Fein verteilt

Lekkerland versorgt fast jeden Kiosk und nahezu jeden Tankstellenshop in Deutschland mit Waren.
Tausende von Produkten erreichen jeden Tag zigtausende Kunden. Mit einer Lieferpünktlichkeit von 99 Prozent. Wie geht das?




Die Lekkerland-Welt ist eine Welt beeindruckender Zahlen. Der Großhändler aus Frechen bei Köln transportiert jedes Jahr rund 40 Millionen Lollies, 160 Millionen Brötchen, rund 5000 Tonnen Grillkohle. Allein die Kohle reicht aus, um 350 Lkw randvoll zu beladen. Das Unternehmen karrt aber auch Berge von Chips, Schokoriegeln, bunte Brausen, Zigaretten, Eiscremes, Tiefkühlpizzen, Weinflaschen, Gummibärchen, Eiskratzern und Streusalzsäcken durchs Land. Mehr als 6000 Artikel führt Europas größter Kiosk- und Tankstellenlieferant in seinem Sortiment – sie gehen an rund 62.000 Kunden in Deutschland.

Lekkerland versorgt vor allem die Rettungsinseln für späte Kunden, für eilige Kunden, für bequeme Kunden, für Kunden in Not: Tankstellen und Kioske, deren feinmaschiges Netz sich über ganz Deutschland legt. Bis in die entlegensten Winkel dringen die Lekkerland-Brummis dabei vor, auf Almen, in Täler und in Außenspiegel zerkratzende, enge Innenstädte, aber auch zu jeder Autobahnraststätte der Republik. Die Summe der täglich gefahrenen Kilometer würde ausreichen, um viermal die Erde zu umrunden. Die Ware und die Leistung der 4300 Mitarbeiter in Deutschland addierten sich 2004 auf rund 5,4 Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Derartige Dimensionen sind nicht vorstellbar ohne eine ausgeklügelte Logistik. Aber das Nachschubwesen bei Lekkerland ist ein besonders schwieriges Geschäft. Hunderte von Lieferanten, tausende unterschiedlicher Produkte und zigtausende Kunden wollen permanent reibungslos koordiniert werden. Dabei variieren Bestellmengen und Lieferwünsche täglich: Der Großhändler weiß heute noch nicht, was übermorgen wohin transportiert werden soll.

„Lekkerland ist das einzige Unternehmen, das diese Aufgaben in den Griff bekommen hat“, sagt Sigrid Pook, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Tankstellen und Gewerbliche Autowäsche Deutschland e.V. (BTG), der Pächter und Besitzer vertritt. „Die schaffen es, öfter als einmal in der Woche zu liefern, und zwar kleine Mengen in kleinen Packungen, also nicht gleich 500 Kästen Bier, sondern 20.“

Dahinter steckt ein System, das auf langer Erfahrung, kompetenten Mitarbeitern und modernster Technologie beruht. Und die Erkenntnis, dass eine funktionierende Lieferkette lange vor dem Produkteinkauf beginnt und bei der Auslieferung noch lange nicht endet.

Ein Handelsunternehmen hat es stets mit widersprüchlichen Zielsetzungen zu tun. Die Kunden erwarten exakte Mengen und pünktliche Lieferungen – auch dann, wenn etwa aufgrund von Sonderaktionen oder Saisonverkäufen ihre Bestellmenge schwankt. Die Hersteller dagegen wollen sicher planen und am liebsten ungestört durchproduzieren. Der Händler muss den Ausgleich schaffen. Und mit der steigenden Zahl von Herstellern und Kunden steigt für ihn auch die logistische Komplexität.

Welche Ware ist die richtige?

Komplexer als bei Lekkerland geht es kaum. Das Unternehmen ist allein im Lebensmittelsektor das Relais zwischen knapp 1000 Zulieferern auf der einen und rund 62.000 Kunden auf der anderen Seite. Eine genaue Planung aller Einzelschritte ist das A und O. Die Harmonisierung der Lekkerland-Lieferkette fängt deshalb mit einer Frage an: Welche Ware ist die richtige? Die Antwort ist wichtig, denn das Unternehmen kauft auf eigenes Risiko ein. Kein Kunde ist zur Abnahme bestimmter Produkte oder Mengen verpflichtet. Wenn das Angebot dem Kunden nicht zusagt, bleibt Lekkerland auf Beständen sitzen. Die Lager verstopfen und bringen die gesamte Logistik des Unternehmens ins Wanken. 

