studienplätze in der Philosophischen Fakultät und nahmen stattdessen Wirtschaftswissenschaften und Jura in den Lehrplan auf. "Damit war klar, dass wir keine Regional-Uni sein konnten", sagt Walter Schweitzer. Um die Studienplätze zu besetzen, mussten Abiturienten aus der gesamten Bundesrepublik her.

Die Passauer Bevölkerung war nicht begeistert. Sie fürchtete Studentenproteste à la 1968, kaputte Schaufenster und sonstiges Chaos in ihrem beschaulichen Städtchen. Schweitzer erinnert ernst gemeinte Fragen, etwa, "warum denn auch Professoren aus Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen kommen müssten. Ob es denn in Niederbayern nicht genug gäbe ...?"

Die Skepsis der Bürger ist längst verflogen. "Die Universität hat Passau genauso verändert wie die Säkularisation", sagt Schweitzer. Heute kommt auf jeden sechsten der 50000 Einwohner ein Student. Die Institution mit dem schön gestalteten Campus direkt an der Grenze zur Altstadt hat aus dem verschlafenen Ort eine lebendige Stadt gemacht. Schaufenster gingen nicht zu Bruch. Studenten, die in die romantische Dreiflüssestadt zwischen Donau, Inn und Ilz kamen, hatten nie Protest im Sinn. Graffiti muss man bis heute gezielt suchen. Überall hängen Schilder "Bitte nicht plakatieren!" oder "Stufen bekleben verboten" an blitzsauberen Wänden.

Überhaupt wirkt der Campus wie aus dem Bilderbuch. Vom Nikolakloster am Rand der Innenstadt reihen sich die Fakultätsgebäude den Inn entlang, überall viel Glas, viel Grün, eine moderne Wohlfühlarchitektur. Die Universität zieht Studenten von überall an. 9,3 Prozent kommen aus dem Ausland, nur 34 Prozent sind aus Niederbayern, weitere 29 Prozent aus dem restlichen Bayern. Zum Vergleich: An der Universität Regensburg liegt die Bayern-Quote bei mehr als 80 Prozent.

Lang vorbei sind die Zeiten, als es Ha-gener oder Hamburger nur zwangsweise nach Passau verschlug ­ über die ZVS, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen. Nach ein, zwei Semes-tern planten die Neuankömmlinge den Wechsel an einen anderen, aufregenderen Ort. Doch viele blieben. Die Stadt zog sie in ihren Bann. Wer über die Innbrücke Richtung Innenstadt läuft, im Sommer mit den Kommilitonen auf der Innwiese grillt oder am Fluss entlang bis zur Staustufe joggt, kann sich schnell in das Fleckchen verlieben. Auch die Studienbedingungen der Anfangsjahre überzeugten. "Die jungen Professoren neigten allesamt zum Sofortstart", erinnert sich Karl August Friedrichs. Noch heute gerät er ins Schwärmen, wenn er von "den Möglichkeiten freier Selbstgestaltung", von "neuen Schwerpunkten" und "neuen Studiengängen" erzählt.

Hat München auch eine Uni?

Karl-Heinz Pollok, Slawist und inzwischen verstorbener Gründungspräsident, installierte eine Besonderheit im Lehrplan: die fachspezifische Fremdsprachen-ausbildung. BWLer und VWLer lernen von muttersprachlichen Wirtschaftswissenschaftlern das Business-Vokabular, Jurastudenten von muttersprachlichen Juristen den rechtswissenschaftlichen Wortschatz. Mit diesem Angebot positionierte sich Passau als internationale Hochschule ­ lange bevor alle Welt von Globalisierung sprach.

Heute gehört die Fremdsprachenausbildung zu den Markenzeichen der Uni. Neben Klassikern wie Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch können Studenten auch Chinesisch, Portugiesisch, Russisch oder Tschechisch wählen. "Wir liegen nicht im Zentrum Bayerns und schon gar nicht im Zentrum Deutschlands. Aber wir liegen im Zentrum Europas", sagt Präsident Schweitzer. "Das förderte den Austausch mit dem Ausland ­ vor allem Osteuropa."

