Sea-Eye

Michael Buschheuer ist gelernter Maler und Lackierer und leitet in dritter Generation einen Betrieb für Korrosionsschutz in Regensburg. 2015 gründet er eine Seenotrettung, drei Jahre später eine zweite Hilfsorganisation für Geflüchtete. Alles nebenbei. Warum tut er sich das an?






Dritte-Michael-Buschheuer-Generation: Der 45-Jährige hat sechs Geschwister. Er wusste früh, dass er den Betrieb seines Vater weiterführen wollte

• Morgens fuhr er ins Büro, mittags zu Kunden, abends nach Hause, hörte dabei Radio, und immer ging es ums Sterben. 13. April 2015: mehr als 400 Tote vor der libyschen Küste, 16. April: 53 Tote, 19. April 2015: mehr als 800 Tote zwischen Libyen und der italienischen Insel Lampedusa. Fast 1300 Menschen in einer Woche, ertrunken im Mittelmeer bei der Flucht in ein besseres Leben. Im Mittelmeer, da lag auch das Segelboot von ihm und seiner Freundin. „Die Vorstellung, dass wir da im Urlaub segeln und in der Nähe ertrinken Menschen, war für mich unerträglich“, sagt Michael Buschheuer.

Er fühlte sich verantwortlich, es quälte ihn. Wie beim Autounfall eines Fremden, sagt er. Man könne nichts dafür, aber wenn man dran vorbeifahre, müsse man helfen. Galt das nicht auch für die Menschen im Mittelmeer? Er hatte ja das Boot und konnte segeln. Allerdings war er gelernter Maler und Lackierer mit einer Firma für Korrosionsschutz. Im Mai 2015 saß Buschheuer, damals 38, mit einem Kumpel in einer Kneipe, sie tranken Bier und waren sich am Ende einig, dass man etwas unternehmen müsse. Er dachte einen Tag lang drüber nach, dann fragte er seine Freundin, die gerade zum zweiten Mal schwanger war, ob sie eine Seenotrettung gründen sollten. Sie sagte sofort Ja. Sie sah das so wie er. Wenn wir nur einen Menschen retten, hat es sich schon gelohnt.

Es ist ein schwüler Sommertag in Regensburg. Michael Buschheuer sitzt am Steuer seines silbernen Elektro-SUVs, seine dunklen Haare, die am Ansatz grau werden und immer ein wenig zerzaust aussehen, sind zum Zopf gebunden, sein linker Arm lehnt auf dem offenen Fenster, die Ärmel seines T-Shirts flattern im Wind. „Das war eine bewusste Überforderung“, sagt er über die Entscheidung vor sieben Jahren. Er hat gerade seine Firma im Hafengebiet an der Donau gezeigt. Dritte Michael-Buschheuer-Generation, 1934 von seinem Großvater als Malerbetrieb im niederbayerischen Mallersdorf gegründet, inzwischen hat das Unternehmen sechs Produktionsstätten für rost- und brandschutzsichere Stahlteile in Bayern. „Ich war für Seenotrettung nicht qualifiziert, aber dachte, es gibt die Chance, dass es klappt, also müssen wir es probieren.“

Vermutlich hat er das damals schon mit demselben entschlossenen Blick gesagt. Was kann schon schiefgehen. Sein Onkel, Hans-Peter Buschheuer, bezeichnet das als die niederbayerische Sturköpfigkeit, die in der gesamten Familie, bei seinem Neffen aber besonders ausgeprägt sei. Für die Regensburger Oberbürgermeisterin, Gertrud Maltz-Schwarzfischer, SPD, ist es die innere Ruhe und Gewissheit, das Richtige zu tun.

Dass Michael Buschheuer dann wenig später zwei Unternehmen und drei Leben gleichzeitig haben sollte, damit hatte er aber auch nicht gerechnet.


