Der Lauf der Dinge

Für die einen beginnt Logistik mit der Verwaltung von fußballfeldgroßen Lagerhallen, für die anderen bei der Konstruktion ihrer Maschinen. Fest steht: Unternehmen, die ihre Logistik nicht beherrschen, haben über kurz oder lang keine Chance. Einsichten aus unterschiedlichen Branchen.




Dem Trend auf der Spur

Axel Bree ist zusammen mit seinem Bruder Geschäftsführer der Bree Collection GmbH & Co. KG, Isernhagen. Das Unternehmen hat rund 130 Mitarbeiter, pro Jahr werden im weltweiten Einzelhandel Bree-Produkte im Wert von rund 50 Millionen Euro verkauft.

„Taschen sind ein Fashion-Produkt. Das erfordert genaue Planung. Denn Mode ist nicht spontan. Insider wissen bereits zwei bis zweieinhalb Jahre im Voraus, welche Farben und Schnitte wann angesagt sind. Solche Informationen kann man kaufen. Wir stellen zum Beispiel bereits im März die Taschen, Koffer und Portemonnaies vor, die wir im Herbst bis in den Januar des Folgejahres in die Läden bringen. Unter unseren gut 1000 Produkten sind auch Klassiker, aber viele sind nur für eine Saison angelegt.

Wenn im Herbst 2006 Lindgrün die Trendfarbe ist, wollen die Kunden eben auch genau in diesem Zeitraum lindgrüne Taschen kaufen.

Mode ist global. Die Synchronisierung der Warenauslieferungstermine ist deshalb eine unserer größten logistischen Herausforderungen. Die lindgrüne Einkaufstasche soll ja nicht nur hier in Deutschland pünktlich am 1. September in allen Läden sein, sondern weltweit. Wir müssen also sehr genau planen, wann wir unsere Produkte produzieren lassen. Und vor allem auch wo und mit welchem Auftragsfertiger. Bree produziert schon immer an vielen unterschiedlichen Standorten: in Deutschland, Osteuropa, Südeuropa, Asien und Amerika. Bei der Wahl unserer Produktionsstätten orientieren wir uns vor allem am Material. Wenn das beste Naturleder aus Ungarn kommt, produzieren wir dort – die örtlichen Näher haben in der Regel einfach das beste Know-how für den spezifischen Werkstoff. Der Transport lässt sich organisieren, aber die Qualität muss bei Produkten mit intensiver Handarbeit einfach stimmen.

Wo auch immer ein Bree-Produkt hergestellt wurde: Bevor es über den Verkaufstresen geht, wird es in unserer Zentrale in Hannover noch einmal auf seine Qualität hin überprüft – um dann wieder in alle Welt verschifft zu werden. Unsere Produkte kann man in mehr als 25 Ländern kaufen. So schleusen wir jedes Jahr gut eine Million Lederwaren durch unsere Zentrale. Im Grunde ein irrsinniger Aufwand. Aber die Zufriedenheit der Kunden ist es uns wert.“

Die Größe zählt

Werner Frischholz, Vorstandsmitglied der Krones AG, Neutraubling. Krones war 2004 mit einem Umsatz von 1,52 Milliarden Euro Weltmarktführer bei Getränkeabfüll- und Verpackungsanlagen.

„Kaum jemand hat eine Vorstellung davon, wie groß Getränke- und Verpackungsanlagen sind. Reinigungsmaschinen zum Beispiel sind 20, 25 Meter lang, Brauereitanks fast zehn Stockwerke hoch, und Maschinen zur Produktion von PET-Flaschen bringen schon mal 30 Tonnen auf die Waage. Die kann man nicht mal eben mit einem Paket verschicken. Oder auf einen Lastwagen laden und zum nächsten Hafen fahren. Eben darum fängt bei uns Logistik schon beim Entwurf und der Konstruktion an. Schließlich wollen wir unsere Maschinen nicht nur bauen, sondern auch verkaufen. Und das geht nur, wenn sie sich klein und damit transportierbar zerlegen lassen. Natürlich unter der Auflage, dass sie sich auf der Baustelle am Zielort auch möglichst schnell wieder montieren lassen. Wir investieren viel, damit dieser Prozess reibungslos läuft: Im Schnitt belaufen sich unsere Frachtkosten pro Jahr auf 30 Millionen Euro.

