Sorge um die Vorsorge

Chinesen versichern ihr Auto – sonst nichts. Ein Großteil der Bevölkerung kennt nicht einmal Kranken- oder Lebensversicherungen. Anders als früher muss der Bürger der Volksrepublik neuerdings jedoch selbst Vorsorge treffen. Ein Volk lernt um.




I. UNSICHERE ZEITEN

Herr Fang liebt antike Keramik. Unlängst besuchte er eine Ausstellung, um sich ein paar besonders prachtvolle Stücke aus nächster Nähe anzuschauen. Eine Ming-Vase hatte es ihm angetan. Sie stand hinter Glas, aber das hatte Herr Fang im Eifer übersehen. Er kam dem guten Stück zu nahe – die Vase ging zu Bruch. Der Schaden belief sich auf rund eine Million Yuan (99.000 Euro), ein Gericht sollte die Schuldfrage klären. Herr Wang beteuerte, der Unfall sei keine Absicht gewesen. Die Richter gaben ihm Recht. Schuld sei in Wahrheit das Auktionshaus – es hätte die ausgestellten Preziosen versichern müssen.

Versicherungen sind den Chinesen fremd. Alter, Krankheit, Unfälle – vor den Wechselfällen des Lebens schützte über Jahrtausende die Familie. Im Verbund des Clans war der Einzelne sicher, finanzielle Lasten wurden auf viele Schultern verteilt. Die Kommunistische Partei löste nach 1949 die Familien ab und sorgte für eine staatliche Versorgung auf niedrigem Niveau: Das System der „eisernen Reisschüssel“, finanziert von Staatsbetrieben, Genossenschaften und Arbeitseinheiten, sorgte für Wohnungen und Renten und garantierte ärztliche Behandlung im Krankheitsfall. Seitdem das System in Auflösung begriffen ist, soll jeder selbst schauen, wo er bleibt. Eine Gesellschaft im Umbruch.

Der Anteil der Staatsunternehmen an der Gesamtwirtschaft geht kontinuierlich zurück, 2003 erwirtschafteten staatseigene Betriebe nur noch 25 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Private Unternehmen fühlen sich nicht in der Pflicht, Sozialversicherungssysteme kennt das Land nicht. Der Staat kann die Versorgung seiner Bürger nicht finanzieren, und auch die Familie kann nicht mehr helfen: Die Ein-Kind-Politik ließ die Beziehungsnetzwerke schrumpfen, die chinesische Gesellschaft altert, das Volk steht vor einem gewaltigen demografischen Problem.

Was den Menschen bleibt? Für den Ernstfall sparen, entscheiden die meisten. Die Chinesen sind das sparsamste Volk der Welt, die Sparquote liegt bei rund 40 Prozent. In Deutschland, dem Land der Sparer, liegt sie bei knapp über zehn. Anders als der Deutsche kann der Chinese sein Geld mit den Jahren jedoch nur mühsam vermehren. Ein bis zwei Prozent Zinsen auf dem Sparbuch, dem mehr oder weniger einzigen Produkt, das die Banken ihrer Kundschaft bieten, sind zurzeit das Maximum. Zu wenig für all jene, die wirklich vorsorgen wollen. Versichern statt sparen heißt die Alternative, doch an die neue Form der Vorsorge müssen sich alle erst gewöhnen.

Für die Massen ist ohnehin jede Art privater Vorsorge unerreichbar: 60 Prozent der Chinesen gehören zur Landbevölkerung, die vom wirtschaftlichen Aufschwung des Landes bisher kaum profitieren konnte, 85 Millionen Menschen leben gar unterhalb des Existenzminimums von 63 Euro im Jahr.

II. SCHÄTZE HEBEN

Herr Zhang und Frau Wang sind verheiratet, Mitte 30. Beide haben gute Jobs in der Medienbranche und verfügen zusammen über ein Jahreseinkommen in Höhe von rund 20.000 Euro. Bis November 2002 hatten sie keinerlei Versicherungen, dann kam ihr Sohn zur Welt – und plötzlich war Sicherheit ein Thema.

