Das Handschulheim

Dick in Metten verkauft das beste Werkzeug der Welt. Weil aber nicht jeder mit japanischen Stemmeisen oder indischen Hobeln umgehen kann, erteilt die Firma ihren Kunden Nachhilfe. Und lehrt sie, wie man Kanus baut, Holzhütten zimmert und Geigen restauriert.




Am Rande des Naturparks Bayerischer Wald, ein paar Autominuten westlich von Deggendorf, gibt es ein besenreines Dorf namens Metten, das zwar nett, aber an sich noch nichts Besonderes ist, gäbe es nicht in diesem Ort, genauer gesagt an der Donaustraße 51, die direkt hinunter zum Fluss führt, ein weißes Gebäude mit einem sauber gepflasterten Parkplatz davor.

Manchmal, wenn im nahe gelegenen Dammersbach Schulungen stattfinden, füllt sich dieser Parkplatz mit Fahrzeugen aller Preis- und Hubraumklassen, deren Kennzeichen auf eine starke überregionale Anziehungskraft dieses Ortes schließen lassen. Und sobald der Besucher seinen Wagen geparkt und das Gebäude betreten hat, steht auch er staunend neben anderen Kunden, ach was, Bewunderern, in einem Laden, bis unter die Decke gefüllt mit den schönsten Sägen, Hämmern und Hobeln, die man sich nur vorstellen kann.

Es gibt stufenförmige Podeste, Vitrinen und Regale, in denen der Formenreichtum der Werkzeuge dieser Welt erblüht. Stecheisen, Beil und Beitel werden in der Schweiz, in Japan und China offensichtlich unterschiedlich buchstabiert, ihre Griffe, Stähle und Schliffe scheinen direkt mit dem Produkt zusammenzuhängen, das der Handwerker des jeweiligen Landes daraus schnitzt ­ Madonna, Ninigi oder Buddha.

Oder die Hobel. Es gibt massive Klassiker, dicke Holzklötze mit Eisenklinge im Boden; edle Ganzstahlhobel aus den USA, die aussehen wie getunte Formel-1-Boliden; grün epoxidbeschichtete Rennschlitten aus Europa und kunst-volle Nachbauten britischer Metallhobel aus dem indischen Jalandhare.

Und natürlich gibt es jene robusten Urwerkzeuge aus Japan, deren Schlichtheit sofort signalisiert, dass die einzige Sicherheit des Handwerkers seine geschulte Hand ist.

Überhaupt, die Japaner! An der linken Seite des Raumes ist eine ganze Wand mit Japan-Sägen bestückt, die auf den ersten Blick gleich aussehen: lange, beidhändig zu bedienende Griffe, zierliche Sägeblatter, die Blattstärke extrem dünn. Erst beim genauen Hinschauen auf die Katabas, Dozukis und Ryobas fallen die Unterschiede auf. Ihnen allen scheint ein völlig anderes Verständnis von Sägen zugrunde zu liegen.

160 Jahre Tradition

"Willkommen bei Dick", weckt den Besucher plötzlich eine Stimme, und eine blonde Dame streckt die Hand zum Gruße aus: "Petra Steinberger, hallo", sagt sie, stellt sich als geschäftsführende Gesellschafterin der Dick GmbH vor und fragt: "Na, wie gefällt Ihnen unser Spielzeugladen für Männer?" Sie lächelt, natürlich weiß sie, dass diese lockere Formulierung eine derbe Untertreibung ist.

Kein anderer Laden in Deutschland bietet derart viel edles Werkzeug. Die einzige Einschränkung: von jedem nur das Beste. Wohlgemerkt, die Dick GmbH, von der diese Geschichte erzählt, ist weder verwandt noch verschwägert mit dem schwäbischen Messerhersteller Friedr. Dick, der sich auch auf feines Werkzeug, aber eben nur auf Messer spezialisiert hat.

