Die Cluster-Bauern von Straubing-Sand

Während Deutschland und der Rest der Welt noch diskutieren, ob Raps, Mais und Weizen auf den Teller oder in den Tank gehören, arbeiten sie in Niederbayern an konkreten Lösungen für die grüne Energiewende. Eine Geschichte über Pragmatismus und kleine Dienstwege.




Prolog

Die genaue Abfolge des Menüs hat Hermann Balle nicht mehr im Kopf. Aber an den Inhalt des Tischgesprächs in der Bayerischen Staatskanzlei, am Abend des 29. Juli 1998, erinnert sich der Verleger des Straubinger Tagblatts noch bestens. Denn er hat sich wohl mächtig aufgeregt, als Edmund Stoiber, seinerzeit Ministerpräsident von Bayern und sein Tischnachbar, sich zu ihm herüberbeugte und fragte, wie es denn so gehe, in Straubing und Umgebung.

Eigentlich war Balle in seiner Eigenschaft als damaliger Vorsitzender des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger eingeladen, er hatte vor, über neue Medien, Internet und Privatfernsehen zu plaudern. Nach der jovialen Frage aber teilte der gebürtige Schwabe dem Landesvater lieber seinen Verdruss mit.

Mehr als 30 Jahre zuvor war Balle nach Straubing gezogen, hatte in eine alteingesessene Verlegerfamilie eingeheiratet und das Tagblatt zum Sprachrohr der Region gemacht. Die Region, das ist der Gäuboden, ein sattes, von feinem mineralischen Lössboden bedecktes Hochtal entlang der Donau, das sich von Regensburg bis Osterhofen zieht ­ eine "Agrarsteppe", wie manche sie nennen, deren Ackerböden den Bauern seit Jahrhunderten gute Ernten bescherten. Inmitten dieser Idylle liegt Straubing, die einstige Residenz der Wittelsbacher.

Doch nur der prunkvolle, von Bürgerhäusern gesäumte Marktplatz zeugt noch vom Glanz des ehemaligen Handelszentrums. Hermann Balle wusste: Die Stadt hat zu viel vom Gestern, um zukunftsfähig zu sein. Als man in den achtziger und neunziger Jahren Institute und Institutionen in Niederbayern verteilte, müssen sie das gut betuchte Straubing irgendwie vergessen haben. Die Stadt, beschwerte sich Balle bei Stoiber, spiele nur noch eine Nebenrolle: "Passau bekam die Universität, Landshut den Regierungssitz, Deggendorf die Fachhochschule. Straubing ging immer leer aus." Die Zukunft aber werde über Bildung entschieden, über Forschung und Wissen, schimpfte der Verleger ­ und einem Edmund Stoiber musste er das natürlich nicht erklären. Der Ministerpräsident bedankte sich für das Gespräch und rief am nächsten Morgen seinen Beraterstab zusammen.

Blühende Landschaften

Zehn Jahre später hat die Gegend um Straubing ein Attribut, das moderner und für eine ehemalige Kornkammer passender nicht sein könnte. "Region der Nachwachsenden Rohstoffe" nennt sie sich heute und denkt für den Rest der Republik vor, wie man auf klimaneutrale Weise Energie gewinnen kann, wenn Öl, Gas und Kohle unerschwinglich werden. Dass kürzlich ausgerechnet ein Biosprit-Hersteller Insolvenz angemeldet hat, erhitzt derzeit die Gemüter der Gäubodenbewohner.