Schon lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs knüpften die Passauer etwa Kontakte mit der Karls-Universität Prag. Allein der Juraprofessor Martin Fincke besuchte damals 37 Fakultäten in der Sowjetunion, um Partnerschaften auszuloten. So war die kleine Stadt Passau bald in aller Munde. Ein Wissenschaftler aus München bekam auf einer Kaukasus-Reise gar zu hören: "München liegt doch in der Nähe von Passau. Haben Sie auch eine Universität?"

Für die mühsame Anbahnung der Auslandskontakte legten sich die Dozenten mächtig ins Zeug. Fincke nahm ausländische Dozenten während ihres mehrwöchigen Arbeitsaufenthalts in Bayern sogar bei sich zu Hause auf ­ Familienanschluss inklusive.

Die Beziehungen wuchsen. Heute pflegt die Hochschule Partnerschaften von Frankreich bis Finnland, von Argentinien bis Australien, von der Türkei bis Thailand. In Budapest, Krasnojarsk und Moskau bieten Passauer Professoren deutschsprachige Studiengänge an. An einigen Partneruniversitäten wie im spanischen Granada, im irischen Limerick und im schottischen Stirling können Studenten Doppeldiplome erwerben, die sowohl in Deutschland als auch im Partnerland anerkannt werden.

37 Prozent der Passauer Studenten ­ so ermittelte das Deutsche Studentenwerk ­ legen Auslandssemester ein. Da kann keine andere deutsche Universität mithalten. Umgekehrt bevölkern vor allem Lernende aus Österreich, Russland, Bulgarien, Ungarn, China und der Ukraine den Passauer Campus.

"Klein und überschaubar, aber mächtig international", so beschreibt auch Dirk Morbitzer, der Vorstandsvorsitzende des Ehemaligenvereins, seine Alma Mater. Mehr als 2500 Alumni halten inzwischen regelmäßig Kontakt zu den eins-tigen Kommilitonen. Es gibt Stammtische in New York, Schanghai, Toronto oder Jakarta. Selbst in Kinshasa haben sich die Ehemaligen organisiert. "Der Stammtisch", sagt Morbitzer, "besteht allerdings nur aus drei Leuten; zwei arbeiten bei der UN, einer bei der deutschen Botschaft."

Wer in Passau studiert hat, ist für das weltweite Business gerüstet ­ besonders die Kulturwirte, kurz Kuwis. Sie studieren neben BWL und Fremdsprachen auch einen Kulturraum. Insgesamt sieben stehen zur Wahl: der deutsch-, englisch- oder französischsprachige, der iberoromanische, italienische, ostmitteleuropäische oder südostasiatische. Die Absolventen haben beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Was tun bei zu viel Erfolg?

Das konnte Ende der achtziger Jahre niemand ahnen. "Damals dümpelte die Philosophische Fakultät mit rund 800 Studenten vor sich hin", erzählt Professor Klaus Dirscherl, der Erfinder des Kulturwirts. Er solle sich schleunigst etwas einfallen lassen, forderte damals der Universitätspräsident, sonst würde man den Fachbereich schließen. Die rettende Idee kam Dirscherl, als er sich an eine ehemalige Münchener Studentin der Romanistik erinnerte. Mit einer Sondergenehmigung durfte sie als Nebenfach Bankwirtschaft belegen. Obwohl nur mittelmäßige Romanistin, bekam sie nach ihrem Abschluss sofort eine Stelle bei der Hypovereinsbank und stieg schnell ins Management auf.