Diese Firma hier, Dick in Metten, ist ein Manufactum des Handwerks. Allerdings verkaufen die Mettener die guten Dinge nicht nur, sie bauen sie auch. Dick handelt seit 160 Jahren mit Musikinstrumenten, seit rund 100 Jahren produziert das Unternehmen auch Spezialwerkzeuge für den Geigenbau, seit Mitte der Neunziger lässt ein weltweit einzigartiges Workshop-Programm die Herzen von Handwerkern schneller schlagen. Deren Tätigkeit als Hobby zu beschreiben wäre ähnlich despektierlich, wie diesen Tempel von einem Werkzeugladen als Showroom oder Spielzeuggeschäft zu bezeichnen.

Die Produkte:

Instrumente der Leidenschaft

In 160 Jahren hat sich die Welt des Handwerks verändert. Heute gibt es Industrieprodukte, Fertighäuser, Schnäppchenmärkte und Massenware. Aber heute gibt es auch Hobbykeller, Qualitätsversandhäuser, Highend-Händler und immer mehr Menschen, die in ihrer Freizeit etwas schaffen wollen, mit den Händen.

Diese Menschen kaufen bei Dick die Instrumente für ihre Leidenschaft. Jeder Werkzeug-Afficionado landet irgendwann beim Dick-Katalog, einer fingerdicken Bibel, die alle zwei Jahre neu aufgelegt wird. Immer mehr pilgern irgendwann nach Metten, weil sie einfach mal Unikate wie etwa einen voll funktionsfähigen schottischen Hobel aus Stahl, Bronze und Palisanderholz bestaunen wollen, Baujahr 1880, Preis: 3272 Euro. Die meisten reisen an, weil sie in Dammersbach, zwei Kilometer nördlich die Straße hoch, einen Workshop besuchen.

In 160 Jahren hat sich auch Dick verändert. Vom Instrumentenmacher zum Werkzeughandel und -versand bis hin zu einer Handwerkerschule. Natürlich verlief so ein Wandel nicht ohne Krisen. Ende vergangenen Jahres etwa stieg mit Rudolf Dick der letzte Gründernachfahre aus der Firma aus. Rudolf hatte mit seinem Bruder Heinrich Dick das Unternehmen zwar ausgebaut, dabei aber die Zahlen vernachlässigt.

2005 stieg eine Investorengruppe ein, und so kam Petra Steinberger nach Metten. Vorher hatte die Controllerin mit Brathähnchen (Wienerwald) und mit Computern (DEC) zu tun. In den Werkzeughandel hat sie sich sofort verliebt: "Ich hatte damals genug erfahren, um zu wissen: Das Geschäft lohnt sich", erzählt sie, "vor allem aber gefiel mir die Haltung hier. Wir befinden uns bei Dick in einer langen Tradition. Gewinn ist notwendig, aber er ist nicht das wichtigste Ziel."

Rund 10000 verschiedene Artikel lagern in den Regalen des Warenhauses, 1200 Sendungen verlassen täglich die Hallen, sie gehen in 80 Länder der Erde. Was die 76-Mitarbeiter-Firma erwirtschaftet, ist Betriebsgeheimnis, "aber in den vergangenen Jahren ist der Umsatz jeweils zweistellig gestiegen", verrät Steinberger. Den größten Anteil macht der Werkzeughandel aus, rund 80 Prozent. Steinbergers aktuelle Baustelle ist die Optimierung der Lagerungszeiten, der Logistik und des Vertriebs.

Es wäre naiv, anzunehmen, dass ein Traditionsunternehmen, dessen Kern-geschäft aus der Pflege alter Techniken besteht, ohne neueste Technik überleben könnte. Doch bei aller Modernität, das Herz des Unternehmens schlägt für die Liebe zum Handwerk. Und seine Entwicklung von der Manufaktur zur Liebhaber- und Wissensmarke ist eine typische deutsche Geschichte.

1848, im deutschen Revolutionsjahr, eröffnete der Trompetenbauer Heinrich Dick in der sächsischen Geigenbaustadt Markneukirchen sein Geschäft, dort verkaufte er Musikern Instrumente und Instrumentenbauern Spezialwerkzeuge, die er teils auf Messen einkaufte, teils selbst erfand. Nach der Jahrhundertwende vergrößerte sein Sohn Hermann Dick den Geschäftsradius und versorgte von Sachsen aus ganz Europa mit Ins-trumenten, Zubehör und Spezialwerkzeugen, vornehmlich für Streichinstrumente. In den zwanziger Jahren legte die "Saiten- und Musikinstrumenten-Spezialitäten-Fabrik Herdim" (Herdim steht für Hermann Dick Markneukirchen) ihre Kataloge in fünf Sprachen auf. Dann kamen der Zweite Weltkrieg und die Teilung Deutschlands.

