Betriebssport als Prophylaxe

Hilfreich ist es immer – wenn es sich an den Bedürfnissen der Belegschaft ausrichtet.





Es ist natürlich keine ganz neue Idee, das körperliche Wohlbefinden der Mitarbeiter zu fördern. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts unterstützten einige Unternehmen vor allem aus der Chemie- und Montanindustrie gesundes Essen in der Kantine und gemeinsame Leibesübungen der Arbeiter.

Heute heißt das Fitness – aber im Grunde hat sich im Gesundheitsmanagement der Berufswelt seit dem vorvergangenen Jahrhundert wenig verändert. „In vielen Unternehmen ist Gesundheitsförderung noch immer eine Aneinanderreihung unterschiedlicher Maßnahmen“, sagt Nathalie Henke von der in Dortmund ansässigen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Das aber sei ein Missverständnis. „Gesundheitsmanagement ist weit mehr als das Angebot von Massagen, Yoga-Kursen oder Rückentrainings“, erklärt die Expertin. Wirklich nutzbringend wären solcherlei Maßnahmen erst, wenn sie konsequent in den Unternehmensalltag eingebunden und an den jeweiligen Herausforderungen der Betriebe ausgerichtet seien.

Wie das gehen kann? Dafür gibt es keine Patentrezepte. Was im Einzelfall sinnvoll ist, muss jedes Unternehmen für sich und seine Belegschaft selbst herausfinden. Eines jedoch lässt sich mit Sicherheit sagen: Es kommt weit weniger darauf an, eine möglichst breite Palette von Maßnahmen anzubieten, als darauf, die Angebote den speziellen Anforderungen der Arbeitsplätze und der Mitarbeiter anzupassen.

Gesundheitsmanagement darf kein Feigenblatt sein. Wenn es funktionieren soll, muss der Stellenwert im Unternehmen jedem Mitarbeiter klar sein. „Im Idealfall bekennt sich die oberste Unternehmensführung genauso dazu wie die direkten Vorgesetzten“, sagt Nathalie Henke. Dann können die Maßnahmen wirklich nützen – und fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden.

Vorsorge zahlt sich in jeder Hinsicht aus

Die Mühe lohnt, das belegen zahlreiche Untersuchungen. Das Kölner Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) beispielsweise veröffentlichte Zahlen, wonach sich jeder in die Vorsorge investierte Euro gleich mehrfach rentiert. Durch verringerte Fehlzeiten und gesteigerte Produktivität liegt der durchschnittliche Return on Investment laut einem Report der Initiative Gesundheit und Arbeit bei 1 zu 2,4.

Das Potenzial, das sich durch gezielte Maßnahmen nutzen lässt, ist also erheblich. Das gilt für große wie kleine Unternehmen – und ebensolche Geldbeutel. Wer sich um die Gesundheit seiner Belegschaft sorgt, muss keine Unsummen investieren. Manchmal reicht es schon, genau hinzuschauen und an kleinen Stellschrauben zu drehen.

Weil Schichtarbeit anstrengt und das Arbeiten gegen die innere Uhr auf Dauer auslaugt und unter anderem zu Schlaf-störungen und Magenproblemen führt, hat zum Beispiel die Beiersdorf-Tochter tesa Werk Offenburg für ihre Mitarbeiter mit unregelmäßigen Arbeitszeiten einen Schlafberater engagiert. Er gibt regelmäßig Entspannungs- und Ernährungstipps und hilft den Schichtarbeitern, durch individuelle Routinen besser zur Ruhe zu kommen.

Der Finanzdienstleister VW Financial Services setzt auf kontinuierliche „Gesundheitsgespräche“ zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, in denen es vor allem darum geht, gemeinsam herauszufinden, ob und wie das direkte Arbeitsumfeld verbessert werden kann.

Und der Automobilzulieferer Ahle Federn hat den Rückenproblemen seiner Belegschaft den Kampf angesagt. Das Unternehmen aus Lindlar stellt Federn und Komponenten für Maschinen und Aggregate her, doch egal ob für Auto oder Maschine: Die Produkte müssen von den Mitarbeitern viele Male am Tag bewegt werden. Da kommt einiges zusammen: Bis zu sieben Tonnen hebt ein Mitarbeiter in der Produktion im Laufe einer Schicht von links nach rechts oder umgekehrt. Die Folgen wurde vor einigen Jahren deutlich sichtbar: eine schmerzgeplagte Belegschaft und ein Krankenstand von mehr als sieben Prozent, weit über dem Branchenschnitt.