Einkaufschef Helmut Meyer ist dafür verantwortlich, dass sich Angebot und Kundenwunsch möglichst decken. Ein kräftiger Mann von 57 Jahren, 39 hat er bei Lekkerland verbracht. „Als es losging, waren wir vielleicht zehn Mann in der Zentrale“, erinnert sich Meyer an die Anfangsjahre, „und wir hatten nur Süßwaren.“ Damals war die Warenwelt noch überschaubar. „Ich war zeitweise zuständig für Backwaren, da kannte ich jede Großbäckerei so gut, ich konnte am Kringel im Laden erkennen, wo er gebacken wurde.“

Der Kunde kauft spontan

Heute wirft die Lebensmittelindustrie jährlich rund 30.000 neue Produkte auf den Markt. Nur wer über seine Käufer genau Bescheid weiß, schafft es, aus diesem Überangebot das Richtige herausfiltern. An Tankstellen und Kiosken sind die Kunden überwiegend jüngere Männer, die gezielt etwas Bestimmtes suchen. Oder aber zugreifen, weil sie spontan etwas anspricht. „Rund 75 Prozent aller Käufe sind Impulskäufe“, sagt Meyer, „man sieht eine Ware und bekommt spontan Appetit.“ Meyers Kunden, Kioske und Tankstellen, benötigen deshalb keine Palette mit 18 verschiedenen Tütensuppen, es reichen die beliebtesten zwei.

Andererseits sind die ziellosen Käufer in den kleinen Shops auch experimentierfreudiger als im Supermarkt, sie probieren gern Unbekanntes aus. Das weiß nicht nur Meyer, sondern auch die Industrie, die nicht zuletzt über den Tankstellen- und Kiosk-Verkauf ständig Innovationen in den Markt drücken will.

Bei Lekkerland schlagen sich deshalb allein zehn Einkäufer durch den Produktdschungel, auf geteilt nach Fachgebieten wie Bier, Getränken oder Süßwaren. Sie wühlen sich durch Berge von Angeboten, bestellen Muster, sortieren vor. Einmal im Monat kommen sie in der Warenausschusssitzung zusammen, vor sich jedes Mal rund 200 neue Artikel, für jeden einzelnen heben sie den Daumen oder senken ihn. Einmal im Jahr ist Beschau auf der Internationalen Süßwarenmesse. Die Lekkerland-Einkäufer sind immer dabei, um ihre Produktpalette ständig zu aktualisieren.

Ist die Auswahl getroffen, muss die Kundschaft informiert werden – mit individuellen Angeboten. Lekkerland verschickt regelmäßig spezielle Kataloge für Tankstellen, Kioske, Bäckereien und andere Kunden. Rund 7000 Abnehmer erhalten zudem per Post den monatlichen Neuheiten-Service. Um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, treffen sich die Unternehmensvertreter außerdem regelmäßig mit den Mineralölgesellschaften, um das Sortiment für deren Tankstellenshops abzustimmen. Kioske werden einmal im Monat vom Lekkerland-Außendienst besucht. Er bringt jedes Mal frische Ideen mit – und sorgt für Absatz und Experimentierfreude: In Mülheim und Berlin testet Lekkerland zurzeit ein türkisches Lebensmittelangebot mit Kichererbsen, Ayran, Honig und Halva.

