Saubere Sache

Medikamentenreste und Nanopartikel gefährden weltweit die Qualität des Wassers. Und nun? In Dresden wird nach Antworten gesucht.





Im Dresdner Stadtteil Kaditz markiert eine große Metallinstallation am Elbufer den Punkt, wo das gereinigte Abwasser der Stadt in die Elbe fließt. An einem elf Meter hohen Mast spannen sich segelartig zwei Edelstahlnetze mit Düsen, die im Sommer zu jeder vollen Stunde, oder wenn ein Ausflugsdampfer vorbeifährt, einen feinen Wasserschleier über dem Fluss versprühen. Viva Fluvia hat die Künstlerin Heidemarie Dreßel ihr Werk genannt. Es steht im Park des Klärwerks der Stadtentwässerung Dresden, die damit symbolisieren will, wie aus den Abwässern einer Großstadt nach umfänglicher Reinigung am Ende sauberes Wasser wird. Vorsichtshalber wird für Viva Fluvia aber nur reines Grundwasser benutzt.

Das dürfte auch Peter Krebs gefallen. Krebs ist Hydrowissenschaftler und leitet das Institut für Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität Dresden. Der ökologisch und chemisch einwandfreie Zustand von Wasser ist mithin sein Metier – und so weiß er, wie fragwürdig dessen Qualität sein kann. Denn Abwasserentsorger weltweit sehen sich seit einiger Zeit mit einem großen Problem konfrontiert. Immer bessere Analysemethoden zeigen, dass auch scheinbar sauberes Wasser Mikroschadstoffe enthalten kann, die mit den gängigen Methoden nicht herausgefischt werden können: aus Pflegeprodukten stammende Plastikpartikel in Nanogröße oder Schimmelstopper aus wärmegedämmten Putzfassaden, vor allem aber die Reste moderner Medikamente.

Antibiotika, Hormone, Schmerzmittel, Antidepressiva und Blutdrucksenker sind ein Segen für Kranke, aber ihre Wirkung ist nicht umsonst zu haben: In mehr als 70 Ländern wurden in Abwasser, Oberflächen- und Grundwasser mehr als 500 unterschiedliche Arzneimittel und deren Abbauprodukte gefunden. Das Phänomen ist ein ungewollter Nebeneffekt der Wirksamkeit von Arzneien: Die sind so konzipiert, dass der Wirkstoff möglichst unverändert den Krankheitsherd im Körper eines Patienten erreicht – doch genau diese Stabilität erschwert ihren biologischen Abbau. Viele der chemischen Verbindungen können auch in modernen Klärwerken bisher nicht entfernt werden. So gelangen sie mit dem scheinbar sauberen Wasser in Bäche, Flüsse und Seen, mitunter sogar ins Trinkwasser – aus guten Wirkstoffen werden Mikroschadstoffe.

Antibabypille verhütet Fische

Noch weiß niemand genau, was diese Stoffe bewirken, von denen oft nur wenige Moleküle pro Liter Wasser nachzuweisen sind. Studien haben allerdings schon gezeigt, dass Hormone der Antibabypille, die mit menschlichem Urin im Abwasser landen, bereits in der geringsten Konzentration die Fruchtbarkeit von Fischen schädigen. Nicht von ungefähr hat die EU, die bei inzwischen 45 nachweislich ökologisch gefährlichen Chemikalien strenge Grenzwerte für deren Konzentration in Gewässern festgelegt hat, seit Kurzem auch drei Arzneistoffe im Visier: zwei Hormone und das weitverbreitete Schmerzmittel Diclofenac.

Aber es geht nicht nur um Medikamente. Auch in Fassadenfarben, Funktionskleidung oder Kosmetika werden Chemikalien und Nanopartikel eingesetzt, von denen bei jedem Regenguss oder Waschgang eine winzige Menge ins Wasser gelangt, die später unverändert die Reinigungsstufen der Klärwerke passiert. Wie die Mikrostoffe langfristig auf die Ökosysteme wirken, ob sie die menschliche Gesundheit beeinflussen können oder ob sich gar in Cocktails aus unterschiedlichen Mikroschadstoffen ihre Gefährlichkeit potenzieren kann, ist bisher noch nicht erforscht. Und es ist auch noch nicht klar, ob es ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist, zu verhindern, dass solche Stoffe überhaupt ins Wasser gelangen, oder ob nur die Reinigung des Abwassers optimiert werden muss.

Wasserexperten arbeiten weltweit daran, diese Wissenslücken zu schließen. So wie Peter Krebs in Dresden: Sein praxisorientiertes Projekt „MikroModell“ ist eines der ehrgeizigsten hierzulande. Die wissenschaftliche Leitung haben Forscher der TU Dresden übernommen, denn dort ist der Bereich in einer nahezu einzigartigen fachlichen Breite und Tiefe vertreten. Die Expertise der Sachsen genießt internationales Renommee, nicht zuletzt durch das Center for Advanced Water Research (CAWR), das die Uni mit dem Helmholtz Zentrum (UFZ) für Umweltforschung betreibt. Mehr als 500 Wissenschaftler forschen am CAWR für eine Mission: „Sicheres Wasser für Mensch und Umwelt“.