Nach einer gründlichen Analyse schloss das Unternehmen Verträge mit umliegenden Fitness-Studios ab, initiierte spezielle Sportkurse und eine Rückenschule. Die Mitarbeiter in der Produktion lernen seitdem in Hebe- und Tragekursen eine schonendere Arbeitshaltung und tragen Arbeitsschuhe mit Gel-Einlagen, die Erschütterungen dämpfen. Und weil es nur allzu menschlich ist, wieder in alte Muster zu verfallen, schaut ein Trainer regelmäßig während der Arbeitszeit vorbei und korrigiert Fehlhaltungen. Die Summe der vielen kleinen Maßnahmen in Lindlar zahlte sich aus: Heute liegt der Krankenstand im Unternehmen unter Branchenniveau – bei vier Prozent.

Fit im Forst – ein Trainingsprogramm für Waldarbeiter

Jens Wenzel lässt sich auf den Vierfüßlerstand herunter. Zusammen mit gut zwei Dutzend Kollegen aus den Niedersächsischen Landesforsten trainiert der 47-Jährige seine Rumpfmuskulatur. Langsam streckt Wenzel unter Anleitung von zwei Trainern das rechte Bein aus und versucht es in der Luft kreisen zu lassen. Immer wieder muss er absetzen, aber er gibt nicht auf. Die Übung ist wichtig, gerade jetzt. Denn sie stärkt den Rücken für die besonderen Herausforderungen, die Forstwirt Wenzel und seine Kollegen in diesen Wochen bei der Arbeit zu bewältigen haben. Es ist die Zeit der Starkholzernte, und die gehört zu den körperlich anstrengendsten Aufgaben eines Waldarbeiters.

Vorarbeiter Wenzel und seine beiden Kollegen Olaf Nübel, 49, und Stefan Diedrich, 39, sind den ganzen Tag auf steilen Hängen unterwegs, um Eichen und Buchen mit einem Durchmesser von mehr als 50 Zentimetern zu fällen. Dabei treiben sie mit einem drei Kilogramm schweren Hammer einen Aluminiumkeil in den Stamm. Manchmal müssen sie bis zu zwölf Mal zuschlagen. „Das ist anstrengend, man kommt ziemlich außer Atem“, sagt Nübel. „Und das Schlagen von Metall auf Metall geht gehörig auf die Gelenke“, ergänzt Diedrich.

Doch das sogenannte Keilen ist längst nicht alles: „Forstwirte leiden besonders unter den vielen Zwangshaltungen“, sagt Jens Wenzel, der seit mehr als 30 Jahren im Wald arbeitet. Er geht leicht in die Knie, um eine typische Arbeitshaltung vorzumachen. „So muss ich die elf Kilo schwere Motorsäge runterdrücken – bis der Ast wirklich durch ist. Deshalb müssen wir die rumpfstabilisierende Muskulatur trainieren. Dazu sind wir hier.“

Spezielle Probleme – spezielle Programme

Mit „hier“ meint Wenzel das Institut für Sportwissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen, wo jeden Dienstag ein 90-minütiges Training stattfindet. Aber es ist nicht irgendein Training: Das Programm „Fit im Forst“ ist eigens auf die Forstwirte und ihre Anforderungen zugeschnitten.

Entwickelt hat es Sabrina Rudolph. Die zierliche Frau ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut, das sich unter anderem auf Prävention und Rehabilitation spezialisiert hat, und begleitete Wenzels Team mehrfach in den Wald, um die Arbeitsabläufe zu dokumentieren. Dabei fand sie heraus, dass „die stereotypen Bewegungsmuster im Arbeitsalltag

von Forstwirten zu ungleich trainierten Muskelpartien im Rumpfbereich führen. Dies ist häufig der Grund für Rückenschmerzen.“

Übungen nach Maß – und Jahreszeiten

Besonders ältere Forstwirte können laut Rudolph die extrem einseitigen Belastungen immer weniger kompensieren. Die Folge: überdurchschnittlich viele Arbeitsunfähigkeitstage. Dagegen sollte die Wissenschaftlerin im Auftrag der Niedersächsischen Landesforsten etwas unternehmen.