Das zweite Unternehmen: In einer alten Halle auf dem Hafengelände sammelt seine zweite Hilfsorganisation Space-Eye Waren für Geflüchtete

Foto: © Maik Lüdemann / sea-eye

Die von Buschheuer mit Familie und Freunden gegründete Seenotrettung Sea-Eye ist heute nach eigenen Angaben eine der drei größten in Deutschland

Sea-Eye: die erste Hilfsorganisation

Ende September 2015 saßen Buschheuer, seine Freundin Hanni, die er drei Jahre zuvor im Kroatien-Urlaub kennengelernt hatte, mit Familie und Freunden in einem Gasthaus in Regensburg. An die 20 Leute, er hatte ihnen eine SMS geschrieben: Wer will eine Seenotrettung mitgründen? Sea-Eye sollte der Verein heißen, Buschheuer wollte sofort mit dem eigenen Segelboot los, die anderen sagten, du spinnst! Stattdessen kaufte er für 27 000 Euro auf Rügen einen alten Fischkutter und ließ ihn in einer Rostocker Werft umbauen. Krankenstation im Laderaum, 700 Schwimmwesten, 400 Rettungsinseln, dazu Konserven und Wasser. Die Gruppe zahlte, Spenden gab es fast noch keine. Am 22. Februar 2016 stachen sie in See, von Licata, Sizilien, nach Lampedusa und dann nach Malta. „Wind of Change“ stand auf der Bordkante, sie waren zu acht, Buschheuer war mit an Bord. „Ich wusste, dass ich das einmal machen muss, um von zu Hause aus die Einsätze koordinieren zu können.“

Der Verein wuchs schnell. Die Toten im Mittelmeer waren für viele Leute unerträglich, sie spendeten Geld, wollten helfen. Buschheuer hatte die Verantwortung für das Rettungsboot, erinnerte die Crew, sich an die Regeln zu halten – zum Beispiel libyschen Hoheitsgewässern nicht zu nahe zu kommen. Die wich- tigen Entscheidungen traf er. „Das hat zu absurden Situationen geführt“, sagt er. Er war am See mit seinen Kindern, als er den Anruf erhielt, dass das Schiff entführt wurde. Nachts stand er manchmal um zwei Uhr auf, um mit der Seenotleitstelle in Italien zu telefonieren. Bei Kundenterminen verschwand er kurz auf der Toilette, um mit der Crew zu sprechen.

Seine Firma brauchte schließlich weiter Aufträge, seine 35 Mitarbeiter brauchten weiter einen Chef, und für seine drei kleinen Kinder wollte er weiter als Vater da sein. Eins, zwei, drei Leben. „Es macht mir nichts aus, viel zu arbeiten, aber das war sehr heftig“, sagt Buschheuer.

Er tritt abrupt auf die Bremse und legt den Rückwärtsgang ein. Aus dem Auto, das gerade vorbeifuhr, hat jemand gewunken: Wolfgang Suntrup, 82, der erste ehrenamtliche Kapitän von Sea-Eye. Kurzer Small Talk, dann übergibt dieser Buschheuer ein Acrylbild, ein Geschenk von Geflüchteten. Er unterstützt ihn jetzt bei den anderen Hilfsprojekten. Buschheuer begegnet ständig irgendwem. Er ist zum Promi in Regensburg geworden, über seine Hochzeit im August 2016 wurde in der Lokalzeitung berichtet.

Mehr als 12 000 Menschen habe Sea-Eye in den ersten anderthalb Jahren gerettet, sagt Buschheuer. Die Hilfe funktionierte, änderte aber nichts an der Gesamtsituation. Am Osterwochenende 2016 ertranken zehn Menschen vor den Augen der Crew, weil auf dem Schiff kein Platz mehr war. Die, die dabei waren, verfolge das noch immer, sagt er. Natürlich fühle man sich ohnmächtig. Dagegen helfe ihm aber nur, weiterzumachen.

Den Drang, etwas gegen dieses Gefühl zu tun, hatte er schon mit 18, als er in Regensburg bei Greenpeace aktiv wurde. Er war gerade von Mallersdorf, einem Ort mit damals 6600 Einwohnern, für eine Lehre als Maler und Lackierer im Betrieb seines Vaters in die größere Stadt gezogen. „Mich hat schon immer interessiert, wie die Welt funktioniert und was ich tun kann, damit sie lebenswert bleibt.“

Buschheuer hat sechs Geschwister, drei Brüder, drei Schwestern, und wusste früh, dass er, der Drittgeborene, das, was sein Großvater und Vater aufgebaut haben, weiterführen wollte. „Entscheidungen zu treffen, vorwärts oder rückwärts, fällt mir nicht schwer. Aber in der Seenotrettung ging es ständig um Leben und Tod, die Situationen wurden immer komplexer, und ich merkte, dass die Qualität meiner Entscheidungen nachließ“, sagt er. Einmal habe er entscheiden müssen, ob er das Rettungsboot zum Tanken oder mit halb leerem Tank zu einem sehr weit entfernten Schiff in Not schickt. „Beide Optionen waren schlecht. Ich habe mich fürs Tanken entschieden, mir dann aber vorgeworfen, dass wegen mir Menschen gestorben sind.“

