Eindeutig mehrdeutig
Jeder Politiker hat eine, jede Gewerkschaft, jeder Sportler, der Unternehmer sowieso.
Strategien haben Konjunktur. Ob sich dahinter immer etwas verbirgt, das den Namen verdient? Was bedeutet Strategie überhaupt? Was braucht man dafür – Logik? Erfahrung? Intuition?
McK Wissen hat Unternehmer, Manager und Wissenschaftler befragt.
Strategien haben Konjunktur. Ob sich dahinter immer etwas verbirgt, das den Namen verdient? Was bedeutet Strategie überhaupt? Was braucht man dafür – Logik? Erfahrung? Intuition?
McK Wissen hat Unternehmer, Manager und Wissenschaftler befragt.
1. Strategie – was ist das?
Wendelin Wiedeking, Vorstandsvorsitzender Porsche AG, Stuttgart:Ich halte mich da an die eindeutige Definition der betriebswirtschaftlichen Lehrbücher. Danach beschreibt die Strategie einen Weg, den ein Unternehmen gehen sollte, um seine langfristigen Ziele zu erreichen, seine Substanz zu stärken und seine Existenz dauerhaft und erfolgreich abzusichern. Maximilian Cartellieri, Vorstand Ciao AG, München:
Ich bin nicht sicher, ob Strategie etwas so Sachliches ist, dass es sich in einem Satz beschreiben ließe. Tatsächlich ist ja laut Clausewitz das Wesentliche der Strategie gerade ihre grenzenlose Formbarkeit im Angesicht nicht vorherzusehender Ereignisse ... Prof. Hartmut Kreikebaum, Lehrstuhl für int. Management, European Business School, Oestrich-Winkel:
Ausgehend von der „Kunst der Heeresführung“ (aus dem griechischen „strat_s“ = Heer und „_gein“ = führen) bezeichnet eine Strategie nach betriebswirtschaftlichem Verständnis das Rahmenkonzept für die (langfristige) Erreichung von unternehmerischen Absichten und Zielen. Unternehmensstrategien machen deutlich, wie ein Unternehmen seine vorhandenen und zukünftigen Potenziale einsetzt, um Veränderungen der Umweltbedingungen flexibel zu begegnen. Sie bezeichnen jedoch nur die allgemeine Richtung der Unternehmensentwicklung und müssen deshalb durch nachfolgende Maßnahmen konkretisiert werden. Hans-Olaf Henkel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin:
Eine sorgfältige Analyse meiner Ausgangssituation A, der Situation B, zu der ich hin will, und ein Plan, wie ich von A nach B komme. Prof. Henry Mintzberg, Cleghorn Professor of Management Studies, McGill University, Montreal:
Plan, Positionierung, Perspektive, Struktur und List. Sie haben die Wahl. Prof. Franz Liebl, Aral-Stiftungslehrstuhl für Strategisches Marketing, Universität Witten/Herdecke:
(Wettbewerbs-)Strategie besteht darin, die unternehmerischen Freiheitsgrade so auszugestalten, dass ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil entsteht. Der Wettbewerb hat dabei eine spezifische Arena: die Köpfe der Kunden, in denen letztlich die konkurrierenden Angebotszuschnitte wahrgenommen und vergleichend bewertet werden. Damit ist der Kern von Strategie umrissen; die Kernidee findet ihre Ausformung im Business-Design, das aus zwei Komponenten besteht: erstens das Geschäftsmodell, das festlegt, wo Cash-Inflow herkommt und Cash-Outflow hingeht; zweitens die Geschäftsprozesse, die entsprechend selektiert und aufeinander abzustimmen sind, um ebenjene Unterscheidungskraft zu realisieren, und zwar so kostengünstig wie möglich. Reinhold Würth, Vorsitzender des Beirats der Würth-Gruppe, Künzelsau:
Strategie wird mit vielerlei Bedeutungen belegt, selbst Lexika widersprechen sich. Es kann einfach nur Wichtiges bedeuten, Langfristiges, Chefsache oder Kriegskunst. Durch die Strategie erfolgt die permanente Anpassung der Positionierung einer Organisation an veränderte Rahmenbedingungen und Gegebenheiten ihrer Umwelt. Jedes Unternehmen hat eine Philosophie, die auf verschiedenen Annahmen beruht, die verschiedene Ziele verfolgt, wodurch die Zielkunden und die Ergebnisse definiert werden. Die Strategie ermöglicht es der Organisation, innerhalb der Umwelt die gewünschten Resultate zu erzielen. Strategie ist also nichts anderes als die Suche nach einem Plan, um Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Prof. Franz-Rudolf Esch, Lehrstuhl für Marketing, Justus-Liebig-Universität, Gießen:
In Deutschland ist das Strategiedenken in Unternehmen sehr stark durch das Buch „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz geprägt. So jung das strategische Denken in Unternehmen ist, so zutreffend ist jedoch nach wie vor eine Beschreibung aus diesem Buch für strategisches Denken: „Die Strategie muss mit ins Feld ziehen, um das Einzelne an Ort und Stelle anzuordnen und für das Ganze die Modifikationen zu treffen, die unaufhörlich erforderlich werden. Sie kann also ihre Hand in keinem Augenblick von dem Werke abziehen.“ Manager, die Strategien mit Langzeitplanung und Konzepten gleichsetzen, befinden sich demnach auf dem Holzweg. Strategien sind keineswegs abgehobenes theoretisches Planen, sie bedürfen ständiger Anpassungen, finden mitten im Leben statt. Für mich heißt Strategie: 1. Wissen, was man will. 2. Wissen, was man nicht will. 3. Etwas Neues schaffen, vom Üblichen abweichen. 4. Durchhalten und Nachhaltigkeit beweisen. 5. Reagieren auf Veränderungen im Umfeld und Unternehmen unter Berücksichtigung der beiden erstgenannten Punkte. Axel Leysieffer, Geschäftsführer Karl Leysieffer GmbH & Co., Osnabrück:
Zielgerichtete Marschrichtung. Prof. Rudolf Grünig, Lehrstuhl für Unternehmensführung, Universität Fribourg:
Eine Strategie ist ein Dokument, das die zukünftigen Markpositionen und die dazu notwendigen Wettbewerbsvorteile der Angebote und der Ressourcen definiert. Es gibt Strategien für Unternehmen (Corporate Strategies) und für Geschäfte (Business Strategies). Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, Frankfurt:
Nicht jede unternehmerische Entscheidung ist automatisch mit einer Strategie gleichzusetzen. Eine Strategie ist der Leitfaden zu einem langfristig angelegten, prägenden Prozess. Sie ist für mich interessant, wenn sie über die eigene Unternehmensaktivität hinausgeht und gesellschaftspolitische Auswirkungen besitzt. Die Strategien von IBM, jeden Haushalt mit einem PC auszustatten, oder von Microsoft, weltweit Windows durchzusetzen, waren als solche enorm erfolgreich. Ob sie auch positiv für die Gesellschaft sind, ist eine andere Frage.
2. Strategien werden häufig mit Logik und Analyse gleichgesetzt. Intuition gilt dagegen als nicht strategisch. Ist Intuition das Gegenteil von Strategie?