Kollegen empfahlen ihnen als ersten Schritt eine Unfallversicherung, die sie auch gleich abschlossen: Für eine Versicherungssumme in Höhe von rund 20.000 Euro kostet die Jahresprämie etwa 1000 Euro, der Vertrag hat eine Laufzeit von 20 Jahren. Das Beste daran hob sich der Vertreter für den Schluss auf: Das Kind ist bei den Eltern automatisch mitversichert.

Diese Information erwies sich später leider als falsch, deshalb sicherten sich Herr Zhang und Frau Wang noch besser ab. Im vergangenen Jahr schlossen sie eine Erziehungs- und eine Krankenversicherung mit einer Laufzeit von 15 Jahren für das Kind ab, in diesem Jahr eine Rentenversicherung für sich selbst. Frau Wang muss lange rechnen, um herauszubekommen, wie viel sie für all die Versicherungen jährlich bezahlen: gut 5000 Euro sind es, fast ein Viertel ihres Jahreseinkommens.

Nach Angaben der zuständigen Aufsichtsbehörde verwaltete die chinesische Versicherungswirtschaft im April dieses Jahres 912 Milliarden Yuan, etwa 91 Milliarden Euro. Gemessen an der Zahl von 1,3 Milliarden Menschen, ist das eine winzige Summe. Zum Vergleich: Allein das Versicherungsvolumen für die Lebensversicherungen der 82,5 Millionen Deutschen beträgt 604 Milliarden Euro (Ende 2002).

Die Einkünfte der Bevölkerung wachsen rapide, 2003 betrug das Pro-Kopf-Einkommen der Stadtbewohner 843 Euro, bis 2020 soll es sich verdoppeln. In den Metropolen Schanghai, Peking und Kanton, hat sich das Einkommen der Bürger nach Angaben des Statistikamtes der Zentralregierung in den vergangenen Jahren verzwanzigfacht, Tendenz steigend. Die schnell wachsende städtische Mittelschicht stellt zurzeit die meisten Versicherungskunden.

III. ZWEIMAL GEKOCHT

Herr Lu arbeitet seit acht Jahren als Vertreter für einen chinesischen Lebensversicherer und gehört zu den glücklichen Ausnahmen: Er hat relativ früh in dem Beruf angefangen, sich mit der Zeit einen stabilen Kundenstamm aufgebaut und verdient im Jahr etwa 100.000 Yuan, 9950 Euro. Im vergangenen Jahr konnte er sich sogar ein eigenes Auto leisten, um, wie er sagt, pünktlich bei seinen Kunden zu sein.
Typisch ist das nicht. Die meisten Versicherungsvertreter müssen lange arbeiten, bis sie an einen eigenen Wagen auch nur denken können. Ein Anfänger, weiß Lu, verdient in Peking weniger als 100 Euro im Monat, nach zwei bis drei Jahren kann er mit Glück 250 Euro schaffen. Unter den Vertretern herrsche ein brutaler Überlebenskampf, sagt er. Allein für seinen Arbeitgeber, der zehn Milliarden Yuan Prämien pro Jahr einnimmt, arbeiteten 140.000 Vertreter. Für China Life Insurance, die größte chinesische Gesellschaft, sind 650.000 Verkäufer aktiv.

Zu Hunderten hocken sie in einem Büro und versuchen, telefonisch Kunden zu werben. Fachkenntnisse besitzt kaum einer von ihnen, es fehlt die Zeit zum Lernen, zudem zahlt die Versicherung keinen Cent für Aus- und Weiterbildung. Wer sich vom Land in die Stadt aufgemacht hat, um sein Glück als Versicherungsvertreter zu suchen, muss sehen, wie er sich seinen Lebensunterhalt im Gewerbe verdient.

