Immer schön in Bewegung bleiben

Mit Hotels auf Rädern hat das Familienunternehmen Rotel Tours aus Tittling weltweit den Markt für Busreisen aufgerollt. Obwohl die Idee zu Beginn nur auf ungläubiges Gelächter stieß.




Natürlich weiß man es bereits, weil es auf den Fotos im Foyer zu sehen ist. Und am Empfang. Und in den Gängen auf den Etagen. Nun erzählt Georg Höltl dennoch stolz, dass Henry Kissinger schon sein Gast war, Roman Herzog, Hannelore Kohl, Christo, Horst Köhler und Lord Yehudi Menuhin. Und Michail Gorbatschow. Der komme im Juni sogar wieder, weil es ihm im "Wilden Mann" so gut gefallen hat. Das Hotel in Passaus Innenstadt liegt so nah an der Donau, dass man aus dem Fenster fast in den Fluss spucken kann.

Das würde selbstverständlich niemand tun. Der "Wilde Mann" ist ein elegantes Haus, und die Kundschaft nicht gerade als rustikal bekannt. Nicht der Typ Gast, dem Georg Höltl seinen Erfolg und letztlich auch den "Wilden Mann" verdankt. Zumindest lässt Henry Kissinger sich nur schwer in einer winzigen Schlafkabine eines Allrad-Busses vorstellen, an dessen Seite "Rotel Tours" steht, "Das Rollende Hotel".

Georg Höltl ist ein freundlicher, leicht untersetzter Herr mit akkuratem Scheitel und sorgsam gebundener Krawatte. Einen niederbayerischen Selfmade-Typen könnte man ihn nennen, worauf er vermutlich mit diesem glucksenden Lachen reagieren würde, das so gar nicht nach 79 Lebensjahren klingt. Hin und wieder unterbricht es Höltls Erzählung, wie er aus einer kaum 30 Kilometer langen Überlandverbindung in seiner Heimat das Busunternehmen mit dem wohl größten Streckennetz weltweit geschaffen hat. Statt Rappenhof ­ Tittling ­ Passau heißen die Linien heute Dar-es-Salaam ­ Okovango-Delta ­ Windhoek, Taschkent ­ Samarkand ­ Teheran oder San Francisco ­ Salt Lake City ­ Vancouver.

Davon erzählt Georg Höltl gern, aber es klingt nicht nach Prahlerei, eher nach lautem Wundern, was er in seinem Leben ohne Abitur, nur mit Bauchgefühl erreicht hat. Und mit diesen 4000 Reichsmark seines Vaters, für die es kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs lediglich ein paar Kilo Fleisch gibt ­ oder einen reparaturbedürftigen Bus mit 16 Sitzen. Mitfahrgelegenheiten gibt es kaum, und so sieht ein Transportunternehmen auf der Strecke zwischen dem heimatlichen Dorf Rappenhof und der nächstgrößeren Stadt Passau nach einer idealen Marktlücke für einen 17-Jährigen aus, dessen wertvollster Besitz ein Führerschein ist. Schon auf den ersten Touren ist der Bus so überfüllt, dass sich oft die Räder nicht mehr drehen. Häufig schafft er auch die Steigungen nicht; dann müssen die Fahrgäste schieben.

Fünf Jahre später kauft sich Höltl einen fabrikneuen Bus, erstmals führen Reisen ins Ausland. 43 Mark kosten drei Tage Gardasee, für 250 Mark geht es zwei Wochen durch Italien, Frankreich und Spanien. Übernachtet wird in Zelten ohne Boden, zum Waschen dienen mitunter Becken in öffentlichen Parks. Bei der Erinnerung daran muss Höltl wieder glucksen und lachen.

Ein Gewitter als Initialzündung

1958 ereignet sich, was für den Jung-unternehmer Katastrophe und Schlüsselerlebnis zugleich sein wird: Auf einer Pilgerfahrt nach Fatima bricht ein Unwetter über die Reisenden herein. Innerhalb kurzer Zeit steht das Gelände unter Wasser, die Zelte werden vom Sturm zerfetzt. Durchnässt und missmutig verbringen die Pilger die Nacht im Bus, und Höltl hat schon das Ende seiner Reisen vor Augen. Wie kann man sich vor dem Wetter schützen, fragt er sich, und dennoch mobil bleiben?

Mit Nummer 1223705, verliehen vom Deutschen Patentamt, steuert er unter großem Gelächter von Campinggästen bald darauf einen Zeltplatz am Gardasee an. Ein Bus mit riesigem Anhänger ist es, der ein bisschen aussieht, als sei Höltl ein Brieftaubenzüchter auf Urlaub: Ein Dutzend kleine Kabinen hat er neben- und in drei Reihen übereinander bauen lassen. Vorhänge ersetzen Türen, und wer aus seinem knapp ein Meter hohen und zwei Meter tiefen Fach durch das Sichtfensterchen nach draußen schaut, mag sich fühlen, als läge er in einem Süßwarenautomaten für Riesen. Mit diesem Kabinensystem wird Höltl in den kommenden Jahrzehnten die Busbranche aufrollen.

In dieser Zeit mag sich die Ausstattung der heute 94 Fahrzeuge verbessern, das Prinzip aber bleibt gleich. Wo sich feste Straßen finden, sind die Busse mit integrierten Schlafplätzen und dem "PA-PA"-Kennzeichen unterwegs. Und wo es keine Straßen gibt, da fahren sie auch. Allein hundertmal ist Georg Höltl über Staub- und Sandpisten von Niederbayern nach Jerusalem gefahren.

Immer wieder stellt das Unternehmen auch Rekorde auf: Rotel Tours durchquert 1969 erstmals mit einem Bus die Sahara und legt, gut zwei Jahrzehnte später, auf dem Landweg die Strecke von Deutschland nach China zurück. Das Konzept beeindruckt selbst Weitgereiste: Astronaut James B. Irwin leiht sich einen der rot-schwarzen Busse, um am Berg Ararat nach der Arche Noah zu suchen. Fündig wird er nicht, was jedoch, das betont Höltl, nicht am Fahrzeug gelegen hat.

Vor allem die Japaner sind in den siebziger Jahren sehr von der platzsparenden Idee angetan und messen die Kabinen aus ­ dass die bald darauf in Osaka und Tokio entstehenden Kapselhotels als japanische Erfindung gelten, ärgert Höltl noch immer. Sein Plan, die Kopie zu kopieren, geht allerdings nicht auf: Gemeinsam mit Sohn Peter, der Rotel Tours inzwischen führt, eröffnet Höltl nach dem Hotel "Wilder Mann" 1993 noch das "Rotel Inn" ­ 100 Kabinenzimmer mit Blick auf die Donau. Bis heute fehlen die Gäste.

Vielleicht, weil Passau nicht gerade der Ort ist, an dem Platzmangel wie in Asiens Metropolen zu abstrusen Übernachtungspreisen geführt hat. Vielleicht aber auch, weil man schon für etwas mehr Geld nur wenige Meter weiter in einem Haus wohnen kann, wo die Chance besteht, am Frühstücksbüfett Henry Kissinger, Christo oder Michael Gorbatschow zu treffen.