Wiedeking: Erfolgreiche Unternehmensstrategien lassen sich natürlich nicht losgelöst von Fakten, Daten und Analysen entwickeln. Doch das schließt ein intuitives Vorgehen keinesfalls aus. Intuition hat etwas mit Erfahrung zu tun. Und ohne Erfahrung lässt sich die Vielzahl von zum Teil widersprüchlichen Informationen nicht richtig deuten, einordnen und zur Grundlage zielgerichteter Entscheidungen machen. Sonst könnte man das Top-Management gleich abschaffen und es durch Computer ersetzen. Cartellieri: Nein. Intuition ist mindestens so wichtig wie Analytik – gerade weil die Welt häufig zu komplex ist, um rein analytisch erfasst zu werden. Kreikebaum: Bei jeder Strategiefestlegung sind die ungewissen Konsequenzen der Planung zu berücksichtigen. Diese Aufgabe setzt ein ausgeprägtes logisches Denken und analytischen Sachverstand voraus, aber auch Fantasie, Kreativität und ein anschauliches Betrachten (im Sinne des lateinischen ‚intueri‘). Ich plädiere deshalb dafür, auch der Intuition im strategischen Planungsprozess Raum zu geben. Henkel: Nein, aber da zu einer Strategie planvolles Handeln gehört, ist Intuition kein Teil davon. Es sei denn, es gäbe in einer Entscheidungssituation gute Gründe anzunehmen, dass Argumente und Logik nicht weiterhelfen. Mintzberg: Nein. Liebl: Den Gedanken einer Strategie-Entwicklung ohne Intuition finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich beunruhigend. Die zwei wichtigsten Gründe hierfür: Erstens, Erfolg versprechende Strategien müssen in geeigneter Weise an die Identität einer Organisation anknüpfen, da sie ansonsten wenig Aussicht auf Erfolg beziehungsweise erfolgreiche Implementierung besitzen; und weil Identität zu einem beträchtlichen Teil ästhetische Dimensionen besitzt, ist automatisch Intuition im Spiel. Zum zweiten besteht Strategie-Entwicklung nicht nur in Analyse, sondern eben auch in einem kreativen Prozess – und der ist ohne Intuition undenkbar. Würth: Viele Grundsätze von Strategien sind aus der Kriegskunst und damit auch aus der Logik abgeleitet. Ich verweise in diesem Zusammenhang gern auf den Clausewitz- Klassiker „Vom Kriege“. Er bezeichnet die Strategie als Gebrauch des Gefechts zum Zwecke des Krieges. Strategischer Erfolg kann sich durch die richtige oder auch nur glückliche Vorbereitung des taktischen Siegs einstellen. Daher denke ich, dass Intuition und Strategie miteinander Hand in Hand gehen müssen, gleichwohl ist intuitiver Erfolg auf den bestmöglichen Daten- und Informationshintergrund angewiesen. Esch: Strategie lediglich mit Logik und analytischem Denkvermögen gleichzusetzen wäre fatal. Es gehört mehr zu einer Strategie, nämlich ein gesunder Mix aus Intelligenz und Intuition, Wille und Analyse, Rationalität und Bauch, aber auch die Fähigkeit, Strategien gegen Widerstände in reales Handeln umzusetzen. Intuition wird häufig falsch verstanden. Es sind oft die zündenden Ideen, die Unternehmen einen Vorsprung liefern. Ebay und Microsoft sind Beispiele dafür. Das setzt allerdings die Bereitschaft zum Querdenken und Kreativität voraus, um das bislang vorherrschende Denkraster zu durchbrechen. Ein Blick auf erfolgreiche Wissenschaftler und Künstler zeigt, dass dies genau das Erfolgsrezept der Einsteins, Goethes und Mozarts dieser Welt war. Intuition und Kreativität erwächst dabei nicht aus dem Nichts. Es ist vielmehr die ungewöhnliche und neue Kombination vorhandenen Wissens – nicht mehr und nicht weniger. Basis dafür ist eine tiefe Kenntnis und Auseinandersetzung mit der Materie, denn etwas Neues fällt nicht vom Himmel. Leysieffer: Nein – eine Intuition kann, so jemand hierzu in der Lage ist, also aus dem Bauch heraus, eine hervorragende Ergänzung sein. Grünig: Eine gute Strategie basiert auf der Kenntnis der Resultate der Forschung, auf systematischem Denken, auf Kreativität und Intuition sowie auf praktischer Erfahrung. Hollein: Nein, ich glaube nicht, dass es sich dabei um Gegensätze handelt. Es gibt unterschiedliche Wege, sich ein Bild von der Realität zu machen. Wir verfügen über zwei Gehirnhälften, einer analytisch und einer intuitiv-kreativ ausgerichteten. Ich würde die Gewichtung als sehr individuell bezeichnen. Ein analytischer Ansatz ist noch kein Garant für eine erfolgreiche Strategie, es können beispielsweise analytisch nicht erfassbare, in der Entwicklung und Umsetzung jedoch entscheidende Parameter unberücksichtigt bleiben, und die Strategie ist erfolglos. Intuition ist ein wichtiges Instrumentarium, unterschiedlichste Phänomene zu einem komplexen Gesamtbild zusammenzufügen. Sie ist allerdings, wenn sie etwa in einem nicht zu begründenden Optimismus mündet, ebenso kontraproduktiv.3. Liefern Strategen bessere betriebswirtschaftliche Ergebnisse als Kollegen, die weniger strategisch denken?