Die Qualität der Beratung ist entsprechend. Kaum einer der Vertreter kann sich selbst eine Versicherung leisten, Missverständnisse und Fehlinformationen sind an der Tagesordnung – meist aus Unkenntnis, gelegentlich aus Kalkül: So manchem Kunden wird das Blaue vom Himmel versprochen, Hauptsache, der Verkäufer kann einen Abschluss verbuchen.

Ausländische Versicherer, die auf dem Markt langsam Fuß fassen, haben die schlechte Reputation der Vertreter als entscheidendes Wachstumshemmnis identifiziert – und bauen deshalb auf selbst geschulte Anfänger. Die zum US-Versicherungskonzern American International Group (AIG) gehörende Lebensversicherung American International Assurance (AIA) hat diese Personalpolitik sogar in ihrer Anzeigenkampagne hervorgehoben. Jetzt ziehen die ersten chinesischen Gesellschaften nach. Wer in der Vergangenheit als Vertreter gearbeitet hat, ist immer seltener gefragt. Zweimal gekocht schmeckt meistens schlecht, heißt das in China.

IV. VERSICHERT UND VERUNSICHERT

Herr Wu verkauft Luxusautos in Peking und Schanghai. Seine Kundschaft sind die Superreichen, aber auch er hat es schon zu einigem Wohlstand gebracht. An seine Zeit in Deutschland, wo er Volkswirtschaft studiert hat, erinnert er sich gern. Zum Beispiel wegen der Krankenversicherung: Die kostete 69 Mark im Monat, und dafür bekam er eine komplette medizinische Versorgung, bei freier Arztwahl. „Ein deutscher Zahn ist immer noch in meinem Mund, hat nie Probleme gemacht“, sagt er.
Aus der Ferne hat Wu nicht nur einen Zahn, sondern auch die Einsicht mitgebracht, dass es gut ist, sich zu versichern. Deshalb schloss er jede Menge Policen ab, darunter natürlich auch eine Krankenversicherung. „Alles in allem zahlte ich für meine Frau und mich rund 40.000 Euro jährlich an Prämien, aber als ich die Krankenversicherung dann zum ersten Mal wegen Zahnschmerzen in Anspruch nehmen wollte, musste ich lange verhandeln, um überhaupt zum Arzt gehen zu dürfen. Eine Woche später fiel mir der reparierte Zahn aus dem Mund. Da habe ich sofort alle Verträge gekündigt.“ Wenn Herr Wu wieder einmal Zahnschmerzen hat, geht er lieber zu einem privaten Arzt und zahlt selbst.

Der chinesische Pkw-Boom hat zu einem Aufschwung im Markt der Sachversicherungen geführt, der in China zum größten Teil aus Autoversicherungen besteht. Bis vor zwei Jahren ließ sich dabei für die Gesellschaften viel Geld verdienen, denn die staatliche Regulierungsbehörde legte die Prämien fest. Mittlerweile hat die Deregulierung für eine gesunde Konkurrenzsituation gesorgt: Weil der eigene Pkw dem Durchschnittsverdiener möglich sein soll, sind Preise für Policen und die Margen für Versicherer gefallen. „Für Autoversicherungen ist der Markt zurzeit nicht besonders attraktiv“, weiß Stephan Binder, Principal im Schanghaier Büro von McKinsey. „Generell sagen wir aber, dass der Markt für Sachversicherungen analog zum Bruttoinlandsprodukt wächst. Da ist also noch einiges zu erwarten.“

Es ist allerdings auch noch eine Menge Know-how vonnöten. Insbesondere das Handwerkszeug der chinesischen Unternehmen in diesem Bereich ist noch nicht sehr entwickelt – Risikoklassifizierung, Schadensmanagement, alle die eigentlich entscheidenden Faktoren, stecken noch in den Kinderschuhen. Um Expertise aufzubauen, ist das Interesse groß, mit internationalen Partnern zu kooperieren.