Zwar hat ihn seine Familie unterstützt – sein Onkel, Hans-Peter Buschheuer, zwölf Jahre lang Chefredakteur des »Berliner Kurier«, als Pressesprecher und bei der Spendenakquise, sein jüngster Bruder Benedikt Wagensonner, Musiker, mit Benefizkonzerten und Crowdfunding-Aktionen, sein Vater im Betrieb, seine Frau kümmerte sich viel um die Kinder – trotzdem geriet er an Grenzen. Zivile Seenotrettung wurde unter anderem wegen vermehrter Kontrollen und Festsetzungen der Schiffe durch die italienischen Behörden immer schwieriger, die Situation im Verein komplizierter. „Da gab es sehr unterschiedliche Charaktere – und das in Extremsituationen“, sagt Buschheuer. Er sei zunehmend persönlich angegriffen worden. Einmal sei einer der Kapitäne zu ihm nach Hause gekommen und habe ihm ein Foto mit einem Boot voller Leichen vors Gesicht gehalten: Deine Schuld! Die Crew habe näher als erlaubt an die Küste fahren wollen, Buschheuer hatte es verboten.

Im März 2018 beschloss er, sich aus dem Vorstand zurückzuziehen. Er wollte weniger machen, sei vom nachfolgenden Vorstand aber komplett herausgedrängt worden. „Ich hatte auf einmal keinen Zugang mehr zu Informationen und durfte Presseanfragen nicht mehr kommentieren.“

Sea-Eye ist heute nach eigenen Angaben eine der drei größten Seenotrettungsorganisationen in Deutschland. Sie wird in der »Tagesschau« erwähnt und erhält Spenden von Prominenten wie Hans Sigl, dem „Bergdoktor“. Wenn manche Leute Buschheuer aus Versehen noch für den Chef des Vereins halten und Schecks an ihn ausstellen, müsse er die kommentarlos weiterreichen. „Wie ein Nick-August“, sagt er. Man merkt, wie sehr ihn das ärgert.

Gorden Isler, 40, seit 2018 im Vorstand von Sea-Eye und seit 2019 dessen Vorsitzender, sagt, Michael Buschheuer habe selbst entschieden, den Vorstand zu verlassen – und danach habe der schnell wachsende Verein zügig professionalisiert werden müssen. Ein neues Schiff, fest angestellte Mitarbeiter, ein überarbeitetes Logo, Kommunikation nur noch in Abstimmung mit der Pressestelle, mehr Mitbestimmung für Mitglieder durch Beiräte. Bei einer Abstimmung im Vorstand habe man Buschheuer gebeten, den Raum zu verlassen – er habe kein Stimmrecht mehr. „Im Rückblick hätten wir sicher einiges besser machen können, insbesondere in der Kommunikation“, sagt Isler. Aber man sei voller Dankbarkeit und Respekt für das, was der Gründer am Anfang geleistet habe.

Buschheuer hält mit seinem Auto auf dem Parkplatz einer alten Lagerhalle. Die nutzt er für seine zweite Hilfsorganisation Space-Eye. Einfach aufhören konnte er damals nicht. Natürlich habe ihn das Thema weiter beschäftigt, sagt er, es sei eine moralische Pflicht, Menschen nicht ertrinken lassen, zudem Seerecht, er verstehe nicht, was es da zu diskutieren gebe.

Und wie hätte er das Nichtstun auch aushalten sollen? Er wusste jetzt, was er für Menschen in Not bewirken konnte. Und war längst zu einem Getriebenen geworden.