Und die Wirtschaft macht mit. Unter Federführung von Hydroforscher Krebs wollen die Abwasserunternehmen von Dresden, Chemnitz und Plauen bis Ende 2018 ein sogenanntes Stoffflussmodell entwickeln, mit dem sie nachvollziehen können, welche Mikroschadstoffe in ihren Einzugsgebieten vorkommen, woher sie stammen und wie sich die unterschiedlichen Substanzen im Wasser verhalten. Wissenschaftler und Praktiker möchten zudem beobachten, wie sich die Wirkstoffe in den Flüssen Elbe, Chemnitz, Mulde und Weiße Elster verteilen. Unter anderem soll auch simuliert werden, was bei plötzlichem Starkregen oder extremer Trockenheit passiert.

„Jede der drei Kommunen hat ihre Besonderheiten und ist zugleich typisch für viele deutsche Städte und Gemeinden“, erläutert Krebs: „Dresden als Großstadt an einem großen Fluss, Chemnitz an einem sehr kleinen Gewässer und schließlich Plauen als Mittelstadt mit einem stark von Landwirtschaft geprägten Umfeld.“ Das sächsische Modellvorhaben könnte also Lösungen für viele Kommunen in Deutschland und Europa finden und wird deshalb über drei Jahre mit 1,6 Millionen Euro gefördert.

Im Januar 2016 hat das Team aus Hydrobiologen, Wasserchemikern, Ökotoxikologen, Abwasserfachleuten, Medizinern, Juristen und Ökonomen mit sei‑ ner Arbeit begonnen. Um festzustellen, welche Medikamentenrückstände in den Flüssen der Region zu erwarten sind, nutzen die Wissenschaftler anonymisierte Krankenkassendaten, denen sie entnehmen, welche Arzneien in den Städten wie oft verschrieben wurden. Zudem sollen Orte identifiziert werden, die man genauer beobachten will. Das können industrielle Einleiter sein, aber auch Krankenhäuser und Altersheime. „Wir schätzen, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Arzneistoffe im Abwasser aus Krankenhäusern stammen“, sagt Projektleiter Krebs. Dabei hat er nicht nur die absoluten Mengen im Visier – er will sich vor allem ein Bild von der qualitativen Zusammensetzung machen.

Die erste Intensivkampagne, bei der im Stundentakt Proben aus Abwasserkanälen, Klärwerken und Flüssen entnommen wurden, ist bereits beendet. Nun werden die gefundenen Stoffe analysiert und auf ihre Ökotoxizität getestet. Eine überraschende Erkenntnis gab es schon. „Wir hatten erwartet, dass die Belastung mit Antibiotika im Winter höher ist, weil häufiger Infekte auftreten, gegen die sie verschrieben werden“, so Krebs. Tatsächlich aber steigt die Konzentration in den Gewässern in den Sommermonaten – weil bei Niedrigwasser die Verdünnung geringer ist.

Raushalten oder rausholen?

Das Stoffflussmodell zeichnet nicht nur nach, was wann wo und wie eingeleitet wird oder weiterfließt, sondern es soll auch eine Grundlage für Empfehlungen sein, wie die Belastung mit potenziell schädlichen Substanzen örtlich oder regional vermindert werden kann. Dazu könnte eine bessere Aufklärung über die Gefahren von Mikroschadstoffen beitragen oder die Einrichtung verbindlicher Rücknahmesysteme für unbenutzte oder abgelaufene Medikamente. Helfen könnte auch größere Zurückhaltung der Ärzte beim Verschreiben schwer abbaubarer Wirkstoffe.

Am Ende des Projekts soll eine ökologische und ökonomische Bewertung unterschiedlicher Maßnahmen stehen, die die Situation verbessern könnten. Die einfachste, aber möglicherweise nicht die beste Option wäre wohl, die Lösung des Problems den Klärwerken aufzutragen. In einer sogenannten vierten Reinigungsstufe müssten sie mit Aktivkohle, feinsten Filtermembranen oder Ozon schädliche Stoffe aus dem Wasser holen. „Doch mit solchen End-of-Pipe-Lösungen macht man es sich zu einfach“, sagt Edeltraud Günther, die in Dresden Betriebliche Umweltökonomie lehrt. Sie will Maßnahmen untersuchen, die die Verursacher in die Pflicht nehmen, also etwa Pharmaunternehmen, aber auch Konsumenten. „Wir brauchen einen Diskurs der Verantwortung“, meint Günther.

In Dresden würde der Bau einer vierten Klärstufe 40 bis 50 Millionen Euro kosten, zudem verschlänge ihr Betrieb viel Energie. In der Folge würde jeder Kubikmeter Abwasser für die Bürger 25 bis 35 Cent teurer. Doch nicht einmal mit der zusätzlichen Reinigung könnten alle Schadstoffe aus dem Wasser entfernt werden.

Raushalten oder rausholen? Längst ist der Umgang mit Mikroschadstoffen zu einem Politikum geworden, mit dem sich das Umweltbundesamt, kommunale Abwasserentsorger sowie Bund und Länder beschäftigen. „Natürlich sollen Kranken keine lebensrettenden Medikamente vorenthalten werden“, so Edeltraud Günther, „aber wir müssen uns über die möglichen Konsequenzen für die Umwelt klar sein. Was Menschen heute hilft, kann künftigen Generationen zur Last werden.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.