Rund 85 Prozent unseres Umsatzes machen wir im Exportgeschäft. Trotzdem produzieren wir an einem Standort, und zwar in Deutschland. Die kurzen Wege in der Produktion erleichtern einfach die Abstimmung und Planung. Das ist für uns enorm wichtig, denn jede unserer Maschinen ist eine Spezialanfertigung. Unsere Kunden stellen damit die unterschiedlichsten Produkte her. Einige füllen Milch ab, andere Bier, manche sogar Medikamente. Auch die Flaschen ähneln sich nicht, es gibt zig verschiedene Formen und Etiketten. Und natürlich sind auch die Werkshallen nie gleich, in denen unsere Anlagen aufgestellt werden. 

Für unseren Ersatzteil-Service haben wir dagegen weltweit vier Servicecenter eingerichtet: für Asien in Schanghai, für Europa in Deutschland, zwei weitere befinden sich in Nord- und Südamerika. Dadurch garantieren wir im Bedarfsfall eine Lieferung fast aller Ersatzteile innerhalb von 24 Stunden. Bei Ersatzteilen ist Schnelligkeit ein wichtiger Faktor: Manche Kunden verarbeiten mit unseren Anlagen pro Stunde durchschnittlich 60.000 Flaschen und mehr. Wenn so eine Anlage plötzlich stillsteht, verursacht das in kürzester Zeit horrende Verluste.“

Das geordnete Chaos

Ralf Kleber, Geschäftsführer der Amazon.de GmbH, München.
Amazon hat 2005 weltweit 8,49 Milliarden US-Dollar umgesetzt und zum Ende des Jahres 12.000 Mitarbeiter beschäftigt.

„Stellen Sie sich eine Fläche vor, so groß wie sieben Fußballfelder. Voll gestellt mit Regalen, angefüllt mit etlichen tausend Produkten. Und jetzt suchen Sie genau eines davon, und zwar so schnell es geht. Sie sind Dienstleister, Ihr Name steht für Schnelligkeit und Service. In Ihrem Programm haben Sie mehrere Millionen Artikel: Bücher, Spielwaren, aber auch Haushaltsartikel und Elektronikprodukte. Und Ihr Sortiment ändert sich täglich. Genau das ist unser Geschäft.

Wir wollen unseren Kunden alles bieten, was sie online kaufen möchten, und das zu einem günstigen Preis. Entscheidend ist für unsere Kunden aber auch, wie schnell wir liefern können – und dass wir unser Lieferversprechen auch einhalten. Das schaffen wir, weil wir unsere Lager im Griff haben. Unser Versandhandel-Know-how ist einer unserer wichtigsten Wettbewerbsvorteile.

Unser zentrales Warenhaus in Bad Hersfeld hat eine Fläche von 42.000 Quadratmetern. Eine riesige Anlage, aber wir brauchen den Platz. Denn um möglichst schnell liefern zu können, haben wir alle Top-Seller dort immer vorrätig. Pro Tag gehen von hier aus mehrere zehntausend Bestellungen raus, an einem Spitzentag im Weihnachtsgeschäft waren es sogar mal 400.000.

Auf den ersten Blick ist unser Lager völlig chaotisch organisiert. Aber gerade dadurch ist es effizient. Denn wenn Kochbücher neben Comedy-DVDs und Kinderspielzeuge neben Mobiltelefonen stehen, spart man wertvollen Stauraum. Und wir sparen Zeit, die wir sonst mit dem systematischen Einsortieren verbringen würden. Bei uns liegen selten zwei ähnliche Produkte nebeneinander im Regal. Das minimiert die Verwechslungsgefahr: Wenn zwei gleich große Bücher nebeneinander stehen, greift man einfach schneller zum falschen.