Romanistikprofessor Dirscherl recherchierte, besichtigte im französischen Tours einen ähnlichen Studiengang, holte skeptische Kollegen ins Boot, konzipierte einen neuen Studiengang ­ und überzeugte das bayerische Kultus- und Wirtschaftsministerium. "Was machen Sie", fragte seinerzeit einer der Beamten, "wenn Sie zu viel Erfolg haben?" Dirscherl und seine Kollegen verbuchten die Frage als Scherz.

Sie lachten nicht lange. Im Herbst 1990 stürmten statt der erwarteten 20 bis 40 Teilnehmer 604 Kulturwirtschafts-Erstsemester die Philosophische Fakultät. Die Hochschule war völlig überfordert. Aber die Studenten ließen sich nicht aufhalten. Sogar samstags quetschten sie sich in die Vorlesung oder auch am Montagmorgen um sieben. Legendär waren die Klausuren im Betrieblichen Rechnungswesen. Selbst die Nibelungenhalle reichte nicht aus, um alle Kandidaten zu fassen. Um die Massen einzudämmen, führte die Uni einen Numerus clausus für Kulturwirtschaft ein. Wegen der großen Nachfrage lag er zeitweilig bei 1,1. In der Folge zog es vor allem Musterschüler nach Niederbayern. Die Lesesäle der Bibliothek haben wochentags von acht Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet, samstags von neun bis Mitternacht, neuerdings auch sonntagnachmittags. Streber-Uni heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Eva-Maria Ackermann, frischgebackene Kuwi-Absolventin, spricht lieber von "Nützlichkeits-Uni" ­ und meint damit die Konzentration auf die Praxis. "Hierher kommt keiner, um 20 Semester phi- losophische Schriften zu lesen." Wer hier studiert, will in die Wirtschaft, und das befördert die Konkurrenz. "Alle um einen herum trumpfen mit den tollsten Auslandsaufenthalten auf", sagt die 25-jährige Saarländerin. "Da hat man das Gefühl, mithalten zu müssen." Sie selbst verbrachte ein Jahr am Institut d'Études Politiques in Toulouse, ihre Diplomarbeit schrieb sie für Henkel in Paris.

Welchen Job hätten Sie gern?

Die Weltgewandtheit kommt an. "Wir freuen uns über jede Bewerbung aus Passau", sagt etwa Peter Heck, Leiter Recruiting Deutschland bei Siemens. "Die internationale Ausrichtung der Uni- versität passt sehr gut zu unserem Unternehmen, das in 190 Ländern aktiv ist." Roland Berger entsendet neue Berater aus Niederbayern gern in seine Auslandsbüros. "Die Kollegen haben bewiesen, dass sie sich in fremden Kulturen schnell zurechtfinden können", sagt Per Breuer, Principal Human Resources. Ferdinand Kruis von der Anwaltskanzlei Linklaters bescheinigt den Passauer Juristen "einen sehr guten Ruf". Der Managing Associate lobt ihren Ehrgeiz, ihre juristischen Fremdsprachenkenntnisse und ihre Auslandserfahrung.

Am Schwarzen Brett der WiWi-Fakultät buhlen diverse Firmen um den Managementnachwuchs. Unicredit sucht einen Junior Analyst/Trainee, die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young rekrutieren Teilnehmer für den Studentenwettbewerb Advisory Cup, The Boston Consulting Group wirbt für den Workshop "Inside 2008" bei Swarovski im österreichischen Wattens.

Firmen wie Allianz, Deutsche Bank oder BMW fördern Passauer Studenten in der Bayerischen Elite-Akademie. Hier werden herausragende Kandidaten aus allen Hochschulen auf Führungsaufgaben vorbereitet. Studierende aus Passau sind überproportional vertreten: Von den 32 Absolventen des aktuellen Jahrgangs kommen fünf aus der Dreiflüssestadt ­ genau so viele wie von der Ludwig- Maximilians-Universität München, an der sechsmal so viele Studenten eingeschrieben sind.