Auch bei den Krankenversicherungen ist ein beträchtliches Wachstum zu erwarten: Gerade einmal acht Prozent der Chinesen sind zurzeit für den Notfall versichert. Zwar gibt es in der Regierung Pläne für den Aufbau regionaler gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungen. Wann, wie und ob es sie geben wird, ist jedoch noch ungewiss.

Das Angebot der privaten Unternehmen ist noch klein und richtet sich ausschließlich an Großstädter. Sie zahlen in der Regel je nach Krankheitsfall bestimmte Pauschalsummen – unabhängig davon, wie teuer die Behandlung tatsächlich ist. „Bei ernsthaften gesundheitlichen Problemen oder komplizierten Operationen reicht das natürlich nicht aus“, sagt Stephan Binder. „Aber eine Rundum-Versicherung, die Behandlungskosten unabhängig von der Höhe übernimmt, gibt es in China nicht.“

Für westliche Krankenversicherer bietet die Situation gute Chancen, sofern es ihnen gelingt, ein Modell zu entwickeln, das sich rechnet. Problematisch ist die Ungewissheit angesichts der Pläne der Regierung – und die im chinesischen Krankensektor hohe Quote an Betrugsfällen: „Da gehen Leute, die versichert sind, in eine Apotheke und kaufen Medizin für die gesamte Großfamilie oder das ganze Dorf. Ärzte behandeln sämtliche Familienmitglieder und rechnen alles über die Police des einen Versicherten ab“, weiß Stephan Binder. Chancen sehen die Experten dennoch: Versicherer könnten eigene Krankenhäuser bauen und betreiben, wie in den USA. Oder mit privaten Krankenhausketten Abkommen schließen. Das würde nicht nur zu einer höheren Versorgung führen, sondern auch vor Missbrauch schützen.

V. EINE BRANCHE IST IM WERDEN

„Der Versicherungsplan ist wohl überlegt, die Prämie niedrig, der Versicherungsumfang groß, die Auszahlung hoch.“ Frau Liu ist begeistert von ihrer Lebens- und Rentenversicherung. Die Managerin einer Vertriebsgesellschaft ist gerade 40 geworden und verdankt ihre Freude Verwandten in Hongkong. Nur durch Beziehungen konnte sie ihre Versicherung bei einem dortigen Unternehmen abschließen, zum Glück, denn von der chinesischen Versicherungswirtschaft hat sie keine hohe Meinung: „Man kann den Vertretern genauso wenig trauen wie den Versicherungen selbst. Als in den neunziger Jahren die Zinsen sehr hoch waren, versprachen sie hohe Garantiesummen und noch mehr Überschussbeteiligungen. Jetzt sind die Zinsen niedrig, und sie wollen noch nicht mal die Garantiesumme auszahlen.“
Frau Liu ist eine von vielen, die dem heimischen Markt frustriert den Rücken kehren. Chinesen, die private oder berufliche Kontakte ins Ausland haben oder dort studieren, dürfen auch außerhalb des Landes Versicherungen abschließen. Immer mehr Chinesen transferieren ihr Geld deshalb beispielsweise nach Hongkong. Ein Versicherungsfachmann vor Ort glaubt den simplen Grund dafür zu kennen: „In den achtziger Jahren besuchten viele Festlandschinesen Hongkong. Kaum waren sie hier, kauften sie sich einen Fernseher. Warum? Weil sie besser und billiger waren. Und aus dem gleichen Grund kaufen sie jetzt bei uns Versicherungen.“

Am attraktivsten für ausländische Assekuranzen ist der Markt der Lebensversicherungen. In den vergangenen zehn Jahren wuchs er jährlich um rund 28 Prozent, ein Tempo, das sich nach Ansicht von McKinsey in den kommenden Jahren nicht verlangsamen wird. Nur die Spielregeln werden sich fundamental ändern – zum Vorteil all derer, die jetzt mit Innovationen und Flexibilität in den Wettbewerb einsteigen. Am 1. Januar 2005 fällt eine der wichtigsten Beschränkungen, die den Markt bislang regulierten: Ausländische Versicherer können dann in ganz China tätig werden. Bislang wurden Lizenzen an internationale Unternehmen nur in ausgewählten Metropolen vergeben.