Natürlich setzen wir auch auf moderne Technologien. Unsere Mitarbeiter im Logistikzentrum arbeiten mit Handscannern, dadurch weiß der Zentralcomputer immer, wie viele Artikel von welchem Produkt wo gelagert werden. Mit den Daten kann der Rechner auch auf unserer Website immer den vorrätigen Bestand anzeigen. Der Kunde sieht dadurch sofort, wie lange er auf ein Produkt warten muss.

Wenn eine Bestellung bei uns eingeht, errechnet das EDV-System die optimalen Laufwege für die ‚Picker‘. Das sind die Angestellten, die Bestellungen zusammensuchen. In unserem Zentrallager arbeiten die Picker in zwei Schichten in einer Sechstagewoche. In der heißen Phase der Vorweihnachtszeit stocken wir die Zahl allerdings ordentlich auf und stellen auf Dreischichtbetrieb um. Mit einer Liste in der Hand gehen die Picker zu Fuß los, bei größeren Bestellungen haben sie einen kleinen Wagen dabei. Da kommen an einem Arbeitstag schon einige Kilometer zusammen. Immerhin können sie die Artikel leicht aus den Regalen nehmen, weil wir keine Hochregale haben. Dafür haben unsere Hallen bis zu drei Etagen – alle voll mit Regalen.

Die fertigen Bestellungen werden in gelben Plastikkisten auf langen Förderbändern zur Verpackungsstation gefahren. Zwischendurch scannen wir noch mal alle Artikel, so dass wir immer über den Stand jeder einzelnen Kundenorder genau Bescheid wissen. Einen Teil der Bestellungen mit nur einem Artikel verpacken und beschriften wir vollautomatisch, mehrere Produkte müssen von Hand konfektioniert werden. Zur Sicherheit wird jedes Paket vor dem Versand noch einmal gewogen. Die Gewichte für alle Waren und Verpackungen haben wir in der Datenbank, so können wir auf das Gramm genau vergleichen. Wenn die Bestellung das Logistikzentrum verlassen hat, schicken wir den Kunden eine E-Mail. Einen bis zwei Tage später hat er seine Bestellung in der Regel in der Hand.

Das System funktioniert so gut, dass wir unser Know-how mittlerweile auch anderen Unternehmen anbieten. Für Target, den zweitgrößten Einzelhändler des Landes, übernimmt unsere US-amerikanische Mutter beispielsweise bereits den kompletten Betrieb des Online-Angebots – Websitehosting, Warenlager, Versand, Kundendienst, alles. In Großbritannien ist Marks & Spencer unser Kunde. In Deutschland führen wir noch Gespräche mit Interessenten.“

Permanent Advent

Kurt Gertler ist Leiter des Playmobil-Produktionsbetriebs in Dietenhofen. Im vergangenen Jahr setzte die Firma geobra Brandstätter mit Playmobil 361 Millionen Euro um. Das Unternehmen aus Zirndorf beschäftigt weltweit 2591 Mitarbeiter.

„Logistik bedeutet für uns vor allem die Steuerung unserer Produktion, denn Kinder sind nicht berechenbar. Man kann nie genau voraussagen, welches unserer Produkte ein Renner wird. Klar, es gibt frühe Sensoren wie die Spielwarenmessen, aber meist müssen wir unsere Schätzungen drei- bis viermal im Jahr revidieren und neu anpassen. Im November beginnen wir mit einer ersten vorsichtigen Bedarfsschätzung für das Folgejahr. Wenn wir im Verlauf eines Jahres jedoch merken, dass ein Produkt – zum Beispiel die in den beiden vergangenen Jahren sehr beliebten Artikel Ritterburg und Arche Noah – viel besser läuft als erwartet, müssen wir schnell reagieren.