Die Idee:

Werkzeug plus Handhabung

Gründerenkel Günther Dick zog es fort aus der DDR, er machte rüber, nach Niederbayern. In Metten fand er Arbeit in einem Sägewerk, er fand eine Frau, und er fing als Ein-Mann-Unternehmen ganz von vorne an. Er stellte wieder Zubehörteile für den Instrumentenbau her, kaufte feine Werkzeuge ein und verschickte sie durch Europa. Natürlich hatte der Krieg die alten Netzwerke nicht zerstört. Bis heute reisen Geigenbauer nach Metten, um im Dickschen Holzlager nach dem rechten Stück für eine einmalige Violine zu suchen.

Als Günther Dick kürzlich nach seinem 100. Geburtstag starb, hatten seine Söhne den Versandhandel längst auf Werkzeuge aus aller Welt ausgebaut. Ganz in der Tradition der Väter hatten sie den Globus nach dem besten und schönsten Gerät durchforstet, das sie nach und nach in den Katalog aufnahmen. Die Marke Herdim ­ heute noch das Maß der Dinge für Geigenbauwerkzeuge ­ trägt nur noch 20 Prozent zum Gesamtumsatz bei.

Die letzte Wende nahm das Geschäft, als die Dick-Brüder in den neunziger Jahren Japan entdeckten. Entsprechend der lebendigen Tradition (die meisten der filigranen Einfamilienhäuser werden dort immer noch aus Holz gefertigt) sind die japanischen Beitel, Beile, Messer, Hobel und Sägen von atemberaubender Qualität. Aber die Werkzeuge aus Fernost sind auch erklärungsbedürftig. Können Sie sich noch an Ihre erste Schale Reis erinnern und den Versuch, mit Stäbchen zu essen? So ungefähr, nur vielfach potenziert, verhält es sich zum Beispiel mit japanischen Sägen. Ihre Blätter sind oblatendünn, die Griffe länglich geformt, sie sehen aus wie kleine Ruder. Statt mit kraftvoll wiegenden Stößen sind diese feinen Schneidwerkzeuge eher mit den Fingerspitzen zu ziehen. Wie das genau geht, lässt sich in keinem Katalogtext erklären.

Diese didaktische Herausforderung war die Geburtsstunde der Dickschen Workshops. Die Brüder flogen Meistertischler aus Japan ein, die den neugierigen europäischen Handwerkern Einblicke in die japanische Zimmermann-Tradition boten. Die Meister aus Fernost gehören bis heute zu den beliebtesten Lehrern im Programm. Mittlerweile sind einheimische Könner dazugekommen. Schreiner, Drechsler, Sattler, Schmiede, Goldschmiede, Restauratoren, Messermacher, Schnitzer, Bogenbauer; rund 50 ehrenwerte Namen umfasst das Register. "Traditionelles Handwerk erleben!" steht auf dem Kursprogramm, auf 200 Workshops kommen sie hier im Jahr.

Der Trend:

Lernen unterm Markendach

Und damit haben sich die Mettener aus Not und Intuition an die Spitze einer sehr zeitgenössischen Entwicklung, ja eines echten Trends gesetzt. Branded Education nennt man dieses Lernen unterm Markendach in der Marketingwelt. Die Erwachsenenbildung ist ein Wachstumsmarkt und ein Kundenmagnet. Kamerahersteller wie Kodak, Nikon und Leica zum Beispiel veranstalten seit Jahren Kurse, in denen Laien auf Tuchfühlung mit Meisterfotografen gehen können. Bei Hornbach und Obi kann man lernen, wie man Fliesen legt, Fenster einsetzt oder Teppiche verlegt. Aber nur Dick in Metten hat diese besonderen Kurse, die nicht nur den Handwerker in uns schulen.

