Wo klemmt’s?

Die Zahlen sind ernüchternd: Mehr als zwei Drittel aller Innovationen, an denen in den Entwicklungsabteilungen deutscher Unternehmen gearbeitet wird, schaffen es nicht einmal bis zur Marktreife. Und von den wenigen, die durchkommen, enden viele als Flop.
Na und?, fragt der Technikhistoriker Reinhold Bauer. Statt sich immer nur Gedanken darüber zu machen, wie man Misserfolge vermeiden kann, sollten Unternehmen den Fehlschlag endlich als ganz normalen Bestandteil des Entwicklungsprozesses begreifen.
Denn Erfolg, so der Forscher, ist nun einmal die Ausnahme. Und der Misserfolg notwendige Bedingung. 




McK: Herr Bauer, während ganz Deutschland derzeit Innovationen als Rettung für die kränkelnde Wirtschaft ersehnt, beschäftigen Sie sich mit dem genauen Gegenteil. Sie sind der erste Wissenschaftler hier zu Lande, der sich zum Thema innovatorisches Scheitern habilitiert hat. Sind Sie ein schadenfroher Mensch?

Reinhold Bauer: Wenn ein Innovationsversuch nicht das hält, was er versprach, ist das für alle Beteiligten zutiefst frustrierend. Da wurde unheimlich viel Geld, Energie und Lebenszeit in etwas investiert, das sich am Ende als Nullnummer erweist. Das zu erkennen tut auch mir als reinem Beobachter Leid. Gerade deshalb plädiere ich aber beim Thema Innovation für Offenheit. Denn wenn alle Welt immer nur über die Erfolge spricht, gibt das ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wieder. Der einzelne Fehlschlag erscheint dann wie ein Weltuntergang.

Das ist er für manche Unternehmen auch. Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verschlingen Unsummen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen können sich Misserfolge einfach nicht leisten.

Daran ändert sich aber auch nichts, wenn das hohe Risiko, mit einer Innovation zu scheitern, permanent negiert wird. Es überrascht mich immer wieder, wie sorglos der Begriff Innovation mit Erfolg gleichgesetzt wird. Das ist ein regelrechter kollektiver Verdrängungsprozess.
Als ich im Rahmen meiner Habilitation Unternehmen angeschrieben habe, konnte sich dort fast ohne Ausnahme niemand an Misserfolge erinnern. Einige versicherten großspurig, aufgrund ihres „überlegenen Innovationsmanagements“ gebe es bei ihnen keine innovatorischen Fehlschläge, andere berichteten lapidar, dass das zwar schon mal vorgekommen sei, man aber alle Unterlagen darüber leider verlegt habe.
Warum akzeptieren wir nicht einfach die Realität? Ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung zu entwickeln ist ein unternehmerisches Risiko, das man nur in Maßen selbst beeinflussen kann.

Sie wollen wirklich behaupten, ein Unternehmen habe auf die Frage, ob eine Innovation ein Erfolg wird, nur geringen Einfluss?

Natürlich kann und muss man seine Hausaufgaben machen. Unternehmen können durchaus für möglichst gute Rahmenbedingungen sorgen. Dazu zählen flache Hierarchien, Transparenz, Qualifizierungsmaßnahmen, kurze Dienstwege, Autonomie, klare Strategien und alles, was hilft, vorhandenes Wissen zu mobilisieren und den Ideenaustausch unterschiedlicher Abteilungen zu fördern – letztlich eben alle Mittel des klassischen Innovationsmanagements. Aber es ist nicht die Aufgabe von mir als Historiker, Handlungsempfehlungen zu geben, das können Betriebswirte sehr viel besser. Ich kann nur versuchen, den Leuten ein Bewusstsein für die Realität zu vermitteln. Und die heißt nun mal: Erfolg ist genauso wenig sicher planbar, wie ein Misserfolg sicher vermeidbar ist.

Woran hapert es?