Zugleich aber sind sie hier einen Schritt weiter. Während die Welt diskutiert, ob Raps, Mais und Weizen nun Nahrungsmittel oder auch Energieträger sein sollen, während in Hamburg die Grünen den Bau eines Kohlekraftwerks ausbremsen und deutsche Eigenheimbesitzer mit der Anschaffung eines modernen Pellet-Ofens liebäugeln, der zu Pillen gepresste Sägespäne vollautomatisch verfeuert, arbeiten in Straubing mehr als hundert Wissenschaftler, Ingenieure, Beamte und Unternehmer schon die Fragen ab, die anderswo noch sortiert werden: Wie können wir künftig nachwachsende Rohstoffe (kurz NawaRos) möglichst effektiv, nachhaltig und ohne Konflikt zwischen Teller und Tank nutzen? Brauchen wir neue Sorten altbekannter Kulturpflanzen oder exotische Gewächse, die an mitteleuropäische Ver-hältnisse angepasst werden? Lässt sich der Ausstoß klimaschädlichen Kohlen-dioxids wirklich reduzieren, wenn der Rohstoff für Plastik nicht mehr Erdöl sondern Grünzeug ist? Und: Lässt sich damit Geld verdienen?

Keine dieser Fragen ist derzeit geklärt. Ein paar der wichtigsten Antworten jedoch dürften von Leuten aus Straubing kommen.

Kleine Dienstwege

"Der Gedanke, ein Forschungs- und Technologiezentrum zum Thema nachwachsende Rohstoffe in Straubing zu errichten, entstand schnell", sagt Ernst Hinsken, Bundestagsabgeordneter des Landkreises Straubing-Bogen, der an der Morgenrunde beim Ministerpräsidenten teilnahm. Und Verleger Balle ergänzt: "Die Landwirtschaft spielt in der Region traditionell eine große Rolle, das Thema lag auf der Hand."

Der Gäuboden zählt bis heute zu den fruchtbarsten deutschen Agrargebieten ­ ideal für den Anbau nachwachsender Rohstoffe. Den Menschen hier musste man die Möglichkeiten neuer Absatzmärkte nicht lange erklären. Günstig auch die Verkehrsanbindung: Straubing besitzt einen Donauhafen, Bahn- und Autobahnanschlüsse ­ entscheidend für die Ansiedlung von NawaRo-Firmen, die jährlich Hunderttausende Tonnen Biomasse von Holz bis Rapssaat heranschaffen müssen.

Eine historische Infrastruktur war also vorhanden. Was fehlte, um ein NawaRo-Cluster entstehen zu lassen, waren Unternehmer und Wissenschaftler, die vor Ort am selben Thema arbeiten. Aber dafür hat man in Bayern ja die kleinen Dienstwege.

Edmund Stoiber beauftragte noch am selben Morgen seinen Amtschef Rudolf Hanisch mit dem Projekt. Gemeinsam mit Balle und Hinsken organisierte Hanisch ein Treffen in der Bayerischen Staatskanzlei. Es nahmen teil: Erwin Huber, damals Staatsminister der Finanzen und Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Niederbayern; Josef Miller, Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten; Wolfgang Quint, Amtschef im Wissenschaftsministerium; und Wolfgang Herrmann, Präsident der Technischen Universität München.

Finanzminister Huber schlug vor, neben einem Technologie- und Gründerzentrum auch einen "Wissenschaftszweig" zum Thema nachwachsende Rohstoffe anzusiedeln ­ das Geld werde er aus dem Strukturwandelprogramm "Bayerische Hightech-Offensive" zuschießen. MdB Hinsken, Verleger Balle und Universitätspräsident Herrmann steckten daraufhin die Köpfe zusammen und schrieben ihre Ideen auf.

Vor Ort solle erstens ein Wissenschaftszentrum entstehen, in dem Kompetenz gebündelt werde: bereits existierende Arbeitsgruppen der Fachhochschulen Weihenstephan, Deggendorf und Regensburg sowie der TU München.