Weil sich das Belastungsprofil der Forstwirte übers Jahr ändert – die Starkholzernte im Winter beansprucht andere Muskelpartien als das Pflanzen im Sommer – hat Sabrina Rudolph für die rund 500 Forstwirte an 24 Standorten in Niedersachsen ein saisonal abgestimmtes Trainingsprogramm entworfen. Seit dem Start 2009 konnte sie bei allen Teilnehmern eine deutliche Verbesserung der Wirbelsäulenbeweglichkeit dokumentieren. Die ist zum Beispiel beim Pflanzen von Bäumen wichtig – hierbei müssen sich die Waldarbeiter bis zu 60 Mal pro Stunde bücken.

Nach der Hälfte des Trainings rollen einige Kursteilnehmer ihre Matten ein und verabschieden sich – die letzten 45 Minuten des Trainings finden außerhalb der Arbeitszeit statt. Jens Wenzel bleibt, er legt jetzt erst richtig los. Er hat Kollegen erlebt, die mit Mitte 40 in Rente gehen mussten. Das soll ihm nicht passieren. Deshalb hat er das Programm für sich auch umgetauft. Für ihn heißt es „Fit in die Rente“.

Das Rundum-Paket – betriebliches Gesundheitsmanagement bei BASF

Während Kurt Bock, der Vorstandsvorsitzende der BASF SE, an diesem sonnigen Montag vor den Toren des Werksgeländes in Ludwigshafen spazieren geht, tut Gerd Hofmann etwas für seine Kondition. Der 46-Jährige trainiert auf einem Crosstrainer des großzügigen firmeneigenen Fitness-Studios Lufit, eine Abkürzung aus Ludwigshafen und Fitness. Der Vater von vier Kindern wohnt 40 Kilometer vom Werk entfernt. Sport kann er deshalb nur in seinen Mittagspausen treiben. „Ich muss mir die Arbeit entsprechend einteilen“, sagt er. Das funktioniere in seinem Forschungslabor allerdings ganz gut – zumal sich auch Mitarbeiter und Kollegen zwischendurch gern im Lufit auspowern.

Gesundheit und Fitness stehen bei BASF hoch im Kurs, der Konzern lässt sich das Wohlbefinden seiner Belegschaft einiges kosten. Zwar will das Unternehmen keine Zahlen nennen, aber allein der Bau des Mitarbeiterzentrums, in dem auch das Sportstudio untergebracht ist, dürfte einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet haben. Im Jahresbericht 2014 sind für Sport Ausgaben in Höhe von 2,9 Millionen Euro gelistet, mit 23,8 Millionen Euro schlug der Posten „Bildung“ zu Buche.

Es könnte gut sein, dass Investitionen in die Gesundheit des Personals im Bildungsbereich verbucht wurden, denn in dem schicken Neubau können BASF-Mitarbeiter noch viel mehr für sich tun, als sich um ihre körperliche Fitness zu kümmern. Im Erdgeschoss des Gebäudes liegen diverse Seminarräume, in denen Kurse für Entspannung und Ernährung angeboten werden, für Selbstmanagement, Stressreduktion und gesündere Lebensführung. Auch Kochkurse für Mitarbeiter mit Bluthochdruck finden hier statt, genau wie Schulungen über gesundes Einkaufen im Supermarkt.

Zwei Stockwerke höher unterstützen Sozialberater der Sozialstiftung BASF anonym und vertraulich bei Schulden, Eheproblemen oder anderen Lebenskrisen. Pro Jahr werden nach Angaben des Unternehmens mehr als 5000 solcher Gespräche geführt. „Wir müssen auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren, die sich natürlich auch bei den Mitarbeitern in unserem Werk widerspiegeln“, sagt Markus Gomer, der seit 20 Jahren die Abteilung Fitness & Health Prevention des Chemieunternehmens leitet. Dazu zählen eben auch psychische Belastungen. Gomer verweist etwa auf eine wachsende Zahl an Mitarbeitern, deren Angehörige Pflegefälle werden. „Hier hören wir zu, informieren und zeigen in unserer Sozialberatung Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf.“

In guter Tradition

Um die medizinische Betreuung der BASF-Mitarbeiter kümmert sich ein Team von 28 Betriebsärzten. Stefan Webendörfer ist einer von ihnen. Sein Arbeitsplatz liegt 500 Meter vom neuen Mitarbeiterzentrum entfernt. Im Gang des Backsteinhauses hinter Tor 3, in dem sich die Arbeitsmedizin befindet, hängen großformatige Schwarz-Weiß-Fotos von bärtigen Männern an den Wänden: Es ist die Ahnenreihe der Werksärzte seit Gründung des Unternehmens im Jahr 1865. In einem Zimmer wurde eigens ein historischer Ordinationsraum erhalten – BASF ist stolz auf die beinahe 150-jährige Geschichte seines betriebsärztlichen Dienstes.