Bekannt ist Passau auch für die guten Einstiegsgehälter der Absolventen und deren kurze Studiendauer. Und die Studenten sind mit ihren Dozenten hochzufrieden. Im Hochschul-Ranking 2007 des Internetportals MeinProf.de, das die Durchschnittsnoten aller Hochschulen ermittelte, liegt Passau bei der Lehrqualität bundesweit auf Platz vier. Im jüngst erschienenen Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann Stiftung erreicht der Passauer Jura-Studiengang im deutschlandweiten Vergleich Bestnoten, BWL liegt etwas zurück im Mittelfeld. Bei den Kriterien Studiensituation insgesamt, Betreuung und Bibliotheksausstattung gehören die Juristen zur Spitzengruppe.

Dominik Lindner kannte den guten Ruf. Deshalb, und weil er mal etwas anderes als Großstadt erleben wollte, zog es den Münchener fürs Jurastudium hierhin. Heute, im vierten Semester, hat der 22-Jährige bereits zwei Auslandspraktika absolviert, eines bei einem Hedgefonds-Anbieter in Toronto, das andere bei einer Versicherung in Wien. Gerade plant er den dritten Auslandsaufenthalt bei einer Kanzlei in Südafrika. Lindner hat die Wahl seines Studienorts nie bereut. "Hier sitzt man nicht mit 100 Leuten in einer AG, sondern mit 20", sagt er während einer kurzen Lernpause. Er will das ers-te Staatsexamen schon nach dem achten Semester machen.

In Passau ist aber nicht nur Lernen angesagt. Im Sommer lockt der Biergarten Mostbauer oder das Café Blaas im benachbarten Österreich. Ins "Bluenotes" dürfen die Gäste ihre eigenen Grillwürs-tel mitbringen. Der österreichische Biergarten Weinbeißer lädt traditionell zum Maibaumkraxeln ein, einem Kletterwett- streit mit mächtig Gaudi. "Wer darauf steht, dass man sich untereinander kennt, für den ist Passau toll", schwärmt der Münchener Dominik Lindner.

Familiäre Atmosphäre am Campus wurde von Anfang großgeschrieben. "Di-Mi-Do-Professoren waren bei uns immer ungern gesehen", sagt Präsident Walter Schweitzer. Schließlich konnten Kollegen, die mit ihren Familien woanders wohnten und nur dienstags, mittwochs und donnerstags auf Stippvisite kamen, auch nicht die gewünschte Präsenz in der Stadt zeigen ­ bei Empfängen, bei Bürgerversammlungen oder Fes-ten. Die Universität sollte als Teil Passaus wahrgenommen werden, das war der ausdrückliche Wunsch der Professo- renmehrheit. Schon dem Gründer-Team ging es um Gemeinschaft als Erfolgsfaktor: So machten die Professoren früher Ausflüge in die Umgebung. Im Winter trafen sie sich zum Langlauf-Wettbewerb mit ihren Familien.

Das "We are family"-Gefühl sollte sich halten. Noch heute werden alle Erstsemester zu Beginn des Wintersemesters traditionell zum Leberkäs-Empfang eingeladen. Statt einer Blaskapelle spielt zwar mittlerweile eine Cover-Rock-Band. Begrüßt werden die Neulinge aber immer noch vom Universitätspräsidenten und vom Oberbürgermeister.

"Studieren, wo andere Urlaub machen", lautet ein Werbe-Slogan der Passauer. Zu Recht. Die romantische Barockstadt am östlichen Zipfel Niederbayerns lässt Touristenherzen höher schlagen. Auch McKinsey ließ sich von diesem Ambiente anlocken. Seit 1997 lädt die Consulting-Firma ihre Berater jedes Jahr zur Sommer-Akademie nach Passau ein. "Der wunderschöne Campus hat bei allen Kollegen die besten Erinnerungen an die eigene Studienzeit wachgerufen", schwärmt Professor Herbert Henzler, Ex-Deutschland- und Europa-Chef der Beratung und Gründer der Akademie. Für Gastvorträge holte er auch Promis nach Passau: Peter Hartz, Uli Hoeneß, Harvard-Professor Ron Heifetz. "Passau ist nicht gerade der Nabel der Welt", sagt Henzler. "Daher konnten wir uns immer ohne große Ablenkungen aufs Lernen konzentrieren."