Zweitens solle ein Technologie- und Förderzentrum für nachwachsende Roh- stoffe errichtet werden ­ in dieses TFZ würden die Landesanstalten für Landtechnik sowie für Bodenkultur und Pflanzenbau einziehen, bislang in Weihenstephan angesiedelt. Der dritte Umzugskandidat solle C.A.R.M.E.N. sein, das "Centrale Agrar-Rohstoff-Marketing- und Entwicklungs-Netzwerk e.V."; der eingetragene Verein, finanziert vom Bayerischen Landwirtschaftsministe-rium, bestand seit 1992 in der Nähe Würzburgs, kam dort aber nicht wirklich voran mit der Netzwerk-Arbeit ­ falls das Straubinger Konzept aufginge, würden dort ein paar Vernetzungsexperten gebraucht werden.

"Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe in Straubing" stand auf dem Papier, das Balle und Hinsken ihrem Ministerpräsidenten am Rande der Festspiele "Landshuter Hochzeit" in die Hand drückten. Im April 1999, kein Jahr nach Balles Abendessen mit Stoiber, erging der erste Ministerratsbeschluss zur Realisierung.

Feldforschung

Inzwischen erfreuen sich Biogasanlagen bei den Bauern im Gäuboden zunehmender Beliebtheit. Die Autos des Straubinger Landratsamtes fahren mit Biosprit durch die Stadt und tanken dort an Bayerns erster Bioethanol-Tankstelle. Und im Technologie- und Förderzentrum (TFZ), einem modernen Bürogebäude mit Biomasseheizung, stehen zwei Säcke voller Holzpellets im Besprechungszimmer. Die Säcke stammen von CompacTec, Europas größtem Pellethersteller. Die Fabrik steht in einer der vielen Donauschleifen, in unmittelbarer Nähe weiter Äcker ­ und kleiner, mittlerer und großer NawaRo-Firmen. Dass hier die nagelneue Ölmühle der Campa AG aus Geldmangel womöglich den Betreiber wechselt, ist zwar ein kleiner Kratzer im neuen Lack, hat aber mit dem Straubinger Konzept nichts zu tun.

"Unser wichtigstes Thema ist die Verzahnung des Wissenschaftszentrums mit der Arbeit des TFZ und dem Umfeld", erklärt Werner Döller. Er ist Geschäftsführer von C.A.R.M.E.N. und Sprecher für das gesamte Kompetenzzentrum. Zuerst bauten sie mit 38 Millionen Euro das TFZ in der Schulgasse. 2002 eröffnet, verlagerten in den Jahren darauf die Hochschulen ihre Professuren und Abteilungen sukzessive in eine alte Klosterschule in die Petersgasse, nur einige Meter weiter. Bald steht auch für das Wissenschaftszentrum der Umzug an, die Forscher bekommen ebenfalls einen schicken Glasquader.

Und zum Wintersemester 2008/2009 beginnt in Straubing der Master-Studiengang für nachwachsende Rohstoffe. "Unser Schwerpunkt liegt auf der Erprobung von Ideen, die von den Kollegen aus der Forschung kommen", sagt Döller. "So untersuchen sie am Wissenschaftszentrum zur Zeit beispielsweise, ob sich Ethanol statt wie bisher aus Weizen auch aus Stroh herstellen lässt ­ also aus Abfall."

Das könnte auch die derzeitige Krise um den Welthunger entschärfen. Denn so lange Rapssaat, Weizen- und Maiskörner die Grundlage für Biokraftstoffe bilden und nicht die ganze Pflanze, bleiben dem Weltmarkt Millionen Tonnen Getreide entzogen. Das Zauberkürzel lautet daher BTL ("biomass to liquid"). Dieser Biosprit der zweiten Generation soll ­ statt aus Feldfrüchten ­ aus allerlei organischem Material herge-stellt werden, ob Holzreste, Chinaschilf oder eben Stroh. "Für den Praxistest arbeitet das Wissenschaftszentrum eng mit den TFZ-Kollegen zusammen", sagt Döller. Von hier aus besorgen sie Fördergelder, suchen Firmen und organisieren Versuchsflächen bei Landwirten im Gäuboden.