Ohne die Unterstützung seiner Frau Hanni hätte Michael Buschheuer all das nicht geschafft. Das Paar im Lager von Space-Eye

Space-Eye: das zweite Projekt für Geflüchtete

Das, wofür Space-Eye gegründet wurde – eine Satellitentechnik, um Flüchtlingsbewegungen im Mittelmeer zu erkennen – komme nur langsam voran, sagt Michael Buschheuer, als er in der Halle steht. In Kartons stapelt sich Kleidung, für Babys, Kinder, Erwachsene, daneben Kuscheltiere und Paletten mit Konserven. Das, was hier durch Zufall entstand – er deutet in den riesigen Raum – funktionierte besser. Am 23. Dezember 2019, als er mit seiner Familie das Weihnachtsessen vorbereitete, hörte er im Radio, wie Tausende Menschen im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos in nasskalten Zelten froren. „Das konnte ich nicht ertragen“, sagt er. „Wir wollten eine kleine Sammlung für das Lager auf unserem Firmengelände machen.“ Dazu rief er per Video in sozialen Medien auf.

In seinen Videos sieht man einen Mann, der sich mit Blick in die Kamera filmt und um Spenden oder Mithilfe bittet – vor halb renovierten Wohnungen, abfahrenden Lastwagen oder mit Leuten, die ein Fest für Geflüchtete organisiert haben. Die Botschaft: Wir packen an. Und du?

Damals brachten so viele Leute warme Kleidung und Decken, dass sie seinen Betrieb lahmlegten. Die Halle erhielt Buschheuer nach ein paar Stunden Telefonieren vom Hafenbetreiber. Die Freiwilligen schleppten die Kleidung und Decken in die Halle, falteten, sortierten sie und fragten irgendwann, warum Space-Eye nicht auch einen Transport in das Flüchtlingslager auf Lesbos organisiere, den Menschen dort Wohnungen vermittele – oder sie in Bosnien unterstütze. Inzwischen hat der Verein 250 Mitglieder und zwölf Projekte, dazu etliche für Ukrainerinnen und Ukrainer. „Viele sind entstanden, weil andere Ideen hatten oder die Initiative ergriffen haben“, sagt Buschheuer. Auch seine Schwester Mandy betreibt nun in der Nähe von Straubing, knapp 50 Kilometer entfernt, ein Hilfsprojekt.

Inzwischen ist Buschheuer so bekannt in Regensburg, dass zwei, drei Anrufe reichen, bis er etwas bekommt: eine weitere Halle, einen Lastwagen, freie Wohnungen. Er hat viele Fans hier, darunter auch die Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Sie sagt: „Was Michael Buschheuer, seine Familie und Freunde angestoßen haben, kann man nur bewundern. Seine Projekte haben zu einem neuen Nachdenken über Migration in der Stadt geführt – und zu einem stärkeren gesellschaftlichen Engagement. Natürlich engagieren sich hier auch andere Menschen ehrenamtlich, und die Stadt tut ebenfalls viel für Geflüchtete. Aber eine so schnelle und unbürokratische Hilfe können öffentliche Verwaltungen nicht leisten, deswegen bin ich froh, dass wir diese Gruppe haben.“ Daher hat der Stadtrat im Juli beschlossen, Buschheuer den sogenannten Brückenpreis zu verleihen. Er geht an Menschen, die Grenzen oder Gegensätze überbrücken und damit überregional Beachtung finden. Zuvor erhielt ihn beispielsweise Michail Gorbatschow. Auf einen Preis für besondere Verdienste um Regensburg hatte sich der Stadtrat im Vorjahr nicht einigen können. Ein AfD-Politiker soll auf Facebook geschrieben haben: „Der Schlepperkönig Buschheuer wurde sogar ernsthaft diskutiert. Armes Deutschland.“

Michael Buschheuer sagt, er sehe seinen Hauptverdienst darin, den ersten Schritt zu machen. „Viele Menschen würden gern helfen, wissen aber nicht wie. Man muss ihnen nur eine Möglichkeit bieten.“

Er will mit seinen Projekten auch die weitverbreitete Selbstwahrnehmung ändern, man könne als Einzelner sowieso nichts gegen die großen Probleme der Welt tun. „Wenn man eine Vision hat und den unbedingten Willen, sie zu verwirklichen, hat die Vision auch eine Chance“, sagt er. Oder: „Zusammen geht scho’ was!“ Gelegentlich klingt er wie eine Mischung aus Unternehmer und Animateur mit starkem bayerischem Akzent.

