Editorial



Edition 09 gemeinschaften


Haben wir wirklich die Corona-Krise gebraucht, um vom Ich zum Wir zu kommen, wie es diverse Welterklärer seit Wochen behaupten? Hat uns tatsächlich nur die Angst vor dem Virus zusammengeschweißt und nett zueinander sein lassen? Selbstverständlich nicht. Gemeinsam ausgestandene Furcht mag eine bleibende Erinnerung sein und Anlass für weinselige Abende unter Freunden bieten – als Basis für eine stabile Gemeinschaft taugt sie nicht.

Für ein Miteinander, das dem Einzelnen Halt und Geborgenheit gibt, sind gemeinsame Ideale schon besser geeignet. Die Mitglieder des Yamagishi-Dorfes in der Nähe von Zürich beispielsweise träumen seit jeher von einem anderen, einem glücklicheren Leben und haben ihren Traum schon vor Jahrzehnten wahr gemacht (Seite 170).

Auch handfeste kollektive Ziele und Interessen sind einer Gemeinschaft nicht abträglich, wie eine Reise durch Deutschland zeigt: In Nörten-Hardenberg rettete Bürgersinn ein Hallenbad, in Scheeßel betreiben Eltern eine Schule – die alte Idee der Genossenschaft findet landauf, landab immer neue Anhänger (Seite 100). Sogar als Geschäft lässt sich Gemeinschaft erfolgreich bauen – wenn das Produkt hält, was es verspricht: In Tel Aviv verbindet das Start-up Venn überzeugend die Sehnsucht nach der Geborgenheit des Landlebens mit den Vorzügen der Stadt und schafft bereits für Hunderte Gemeindemitglieder eine neue Form von Nachbarschaft (Seite 70). Da hat es die Familie naturgemäß leichter, sie muss nicht erst gebaut werden – Eltern und Geschwister sind die Menschen, mit denen wir unsere längste Beziehung haben. Aber auch diese Verbindungen wollen erarbeitet und immer wieder neu definiert werden, wenn das Konstrukt nicht nur Schicksalsgemeinschaft sein und ein Leben lang Stabilität und Sicherheit geben soll (Seite 126, 110, 138).

Wir – das sind Liebende, Freunde, Gemeinden, Kulturen, Gesellschaften, Teams, Unternehmen. Zunächst aber und vor allem sind wir – Individuen. „Als Einzelne sind wir klug und stark, aber als Team spinnen wir“, meint der Autor Gunter Dueck in seinem Buch „Schwarmdumm“, in dem er gegen falsche Wir-Gefühle anschreibt. Weil das Individuum in der Gruppe Dinge tue, die es als Mensch ohne Fesseln und Zwänge nie täte. Anders gesagt: Das Ganze ist nur dann mehr als die Summe seiner Teile, wenn jeder Einzelne stark sein darf und sein Bestes geben kann. Wo das nicht erlaubt ist, bleiben wir besser beim Ich. (Seite 24).

Edition 09 gemeinschaften

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