Auf dem Tisch in Webendörfers Praxis liegt seine neue Studie zur Diabetes-Prävention. Vorsorge ist sein Steckenpferd. Aus gutem Grund: „Am Standort Ludwigshafen bemerkenauch wir Ärzte den demografischen Wandel und beraten immer mehr Mitarbeiter, die älter als 55 Jahre sind. Das gab es vor zehn Jahren so noch nicht“, sagt der Mediziner, der in der Abteilung Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz bei BASF unter anderem für Gesundheitsförderung zuständig ist. Mit einer älter werdenden Belegschaft erhöht sich das Risiko für chronische Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes. „Darum sollte ein zeitgemäßes betriebliches Gesundheitsmanagement auch allgemeine Vorsorge anbieten“, sagt Webendörfer.

Sein Team kann hier einige Erfolge aufzählen: Seit 2001 bietet die BASF ihren Mitarbeitern ab dem 46. Lebensjahr eine Untersuchung zur Darmkrebsfrüherkennung an. Dabei erkannten die Fachleute mehr als 20 Krebserkrankungen im Frühstadium, die so rechtzeitig behandelt werden konnten.

Auch betriebswirtschaftlich sollen sich solche Präventionen rechnen. Laut dem Netzwerk gegen Darmkrebs e. V. kostet ein Okkultbluttest pro Mitarbeiter zwei Euro. Diesen Ausgaben steht ein beachtliches Einsparpotenzial gegenüber, denn jede Darmkrebserkrankung geht mit einer Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich 60 Tagen einher. Im Schnitt lassen sich mit jedem eingesetzten Euro bis zu fünf Euro sparen.

Das betriebliche Umfeld ist für solche Untersuchungen ideal. „BASF legt Wert auf eine umfangreiche betriebsärztliche Betreuung. Die Tests erfolgen während der Arbeitszeit. Das ist für die Mitarbeiter einfach und kostenlos. Und senkt besonders bei Männern die Hemmschwelle, an der Vorsorge teilzunehmen, enorm“, hat Stefan Webendörfer festgestellt.

Die Teilnehmerzahlen geben ihm recht. Seit 2011 haben sich rund 17 000 Mitarbeiter einem allgemeinen Gesundheitscheck unterzogen, das ist beinahe die Hälfte der gut 36 000 Mitarbeiter in Ludwigshafen. Die Untersuchungsergebnisse und ärztlichen Empfehlungen sind ausschließlich für die Arbeitnehmer bestimmt. Und selbstverständlich halten sich die BASF-Mediziner strikt an die ärztliche Schweigepflicht. Trotzdem kann Webendörfer verstehen, wenn Mitarbeiter lieber zum Hausarzt gehen, weil ihnen eine Untersuchung von Kollegen zu intim ist. „Betriebliche Gesundheitsmaßnahmen funktionieren niemals unter Druck“, weiß er aus Erfahrung.

In ganzer Breite

Der Aufwand, den der Konzern betreibt, ist enorm. Neben den Ärzten und Ernährungsspezialisten bieten auch zehn Sozialberater ihre Dienste an. Das ist viel – aber ob es für mehr als 36 000 Mitarbeiter am Standort Ludwigshafen reicht?

Markus Gomer wollte sichergehen, dass das umfassende Präventionsangebot das Werk durchdringt und wirklich jeden Einzelnen erreicht. So entstand die Idee, die Gesundheit an die rund 2000 Sicherheitsleute anzudocken, die überall auf dem Gelände unterwegs sind.

Wer auch immer wissen will, wo er mit Blick auf ein Gesundheitsproblem wen oder was findet, kann sich jetzt an die Kollegen vom Werkschutz wenden. Die von BASF speziell geschulten Sicherheits- und Gesundheitsbeauftragten, kurz: SiGeBe, stehen den Mitarbeitern nun jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung und helfen bei der Auswahl geeigneter Sport- und Gesundheitsmaßnahmen. Denn auch das gehört zu einem wirklich guten betrieblichen Gesundheitsmanagement: Die Mitarbeiter müssen die für sie geeigneten Maßnahmen kennen, wenn sie die Angebote wahrnehmen sollen. 


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.