Rheuma in Russland

So geht die Welt mit Rheuma um.





Es ist kein Zufall, dass Natalja Leontschenkowa als Treffpunkt ein Café vorschlägt, das sich den Eingang mit einem Fitness-Center teilt. Dorthin geht die 52-jährige Sankt Petersburgerin regelmäßig, auch wenn sie in der Nomenklatur des russischen Gesundheitssystems wegen ihrer rheumatoiden Arthritis „Invalidin dritten Grades“ ist – und damit ein kostspieliger Patient.

„Mein Fitnessprogramm habe ich selbst zusammengestellt, als ehemalige Tennisspielerin kenne ich mich da aus“, sagt sie. Dass sie jemals wieder ein vollwertiges, normales Leben führen würde – danach sah es nicht aus, als sie mit 38 Jahren während einer starken Stressphase erkrankte: Die Gelenke schwollen an, sie ging das erste Mal seit Jahren zum Arzt und wurde krankgeschrieben.

Es dauerte quälend lange sechs Monate, bis die Diagnose feststand und eine Therapie erste Linderung brachte. Damals war sie Finanzdirektorin bei einem Unternehmen, das mit technischen Geräten handelt. „Kein großer Betrieb, weniger als 50 Mitarbeiter.“ Doch wieder im Job kamen die Beschwerden nach einem Jahr stärker zurück als zuvor – sie wurde erneut krankgeschrieben. Diesmal dauerte es acht Monate.

Verkümmerte Karrieren

Kranke bekommen in Russland weiterhin ihren Lohn oder zumindest einen Teil ausgezahlt: in den ersten drei Tagen vom Arbeitgeber, anschließend aus dem staatlichen Sozialfonds. Doch nur wer bereits ein langes Berufsleben hinter sich hat, kann mit dem vollen Grundgehalt rechnen. Gut versorgt ist der Patient aber auch damit nicht, denn das Grundgehalt macht bei fast allen Angestellten nur einen Teil der Bezüge aus. Mehr als die Hälfte des Einkommens bezahlen findige Arbeitgeber in Form von Prämien, Zuschlägen und Umlagen, gern nach Geschäftsgang oder Gutdünken – und manchmal auch noch schwarz. Deshalb ist eine lange Krankheit häufig genug existenzbedrohend.

Karrierefördernd ist sie nie, erst recht nicht, wenn sie Mitarbeiter in leitender Funktion trifft: „Man verliert die Kontrolle über wichtige Entscheidungen“, sagt Leontschenkowa. Damals, nach einem weiteren halbjährigen Intermezzo an ihrem alten Arbeitsplatz, wurde sie von der „medizinisch-sanitären Expertenkommission“ als „Behinderte dritten Grades“ eingestuft. Das hat für den Patienten am Arbeitsplatz gewisse Erleichterungen zur Folge, wie etwa das Recht auf zusätzliche Ruhetage oder die Freistellung von Einsätzen im Freien. Außerdem erhalten die Betroffenen eine kleine Rente in Höhe der Hälfte ihrer bisher erreichten Rentenansprüche.

Regionale Unterschiede

Viele Karrieren verkümmern dann. Natalja Leontschenkowa hatte jedoch doppelt Glück im Unglück: Zum einen konnte sie sich mit ihrer Firma auf Heimarbeit verständigen – wenn auch nicht in ihrer bisherigen Position, sondern als einfache „Ökonomin“. Sie arbeitet seitdem übers Internet, ist dafür aber frei in ihrer Zeitgestaltung. Für eine chronisch Kranke sei das extrem wichtig, sagt sie, denn die meisten medizinischen Dienstleistungen seien nur zu den üblichen Arbeitszeiten verfügbar.

Zum anderen stellte sich vor acht Jahren heraus, dass sie sehr gut auf eines der neuen Biologika anspricht: „Dank

der Ärzte und eines gentechnischen Mittels habe ich heute wieder eine gute Lebensqualität“, sagt sie. Eine Infusionsreihe versorge sie bis zu anderthalb Jahren.

„Die Rheumatologie in St. Petersburg ist auf dem Niveau von Europa und Nordamerika“, sagt Alexander Lila, Vizerektor der Staatlichen Medizinischen Metschnikow-Universität und offiziell oberster Rheumatologe der Stadt. Anders als bei manchen anderen schweren Erkrankungen müssten Rheumapatienten nicht nach Deutschland oder Großbritannien zur Behandlung reisen. Auch der Einsatz teurer Mittel – Leontschenkowas erste Behandlung mit einem Schweizer Präparat kostete umgerechnet 16 000 Euro, inzwischen sind die Preise aber deutlich gesunken – wird von der staatlichen Gesundheitsversicherung finanziert. „Meine ganze Behandlung war kostenlos“, sagt Leontschenkowa.

Andere haben es weniger gut getroffen. Wegen Geldmangels mussten im vergangenen Jahr viele schon zur Therapie zugelassene Patienten auf ihre Präparate warten. Und auch Leontschenkowas Wohnort erwies sich als Glücksfall, wie sie als lokale Koordinatorin der Rheumapatienten-Vereinigung „Nadeshda“ weiß: „Eine ähnlich gute Versorgung gibt es nur in den großen Städten Russlands. Schon in Pskow, einer Stadt mit immerhin 200.000 Einwohnern, die nur knapp 300 Kilometer von St. Petersburg entfernt liegt, sieht es traurig aus.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.