Wiedeking: Mit etwas Glück lässt sich ein Unternehmen auch ohne Strategie einigermaßen erfolgreich führen – allerdings nur für eine begrenzte Zeit. Auf Dauer ist es sehr gefährlich, wenn eine Geschäftsleitung ihre Entscheidungen ausschließlich an kurzfristigen Zielen ausrichtet, ohne die langfristigen Konsequenzen zu bedenken. Natürlich ist gerade heute die Versuchung für Top-Manager groß, sich vor allem an Quartalsberichten, an den aktuellen Erwartungen der Analysten, an der Wertentwicklung ihrer Aktienoptionen oder an der Restlaufzeit ihrer Geschäftsführerverträge zu orientieren. Wer so handelt, setzt aber die Substanz und damit auch die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens aufs Spiel. Cartellieri: Auf Dauer betrachtet vielleicht schon. Aber Strategie ist immer langfristig und daher nicht im nächsten Quartalsergebnis messbar. Mintzberg: Wer genau ist ein Stratege? Kreikebaum: Strategen sind reinen Taktikern unter zwei Bedingungen überlegen: Wenn sie erstens vom Ende her denken und zweitens ihre Strategien im Unternehmen auch implementiert werden. Strategische Entscheidungen müssen also den operativen Einheiten auch kommuniziert werden. (Der CEO eines großen Pharmaunternehmens sagte uns im Rahmen einer empirischen Untersuchung: „I talk strategies“.) Liebl: Das ist letztlich keine Frage von mehr oder weniger Strategie. Denn die Voraussetzung dafür, dass eine strategische Entscheidung überhaupt gut sein kann, ist trivialerweise, dass sie auch umsetzbar ist und umgesetzt wird. Und daran scheitern viele, auf dem Papier besonders clever aussehende, Strategien – selbst wenn im Unternehmen mit harter Hand regiert wird. Mit anderen Worten: Strategie-Inhalte und Strategie-Prozess bedingen sich gegenseitig; Formulierung und Implementierung einer Strategie müssen stärker als Einheit gedacht und praktiziert werden, um Aussicht auf Erfolg zu besitzen. Grünig: Es gibt eine empirische Studie von Raffee, Effenberger und Fritz, die nachweist, dass Unternehmen mit strategischer Planung erfolgreicher sind als solche ohne. Die Studie bestätigt damit meine Auffassung. Würth: Meiner Meinung nach ist die Welt voll von Wissensriesen, aber auch voll von Realisierungszwergen. Daher glaube ich nicht zwingend, dass Strategen bessere Entscheidungen treffen. Wichtig ist die Umsetzung von Kenntnissen und Ideen in die Realität. Denn nur, wenn das Wissen auch in die Tat umgesetzt wird, wird es zum Erfolgsfaktor. Beispiel von Clausewitz: Der hoch gerühmte Stratege aller Militärakademien hat nie auch nur ein Scharmützel gewonnen, geschweige denn einen Krieg. Hollein: Jede Entscheidung basiert letztendlich auf einer subjektiven Grundlage. Gerade in der Informationsgesellschaft ist es nicht mehr möglich, alle verfügbaren Daten zu verarbeiten und zu berücksichtigen. Das heißt, schon der Prozess der Entscheidungsfindung unterliegt streng genommen subjektiven Kriterien. Henkel: Wenn ich das wüsste, wäre ich ein extrem erfolgreicher Börsenanleger. Esch: Allzu oft sind viele Strategen leider Konzeptriesen, aber Umsetzungszwerge. Eine Strategie ist