Kaum eine freie Minute

Am anderen Ende der Halle, wo Computer und Overhead-Projektoren stehen, die für ein Bildungsprojekt nach Bosnien gebracht werden sollen, ruft Buschheuer einen Mitarbeiter seiner Firma an. Fragt, wie’s bei einem Auftrag läuft und dann: „Du hast auf der Betriebsversammlung so skeptisch geschaut. Ist alles okay?“ Er ist nach wie vor ein Chef mit zwei Unternehmen, er telefoniert fast pausenlos.

Mal ist es jemand vom Verein, das Treffen mit der anderen Hilfsorganisation abends müsse verschoben werden, dann ruft Buschheuer einen Anwalt an, ein Kunde zahle die Rechnung nicht. Als Nächstes will eine Lokaljournalistin mit ihm über sein Wohnungsprojekt für Geflüchtete sprechen. Die Themen sind jetzt weniger dramatisch, Zeit für sein Segelboot hatte er in den vergangenen sieben Jahre trotzdem nur einmal.

Einen festen Tagesablauf habe er nicht, sagt er, einmal gemeinsam mit seinen Kindern essen, sonst richte er sich nach den Terminen und versuche, sich nicht von den Projekten auffressen zu lassen. In seiner Firma verliert er Geld, wenn er einen Auftrag ablehnt – lehnt er bei Space-Eye Ideen der Mitglieder ab, könnte jemand sein Leben verlieren.

An diesem Abend ist er dran, die Kinder ins Bett zu bringen. Danach folgt noch eine Vorstandssitzung. 21 Uhr. Wieder mal ein langer Tag.

Am frühen Nachmittag sitzt er im Wohnzimmer einer ukrainischen Familie. Olena Drus ist mit ihren Kindern Yulia, Ljubov und Konstantin vor einigen Wochen mit einem der Busse von Space-Eye aus Odessa nach Regensburg gekommen. Im Wohnzimmer steht ein kleiner Holztisch, durch den Raum ist eine Wäscheleine gespannt, auf einem Schreibtischstuhl schläft eine weiße Katze. Yulia, die Älteste, erzählt, dass sie schon in der Donau schwimmen waren und dass es in ihrer Heimatstadt auch einen Fluss gebe. Gerade hätten sie nach einem Sportverein gesucht. „Habt ihr denn schon eine Schule?“, fragt Buschheuer. Sport findet er wichtig, Schule noch wichtiger. Er könne den Kindern Fahrräder bringen, sagt er am Ende. Konstantin, ein blasser Junge, der bis dahin kaum etwas gesagt hat, strahlt.

Die Familie lebt nun in einem in die Jahre gekommenen Wohnblock aus den Sechzigern am Stadtrand. Er gehört der Wohnungsbaugesellschaft Stadtbau, sie will viele der Häuser irgendwann abreißen. Bis dahin stellt sie diese Space Eye für einen geringen Betrag zur Verfügung. Der Verein hat in Regensburg bereits 261 Menschen in neun Häusern untergebracht, viele davon hier. Familien aus der Ukraine, aus griechischen Flüchtlingslagern, Ortskräfte aus Afghanistan. Das Ziel sei es, möglichst vielen Geflüchteten eine eigene Wohnung zu bieten und sie dann zu betreuen, sagt Buschheuer. „Damit man ankommen und neu anfangen kann, braucht man ein richtiges Zuhause. Das hat man in einer Flüchtlingsunterkunft nicht.“


Olena Drus mit ihrer Tochter Yulia vor ihrer Wohnung, die Space-Eye ihnen vermittelt hat. Die Familie ist aus der Ukraine geflohen

Ein eigenes Projekt

Seine Bilanz ist in allen Unternehmungen gut. Space-Eye etwa hat im vergangenen Jahr 361 Menschen auf Lesbos, Samos und in Athen Wohnungen vermittelt, 183 Tonnen Hilfsgüter nach Griechenland und Bosnien transportiert und 1590 Care-Pakete an Geflüchtete in Athen verteilt. Michael Buschheuer ist mit seinem Vater seit 20 Jahren Geschäftsführer von Buschheuer Bau- und Korrosionsschutz – inzwischen der Chef –, in der Zeit ist der Umsatz kontinuierlich gestiegen, auf derzeit acht Millionen Euro, die Zahl der Beschäftigten von 20 auf 50, die Zahl der Standorte von zwei auf sechs. Auch das Geschäft haben sie weiterentwickelt, etwa als Zulieferer für die Autoindustrie.

