Von A nach B

Fünf Gründe, warum LOGISTIK groß geschrieben werden sollte. Von Carl-Stefan Neumann und Martin R. Stuchtey




Vieles verändert sich. Doch zwei Trends prägen unsere Warenmärkte stärker als irgendetwas anderes. Da ist zum einen die Aufholjagd der Volkswirtschaften in Asien. Japan nicht mitgerechnet, werden heute im Fernen Osten bereits 63 Prozent aller Mobiltelefone produziert. Insbesondere China wird zur Werkstatt der Welt, der monatliche Exportüberschuss des Landes beträgt acht Milliarden US-Dollar. Tendenz steigend. Volkswirtschaftler nennen das neue Phänomen eine quasi unendliche Elastizität des Angebots. So etwas gab es noch nie.

Zum anderen: Die Kundennachfrage wird immer kurzlebiger, differenzierter und schwerer zu prognostizieren. Nokia bietet ein Mobiltelefon-Modell heute durchschnittlich 18 Monate an, der Modemacher Zara wechselt sein Oberbekleidungssortiment 14-mal im Jahr, viele Waren entstehen erst mit ihrer Bestellung. Der Mausklick in Deutschland wird zum Produktionsauftrag in Taiwan. Gleichzeitig wächst die Variantenvielfalt, denn die Kunden suchen das Individuelle.

Für Hersteller bedeuten die beiden Trends einen Spagat. Wer globale Kostenvorteile nutzen und seine Kundenorientierung gleichzeitig verbessern will, muss sorgsam die beste Unternehmensaufstellung suchen. Doch wie immer die individuelle Lösung auch aussehen mag: Logistik ist ein zentrales Element. Das punktgenaue Management einer globalen Logistikkette – vom Vorlieferanten über Produzenten, Transporteure, Fertigungs-, Umschlags- und Absatzlager bis hin zum Kunden – ist die Voraussetzung für glatte Modellanläufe, hohe Lieferfähigkeit und eine schnelle Reaktion auf Kundenwünsche. Die zentrale Rolle der Logistik beflügelt die Fantasie ...

... der Logistikanbieter

Eine Welle von Akquisitionen und Zusammenschlüssen begleitet die Entstehung einer neuen Art von globalem Spieler: internationale Logistikanbieter wie die Deutsche Post World Net, UPS oder Kühne + Nagel. Sie besitzen die Fähigkeit, ihren Kunden jede Form von Logistikleistung anzubieten, vom Brief bis zum Container, vom Einzelversand bis zur Kontraktlogistik, von Brasilien bis Japan. Denn globale Fertigungs- und Beschaffungsnetzwerke erfordern globale Dienstleister mit starker lokaler Verankerung und interkontinentalem Netzwerk.

... der Investoren

Logistik ist an den Kapitalmärkten angekommen. Wachstum in Welthandel und Outsourcing machen Werte wie UPS, Fedex oder Deutsche Post zu aussichtsreichen Anlagen. Die Hoffnung auf eine zweite große Auslagerungswelle nach der Informationstechnologie ruft längst auch Private Equity auf den Plan. Das Beteiligungsunternehmen Platinum investiert in Kontraktlogistik, Polaris in Express-Dienstleistungen und CVC ins klassische Postgeschäft.

... der Politik

Während der Abbau industrieller Beschäftigung in Deutschland ungebremst fortschreitet, schafft Logistik heimische Arbeitsplätze. Im produzierenden Gewerbe ging die Beschäftigung seit 2000 um knapp elf Prozent zurück. Im Bereich Logistik stieg sie, ohne die Postdienste, seitdem um mehr als fünf Prozent an. Möge mehr Beschäftigung in Transport und Kommissionierung auch die notwendige Kehrseite der Produktionsverlagerung ins Ausland sein – Logistik ist als Jobmotor erkannt und in den Fokus der Wirtschaftspolitik gerückt.

Die hohen Erwartungen scheinen begründet. Rund vier Prozent der globalen Wertschöpfung entfallen heute auf die Logistik. Erst durch sie ist Globalisierung denkbar.

Maersk Line, das größte Container-Schifffahrtsunternehmen der Welt, verschifft inzwischen 11,5 Millionen Container (TEU) mit einem Warenwert von 250 Milliarden US-Dollar im Jahr. Der jährliche Wohlstandseffekt durch die damit verbundene internationale Arbeitsteilung übertrifft die der gesamten weltweiten Entwicklungshilfe um das Fünffache.