Zur weiteren Verfeinerung seiner Warenauswahl teilt der Großhändler seine Lieferlandschaft nicht nur in unterschiedliche Abnehmer, sondern auch in Regionen auf. Drei spezialisierte Einkäufer sind dafür zuständig. Ihr Ziel ist ein Vollsortiment für jede Region, für jedes entsprechende Lieferzentrum. Denn die Geschmäcker sind ortsabhängig. In Norddeutschland läuft Lakritz gut, in Bayern nicht. Dort will der Kunde Mozartkugeln, dafür keinen badischen Wein. Sortimentsmanagement ist praktische Logistik: Die passenden Waren müssen nahe bei den Abnehmern lagern, sonst verlängern sich die Touren. Das kostet Zeit, Diesel und Autobahn-Maut und verschwendet wertvollen Laderaum. Die regionalen Sortimente verlangen der Lagerlogistik allerdings einiges ab: Rund 400 regional wichtige Lekkerland-Lebensmittel-Lieferanten bringen dem Unternehmen nur etwa fünf Prozent des Umsatzes, müssen aber individuell in die Lieferkette eingepasst werden.

„Space-Manager“ erklären, wie man verkauft

Auch die Jahreszeiten spielen bei der Sortimentsplanung eine wichtige Rolle. Tankstellen und Kioske bestellen nach Saison, für Weihnachten, Ostern und Muttertag stellt Lekkerland deshalb ein Jahr im Voraus sein Sortiment zusammen. Einmalige Großereignisse werfen noch längere Schatten – mit dem WM-Angebot beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe das erste Mal vor zwei Jahren. „Und jedes Jahr im September müssen wir die Lager mit Streusalz und Scheibenklar voll stellen“, sagt Helmut Meyer lakonisch. „Man glaubt ja kaum, wie der Wintereinbruch immer wieder überrascht.“

Streusalz ist kein Produkt, das sich schwer verkaufen lässt – man braucht es aus schierer Notwendigkeit. Aber wer braucht wirklich Schokoriegel? Und warum genau den einen? Das Gros der Produkte im Lekkerland-Sortiment will wohl begründet sein – und dabei hilft Erfahrung. Für das eigene Wohl und das seiner Kunden beschäftigt der Großhändler deshalb in jeder Niederlassung „Space-Manager“. Sie sollen den kleineren Tankstellen und Kiosken auf Wunsch erklären, wie man mehr verkauft. Dazu stellen sie Regale um, räumen das Unterste nach oben, rücken reizvolle Artikel in den Mittelpunkt, optimieren das Sortiment. Lekkerland liefert zu seinen Brötchen auch Backöfen und den Bedienkurs, eine gut bestückte Eistruhe oder das passende Regal zum Wein. „Logistik ist mehr als Ausliefern“, weiß Klaus Fröhlich, der in der Frechener Zentrale den Vertrieb verantwortet. „Logistik und Sortiment verhalten sich wie Kinder auf einer Wippe – nur wenn sie gleich schwer wiegen, kommen sie ins Gleichgewicht.“

Für Kay Schiebur, den Logistikchef von Lekkerland, sind die Standortentscheidungen ausschlaggebend für die gesamte Logistik. „Unsere kleinen Mengen verlangen nach niedrigen Logistikkosten“, sagt er. „Die Kernfragen zielen also auf die Standortzahl, ihre Größe, ihre Platzierung. Das Standortkonzept steht über allem. Es bildet die Grundlage jeder weiteren Optimierung.“ Schiebur ist seit vier Jahren bei Lekkerland, und ebenso lange gibt es den Geschäftsbereich Logistiksysteme, der für ganz Deutschland zuständig ist. Seine Hauptaufgabe: „Die Welten von Tobaccoland und Lekkerland zu verbinden.“

Bei der Fusion beider Unternehmen im Jahr 1999 existierten bundesweit zusammen 46 Standorte: Morgens brachte der Lekkerland-Lkw aus dem einen Lager Schokoriegel und Gummibärchen zu einer Tankstelle, abends lieferte vom benachbarten Tobaccoland-Standort der Tabak-Mann die Zigaretten für das Sortiment. „Dass man diese Tankstelle in einem Rutsch beliefern muss, ist doch logisch“, sagt Schiebur. „Es geht um maximale Leistung bei möglichst wenigen Kilometern.“