Für die Hochschule sind Kontakte wie diese eine Herzensangelegenheit ­ und fester Bestandteil der Erfolgsstrategie. Angefangen hatte alles an einem lauen Juli-Abend 1983 in Schloss Neuburg, 20 Autominuten von Passau entfernt. "Das war die Zeit, als junge Leute Passau als langweiliges schwarzes Loch aus CSU, Nibelungenhalle, Bischof und Dom gesehen haben", erzählt Hubert Wagner, der ehemalige Sprecher der Geschäftsführung des Gerling-Konzerns.

Er steht im Hof des Schlosses. Um ihn herum ockergelb und weiß verputzte Fassaden einer mittelalterlichen Burg mit Rittersaal, Kapelle, Mälzerei. 1983 stand hier nur eine Ruine, aber das störte die rund 70 Manager und Professoren nicht, die sich dort nach einem Symposium an Biertischen zu Brezn, Bier und Würstel einfanden. Essen und netzwerken, um den Graben zwischen Hochschule und Wirtschaft zu überbrücken. Das war bitter nötig. Denn der Geist der Annäherung wehte längst noch nicht überall. "Die Universität ist damals ein großes Risiko eingegangen, hier im wirtschaftlichen Niemandsland einen Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft einzurichten", sagt Wagner. "Der Bischof lag ja viel näher als Konzerne."

Was können wir für Sie tun?

Der Neuburger Gesprächskreis, so der Name des Bündnisses, warb für neues Denken. Und Passau schien Wagner dafür der richtige Ort zu sein, "kein Elfenbeinturm, sondern eine Institution, die auch die Wünsche der Wirtschaft erfüllen kann". Ein Programm gab es nicht. "Aber wir hatten den Vorteil, einfach anzupacken." Also machten die Studenten Praktika, Unternehmer hielten Gastvorträge, Betriebe vergaben Diplomarbeiten. Heute engagieren sich rund 120 Mitgliedsunternehmen im Neuburger Gesprächskreis ­ von A wie Accenture bis Z wie Zwiesel Kristallglas.

Ex-Passauer trifft man oft in der deutschen Wirtschaft, auch in den Führungsetagen: Rolf Friedhofen etwa arbeitet als Finanzvorstand bei der Hypovereinsbank; Carl Philip von Maldeghem ist Intendant des Alten Schauspielhauses in Stuttgart; Heike Maria Kunstmann war (vor ihrer Elternzeitpause) Hauptgeschäftsführerin bei Gesamtmetall. Alexander von Witzleben, früher Vorstandschef von Jenoptik, ist heute Vorstand beim Mischkonzern Haniel.

Die Hochschule ist ein Karrieresprungbrett. Für Professor Johann Graf Lambsdorff sind die Arbeitsmarkt-Chancen der Absolventen "fast zu gut". Er schaut betrübt. "Die Wirtschaft fischt der Wissenschaft alle guten Leute weg." Aber daran, das weiß der Volkswirt natürlich auch, ist die Universität nicht unschuldig. Schon auf der Homepage positioniert sie sich eindeutig: "Hier werden Karrieren gemacht." Als Kernkompetenz gilt eindeutig die Lehre. Mit dieser Stärke ist Passau groß geworden ­ in der Forschung schneidet die Institution schlechter ab. Die Studiengänge Politik und VWL hängen beim aktuellen CHE-Ranking in der Kategorie Forschungs-reputation in der Schlussgruppe.