Die Vernetzung zieht sich durch alle Bereiche. Woanders testen sie gerade die Verwendung von 200 verschiedenen Hirsesorten in Biogasanlagen, um langfristig den als Futtermittel wichtigen Mais zu ersetzen. Forscher, die sonst über ganz Bayern verteilt waren und stundenlange Fahrten für ein Gespräch mit einem Praktiker einkalkulieren muss- ten, gehen jetzt nur die Straße hinunter. Und falls Bauern, Pflanzenzüchter oder Unternehmer involviert sind, benötigt man zu ihnen mit dem Auto selten mehr als 20 Minuten.

Nähe ist wichtig, das war den Cluster-Bauern aus der bayerischen Staatskanzlei natürlich bekannt. Deshalb wurden die drei Keimzellen ja mitten in die Stadt und in direkter Nachbarschaft zueinander gepflanzt und ihre Verwaltungen strukturell miteinander verwoben. Zu diesen günstigen Faktoren gesellt sich in Straubing aber noch ein besonderer Humus, und der ist kultureller Natur. "Die Leute hier sind einfach aufgeschlossen und über nachwachsende Rohstoffe informiert", sagt Verleger Hermann Balle, der mit seinem Straubinger Tagblatt den Aufklärungspart übernimmt.

Und informiert bedeutet wirklich informiert. Fast jeder hier hat eine direkte Verbindung zur Landwirtschaft ­ sei es über Geschwister, Onkel, Tanten oder die Großeltern, die einen Hof bewirtschaften. Der öffentliche Wissensstand geht weit über das gewohnte Maß hinaus. "Die Straubinger sind weniger manipulierbar, weil sie eine realistische Beziehung zur Landwirtschaft haben", sagt Thomas Schmidmeier, Geschäftsführer von CompacTec. Obwohl seine Firma mit einer durch und durch harten Sache Geld verdient ­ Produktion und Vertrieb von Holzpellets ­, ist sie genau wegen dieser weichen Faktoren hier.

Kleinholzer, Ölmahler

"Wir sind von einer Bürgerinitiative in Regensburg nach Straubing getrieben worden", erzählt Schmidmeier. Der Regensburger gründete seine erste Firma mit 22 Jahren: RecuTec war auf die Rekultivierung von Brachflächen spezialisiert, etwa an Autobahnen. Das ging besonders gut, wenn Schmidmeier die nackte Erde mit Dünge-Pillen aus organischem Material impfte. Irgendwann produzierte er diese Pellets selbst, gründete CompacTec und bekam 2003 die Genehmigung für ein zusätzliches Werk in seiner Heimatstadt.

Zeitgleich entwickelten sich Pellets als günstige und umweltschonende Alternative zu fossilen Brennstoffen. Doch als Schmidmeier außerdem ein Biomasse- kraftwerk plante, um die Energie für das neue Pelletwerk umweltfreundlich zu gewinnen, gab es Probleme. "Alle Gutachten, sogar Greenpeace, bescheinigten die Unbedenklichkeit", sagt der Unternehmer. Der Bebauungsplan wurde trotzdem vorübergehend gestoppt. Eine Bürgerinitiative befürchtete, er könnte statt Biomasse Klärschlamm verbrennen. Schmidmeier erzählt von Morddrohungen und Gemeinderatssitzungen unter Polizeischutz.

2,9 Millionen Euro verlor CompacTec in Regensburg, "die Hälfte davon allein für das Genehmigungsverfahren", sagt Schmidmeier. Vor drei Jahren begann der Unternehmer nach Straubing umzuziehen. Von dessen Profilierung in Sachen nachwachsende Rohstoffe hatte er schon gehört ­ und die Gäubodenstadt erwies sich als Glücksgriff: "Innerhalb von fünf Wochen und für nur 60000 Euro hatten wir alle nötigen Genehmigungen!" Seit Januar 2006 steht im Industriepark Straubing-Sand das größte Holzpelletwerk Europas, Durchsatz: 20 Tonnen pro Stunde.