Noch ist der Markt fest in chinesischer Hand: Mehr als 90 Prozent teilen die großen drei – China Life, China Ping An, China Pacific – unter sich auf. Die 20 internationalen Gesellschaften, die mittlerweile in China vertreten sind, kommen zusammen auf einen Marktanteil von etwa zwei Prozent (siehe Tabelle). Weil sie in der Vergangenheit gezwungen waren, sich auf die Metropolen zu beschränken und die Städte heute schon 33 Prozent des Lebensversicherungsmarktes ausmachen, ist die Konkurrenz groß. Die Vertriebsorganisationen der großen drei sind jedoch ganz auf die Masse zugeschnitten. Wer sich spezialisiert, hat deshalb gute Chancen, die neue Mittelschicht mit ihren höheren Ansprüchen an Produkte und Geldanlagen zu erreichen.

Größter ausländischer Player ist die AIA. Der amerikanische Konzern darf seit 1992 Versicherungen an Chinesen verkaufen und erhielt – dank guter Kontakte von Chairman und CEO Hank Greenberg zu chinesischen Politikern wie Jiang Zemin und Zhu Rongji – beim Start sogar eine Alleinlizenz. Ein bislang einmaliger Gunstbeweis, der sich nach Meinung von Experten auf absehbare Zeit nicht wiederholen wird. Alle anderen ausländischen Gesellschaften müssen sich mit lokalen Partnern verbünden, dürfen nicht mehr als 24,9 Prozent eines chinesischen Unternehmens erwerben und maximal 50 Prozent an einem Joint Venture halten. Und die Paarbildung ist teuer: HSBC zahlte für eine zehnprozentige Beteiligung an Chinas zweitgrößter Lebensversicherung Ping An rund 500 Millionen Euro. Selbst der Einstieg bei einem kleineren Unternehmen ist nicht unter 20 Millionen Euro zu haben.

Trotz des frühen Markteintritts und der Alleinstellung wurde das Geschäft für AIA erst in den vergangenen fünf Jahren richtig attraktiv. Bis 1998 bewegte sich das jährliche Prämienaufkommen bei nur 40 Millionen Euro, danach begann der Boom: 2002 durchbrachen die Prämien im Bereich Leben die Marke von 250 Millionen Euro, in Metropolen wie Schanghai und Guangzhou hält der US-Konzern heute Marktanteile zwischen fünf und zehn Prozent.

Als erfolgreich hat sich bislang auch die Strategie des niederländisch-belgischen Versicherers Fortis erwiesen. Obwohl das Unternehmen nur 24,9 Prozent der chinesischen Versicherung Tai Ping Life übernehmen durfte, übten die Europäer großen Einfluss auf die Geschäftspolitik aus und können heute, nach nur drei Jahren, bereits einen substanziellen Marktanteil vorweisen: Mit 0,73 Prozent liegt Fortis hinter AIA (1,1 Prozent) auf Platz zwei der Versicherer mit ausländischer Beteiligung. Die Europäer steuerten das Unternehmen erfolgreich in Richtung Bancassurance, also dem Vertrieb von Versicherungen über Banken. In diesem Geschäft ist Fortis bereits in Europa sehr erfolgreich und hat in Asien erste Erfahrungen im Joint Venture mit der malaysischen Maybank gesammelt. 2002 übertraf Fortis-Taiping die Planzahlen um 50 Prozent, der Bancassurance-Kanal steuerte 70 Prozent des Umsatzes bei. In Schanghai, dem größten Bancassurance-Markt in China, hält das Unternehmen inzwischen einen Marktanteil von 22 Prozent.