immer nur so gut wie ihre Umsetzung. Nur das, was bei den Kunden strategieadäquat wahrgenommen wird, leistet einen Beitrag zur Profilierung eines Unternehmens. Darüber hinaus beeinflussen mindestens zwei weitere Faktoren den Erfolg eines Strategen, die es zu berücksichtigen gilt: erstens die Situation, in der sich eine Unternehmung befindet. Zweitens die handelnden Personen, die für die Strategien verantwortlich sind. Nicht jeder Manager ist in jeder Situation gleich gut. Strategen, die in überschaubaren Märkten mit wenig Veränderungen Entwicklungen souverän vorhersehen und planen, weil sie en détail sämtliche Einflussfaktoren mit Auswirkung auf die Strategie eines Unternehmens analysieren und beurteilen, können in sich schnell wandelnden, rezessiven Märkten erhebliche Probleme haben und versagen, weil dort andere Fähigkeiten gefordert sind: Fokussierung, die Spreu vom Weizen trennen, auch schon einmal zu Lasten der Präzision mit Blick auf die Zeit und die Geschwindigkeit der Anpassung mit nicht perfekten Lösungen loslegen, nach Plausibilitäten ausprobieren und nachtunen. In solchen Situationen ist einfaches Denken und Handeln angesagt. Praktische Intelligenz ist in hohem Maße gefordert. Komplexität im Denken, Analysieren und Handeln wäre hier eher schädlich. Ist dies strategisches Handeln? Nach von Clausewitz schon, denn der Stratege steht mitten im Leben. Leysieffer: Ja, sie folgen dem eingeschlagenen Weg.4. Kann man in einer globalisierten Wirtschaftswelt, die von Wandel und Unsicherheiten geprägt ist, in der Praxis überhaupt noch von Strategien sprechen? Oder gewinnt der Begriff in Zeiten wie diesen sogar an Bedeutung?
Cartellieri: Mein Verständnis ist, dass Strategie gerade dort ansetzt, wo Unsicherheit und Dynamik herrschen. Kreikebaum: In der Tat versuchen zahlreiche Manager den Herausforderungen der Globalisierung eher aus einer „gestressten Froschperspektive“ (Mintzberg) und mit panischem Aktionismus beizukommen. Langsam, aber stetig setzt sich jedoch die Einsicht durch, dass eine strategische Planung zusätzliche Freiheitsgrade eröffnet und die Effizienzverluste eines bloßen Improvisierens (improvidere = nicht vorhersehen) vermeidet. Liebl: Wenn es weder Unsicherheit noch Wandel gäbe, bräuchte es strenggenommen gar keine Strategie. Wovon man sich unter den genannten Bedingungen indes verabschieden muss, ist die Vorstellung, dass Strategie primär etwas mit langen Planungshorizonten und prognosebasierten Optimierungen zu tun hat. Wo Unvorhersagbarkeit wächst, müssen beispielsweise die Planprämissen laufend überprüft werden, muss die Erfindung von – auch auf den ersten Blick scheinbar unplausiblen, aber unter bestimmten Umständen eben doch denkbaren – Szenarien Platz greifen, muss Raum geschaffen werden für Experimente, aus denen man systematisch etwas über die Vorstellungswelten der Kunden und wie sich diese ändern, lernen kann. Strategie wird folglich wichtiger, aber eben auch schwieriger, und ihr Charakter wandelt sich: von einer Optimierungsaufgabe hin zu einer Designaufgabe, welche die Sensorien des Unternehmens