Die Universität versucht gegenzusteuern. Mit der Ausschreibung von Preisen will sie den Forschungswettbewerb fördern und Anreize für die wissenschaftliche Arbeit geben. Ein Forschungs-Pool ist eingerichtet, um Drittmittel einzuwerben. Der Forschungscampus Informatik hat sich inzwischen nicht nur in der Praxis einen Namen gemacht.

Zudem setzt die Hochschule auf den Generationswechsel: Junge Professoren sollen neuen Schwung und Forschergeist nach Passau bringen. Fast die Hälfte der rund 100 Professoren wurde in den vergangenen zehn Jahren verpflichtet. Lambsdorff, Jahrgang 1965, ist einer von ihnen. 2003 wechselte er von der Universität Göttingen auf den hiesigen Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie.

Warum Passau?

Der angesehene Wissenschaftler, unter anderem Leiter des Forschungs-Teams, das den Internationalen Korruptionsindex für Transparency International erarbeitete, hatte zeitgleich einen Ruf an die European Business School in Oestrich-Winkel. Er entschied sich für Passau. Das freundliche Verhandlungsklima hat ihn überzeugt, die hohe Lebensqualität, die niedrigen Lebenshaltungskosten. Und die kurzen Wege. "Da kann man schneller jemandem in der Verwaltung auf die Füße treten!", sagt er und lacht.

Lustig ist der Alltag für die Professorenschaft aber auch in Passau nicht immer. Seit überall gespart wird, muss das Wissenschaftspersonal so manche Verwaltungsarbeit übernehmen. Allein für die Gestaltung und das Marketing der Mas-ter-Programme gehe derzeit ein Drittel seiner Zeit drauf, sagt Lambsdorff ­ um die neue Prüfungs- und Studienordnung festzulegen, Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten, Lehrveranstaltungen ranzuholen, Dozenten zu motivieren, die Web- site zu gestalten. Und den neuen Flyer. Er eilt zum Computer, druckt ein Din-A4-Blatt aus und faltet es liebevoll. Die Zwischenüberschriften auf dem Infoblatt lauten: "Warum Passau?", "Hier werden Karrieren gemacht", " ... und die Eigeninitiative?"

Marketing ist allerdings nur ein kleiner Teil dessen, worum sich die Wissenschaftler kümmern müssen. Es geht da-rum, die Hochschule zukunftsfest zu machen. Sie liegt gut im Rennen. "Den großen Universitäten wie München oder Heidelberg macht Passau keine Konkurrenz ­ das ist aber auch nicht nötig", meint Professor Bernd Huber, Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Eine kleine Uni kann gut im Hochschulwettbewerb bestehen, wenn sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentriert."

Diese Kernkompetenzen hat Passau fest im Blick. Internationalität und Praxisbezug stehen auch künftig im Mittelpunkt der Veränderungen. Mehrere Lehrstühle wurden kürzlich noch stärker internationalisiert. Die zahlreichen Auslandspartnerschaften sollen ausgebaut werden. Doppel-Master-Abschlüsse mit den Hochschulen in Straßburg, Aix-Marseille und Buenos Aires sind bereits gestartet. "Ink up", das 2002 von Professor Dirscherl gegründete Institut für Interkulturelle Kommunikation, bietet Fir- men einen Zugang zu Forschungsarbeiten, erstellt Expertisen und berät sie bei interkulturellen Trainings. Und das gerade gegründete Zentrum für Schlüsselqualifikationen vermittelt Studenten, was sie im Unternehmensalltag brauchen, egal ob in Deutschland oder im Ausland: verhandeln, Konflikte lösen, Teams führen.

Die Signale sind gesetzt, um auch künftige Studentengenerationen nach Passau zu locken. Haniel-Vorstand Alexander von Witzleben jedenfalls würde seinen Töchtern die Hochschule em- pfehlen. "Nicht zuletzt" ­ er schmunzelt ­ "weil es dort nicht so viele Ablenkungen gibt wie in der Großstadt". Die Entscheidung hat allerdings noch Zeit. Die Mädchen sind erst elf und dreizehn.