Um das zu erreichen, stellten die Lekkerland-Logistiker vor vier Jahren eine „Grüne-Wiese-Planung“ auf und suchten nach den theoretisch optimalen Verteilerpunkten, so als gäbe es die vorhandenen Standorte gar nicht. Am Ende des logistischen Fusionsprozesses standen 17 Zentren, Vollsortimentslager voller Tabak, Süßwaren und Streusalz, zudem ein reines Tabaklager. Würden die heutigen Lekkerland-Lager auf einer Deutschlandkarte verzeichnet, könnte man sehen, dass sie nicht gleichmäßig verteilt sind. „Wir sind herangerückt an die Ballungszentren, dorthin, wo unsere Kunden leben“, sagt Schiebur. „Die Touren werden dadurch kürzer, flexibler, kosten weniger Kilometer und Überstunden der Fahrer.“

23.000 Quadratmeter Raum für Kundenwünsche

Lekkerland hat alte Lager geschlossen und viele neue gebaut. „Neubau ist immer besser als Umbau“, lautet Schieburs Erfahrung, „und man darf auf keinen Fall zu klein bauen aus Angst vor zu hohen Raumkosten, sonst stehen sich die Leute auf den Füßen.“ Das größte deutsche Lager ist ein Neubau in Oberhausen. Mitten im Ruhrgebiet, in Nachbarschaft zum Rheinland, dem größten deutschen Ballungsraum mit einer einzigartigen Konzentration an Büdchen und Tankstellen, bietet es alles, was das Kundenherz begehrt. Und ist ein anschauliches Beispiel für das Herzstück einer funktionierenden Logistikkette, die ohne reibungslose Abläufe, erfahrene Mitarbeiter, perfekt abgestimmte Waren- und Auftragsannahme, Kommissionierung und Auslieferung unweigerlich ins Stocken gerät.

Von außen ist das Lager ein grauer Blechkasten auf einem Acker. Doch aus seinem Bauch speisen sich 1200 Tankshops, 2751 Kioske, 1027 Getränkefachmärkte und knapp 2000 weitere Kunden, darunter Bäckereien, Kantinen, Baumärkte. Auf 23.000 Quadratmetern stapeln sich die von den Lieferanten gebrachten Waren in zehn Meter hohen Regalen. Alles, was hier ankommt, geht auch wieder raus, ein permanenter Durchlauf, minutiös geplant von Menschen und Maschinen.

Der Prozess beginnt in einem Großraumbüro mit grauem Teppich und Telefonkabinen, in denen 15 Frauen mit Headsets sitzen. „Die klassische Auftragsabholung durch einen Außendienst ist viel zu teuer“, sagt Niederlassungsleiter Uwe Albrecht, Lekkerländler seit 20 Jahren. Lekkerland ruft jeden registrierten Kunden an, an einem festgelegten Tag, zu einer festen Uhrzeit, damit alles glatt geht bei der Tour am nächsten Tag. Mehr als 70 Prozent aller Aufträge werden per Telefon eingeholt, der Außendienst sorgt für knapp drei Prozent, hinzu kommen noch ein paar Scanner in Kiosken. Nur die Ölgesellschaften arbeiten zentral mit Kassensystemen.

Das feste Telefon-Reglement hat laut Albrecht Vorteile: „Die Kunden sind vorbereitet, das hält die Gespräche kurz.“ Vor allem, wenn es die Kioskbesitzer schaffen, per Artikelnummer zu ordern. Wenn das nicht klappt, können die Telefonistinnen mit dem Kunden klären, was er eigentlich will.

Was, wenn jemandem das Bier ausgeht?

Zwei Stockwerke tiefer gelangen die eingesammelten Aufträge ins Computersystem der Touren-Disposition. Zwar ist jeder Kunde in eine bestimmte Tour an einem bestimmten Tag eingetaktet, starr darf dieses System jedoch nicht sein. Was, wenn jemandem das Bier ausgeht, weil Kioske ja klein sind und nicht so viel lagern können? Was, wenn ein Kunde so viel bestellt, dass der Lkw zu klein wird für die übliche Sammeltour? Dann stricken die Dispositionsprofis das Tourensystem um, verteilen Ladung auf andere Lkw, bauen Schlenker in geradlinige Touren ein. Jeden Tag organisieren die Oberhausener Disponenten 54 Lkw-Touren und schicken zudem 30 Transporter auf den Weg. Was bei dieser Improvisationsleistung zählt, ist Erfahrung.