und die interpretativen Fähigkeiten der Organisation zu entwickeln hat. Wiedeking: Gerade in turbulenten Zeiten ist eine klare strategische Ausrichtung wichtiger denn je. Strategien helfen, den Überblick zu bewahren und das Unternehmen auf Kurs zu halten. Grünig: Strategien gewinnen in Zeiten des rasanten Wandels an Bedeutung. Sie müssen sich allerdings auf die Definition angestrebter Marktpositionen und Wettbewerbsvorteile beschränken und dem Management auf der operativen Ebene den notwendigen Freiraum lassen. Zudem muss es stets offen bleiben, wann eine Strategie überarbeitet werden muss, weil sich die Rahmenbedingungen erheblich verändert haben. Würth: Die Dynamik der globalisierten Weltwirtschaft mit auch kurzfristig kaum vorhersehbaren, oft fundamentalen Veränderungen birgt für jede Unternehmensführung die Gefahr hektischer Kurskorrekturen und der Adaption von Modetrends. Gesundes Beharren, gepaart mit blitzschnellen Entscheidungen dort, wo abgesicherter Informationsstand dies notwendig macht, ergibt in Summe das berechenbare, virtuelle wendige Unternehmen, das sich ohne Mauer- und Festungsbau, ohne Überschätzung der eigenen Kräfte dem Wettbewerb stellt. Alle Strategie beinhaltet bei Würth, die überbordenden Informatiksysteme vom Machbaren auf das Notwendige zurückzuschneiden und damit den Trend zur eiskalten Mechanisierung der Betriebe bei gleichzeitig brutaler Ausrottung der Emotionalität und Motivation der Mitarbeiter zu stoppen und umzukehren. Leysieffer: Ja, erst recht in unsicheren Zeiten gewinnt eine richtige, dann aber konsequente Zielrichtung an Bedeutung. Es ist eine einmalige Chance, besonders herauszuragen. Esch: Gerade in solchen Zeiten sind Unternehmen mit einem langen Atem, die nachhaltig eine Strategie verfolgen und diese mit aller Konsequenz durchsetzen, besonders erfolgreich. Sie folgen nicht kurzfristigen Einflüssen, Modeerscheinungen und flüchtigen Trends, sondern konzentrieren sich auf das Wesentliche, indem sie ihre Fähigkeiten optimal auf die externen Bedingungen abstimmen. Doch auch hier gilt das Motto von Dwight D. Eisenhower: „Planung ist alles, Pläne sind nichts.“ Zwar geben Strategien wirksame Leitplanken vor, allerdings ist ein ständiges Nachjustieren gefordert, um der komplexen Unternehmensumwelt gerecht zu werden. Gerade in turbulenten Zeiten gilt: „Wenn ein Kapitän nicht weiß, welches Ufer er ansteuern soll, ist kein Wind der richtige“ (Seneca). Mintzberg: Wenn es angeblich so rasanten Wandel gibt, warum tanken Amerikaner immer noch Gallonen und fahren Meilen? Hollein: Man kann heute wahrscheinlich genauso gut oder genauso schlecht für die nächsten 100 Jahre planen wie vor 100 Jahren auch. Eine höhere Anforderung besteht heute allerdings in der Geschwindigkeit, in der auf Situationen reagiert werden muss. Eine Strategie muss daher so flexibel angelegt sein, dass sie dem sich rasant wandelnden Umfeld entsprechend angepasst werden kann.5. Wenn Sie an die Business-Welt der achtziger Jahre denken oder an die New Economy: Verändern wirtschaftliche Perioden auch unser Verständnis von Strategien?