Forschung und Entwicklung sind Teil eines hoch komplizierten Prozesses, der von den unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst wird. In meiner Habilitation habe ich sie als „Typologie des Scheiterns“ zusammengefasst. Innovationsprojekte werden üblicherweise aus fünf Gründen zum Misserfolg: weil die Konkurrenz überlegen war, wegen technischer Probleme, weil die Nutzerbedürfnisse falsch eingeschätzt wurden, die Erfindung einfach zu radikal neu war oder aufgrund eines instabilen Entwicklungsraums.

Das klingt zunächst einmal ziemlich banal.

Im Nachhinein oder von außen betrachtet, sieht man die Dinge immer klarer. Das Erstaunliche ist aber, dass sich die Merkmale meiner Typologie des Scheiterns wie ein wiederkehrendes Muster durch die gesamte Wirtschaftsgeschichte ziehen. Der konkrete Fehlschlag mag ein Einzelfall sein, die Fehler finden sich dagegen immer wieder. Zum Teil, weil sie gar nicht vermeidbar sind.
Nehmen wir die überlegene Konkurrenz: Kein Unternehmen weiß genau, woran in den Entwicklungslaboren der Wettbewerber gerade geforscht wird, es sei denn, es betreibt Industriespionage, aber das ist – hoffentlich – keine dauerhafte Lösung.
Es kann also durchaus sein, dass ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt und ein Mitbewerber einfach schneller oder besser war. Manchmal hat ein Konkurrent auch einfach mehr Marktmacht und kann allein durch gutes Marketing die Innovation des anderen verhindern. „Der Friedhof der gescheiterten Patente“, sagt mein französischer Kollege Bernard Réal, „ist zum Bersten voll.“ Ich bin überzeugt: Das gilt auch für Innovationen.

Nie zuvor waren die Verbraucher so gut informiert wie heute. Im Internet gibt es zahllose Foren und Seiten, die zum Austausch und der Bewertung von Produkten einladen. Setzt sich am Ende nicht automatisch die bessere Erfindung durch?

Ich glaube, die Gruppe kritischer Konsumenten ist viel kleiner als gemeinhin angenommen. Außerdem schafft es überhaupt nur etwa ein Drittel aller Erfindungen auf den Markt – ein fairer Vergleich ist also überhaupt nicht möglich.
Ein Beispiel aus der Wirtschaftsgeschichte: Zeitgleich mit dem Elektrokühlschrank wurde der Gaskühlschrank entwickelt. Zum damaligen Zeitpunkt war Letzterer dem Elektrokühlschrank eindeutig überlegen: Der Gaskühlschrank brummte nicht, er hatte niedrigere Unterhaltskosten, außerdem gab es in den Haushalten wesentlich mehr Gas- als Elektrikanschlüsse. Trotzdem setzte sich am Ende der Elektrokühlschrank durch. Warum? Weil hinter dem Elektrokühlschrank die großen Elektrikkonzerne standen. Die hatten einfach mehr Marktmacht als die Erfinder des Gaskühlschrankes.

Was lässt sich daraus schließen? Mehr Mittel, mehr Innovationen?

Leider nein. Die Großen mögen zwar aufgrund ihrer Dominanz eine bessere Marktposition haben, machen dafür aber andere Fehler. Sie bringen zum Beispiel Produkte auf den Markt, die gar nicht funktionieren.
Man mag meinen, dass Unternehmen so viel Geld und Aufmerksamkeit in ihre Entwicklungen stecken, dass sie wirklich erst dann für die Masse produziert werden, wenn sie ausgereift sind. Aber das ist bei weitem nicht der Fall. Bei neuer Software, die auf den Markt kommt, wird uns das als Kunde leider häufig bewusst.
Aber auch Großprojekte sind vor Misserfolgen nicht gefeit. Denken Sie an das Maut-Desaster oder auch an das Riesenwindrad Growian, das in den siebziger Jahren zum Symbol des Aufbruchs in ein umweltfreundliches Zeitalter werden sollte. Mit einer Höhe von hundert Metern und einer Leistung von drei Megawatt – 60-mal mehr als damals sicher beherrschbar – ging es weit über den technischen Stand seiner Zeit hinaus. Trotz aller Warnungen hielten die Ingenieure und das Bundesforschungsministerium unbeirrt an dem Prestigeobjekt fest. Es kam, wie es kommen musste. Kaum wurde Growian 1983 in Betrieb genommen, zeigten sich die ersten Schwächen. Nach vier Jahren und nur 420 Stunden Laufzeit wurde es wieder stillgelegt. So banal es klingt: Das Neue ist eben neu – und in all seinen Konsequenzen nicht absehbar.