Direkt daneben ragen fast zwei Dutzend zinkglänzender Silos in den weißblauen Himmel: die Ölmühle der Campa AG, errichtet 2007. Auch die Campa AG hat von den schlanken Genehmigungsverfahren in Straubing profitiert: "Eigentlich war diese Mühle ebenfalls in Regensburg geplant", sagt Andreas Löffert. "Aber dort gab es 900 Einwände dagegen ­ hier nur drei."

Rund 50 Millionen Euro hat die Ölmühle gekostet ­ und jetzt sind ihre Betreiber zahlungsunfähig. "Campa ist ein Leitunternehmen in unserem Industriepark, die Mühle ist natürlich deren Filetstück", räumt Löffert ein. "Aber auch wenn noch nicht klar ist, wer sie in Zukunft betreibt: Die Anlage wird ja weiter laufen. Die Marge stimmt."

Andreas Löffert ist Geschäftsführer des "Zweckverbands Industriegebiet mit Donauhafen Straubing-Sand" und damit Herr über einen der größten Indus-trieparks in Süddeutschland: 29 große Firmen sitzen hier, darunter die Campa-Mühle, und im Gründerzentrum noch mal 25 kleinere. Eigentlich ein besonnener Mann, der sich über den Erfolg freuen könnte.

Doch sobald Löffert über die Gründe der Campa-Insolvenz räsonniert, packt ihn der Ärger. Nicht auf das Management, wenngleich es die Mühle ruhig ein halbes Jahr früher hätte zum Laufen bringen können. Auch nicht, weil sich Straubing mit nachwachsenden Rohstoffen einen Namen gemacht hat, der jetzt beschädigt werden könnte ­ das glaubt er nicht. Und klar, die Preise für jenen Rohstoff, der in der Mühle ausgequetscht wird, um Speiseöl zu gewinnen und Biodiesel per Umesterung, seien im vergangenen Jahr in die Höhe geschossen: immerhin von 200 auf 500 Euro je Tonne Raps, sagt Campa-Vorstand Rupert Schmid. Doch auch das ist nicht ursächlich für die Insolvenz ­ "der Ölpreis ist ja auch gestiegen, die Marge pro Tonne bleibt fast gleich", sagt Andreas Löffert.

Nein, der Kamm schwillt ihm, wenn er an die Finanz- und Umweltminister denkt: "Deren Energiesteuer wirkt sich verheerend auf die mittelständischen Ölmühlen aus. Der Verkauf von B100, also reinem Biodiesel, ist komplett eingebrochen." Praktisch existiert Biodiesel auf dem deutschen Markt qua Quote nur noch als Beimischung ­ und da importiert die Mineralölindustrie gerne güns-tigeren, weil subventionierten Biodiesel aus den USA und Südamerika.

Unternehmen wie Campa, die vor allem Raps aus der Region abnehmen, bleiben auf der Strecke. Und dass die Banken, ohnehin derzeit kriselnd, angesichts dieser hohen Besteuerung und der Rohstoffpreise "kalte Füße bekommen" und Campa Kredite über 80 Millionen Euro gekündigt haben, mildert Löfferts Ärger auch nicht gerade.

Natürlich war er Anfang Juni auch auf der Demonstration für die Campa AG. Da führte der Abgeordnete Ernst Hinsken stolz Kanzlerin Merkel und den französischen Präsidenten Sarkozy durch seinen Wahlkreis ­ und die Landwirte der Region rollten mit Traktoren in die Stadt und zeigten ihre Wut. Auf die Bundesregierung und auf Hinsken. Der sagt zwar, er sei schon immer gegen die Besteuerung des Biodiesels gewesen, hatte im Bundestag aber, ganz CSU-fraktionsdiszipliniert, dafür gestimmt. Sowas empört die Bauern.