Wiedeking: Ein Großteil der so genannten New Business- und New Economy-Unternehmer hatte kein neues, sondern überhaupt kein Verständnis von Strategie. Da wurde doch nur auf die schnelle Börsenkapitalisierung eher zweifelhafter Geschäftsmodelle geschielt. Deshalb sind die von Spekulanten hochgejubelten Firmen auch auf breiter Linie gescheitert – und haben dabei das Geld von Anlegern verbrannt, das sich diese zuvor in der Old Economy hart erarbeitet hatten. Insofern hat sich auch nichts geändert: Strategie bleibt Strategie – die hat man, oder man hat sie nicht. Und wenn man eine hat, ist sie im Idealfall erfolgreich. Kreikebaum: Die New Economy hat mit Sicherheit eine Stimmung gefördert, in der bei M&A-Strategien oft nicht mehr so genau gerechnet wurde. Die Aussicht auf kurzfristig erreichbare Gewinne ließ langfristig nachhaltige Reflexionen bei Fusionsstrategien tendenziell ebenso in den Hintergrund treten wie ein an ethischen Maßstäben ausgerichtetes Handeln. Cartellieri: Sie verändern zumindest unser Verständnis der jeweils als optimal erachteten Handlungsoptionen. Henkel: Nein. Aber in jeder Periode gilt eine andere Strategie als erfolgreich. Auch Unternehmer sind oft Schafe, die bloß der Herde folgen. So entstehen Management-Moden. Auf die Diversifizierung folgt die Reduktion auf die Kernkompetenzen und umgekehrt. Mintzberg: Es gibt immer eine New Economy. Eisenbahnen waren auch eine neue Ökonomie. Liebl: Natürlich treiben solche Kontexte die Entwicklung des strategischen Denkens voran. Jede Periode hatte ihre bestimmte Management-Mode – die es in der Regel darauf abgesehen hatte, Strategie überflüssig zu machen. Das war beim Business Reengineering so, wo man operative Effizienzgewinne mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen verwechselte. Das war auch in der New Economy so, wo man dachte, dass ab sofort das Denken in Geschäftsmodellen strategisches Denken ablösen würde. Es hat sich deutlich gezeigt, dass solche neuen Ideen zwar im Kern durchaus ihre Berechtigung haben, jedoch niemals die Idee des Strategischen ersetzen, sondern lediglich ergänzende Akzente setzen und notwendige Korrekturen herbeiführen. Würth: In meinen 54 Berufsjahren habe ich jede Art von Management-Moden, das Harzburger Modell, Management-by-Systeme, die Thesen von Maslow, McGregor oder Herzberg, beobachten können, geblieben sind bei all dem Schnickschnack fundamentale Sachverhalte, die Vernunft und Logik vorgeben, nämlich:_Wachstum ohne Gewinn ist tödlich;
_die feine Austarierung von Strategie und Taktik, hier die Sicherung des Jahresertrags und dort die mutige kosteninvestive Entscheidung zur Zukunftssicherung des Unternehmens
_das Zurückholen der Betriebe aus den geradezu Ekel erregenden eiskalten Krallen der EDV-Prozesse der vergangenen zehn Jahre.
Jede Dekade birgt andere strategische Herausforderungen, im Prinzip aber bleibt die gesunde Mischung aus Ratio, Emotion und Motivation Garant für ein ruhiges Segeln erfolgreicher Unternehmen durch die Probleme der Zeit. Esch: Ein Blick in die Strategie-Historie zeigt, dass die strategischen Ansätze immer stark beeinflusst, ja geradezu inspiriert wurden durch die Anforderungen der jeweiligen Zeit. Die fünfziger und sechziger Jahre standen unter dem Fokus der langfristigen Planung, die siebziger und frühen achtziger Jahre berücksichtigten vor allem externe Chancen, die späten achtziger und frühen neunziger Jahre vorwiegend die Ressourcen des Unternehmens (interne Kompetenzen), während zwischenzeitlich eine Integration von externen Chancen mit internen Ressourcen zur Wertoptimierung vorherrscht. Entsprechend ändern sich zwar die Betrachtungsschwerpunkte, die grundlegenden Überlegungen zur Strategie im Allgemeinen haben hingegen Bestand. Veränderte Rahmenbedingungen wecken allerdings immer den Bedarf nach neuen Ansätzen. Damit werden alte Denkmodelle zwar nicht obsolet, allerdings resultiert aus einer Problemspreizung zwangsläufig auch eine Erweiterung des Spektrums strategischer Ansätze und Modelle. Dies wird sich auch in der Zukunft nicht ändern, frei nach dem Motto von Heraklit: „Alles fließt.“ Leysieffer: In jedem Fall. Grünig: Die Rahmenbedingungen, insbesondere die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, definieren in erheblichem Ausmaß den Inhalt der Strategien. Hingegen wird das Grundverständnis einer Strategie von dem aktuellen wirtschaftlichen Verhältnis kaum berührt: Eine Strategie war und ist ein Weg, um die obersten Ziele eines sozialen Systems zu erreichen. Dies dürfte auch in Zukunft das Verständnis von einer Strategie bleiben. Hollein: Ja, man erkennt Grenzen.