Die Fisch-Couturiers

Das Beste am Lachs ist seine Haut. Das glauben zumindest die Macher von Salmo Leather aus Bischofsmais. Sie haben einen Weg gefunden, daraus hochwertiges Leder herzustellen.




Was ein echter Bayer ist, der ist stolz auf seine Lederhose. Stolz wie Jürgen Laschinger, der das Kleidungsstück vom Tisch aufhebt und es dem Gast erwartungsvoll entgegenstreckt: "Da, riechen Sie mal! Kein bisschen fischig!" Egal, was man bisher über bajuwarische Bräuche gehört hat, Fischgeruch wäre sicher nicht zu erwarten gewesen, zumindest bei einer normalen Krachledernen. Diese hier aber ist nicht normal: Sie ist eine Lachslederne.

Jürgen Laschinger ist auch kein beliebiger Lederhosenverkäufer, sondern Geschäftsführer der Salmo Leather GmbH in Bischofsmais im Bayerischen Wald. Salmo Leather ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das Leder aus Lachshäuten herstellt. Mehrere Tausend Häute verlassen jede Woche die Manufaktur. Sie werden für Schuhe, Schmuck, Mode und im Innenausbau verwendet. Und vielleicht ziert das exotische Leder bald sogar die Wände von Luxusjachten, Villen und Privatjets.

Material ist genug vorhanden. Laschinger bezieht seine Rohware aus Polen, von Morpol, Europas größtem Lachs-Veredler. Morpol wiederum besitzt Anteile an Laschingers Unternehmen. Denn hier im Bayerischen Wald stand noch vor gar nicht so langer Zeit Euro- pas größte Lachsräucherei, die Laschinger GmbH.

Jürgen Laschingers Bruder Rudolf hatte das Unternehmen gegründet und in weniger als zehn Jahren zum Marktführer gemacht. Vergangenes Jahr wurde die Firma an Morpol verkauft, den größten Konkurrenten. Die neuen Eigentümer verlagerten die Produktion nach Polen, aber da hatten die Laschingers bereits ihre neue Idee, an der sie seit 2004 tüftelten, zur Marktreife gebracht.

"Wir hatten uns immer geärgert, dass wir mit den 70000 Häuten, die in der Räucherei zu Spitzenzeiten anfielen und normalerweise zu Fischmehl verarbeitet werden, nichts Sinnvolleres anfingen. Reine Verschwendung war das", sagt Jürgen Laschinger im Hof seiner neuen Manufaktur und stößt das Tor zum Produktionsgebäude auf.

Gekachelte Räume, ein Dutzend Arbeiter, manche in weißen Kitteln, in Pfützen steht Wasser auf dem Boden, es ist warm und laut, vom Brummen der Maschinen. "Wenn die Häute von der Räucherei kommen, waschen wir sie hier erst einmal und entfernen in der Entfleischungsmaschine die Fleischreste", ruft der Chef gegen den Lärm des Apparats. "Dann kommt das sogenannte Äschern, die Vorgerbung, bei der die Häute in einer Lösung entfettet werden, die auch den typischen Fischgeruch beseitigt." In einer mannshohen Edelstahltrommel gegenüber folgen Gerbung und Nachgerbung, wofür die Häute ungefähr einen Tag in der "Flotte" liegen, der Gerbbrühe.

Wie lange genau? Bei welcher Temperatur? Und woraus bestehen die verschiedenen Gerbflüssigkeiten? Laschinger lächelt. Betriebsgeheimnis. Drei Jahre haben sie experimentiert. Fischleder- herstellung ist eine vergessene Kunst. Laut Verband der Deutschen Lederindustrie gibt es hierzulande neben den Niederbayern keinen und auf der Welt nur eine Handvoll Lieferanten für Lachsleder.

"Mit Fischhaut muss man ganz anders umgehen als mit Säugetierhäuten", erklärt Stefan Banaszak, der am Lederinstitut Gerberschule Reutlingen Technologien für Lederverarbeitung erforscht. "Das Material ist sehr empfindlich, etwa gegenüber hohen Temperaturen ­ ein paar Grad zu viel, und alles wird zu einer einzigen Leimmasse."