Das können wir, weil unser Haupt-Fertigungsstandort in Dietenhofen liegt, wo auch der zentrale Vertrieb für die ganze Welt angesiedelt ist. Begrenzt werden wir dort nur durch die Kapazität unserer Werkzeuge und Maschinen. Wenn’s wirklich eng wird, beauftragen wir Subunternehmer. Das Weihnachtsgeschäft ist so eine heiße Phase. Allerdings nicht erst im Dezember, sondern im August, wenn sich die großen Handelsketten mit unseren Produkten eindecken. Um diese Spitze aufzufangen, produzieren wir vor. Im ersten Halbjahr stellen wir wesentlich mehr her, als wir ausliefern, im zweiten Halbjahr liefern wir viel mehr, als wir herstellen.

Im vergangenen Jahr haben wir den deutschen Fertigungsstandort mit 65 Millionen Euro ausgebaut und die Mitarbeiterzahl auf 750 erhöht. Demnächst werden hier 300 Spritzgussmaschinen stehen.

Wir haben drei ausländische Standorte: Malta, Onil in Spanien und Asch in Tschechien. Malta und Onil produzieren vor allem Fertigware für den weltweiten Bedarf, in Tschechien lassen wir Teile beuteln und montieren. Das ist eine lohnintensive Arbeit, und die Löhne sind dort nun mal niedriger. Der tschechische Betrieb liegt nur 200 Kilometer entfernt von Dietenhofen, dadurch können wir die Ware schnell nach Deutschland bringen, um sie hier noch einmal auf Qualität zu überprüfen. Alles, was in unseren ausländischen Standorten produziert wird, kommt noch einmal nach Dietenhofen – und geht von da aus in die Welt. Die Kunden in Europa beliefern wir grundsätzlich per Lkw, nur nach Übersee transportieren wir per Schiff.“

Im Kielwasser der Kunden

Wolfgang Vogel ist Vorstandsmitglied und Leiter des Unternehmensbereichs Nutzfahrzeugund Sonder-Antriebstechnik beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG in Friedrichshafen. Mit einem Umsatz von voraussichtlich 10,9 Milliarden Euro im Jahr 2005 gehört das Unternehmen zu den 15 größten Automobilzulieferern der Welt.

„Wir haben 125 Produktionsstandorte in 26 Ländern. Das ist eine ganze Menge, aber wir wollen unserer Abnehmerindustrie folgen und vor den Toren ihrer Werke produzieren oder dort zumindest vorgefertigte Produkte montieren. Wenn wir zum Beispiel Getriebe für die Serienproduktion von Lkw liefern, gibt es extrem enge Zeitfenster für die Anlieferung. Da bleibt einfach nicht die Zeit für lange Transportwege. Bei Just-in-sequence-Lieferungen müssen wir unsere Lkw sogar in genau der Reihenfolge mit den verschiedenen Getriebemodellen beladen, in der unsere Abnehmer sie später an ihrem Band einbauen wollen. Die Daten für solche Aufträge bekommen wir hier in Europa meistens neun Tage im Voraus. Und exakt drei Stunden vor der Montage müssen unsere Lastwagen auf den Hof der Kunden rollen. Damit das klappt, müssen wir schon möglichst nahe bei unseren Abnehmern sitzen. 

Klar, wenn es die Produktionspläne erlauben oder es sich um Spezialanfertigungen handelt, liefern wir auch von Südamerika nach Asien oder von Europa nach Amerika. Etwa weil einer unserer Produktionsstandorte genau auf das spezielle Getriebe spezialisiert ist oder weil der Lohnkostenvorteil die Transportkosten ausgleicht.

Unsere Getriebe sind ziemlich schwer. Das ASTronic-Getriebe wiegt beispielsweise mehr als 350 Kilogramm. Deshalb verschicken wir sie in der Regel per Lkw oder Seefracht, nur im Ausnahmefall, wenn es besonders schnell gehen muss, auch mal per Luftfracht. Je nach Entfernung und Transportmittel kostet der Versand eines einzigen Getriebes zwischen 20 und 300 Euro. Bei solchen Preisunterschieden überlegt man sehr genau, ob sich die Produktion an einem weiter entfernten Produktionsstandort lohnt. Im bestmöglichen Fall einer kurzen Lkw-Lieferung liegt der Logistikanteil zum Beispiel nur bei 0,2 bis 0,3 Prozent des Kaufpreises. 