Natürlich wäre es Löffert am liebsten, Campa würde gerettet, etwa mit einer Bürgschaft der Staatsregierung in München, und vom bisherigen Management weiter betrieben. "Das sind Leute mit Standortbindung, die leben hier und ver- markten den Raps der Region. Eine Plan- insolvenz von innen heraus bedeutet zwar einen steinigen Weg ­ aber am Ende eines solches Weges kann es ja auch schöne Plätze geben, oder?"

Fünf Minuten außerhalb der Stadt, 218 Hektar Fläche, Bahn- und Autobahn-anschlüsse und ein eigener Donauhafen ­ der Flächenbedarf der grünen NawaRo-Unternehmen, die hier tonnenweise Raps, Mais und Holz verarbeiten, ähnelt dem der alten Stahlindustrie. "Wir verstehen uns als Standort für die stoffliche und energetische Verwertung von Biomasse", sagt Löffert. "Viele Städte behindern diesen neuen Wirtschaftszweig mit irrelevanten Vorgaben."

Löffert kennt die Branche, zuvor hat er in der Wirtschaftsförderung der Stadt Regensburg gearbeitet. Zwar hat auch Straubing Auflagen gemacht, aber dank der hiesigen Kompetenz boten die Beamten sofort Lösungsvorschläge an. "Hier flutscht es", sagt Löffert, denn die Strukturen in den Behörden sind schlank ­ nur zwei Dutzend Beamte beschäftigen sich mit Genehmigungen.

Vorteilhaft sei auch, dass Landkreis und Stadt nicht nur die Genehmigungen erteilen, sondern auch Gesellschafter des Industrieparks sind. Das mache es leichter, für eine Unternehmensansiedlung alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und "einen persönlichen Bezug zwischen Sachbearbeitern und Investoren herzustellen".

Schwieriges Wetter

Kurze Wege, bunte Forschung, flinke Behörden, saftige Felder und florierende Unternehmen. Wie ausgewachsen ist das Cluster im Gäuboden? "Ach nein", winkt Löffert ab, "für ein Cluster müssten sich alle Akteure noch besser vernetzen. Erst wenn die wissenschaftlich-technischen Einrichtungen und die unternehmerischen Einheiten in regem Austausch stehen, entsteht so etwas wie eine Exzellenzregion." Auch Werner Döller vom Kompetenzzentrum bestätigt: "Ein Cluster sind wir offiziell nicht." Denn so werden in Bayern nur die 19 von der Staatsregierung eigens geförderten und zentralisierten Netzwerke genannt ­ und zu denen gehört Straubing nicht. Noch nicht.

Aber so fruchtbar die Rahmenbedingungen für nachwachsende Rohstoffe im Gäuboden auch sind, so konfliktreich ist das Thema auf globaler Ebene. Die NawaRo-Märkte sind jung, wild und instabil ­ und sie sind derzeit ethisch umstritten. Im Mai kritisierte etwa der US-Amerikaner Jeffrey Sachs die energiepolitische Wende der Indus-trieländer: "In den USA wandert in diesem Jahr ein Drittel der Maisernte in den Benzintank. Das ist ein riesiger Rückschlag für die weltweiten Lebensmittelvorräte." Sachs ist Direktor des Earth Institute an der Columbia-Universität und Berater von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Um den Konflikt zwischen Hunger und Energiebedarf zu entschärfen, forderte Sachs die USA und Europa auf, ihre Biosprit-Produktion zu drosseln. Vordergründig gefährdet die Tank-oder- Teller-Debatte auch einige Unternehmen im Gäuboden. Andererseits will Brüssel den Anteil von Biosprit in der EU bis 2020 auf zehn Prozent erhöhen, den Anteil erneuerbarer Energien sogar auf 20 Prozent. Die grünen Energien sind fester Bestandteil der europäischen Klimaschutzstrategie.