„Computerprogramme können nur unterstützen“, sagt Uwe Albrecht, „die Probleme lösen können sie nicht.“ Zwar sieht der Disponent, ob ein Kunde zwei Stangen Zigaretten geordert hat oder einen ganzen Container, er erkennt auch, wann der Lkw rammelvoll ist. Und natürlich kann er auch auf einer Bildschirmkarte die Touren straßengenau verfolgen. Aber mit all dem flexibel umgehen können nur Menschen, die sich auskennen in diesem organisch gewachsenen Tourensystem, denen Ausweichmöglichkeiten einfallen und die wissen, bei welchem Kunden der Fahrer auch mal eine halbe Stunde früher oder später ankommen darf.

Die Lekkerland-Disponenten sind lange Jahre in ihrem Geschäft und kennen ihre Kunden genau. „Logistik ist ein Frage von Intelligenz und Erfahrung“, sagt Uwe Albrecht. Damit sich keine unliebsamen Routinen einschleichen und Probleme manifestieren, wird der Tourenplan zweimal im Jahr nach Effizienz und Kundenwünschen optimiert, mit Unterstützung durch Routiniers aus der Lekkerland-Zentrale.

Bis 13 Uhr müssen die Disponenten jeden Tag ihre Touren geplant haben. Dafür, dass die passende Ladung aus dem 4500 Artikel umfassenden Lagersortiment auf den richtigen Lkw gelangt, sorgt Lydia.

Lydia ist die Computerstimme aus dem Kopfhörer, den jeder der 40 Kommissionierer in der Lagerhalle trägt. Lekkerland arbeitet mit Pick-by-Voice. Dabei übersetzt ein Computerprogramm die Artikelnummern aus der Disposition in Sprache und schickt die Kommissionierer auf ihren gelben Elektrokarren durch die Halle. Lydia spricht mehrere Sprachen. Sie sagt dem Packer frühzeitig, wie viele Wagen er hinter seinen Karren spannen muss, um den Auftrag abzuarbeiten. Sie weiß genau, wo im Lager was steht und gibt den kürzesten Weg vor. Sie achtet darauf, dass zunächst die Bierkisten auf den Wagen kommen, dann erst die Chips – und nicht umgekehrt. Und sie verhindert Fehler: Jeden Griff ins Regal muss der Kommissionierer bestätigen, tut er das nicht, geht es nicht weiter.

Lydia hat die Lagerlogistik deutlich effizienter gemacht. Seit es sie gibt, haben die Packer die Hände frei von Bestellzetteln und können bis zu sechs Aufträge gleichzeitig abarbeiten. Sie schaffen mehr als früher, bis zu 178 Artikel in der Stunde. Gleichzeitig ist die Fehlerquote um zwei Drittel gesunken. So gleiten die gefüllten Rollcontainer schnell und leise zu den Abholboxen, wo sie sich zu langen roten Schlangen formieren.

Lydia ist eine echte Unterstützung – aber sie wäre nichts ohne die Kommissionierer, die mit ihr arbeiten. „Die gesamte Technik können Sie vergessen, wenn die Leute nicht motiviert sind“, sagt Logistikchef Kay Schiebur. „Sie sind die zentralen Erfolgsfaktoren in der Logistik. Man kann sie kaum messen, aber sie sind immens wichtig. Das haben wir zuletzt bei der flächendeckenden Einführung von Lydia gemerkt – warum sonst hätten wir trotz identischer Software so unterschiedliche Ergebnisse erzielt?“