Vor ungefähr drei Jahren haben wir begonnen, für unseren Konzern ein zentrales Logistikmanagement einzuführen. Davor hat das jeder Unternehmensbereich unabhängig geregelt. Jetzt gibt es im Konzern eine kleine Mannschaft, die sich geordnet nach ‚Categories‘, wie wir das nennen, um die Logistik für alle Unternehmensbereiche kümmert: Einige Mitarbeiter koordinieren die Landfracht, andere die Luftfracht und wieder andere die Seefracht. Diese Leute schließen Rahmenverträge mit den Logistikdienstleistern und Spediteuren ab, innerhalb derer jeder Unternehmensbereich mehr oder minder selbstständig handeln kann. Bei der Landfracht in Europa hatte diese Zentralisierung zur Folge, dass wir die Zahl unserer Vertragspartner von 50 auf fünf reduziert haben. Die Konzentration hat Vorteile für beide Seiten: Unsere Partner haben eine stabilere Auslastung, wir bekommen dafür im Gegenzug günstigere Konditionen.“

Zurück zur Qualität

Norbert Rox ist Logistik-Leiter der Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG, Brakel. Der Hersteller von Design-Beschlägen für Türen und Fenster setzte im vergangenen Jahr 70 Millionen Euro um und beschäftigt 520 Mitarbeiter.

Mitte der achtziger Jahre haben wir neben unserem Werk in Brakel einen zweiten Produktionsstandort in Indonesien eröffnet, das lag damals in der Luft. Alle Welt sprach davon, dass man in der Region der Tiger-Staaten vertreten sein müsse, wenn man auf lange Sicht erfolgreich bleiben wollte. Und dass Deutschland keine Zukunft mehr als Produktionsstandort habe. Zudem lockten die immer günstigeren Transportkosten. Wir haben die Fabrik aber bald wieder an unsere örtlichen Partner abgegeben. Nicht weil die Entfernung zu groß war, die hätte man logistisch durchaus in den Griff bekommen können. Qualität und betriebliche Abläufe machten uns Sorgen.

Mehr als 50 Prozent aller Türdrücker waren schadhaft oder schlampig bearbeitet und mussten nachbearbeitet werden. In Indonesien fehlte es einfach an Know-how und Sorgfalt. Außerdem ist uns irgendwann klar geworden, dass wir als Unternehmen auch eine ethische Verantwortung haben. Wir legen seit jeher großen Wert auf eine umweltschonende Herstellung. Es wäre doch seltsam, wenn wir die umweltbedenklichen fernöstlichen Gegebenheiten als Kosten senkenden Faktor in unsere Kalkulation eingestellt hätten. Die niedrigen Löhne und vergleichsweise günstigen Transportkosten sind die eine Seite der Medaille, unser mit viel Arbeit aufgebauter guter Ruf ist die andere. Wir produzieren hochwertige Designgriffe, viele davon auch in Kleinserien. An diesem Produktmix scheitern die asiatischen Großserien-Kopierer.

Im Grunde sind wir für diese frühe schlechte Erfahrung aber sehr dankbar – und produzieren seither wieder zu hundert Prozent an unserem Firmensitz im Weserbergland. Hier vor Ort sind Kompetenz und industrielle Sorgfalt zu Hause. Das wiegt auch unsere Standortnachteile in der Provinz auf, unsere Firma liegt fernab von Flughäfen, Autobahnen und Bahnhöfen. Leider ist auch die Weser in unserem heimatlichen Umfeld noch nicht schiffbar. Und die Bahn hat uns unsere firmeneigenen Gleisanschlüsse schon vor zwei Jahrzehnten abgebaut.