Weil er neu ist, wächst dieser Markt noch schneller als der Bereich Lebensversicherungen. „Bei Investmentprodukten gegen Einmalbeitrag liegen die jährlichen Wachstumsraten im Moment zwischen 40 und 50 Prozent“, weiß McKinsey-Berater Stephan Binder. Auf diesem Niveau werde sich das Wachstum jedoch nicht halten, denn ein Teil des Booms ist hausgemacht: Um Provisionen zu kassieren, raten Bankangestellte ihren Kunden gern, Geld von niedrig verzinsten Sparkonten in Versicherungsprodukte umzuschichten.

Noch sind die Verbindungen zwischen Banken und Versicherungen bei bestehenden Bancassurance-Modellen in China recht locker. Es gibt weder Aktientausch noch Gewinnbeteiligungen, die Vertriebsvereinbarungen sind nicht exklusiv, die Bank erhält lediglich pro Abschluss eine Provision zwischen drei und fünf Prozent. Engere Bindungen könnten die Attraktivität des Modells für beide Seiten erhöhen, etwa wenn jeder Partner Zugriff auf den Datenstamm des anderen bekäme. Dann könnten Versicherungen auch komplexere und individualisierte Produkte über diesen Vertriebsweg anbieten, zurzeit verkaufen sie fast ausschließlich einfache Anlageprodukte.

So attraktiv diese Aussicht erscheint – so weit ist der Weg dorthin. Ein Banker, der Versicherungsprodukte verkaufen soll, muss geschult werden. Und wer seine Kundendaten teilt, muss dem Partner vertrauen. Viele Bankvorstände fürchten aber, die Ausländer könnten sich die Daten kopieren und die Partnerschaft anschließend kündigen. Und wo es schon für chinesische Versicherungen nicht leicht ist, eine Bank von den Vorzügen einer Kooperation zu überzeugen, dürften es internationale Gesellschaften noch schwerer haben, solange ihnen Lizenzen für das gesamte Land fehlen. Was sollte eine chinesische Großbank an einer exklusiven Partnerschaft mit einem Ausländer auch reizen, wenn sie sich damit einen großen Teil des Marktes verschließt? Stattdessen planen einige chinesische Banken, ohne Partner ins Versicherungsgeschäft einzusteigen.

Für chinesisch-ausländische Bancassurance-Kooperationen sind kleinere, lokal tätige Banken zurzeit deshalb die besseren Partner. Leicht wird allerdings auch diese Beziehung nicht: Neben dem Aufbau von Expertise wird es vor allem darum gehen, den chinesischen Partner von den Vorzügen eines beratenden Verkaufsgesprächs zu überzeugen, das sich an der Situation und den Bedürfnissen des Kunden orientiert.

Quelle: AMBest; McKinsey-Analyse

Lebensversicherungen in China 2002
Rangfolge nach Prämienvolumen (in Millionen Yuan)

1. China Life Insurance Company128.781,0
2. Ping An Insurance Company of China,Ltd53.540,0
3. China Pacific Life24.902,0
4. New China Life Insurance Company,Ltd7982,8
5. Taikang Life Insurance Company6559,0
6. American International Assurance Co.,Ltd2607,4
7. Taiping Life1658,5
8. Pacific-Aetna Life Insurance Company,Ltd447,2
9. Manulife-sinochem Life insurance Company,Ltd403,0
10. CTIC-Prudential Life Insurance Co.,Ltd213,6
11. Allianz Dazhong Life Insurance Co.,Ltd122,8
12. Xinjiang corps Property Insurance Company112,0
13. AXA-Minmetals Assurance Co.,Ltd93,0
14. Generali China Life31,7
15. Sun Life Everbright30,8
16. Joan Hancock Tianan Life Insurance Co.,Ltd22,6
17. China Life-CMG Life Assurance Co.,Ltd13,0
18. Tian'an Insurance Company., Ltd12,7
Gesamtprämien Leben227.484,0

Quelle: Yearbook of China’s Insurance


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.