Buschheuer glaubt, der Betrieb profitiere von seiner medialen Präsenz. Sein Vater, 76, der nach wie vor die Niederlassung in Furth-Bogen bei Straubing leitet und im Büro aushilft, sieht das ähnlich. „Wenn jemand so etwas macht, zeigt das ja, dass er geschäftsfähig ist und Ungewöhnliches schafft.“ Wie sein eigener Vater habe auch er immer viel gearbeitet, das, was sein Sohn auf die Beine gestellt habe, hätte er sich aber nicht zugetraut. „Er ist ein unglaublicher Kämpfer.“

Vielleicht ist die Flüchtlingshilfe des Sohnes auch ein Ausbruch aus dem Leben, an das er sich schon mit 17 band, als er in den Betrieb seines Vaters einstieg. Natürlich gehe es ihm auch darum, etwas Eigenes zu machen, sagt Michael Buschheuer, das Thema sei ihm aber – anders als der Korrosionsschutz – vor allem ein persönliches Anliegen. „Ich führe keinen inneren Kampf gegen Rost.“

Ohne seine Frau wäre er heute allerdings kein Mann, nach dem zeitweise eine Brücke in Regensburg benannt wurde, sondern Maler und Lackierer mit eigener Firma geblieben. Mittags, als die drei Kinder im Kindergarten und in der Schule sind, hat Hanni Buschheuer Zeit für ein Gespräch in einem Restaurant. Seit sieben Jahren ist es vor allem sie, die einkauft, kocht und sich um die Kinder kümmert. Ihr Medizinstudium macht sie nebenher. Hanni Buschheuer ist 33, eine zierliche Frau mit langen, braunen Haaren und einem offenen Lachen. Die ersten Jahre seien für sie nicht immer einfach gewesen, sagt sie.

Am Anfang habe sie noch bei allem dabei sein wollen. Sie wollte nicht nur abends mit ihrem Mann die Entscheidungen diskutieren, die zu treffen waren, sich über die EU-Flüchtlingspolitik ärgern, wegen der Hassbriefe von Rechten gemeinsam zur Polizei gehen, sondern das Projekt auch erleben. Sie war ja auch im Vorstand. Deshalb habe sie ihren Mann bei der ersten Sea-Eye-Fahrt bis zur Abfahrt in Italien begleitet und dann eine Woche in Malta auf ihn gewartet. Michael, der älteste Sohn, war gerade zwei Jahre alt, die Tochter Charlotte vier Monate. „Wir standen am Hafenbecken und haben gewunken, als sie weggefahren sind“, sagt sie. Der Sohn hatte Angst, dass sein Vater nicht wiederkommt. „Er hat ständig nach seinem Papa gefragt.“

Die Geburt ihrer Tochter sei schwierig gewesen, sagt Hanni Buschheuer, das Mädchen kam leblos zur Welt und musste reanimiert werden. „Auf Malta bekam Charlotte auf einmal Fieber und musste ins Krankenhaus. Die Situation dort allein mit den zwei kleinen Kindern war furchtbar und hat mich total überfordert. Ich habe dann für mich entschieden, dass es mir besser geht, wenn ich Michael den Rücken freihalte.“

Bei Space-Eye leitet sie nun das Projekt in Bosnien. Die Jahre der Seenotrettung seien belastend gewesen, auch für die Familie. Die vielen Toten, die Gesichter der Geretteten, die ständige Anspannung. Ihr Mann sei ernster geworden. „Ich würde aber jederzeit wieder eine Seenotrettung mit ihm gründen“, sagt Hanni Buschheuer.

Ihr Mann, der neben ihr sitzt, erzählt, wie er kürzlich in einem Bus stand und geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer begrüßte. Er habe versucht, ihnen eine Perspektive zu bieten, Mut zu machen, etwas Schönes über Regensburg erzählt. Auf einmal habe ein Kind „Papa“ gesagt. „Da merkt man, dass sie nicht nach vorne schauen können, weil sie alles verloren haben“, sagt er. An manchen Tagen sei es schwer auszuhalten. Es gebe aber auch Momente, wegen denen sich das alles lohne.