Trotzdem können wir unseren Partnern und Kunden Lieferungen innerhalb eines Tages zusichern. Und zwar in ganz Deutschland und den Beneluxländern. Das geht nur, weil wir bereits Ende der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre unsere Lager in ein hochmodernes Logistikzentrum umgebaut haben. Als wir vor mehr als einem Jahrzehnt so intensiv in die Logistik investierten, hielten viele unserer Mitbewerber das für übertrieben. Heute haben die meisten nachgezogen. Viele beneiden uns allerdings immer noch – vor allem wegen unserer sehr ausgefeilten und vertriebsorientierten digitalen Steuerung des gesamten betrieblichen Geschehens.

Es ist doch so: Wer in der internen und externen Logistik nicht seine Hausaufgaben macht, verprellt seine Kunden. Da können unsere Produkte noch so gut oder hochwertig sein – wenn wir sie nicht pünktlich auf die Verkaufstresen unserer Kundschaft oder auf deren Baustellen bringen, dann streicht man uns ganz einfach aus der Lieferantenliste.

Das Baukasten-Prinzip

Walter Fischl ist Mitglied der Geschäftsführung des größten Fertighausherstellers Europas, der Elk Fertighaus AG aus Schrems in Österreich. 2004 hat die Firma, die 900 Mitarbeiter beschäftigt, einen Umsatz von 122 Millionen Euro erzielt.

„Unsere Kunden wollen ihr Fertighaus individuell gestalten. Außerdem bieten wir eine flexible Auftragsabwicklung, feste Liefertermine sowie Fixpreise. Für unsere Logistik heißt das: Wir gehen auf die Vorstellungen unserer Kunden ein – und müssen gleichzeitig Materialbestellung, Produktion, Transport und Montage so effizient wie möglich halten.

Pro Arbeitstag produzieren wir konzernweit acht bis neun Häuser, montieren sie und übergeben sie an unsere Kunden. Für den Transport aller Teile eines Hauses benötigen wir drei Lkw-Züge, die teilweise mehr als 1000 Kilometer bis zum Bauplatz zurücklegen, beispielsweise wenn wir einen Kunden in Norddeutschland beliefern.

Durch die individuelle Planung erfordert jedes Haus hunderte von Arbeitsschritten und eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien. Nur etwa ein Fünftel aller Teile, die wir verwenden, haben wir ständig auf Lager. Die restlichen 80 Prozent sind Kommissionsware – das heißt, wir bestellen sie abhängig vom spezifischen Auftrag, beispielsweise Türen, Fenster oder Sanitärgeräte. Das macht eine genaue Planung nötig.

Als Plattform dafür dient uns ein eigens entwickeltes IT-System, das wir vor fünf Jahren etabliert haben und das für die fristgerechte Abwicklung der Aufträge unentbehrlich geworden ist. Denn grundsätzlich verbergen sich hinter jedem Auftrag eine Menge festgelegte und vorgegebene Termine, beispielsweise die Bearbeitung von Bauanträgen bei den Behörden oder die zeitgerechte Fertigstellung des Kellers. Das ist ein wichtiger Zeitpunkt, denn nach ihm richtet sich der tatsächliche Montagetermin des Hauses. Auf Basis unserer jahrzehntelangen Erfahrung arbeiten wir den gesamten organisatorischen Ablauf entlang einer transparenten Terminschiene ab. Damit steuern wir in Absprache mit dem Kunden interne Arbeitsschritte, die gleichzeitig immer auch an jede beteiligte Unternehmensabteilung weitergeleitet werden.

Um jederzeit informiert zu sein, können die Bauherren über das Internet verfolgen, wie hoch die aktuellen Kosten für die geplante Ausstattung des Hauses sind und in welcher Planungsphase sich der Bau gerade befindet.

Seitdem wir mit dem IT-System arbeiten, konnten wir die Durchlaufzeit – die Zeitspanne, die zwischen Auftrag und Montage eines Hauses verstreicht – von acht auf durchschnittlich sechseinhalb Monate reduzieren. Und kürzere Lieferzeiten kommen natürlich unseren Kunden zugute.“

Wetterfühlig

Sascha Menges ist Supply-Chain-Manager beim Ulmer Gartengerätehersteller Gardena. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 2785 Mitarbeiter und hat im Geschäftsjahr 2004/20005 einen Umsatz von 393,3 Millionen Euro erzielt.