Christine, Produktdesignerin aus Köln beispielsweise, hat den "Grundkurs Holzbearbeitung" gebucht, drei Tage für 250 Euro, weil sie endlich ihre Modelle richtig bauen will. Sie steht an einer Werkbank, testet den Unterschied zwischen Zinken- und Schwalbenschwanz und "wie mühelos sich mit diesen japanischen Zugsägen ein sauberer, gerader Schnitt herstellen lässt".

Es herrscht eine konzentrierte Stimmung, gleichmäßige Sägetöne und das rhythmische Klopfen der Stemmeisen sind die einzigen Geräusche. Und die ruhige Stimme von Christoph Gramsammer. Der Kursleiter, der vorwiegend als Fassmaler, Vergolder und Restaurator arbeitet, schreitet durch die Werkstatt. Macht Mut, spendet Lob, korrigiert Fehler. "Unsere Kurse in traditionellen Handwerksmethoden sind in Europa einzigartig", sagt Gramsammer. Seit Anfang der neunziger Jahre vermittelt er hier "das Elementare": sägen, stemmen, richtig anreißen. "Die Kursteilnehmer bestimmen, wo wir anfangen und wo wir aufhören", sagt der Meister. Diesmal sind Holzverbindungen dran.

Die Kurse:

Lebenshilfe und Werbung

Der 61-jährige Münchner Werbeberater Wolfgang hat in der Nähe einen alten Bauernhof, den er im nahenden Ruhestand eigenhändig ausbauen will. Der 19-jährige Paul wird bald eine Schreinerlehre beginnen. Sein künftiger Lehrherr hat ihm den Kurs spendiert, "weil man heute beim Schreinern so klassische Holzverbindungen gar nicht mehr lernt". Ein Anästhesist aus Halberstadt sieht den Kurs als "Lebenserkundung". Er will wissen, ob er Talent für so etwas hat. Ein Münchner Fachhochschullehrer ist stolz auf seine eigene Werkstatt, hier studiert er das Vermitteln von Praxis: "Ich komme wieder in die Rolle des Lernenden und erlebe die Probleme meiner Studenten." Wieder etwas anderes treibt die ältere Dame, die im Herbst ihren Mann bei einem Bootsbaukurs begleiten wird. Sie wolle sich, sagt sie, dabei einfach nicht ganz so ungeschickt anstellen.

Es ist, wie Gramsammer anmerkt, "ein Schnitt durch alle sozialen Schichten", der in den Dick-Workshops, je nach Talent und Hingabe, sägt, stemmt und baut. Die Preise sind moderat. Sie beginnen bei 90 Euro für den eintägigen Kurs "Schärfen von Schneidwerkzeugen" und erreichen fast 3000 Euro für einen neuntägigen Workshop "Kanadier aus Zedernholz", inklusive Material für ein Boot, das jeder Teilnehmer anschließend mitnehmen kann.

"Unsere Workshops sind kein großes Geschäft", sagt Petra Steinberger, "aber dennoch unbezahlbar: Wir bekommen dadurch kostbares Feedback, sparen aufwendige Marktuntersuchungen, und natürlich generieren die Kurse auch Umsatz für den Laden. Zudem sorgen sie für Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Wartelisten für die Kurse werden immer länger. Irgendwie sind sie ja auch ein Stück Lebenshilfe."

Sie sind Rituale. Wer lernt, mit seinen Händen zu arbeiten, bekommt es immer auch mit seinem eigenen Scheitern zu tun ­ und mit seinem Stolz. Er wird sich identifizieren mit dem, was er selbst geschaffen hat. Das hallt nach. Deshalb führen die Kurse dem Unternehmen immer wieder auch Mitarbeiter zu. Denn, wie gesagt, wer Werkzeug wirklich liebt, der landet irgendwann automatisch bei Dick. Zahlreiche Produktmanager kamen zuerst als Kunden nach Metten.

Petra Steinberger kam als Controllerin ­ geblieben ist sie aus demselben Grund, der alle herzieht oder hier hält: der Liebe zu den schönen Dingen. "Die Leute nennen mich oft Frau Dick", sagt sie und schaut einen Moment lang auf ein Regal voller wunderschöner Hobel aus aller Welt. Sie lächelt. "Ja, ich glaube, ich bin Frau Dick."