Lekkerland setzt an jedem Glied der Lieferkette auf den Erfolgsfaktor Mensch – bis vor die Laderampe an der Tankstelle. Die roten Rollcontainerschlangen vor den Abholboxen verschwinden nicht in den Lkw irgendwelcher Fremdspediteure. Lekkerland fährt selbst. „Wir haben ganz altmodisch unseren eigenen Fuhrpark von rund 550 Fahrzeugen“, erzählt Kay Schiebur. Die Transportleistung selbst könnte das Unternehmen deutlich billiger einkaufen. „Aber ein Fuhrpark ist mehr als die reine Transportleistung.“ Die eigene Flotte ist Sicherheit, Qualität und Kundenbindung. „Unsere Fahrer sind oft schon seit Jahrzehnten bei uns“, sagt Schiebur. „Sie schaffen unsere Waren auch mal eine Treppe hoch. Sie kennen ihre Kunden, erfahren, wo es drückt, und so erfahren wir das auch.“

„Der Computer hört keinen Wetterbericht.“

Lekkerland verlässt sich an keiner Stelle im Prozess auf Exceltabellen und abstrakte Zahlenvergleiche. Nicht einmal bei der Lagerwirtschaft, wo ein Computersystem abgehende mit vorrätigen Beständen abgleicht. Tatsächlich werfen die Einkaufsplaner regelmäßig bis zu drei Viertel der Computerhinweise über den Haufen und entscheiden selbst. „Der Computer hört keinen Wetterbericht“, gibt Kay Schiebur zu bedenken, „woher soll er wissen, wann die Sonne scheint und besonders viele Leute Grillkohle brauchen? Und das Bier gleich dazu?“ Lekkerland schafft mit seiner Kopfarbeit eine Lieferbereitschaft von fast 99 Prozent.

Natürlich will auch Schiebur Kosten senken. Dabei geht er allerdings den eher unüblichen Weg: Er lagert nicht aus, er zieht alle Teile der Lieferkette möglichst weit hinein in die eigene Verantwortung. Zurzeit stellt Lekkerland deshalb auf Beschaffungslogistik um, will also viele Waren in Eigenregie von den Herstellern abholen und ins Lager bringen, statt sich alles anliefern zu lassen.

Den Großteil der Arbeit wird eine Spedition fest übernehmen, aber auch der eigene Fuhrpark soll seinen Teil beisteuern. Das erhöht zunächst zwar den Aufwand, soll sich aber schon bald rechnen – durch weniger Rampenkontakte im Lager und eine bessere Auslastung der eigenen Flotte, also durch weniger Stillstand und weniger kostspielige Leerfahrten. Zunehmen soll nur die Kontrolle über einen noch größeren Teil der Lieferkette. Aus Lekkerland-Sicht ist das die beste Voraussetzung dafür, dass die Logistik im Fluss und außerdem kostengünstig bleibt. 

Virtuelles Logistik-Ranking

Die Leistungsfähigkeit von Distributionszentren ließ sich bisher nur schwer vergleichen. Künftig soll das Computermodell DCRM Abhilfe schaffen.
Benchmarking bietet sich immer dann an, wenn ein Unternehmen die Leistung einzelner Einheiten beurteilen und vergleichen will. Bei der Einschätzung der Qualität von Distributionszentren ist das nicht so leicht: „Man kann nicht einfach zwei Zentren miteinander vergleichen“, sagt Knut Alicke, Experte für Supply Chain Management bei McKinsey & Company in Stuttgart. „Es gibt kaum Standards, dafür jedoch eine unglaubliche Vielfalt an technischen Individuallösungen.“ Zudem, so Alicke, gebe es kaum allgemein gültige Begriffe. Wer fair vergleichen will, muss aber wissen, was gemeint ist.
Der bislang bekannteste Versuch, die Verwirrung in den Griff zu bekommen, ist das „single factor benchmarking“, das auf die Effizienz zielt. Typische Frage:
Wie viele Aufträge schaffen wir mit wie vielen Mitarbeitern? Ein recht simples Input-Output-Schema, das jedoch immer dann versagt, wenn mehrere Variablen eine Rolle spielen. Also in der Realität.
Um die Lücke zu füllen, hat McKinsey im Sommer 2005 die Initiative „Warehouse Excellence“ angestoßen, gemeinsam mit dem Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme an der Universität Karlsruhe. Dort entstand das Distribution Center Reference Model (DCRM), das Distributionszentren vergleichbar machen soll.
Im Grunde ist DCRM eine ständig aktualisierte Computer-Datenbank. Entscheidend dabei sind Art und Verwendung der Daten. „Wir sehen ab von der Technik, die bislang im Mittelpunkt der Erhebungen stand, und konzentrieren uns stattdessen auf die Prozesse, die in jedem Zentrum stattfinden“, erklärt Knut Alicke. Denn ausschlaggebend ist nicht, ob jemand beispielsweise Mehlsäcke mit einem Hubwagen oder mit vollautomatischen Transportkarren durch ein Lager schickt. Entscheidend ist die Leistung. Denn nur bei gleicher Leistung lassen sich auch die Kosten vergleichen.