Zumindest eine Unbekannte kann im Innovationsprozess beeinflusst werden: Marktforscher haben immer ausgeklügeltere Instrumente, um die Reaktion der Verbraucher vorauszusagen.

Auch die beste Marktforschung kann nicht verhindern, dass die Kunden anders reagieren als angenommen. Menschen sind komplexe Wesen, deren Reaktionen keineswegs bis ins Letzte vorausgesagt werden können. Erinnern Sie sich zum Beispiel noch an das E-Book? Das war mit viel Tamtam und einem Riesen-Marketingbudget eingeführt worden – und erwies sich trotzdem als Flop. Der Großteil der Menschen will abends im Bett eben keinen Laptop auf dem Schoß haben, sondern lieber durch ein echtes Buch blättern. Damals haben sich die Marktforscher von einer kleinen Gruppe technikbegeisterter Menschen blenden lassen. Innovationen können auch scheitern, weil sie ihrer Zeit einfach ein Stück weit voraus sind.

Das Wesen einer Innovation ist aber doch die Veränderung und das Neue. Und jetzt sagen Sie, dass es ein Zuviel davon geben kann?

Genau, zumindest wenn ich mir Innovationen vom Markt her anschaue. Ein Unternehmen, das mit einer Erfindung das Geld einspielen will, das es in den Entwicklungsprozess gesteckt hat, ist vermutlich gut beraten, sich auf kleinere Verbesserungs- oder Anwendungsinnovationen zu konzentrieren. Denn Innovationen, die weit über das hinausgehen, was der derzeitige technische Stand ist, erfordern sehr hohe Anpassungskosten – auf Seiten der Industrie und der Nutzer.
Abgesehen davon, wird das radikal Neue übrigens sehr viel seltener erfunden, als oft angenommen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen noch immer eine hoch romantische Vorstellung von Erfindungen haben. Aber Innovationen sind in aller Regel das Ergebnis von harter Arbeit und werden in unendlich vielen kleinen Schritten entwickelt. Damit sie zum Erfolg werden, gehört dann meiner Meinung eben auch noch eine Prise Schicksal und Glück dazu.

Wenn man sich die technische Entwicklung der vergangenen hundert Jahre anschaut, hat man nicht gerade das Gefühl, dass sie zufällig verläuft.

Auf den ersten Blick kann man den Eindruck gewinnen, dass sich die Technik linear entwickelt. Aber das ist natürlich völliger Unsinn, schon allein deswegen, weil sich der Betrachter in der Regel nur mit den erfolgreichen Innovationen beschäftigt. Fortschritt bewegt sich aber nicht von Erfolg zu Erfolg. Er entsteht durch ein irres Rumsuchen, mit ganz vielen Seitenpfaden, die plötzlich im Nichts verlaufen oder versanden. Misserfolge gehören dabei genauso zum Entwicklungsprozess wie Erfolge. Und das, was sich am Ende von diesem Prozess durchsetzt, muss keinesfalls immer die objektiv beste Lösung sein.
Das ist übrigens ein großer Unterschied zwischen der technischen und der biologischen Entwicklung: Mutation im Tierreich entsteht zufällig, Innovationen werden in der Regel zielgerichtet geschaffen. Doch während sich in der Natur laut Darwin immer der Fittere durchsetzt, hängt der Erfolg einer Innovation auch von relativ willkürlichen Einflüssen ab. Manchmal hapert es einfach an so etwas Banalem wie dem richtigen Timing.