So wie vorhin, als er vor dem Haus stand, um die ukrainische Familie zu besuchen. Auf einmal näherten sich ein Junge und ein Mädchen, vielleicht sieben und zehn Jahre alt, auf ihren Rücken bunte Schulranzen. „Hallo!“, rief er erfreut. „Wie geht’s euch?“ – „Gut“, sagten die beiden und lächelten ihn an. „Wie läuft’s in der Schule?“ – „Gut!“ – „Grüßt eure Mutter von mir“, sagte er, und schon waren die beiden durch die Haustür im Treppenhaus verschwunden.

Es waren nur ein paar Sekunden, nur ein paar belanglose Sätze. Doch ohne ihn würden diese Kinder nicht zur Schule gehen. Sie lägen mit ihrer Mutter auf dem Grund des Mittelmeers. Ertrunken auf der Flucht aus Äthiopien. ---


An manchen Tagen sei all das Leid schwer auszuhalten, sagt Buschheuer

Mitgliederzahl: mehr als 800 (2016: rund 300)
Summe der benötigten Spenden pro Jahr: 3 Millionen Euro
Zahl der aktiven Seenotrettungsschiffe: 1
Mitglieder im Vorstand: 7
Zahl der geretteten Menschen seit 2016: mehr als 16 000

Gorden Isler, Vorstandsvorsitzender, sagt: „Sea-Eye ist größer geworden, und wir haben die Organisation professionalisiert. Weil die Schiffe inzwischen so groß sind und Seenotrettung so komplex geworden ist, haben wir rund 30 Beschäftigte an Land und auf See, die davon ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Zudem benötigen wir zahlreiche spezialisierte Juristinnen und Juristen. All das wie auch die gestiegenen Spritpreise, machen Seenotrettung deutlich teurer – wir benötigen viel mehr Spenden als früher. Das ehrenamtliche Engagement behalten wir aber überall dort bei, wo es möglich ist.“

(Isler ist selbst Unternehmer, er hat eine Firma für Versicherungs- und Finanzberatung in Hamburg.)

Mitgliederzahl: 250
Erwartete Spendeneinnahmen 2022: 1,5 Millionen Euro
Mitglieder im Vorstand: Michael, Hanni und Hans-Peter Buschheuer, Benedikt Wagensonner, Gabriela Wutz

Projekte (zum Teil in Kooperation mit anderen Hilfsorganisationen): Wohnungsvermittlung in Regensburg und in Griechenland; Betrieb einer Schule und eines medizinisch-psychologischen Versorgungszentrums auf Lesbos; Seenotrettung vor Lesbos (ein Schnellboot); Aufbau einer Bio-Farm und Nothilfe in Bihać, Bosnien; Winterhilfe für mehrere griechische Flüchtlingslager; Ukraine-Hilfe (unter anderem Bustransporte aus Odessa, Hilfslieferungen); halb automatisches Monitoring mit Satelliten- und Drohnenbildern, um Flüchtlingsboote erkennen zu können

Geschätzte Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer
… im Jahr 2015: 4055
… im Jahr 2016: 5136

… im Jahr 2021: 2048

Zahl der Menschen, die Europa über das Mittelmeer erreicht haben,
… im Jahr 2015: mehr als eine Million
… im Jahr 2022: knapp 47 000
(Stand: Anfang August 2022)

Staatliche Seenotrettung wurde in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt. Während die italienische Marinemission Mare Nostrum 2013 und 2014 vor allem Menschen retten sollte, konzentrieren sich die EU-Nachfolge-Operationen „Triton“ und „Sophia“ auf die Sicherung der EU-Außengrenzen sowie die Bekämpfung von Schleppern und irregulärer Migration. Dennoch haben auch diese Missionen – Sophia beschränkt sich seit 2019 auf Luftaufklärung – seit 2015 rund 44 000 Menschen gerettet. Laut dem Seerechtsübereinkommen der UN von 1982 gilt: Schiffbrüchige müssen so schnell wie möglich gerettet werden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Kooperation von Frontex, der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, mit libyschen Behörden. Deren Schiffe bringen Geflüchtete zurück in das Bürgerkriegsland, wo ihnen Folter und Misshandlungen drohen. Kritiker von Seenotrettung behaupten, diese setze Flucht- und Migrationsanreize: Mehr Menschen wagten die gefährliche Überfahrt nach Europa, weil sie davon ausgingen, aus ihren oft nicht seetüchtigen Booten gerettet zu werden. Außerdem unterstützten die Vereine das Geschäft der Schlepper. Studien zufolge gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz von Seenotrettern und der Zahl von Migranten auf dem Meer.