Beim DCRM decken wenige Prozesse das gesamte Geschehen ab: Wareneingang, Lagerung/Kommissionierung, Verpacken, Versenden. Jeder Prozess wird in bis zu sechs Aufgaben aufgeschlüsselt, so dass ein Distributionszentrum mit 21 konkreten Aufgaben beschrieben ist. „Damit können wir rund 80 Prozent aller Lageraufgaben abbilden“, erklärt Alicke. Zudem schaffen die definierten Aufgaben ein einheitliches Vokabular. DCRM unterscheidet nach Branchen, Breite des Sortiments und Auftragsstruktur.

Und weil Leistung nicht gleich Leistung ist, muss das Programm die Balance halten zwischen unnötiger Detailliertheit und einem zu groben Raster. Deshalb benötigt das Modell für jeden Arbeitsgang möglichst einfache Variablen. Etwa die Kosten für eine Auftragsposition – ein Buch oder eine Kiste Schokoriegel –, die für die Abwicklung benötigte Fläche und die Zahl der eingesetzten Mitarbeiter.
In sinnvolle und vorher definierte Zusammenhänge gebracht, kann das Programm nicht nur die Leistung unterschiedlicher Distributionszentren miteinander vergleichen.
Es hilft auch dabei, konkrete Ansatzpunkte zur Organisationsverbesserung aufzuspüren. Dazu wurde ein ideales Distributionszentrum modelliert, in das diverse Prozesserfahrungen eingeflossen sind: Neben Standardparametern wie Schritt-, Greif- und Lesegeschwindigkeit kennt das Programm auch Details wie etwa die Zahl von Packern, die man für ein bestimmtes Produkt und eine bestimmte Technik braucht. Das Ideal-Modell kann als Benchmark gelten, mit dem sich dann jedes Distributionszentrum wirksam vergleichen lässt.
Denn anders als bei den herkömmlichen Methoden werden beim DCRM nicht mehr nur einzelne Variablen miteinander verglichen, sondern verschiedene Faktoren in Beziehung gesetzt und dann auf ihre Wirkung überprüft. So lassen sich auch Zukunftsszenarien durchspielen: Eine bestimmte Warenmenge soll mit einer favorisierten Technik transportfertig gemacht werden? Das Modell rechnet aus, wie viele Mitarbeiter in diesem Fall notwendig sind. Es kann unter Berücksichtigung der aktuellen Lohnkosten sogar bewerten, ab welcher Warenmenge der Einsatz von Technik der Arbeit von Menschenhand vorzuziehen ist.

Seit dem Start des Projektes vor einem halben Jahr füttern die Fachleute von McKinsey und der Universität Karlsruhe das Programm mit Logistikdaten realer Unternehmen, anonym selbstverständlich. In den kommenden Monaten soll daraus eine firmenunabhängige Leistungslandschaft im Computer entstehen, in der jeder Distributor seine Position bestimmen kann. Je mehr Logistiker sich am DCRM beteiligen, desto genauer werden die Ergebnisse ausfallen. Und umso größer ist der Nutzen für alle, die mitmachen.

Weitere Informationen: www.ifl.uni-karlsruhe.de/warehouseexcellence.php


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.