Der wichtigste Träger des raren Wissens bei Salmo Leather heißt Anatol Donkan, seit 2005 Entwicklungsleiter im Haus. Rudolf Laschinger, Jürgens Bruder, traf ihn bei einer Ausstellung in Wien. Donkan gehört dem sibirischen Volk der Nanai an, das in früheren Jahrhunderten traditionell Fischhäute auf natürlichem Wege gerbte und zu Kleidung, Gebrauchsgegenständen und Schmuck verarbeitete. Anatol Donkan erforschte seit Jahren die vergessenen Techniken seiner Vorfahren und versuchte, ihr Handwerk wiederzubeleben.

Laschinger machte ihm ein Angebot: "Wir haben jede Menge Lachshaut, du hast die Technik ­ warum tun wir uns nicht zusammen?" Wenig später zog Donkan nach Viechtach, in die Nähe von Bischofsmais, und suchte für Laschinger nach einem Weg, die natürlichen Gerbtechniken der Nanai unter industriellen Bedingungen umzusetzen.

Vielfältige Verarbeitung

Zahllose Versuche später ist Salmo Leather das weltweit einzige Unternehmen, das mit rein pflanzlichen Gerbstoffen Lachsleder im industriellen Maßstab herstellt. Dazu gehört noch eine ganze Reihe von Verarbeitungsprozessen. Nach dem Gerben trocknen die Häute flach ausgebreitet auf großen Gestellen, drei Tage lang, dann folgt die Zurichtung: Je nach Weiterverwendung kommen sie in einen großen Bügelapparat oder in eine Stollmaschine, wo Walzen mit Hunderten kleiner Nägel die Haut immer wieder durchnudeln und geschmeidig machen. Ein Teil der Ware wird gefärbt, ein anderer lackiert, manche Stücke bleiben weiß, je nach den Vorstellungen des Kunden.

Rund 50 mal 15 Zentimeter groß sind die Lederhäute jetzt, matt glänzend, die Schuppen sind weg, ihre Struktur ist aber noch deutlich zu sehen. Ein bisschen wie Schlange, edel. Weich im Griff, elastisch, es knistert beim Auseinanderziehen. Und riecht, nun ja, kaum.

Eine Woche dauert die Bearbeitung, fast 5000 Stück produziert Salmo Leather in dieser Zeit. Die Hälfte fällt wegen optischer Mängel durch, sie endet als Hundeknochen ­ außen Lachs, innen Rinderspalt. Oder sie wird in der hauseigenen Werkstatt in Flechtkörbe verwoben, die man über einen Online-Shop bestellen kann. Die schönen Exemplare verkauft Salmo Leather für 15 Euro pro Stück unter dem Markennamen "Nanai" ­ "zu Ehren des gleichnamigen Volkes", sagt Laschinger.

Im Verwaltungsgebäude ist ein Raum für die Zukunft des Lachsleders reserviert. Da gibt es Geldbörsen, Nageletuis aus golden gefärbtem Leder, Gürtel mit kunstvollen bronzefarbenen Lachsleder-Intarsien, Handtaschen mit bunten Applikationen, weinrote Fliegen für den Smoking-Kragen, Bucheinbände, Lampenschirme und Uhrenarmbänder. Mode- und Schmuckdesigner seien die Hauptabnehmer des Leders, sagt Holger Hain, der zweite Geschäftsführer des Unternehmens.

Er kommt gerade von einer Messe in Hongkong, wo er die Marke Nanai präsentiert hat. "Noch stecken wir in der Anfangsphase des Vertriebs und stellen uns bei Unternehmen vor", sagt Hain. Aber Salmo Leather habe auch schon einige vielversprechende Lieferverträge geschlossen. Rolf Benz und Hülsta beispielsweise wollen die Lachsleder für Möbel und Designer-Einrichtungen verwenden, Nokia will aus dem Leder Handytaschen fertigen. Ein Schuhhersteller in Italien habe bereits eine ganze Ladung geordert, der niederbayerische Yachten- und Flugzeugausstatter Loher plant, das Material in den Kajüten von Luxusbooten einzusetzen. "Ein Kunde aus Japan hat sogar 10000 Stück für die Inneneinrichtung seiner Restaurants bestellt," berichtet Hain stolz.

Nur für die Lachslederhose hat sich bislang noch kein Käufer gefunden.