All das macht Logistik auch in Zukunft zu einer der zentralen unternehmerischen Aufgaben. Nicht Handelsbeschränkungen und lokale Fertigungsmöglichkeiten sind die Hauptbarrieren für mehr Welthandel. Sondern die Schwierigkeiten für so genannte Verlader und andere Dienstleister, vielstufige Lieferketten über funktionale, Firmen- und Ländergrenzen so zu koordinieren, dass die richtigen Waren zur richtigen Zeit zu den richtigen Kosten in der richtigen Qualität an den richtigen Ort gelangen (5 R’s). Die Planung und Steuerung von Logistik verdient die volle Aufmerksamkeit des Managements.

Grund 1: Logistik schafft Trade-offs. Denn sie stützt sich im Kern auf Transportnetzwerke. Je größer ein Netzwerk, desto günstiger wird bei entsprechender Auslastung die einzelne Sendung. Doch mit der Größe wachsen die Probleme. Die Komplexität steigt im Quadrat – und mit ihr die Notwendigkeit zentraler Steuerung. Große, zentral gesteuerte Netzwerke erschweren unternehmerisches Handeln und Kundenorientierung. Grund 2: Logistik ist demokratisch. Eine globale Lieferkette verbindet hunderte von Akteuren: Materiallieferanten, Vorfertigungen, Transportdienstleister, Lagerhäuser, Terminal-Betreiber, Zollämter, Kommissionierer, Verkaufspunkte, Kunden. Ihre Verknüpfung bedeutet tausende von Kommunikationsschnittstellen und erfordert die Überwindung von Interessengegensätzen zwischen Produktions- und Absatzfunktion sowie über alle regionalen Einheiten hinweg. Grund 3: Leistungserfassung ist schwierig. Verlässliche Logistik verlangt eine hohe Leistungstransparenz und gute Zahlen. Größe und Komplexität erfordern leistungsfähige IT-Systeme. Das Betreiben von aufwändigen Informationstechnologien zählt jedoch üblicherweise nicht zur Kernkompetenz eines Transport- oder Produktionsunternehmens. Zudem trübt der Netzwerkcharakter des Geschäfts selbst den Blick: Jede einzelne Transaktion schafft Kosten und Nutzen in jedem Winkel des Netzwerkes. Transparenz ist deshalb eher die Ausnahme als die Regel. Grund 4: Logistik ist (noch) immer anders. Logistikdienstleister weiten ihr Leistungsangebot kontinuierlich über das klassische Transport- und Lagerhausgeschäft hinaus aus. Inzwischen zählen auch Auftragsannahme, Kommissionierung und Reparaturen zur Produktpalette. Einzelne Dienstleister bieten ihren Kunden sogar die Übernahme des Einkaufs ganzer Warenkategorien an, ihr Leistungsspektrum reicht von der Sortimentserstellung über den Fertigungsauftrag bis zur Lieferung und Abrechnung. Für produzierende Unternehmen sind die Vorteile des Outsourcings an Logistikspezialisten nachweisbar – in der Praxis allerdings sind sie noch nicht immer realisiert. Zudem sind die Vorteile der Auslagerung oft teuer erkauft, weil der Logistikdienstleister seine Lösungen Kunde für Kunde neu entwickelt. Nur die Besten der Zunft setzen heute schon auf Standardisierung und Lösungsbaukästen. Grund 5: Logistik stützt sich auf den Menschen. Die Dienstleistung durch den Mitarbeiter ist das eigentliche Produkt. So gilt es, tausende von Menschen in einer riesigen, räumlich verstreuten und nicht selten von Dritten betriebenen Netzwerkorganisation auf die Qualitätsansprüche der Kunden zu verpflichten. Standards und Vorschriften helfen nicht weiter. Eine funktionierende Logistik erfordert die Einbindung und aktive Entwicklung aller Mitarbeiter über Länder- und Kulturgrenzen hinweg.

All das ist Grund genug, LOGISTIK groß zu schreiben. In unserer globalisierten Welt ist Logistik mehr als der günstigste Weg von A nach B. Es ist die Fähigkeit, moderne Produktionssysteme als das zu managen, was sie sind: weltweite, komplexe Netzwerke, die im Hintergrund arbeiten, um Kunden zufrieden und Unternehmen damit erfolgreich zu machen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.