„Gardena hat im vergangenen Jahr die Logistikstandorte in Spanien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden geschlossen. Wir beliefern die Kunden in diesen Ländern jetzt direkt aus dem Logistikzentrum an unserem Stammsitz in Ulm.

Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste: Unser Produktspektrum ist starken saisonalen Schwankungen unterworfen. Ein Wasserprodukt wie der klassische Gartenschlauch etwa verkauft sich im Sommer bei warmem, trockenem Wetter sehr gut, während die Nachfrage bei Regen auf nahezu null zurück geht. Umgekehrt wächst in nassen Sommern das Gras schneller, dann werden Schneideprodukte wie etwa Rasentrimmer stärker nachgefragt. Das Saisongeschäft ist also eigentlich nicht planbar.

Das bedeutet einerseits, dass wir zur Sicherstellung einer maximalen Lieferfähigkeit unserer Waren im Stande sein müssen, in der Produktion sehr flexibel zu reagieren. Andererseits müssen wir den Bestand möglichst lange zentral halten, da in den verschiedenen Regionen Europas die Saison sehr unterschiedlich verläuft. Wenn wir die Waren auf viele Standorte verteilen, bevor die Saison startet, riskieren wir, dass wir an einem Ort zu viel von einem Produkt haben und an einem anderen zu wenig. Durch die Bestandszentralisierung erreichen wir also eine höhere Flexibilität in der Belieferung des Marktes. Und tatsächlich haben wir in den betroffenen Ländern extreme Sprünge in der Warenverfügbarkeit gemacht.

Guter Lieferservice besteht aber nicht nur aus der Fähigkeit, Produkte zu liefern, sondern auch aus der Lieferzeit. Mit welcher Durchlaufzeit schaffen wir es, einen Kundenauftrag zur Belieferung an die Rampe zu bringen? Im Rahmen der Zentralisierung haben wir festgestellt, dass wir binnen 24, 48 oder 72 Stunden in der Lage sind, weite Teile Europas zu erreichen, was für unser Geschäft zwar anspruchsvolle, aber durchaus realistische Durchlaufzeiten sind.

Auch die Logistikdienstleister haben zur Effizienzsteigerung beigetragen. Heutzutage ist der Systemverkehr deutlich ausgeprägter als noch vor zehn Jahren. Viele Logistikunternehmen bieten gesamteuropäischen Verkehr an. 

Das zweite wichtige Argument für die Zentralisierung: Wenn wir unsere Ware an einem Standort konzentrieren, verringern sich die Sicherheitsbestände, die wir vorhalten müssen früher hatte jedes Lager seine eigenen Rücklagen.

Drittens spielen natürlich die Kosten eine Rolle. Wir können heute mit deutlich höherer Auslastung fahren. Gardena hatte in Ulm ein hoch automatisiertes, aber nicht voll ausgelastetes Logistikzentrum. Ein systemischer Umbau der Logistik war also nicht nötig. Das Ulmer Hochregallager fasst 45.000 Paletten und hat eine hohe Sortier- und Kommissionierkapazität. Zusätzlich stellt ein Dienstleister in der Nähe bis zu 38.000 weitere Palettenplätze zur Verfügung. Wir kommissionieren heute intern Mischpaletten und schieben sie an den Dienstleister weiter, der aus seinem Lager Komplettpaletten hinzufügt; daraus wird die Lieferung, die dem Kundenauftrag entspricht. So waren für die Umstellung nur relativ geringe Investitionen nötig.

Die zusätzlichen Kosten für die Abwicklung des Vertriebs über unser Zentrum sind deutlich geringer als die früheren Vollkosten für die Abwicklung über die jetzt geschlossenen nationalen Lager. Insgesamt gewinnen wir also auf drei Ebenen – und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.