Nennen Sie uns ein Beispiel.

Nehmen Sie die Mikrowelle. Als das erste Modell 1947 auf den Markt kam, erwies es sich als unverkäuflich. Gut, das Ding war damals noch ein riesengroßes Monstrum und mit 5000 Dollar nicht gerade billig, aber die Möglichkeit, Speisen und Getränke mithilfe eines elektromagnetischen Feldes zu erhitzen, war einfach grandios. Und doch: ein Flop. Das Gerät war seiner Zeit voraus. Ihren Durchbruch erlebte die Mikrowelle erst mit dem Aufkommen der zahlreichen Single-Haushalte und Doppelverdiener in den achtziger Jahren.

Dreißig Jahre Wartezeit hat schon früher so manches Unternehmen nicht überlebt. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich Märkte und Produkte heute drehen, sind derartige Dimensionen schwer vorstellbar. Sie verstehen, dass Ihre Typologie des Scheiterns für viele Unternehmer ziemlich Besorgnis erregend klingt?

Ich empfinde die Ergebnisse meiner Arbeit eher als entlastend. Es gibt nicht den einen Weg zum Ziel, sondern viele verschiedene, und ein Großteil von ihnen führt in eine Sackgasse. Auch auf die Gefahr hin, dass es sich wie eine Glückskeks-Weisheit anhört: Das ist nun mal der Preis, den man für den Erfolg zahlen muss. Eine erfolgreiche Innovation setzt sich aufgrund spezieller Rahmenbedingungen durch, andere scheitern. So what? Das ist doch vor allem ein Zeichen von einer enormen Vielfalt und auch Offenheit.

Das klingt ziemlich amerikanisch. In den USA geht die Gesellschaft ja generell anders mit dem Thema Scheitern um. Auch der Pleitier wird sofort nach seinen nächsten Plänen gefragt. Ist das Ihre Botschaft für den Umgang mit wirtschaftlichen Flops: Schwamm drüber und weiter geht’s?

Das ist mir ein bisschen zu optimistisch. Gesamtgesellschaftlich stimmt es zwar, dass man Scheitern in Kauf nehmen muss. Am Ende bleibt eben immerhin noch ein Drittel erfolgreicher Innovationen übrig, die für Wachstum sorgen. Für das einzelne Unternehmen bedeutet ein Misserfolg aber trotzdem häufig eine Katastrophe. Ich möchte dem Scheitern durch meine Arbeit das Stigma nehmen.

Man sagt: Aus Schaden wird man klug. Bieten innovatorische Fehlschläge nicht auch die Möglichkeit, es beim nächsten Mal richtig zu machen?

Gewiss schult die Auseinandersetzung mit einem Misserfolg einen darin, beim nächsten Mal – im besten Fall – nicht wieder denselben Fehler zu machen. Aber ich warne vor der Annahme, man müsse sich nur besser vorbereiten, um nie wieder zu scheitern.
Man kann noch so konsequent für einen Marathon trainieren – und trotzdem nicht ans Ziel kommen, weil die Wetterbedingungen schlechter waren als erwartet oder man ausgerechnet an diesem Tag mit Muskelschmerzen aufgewacht ist.
Genauso ist es mit Innovationen: Es gibt keine Entwicklung ohne Misserfolge. Wenn ich auf Teufel komm raus versuche, die zwei Drittel Fehlschläge zu vermeiden, verhindere ich auch den Erfolg.

Reinhold Bauer, 40, lehrt am Seminar für Geschichtswissenschaft der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg. Er ist der erste Technikhistoriker, der sich zum Thema fehlgeschlagene Innovationen habilitiert hat. Das Thema hat Bauer schon während seiner Doktorarbeit interessiert: Die schrieb er über den Pkw-Bau in der DDR und die Innovationsschwäche von Zentralverwaltungswirtschaften. Im kommenden Frühjahr wird im Campus-Verlag Frankfurt/Main sein Buch „Gescheiterte Innovationen. Fehlschläge und technologischer Wandel“ erscheinen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.