In Straubing ist man daher zuversichtlich: Eine Biogas-Forschungsanlage sei schon in der Pipeline, sagt Andreas Löffert, und mittelfristig werde auch ein Biomassekraftwerk kommen ­ jenes Projekt, das in Regensburg gescheitert war, soll Ölmühle und Pelletwerk in Straubing-Sand klimaneutral mit Energie versorgen.

Wo Tauben sind,

da fliegen Tauben hin

Jedes Cluster ist nur so wachstumsfähig wie sein Markt. Je volatiler der Markt, desto besser, wenn sich die Clus- ter-Einheiten gegenseitig stützen. Hier zeigt sich die Robustheit des Straubinger Modells, das eher einem gepflegten Garten gleicht als dem internationalen Politikdickicht.

In Straubing forschen sie seit Jahren an den neuralgischen Punkten der Energiewende. "Genau darum geht es bei dem Hirse-versus-Mais-Projekt oder bei der Ethanolforschung, die das Potenzial von Stroh testet", erklärt C.A.R.M.E.N.-Chef Werner Döller. "Im TFZ züchten die Forscher der ehemaligen Landesanstalt gerade Elefantengras, um zu testen, wie es sich als Biomasselieferant bewährt." Im Idealfall werden die TFZler zu Trendscouts und zu Laboranten gegen den Klimawandel.

Die Probleme, die die Menschheit in mehr als hundert Jahren Industrialisierung geschaffen hat, kann man nicht über Nacht lösen. Auch werden die Wirren der Globalisierung wohl nicht ausgerechnet in Straubing entflochten. Aber sie schaffen hier eine neue, eine grüne Industrie. Die Keime sind nicht zu übersehen, auch wenn die Synergien zwischen Wissenschaft, Technologiezentrum und Wirtschaft bislang eher klein sind.

CompacTec hat sich jetzt an einer Studie des Kompetenzzentrums zum Markt- verhalten von Pelletheizungs-Käufern beteiligt, Studenten können im Betrieb Diplom- und Doktorarbeiten zu diesem Thema schreiben. Noch sind daraus kaum Unternehmensgründungen entstanden. Dafür klappt die Zusammenarbeit der grünen Industriellen umso besser ­ das Biomassekraftwerk für Straubing gehen Campa und CompacTec gemeinsam an.

Münden die Technologien und Ideen aus dem TFZ in Produkte, Dienstleis-tungen, Verfahren und Unternehmen? "Ich bin sicher, dass das jetzt anläuft", sagt Löffert und blickt aus dem Fenster seines Büros auf die Baustelle. Vor einem halben Jahr erst haben sie dort drüben den Grundstein für den "BioCubator" gelegt: Büros und Labore für Gründer und Industrieforscher. Im Oktober wird das Gebäude fertig sein, zur Hälfte ist es bereits vermietet.

"Hier in der Region haben drei von vier Ansiedlungen im vergangenen Jahr mit nachwachsenden Rohstoffen zu tun", sagt Andreas Löffert und lächelt zufrieden: "Wo Tauben sind, da fliegen Tauben hin."

Epilog

Straubing wurde mittlerweile der Titel "Wissenschaftsstadt" verliehen ­ und Verleger Hermann Balle für seinen Einsatz zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Zur Ruhe setzen will sich der 71-Jährige aber noch lange nicht: Der von ihm gegründete Verein "Hochschulstadt Straubing e.V." soll der Stadt nun zu einer Hochschule verhelfen. Vorträge am Kompetenzzentrum, ein Auto für die Studierenden, die zwischen Straubing, der TU München und der FH Weihenstephan pendeln ­ der Verein finanziert einiges.

Das Echo in der Stadt auf die Initiative blieb bislang verhalten. Kürzlich war allerdings Günther Beckstein hier, Stoibers Nachfolger als Ministerpräsident. Es wurde auch gegessen.