Österreich: Kaffee trotz Kaffeehaus

Getrunken wird er überall, Art und Zubereitung allerdings sind mitunter gewöhnungsbedürftig – zumindest für den deutschen Geschmack. Wie und wo genießen die Menschen in anderen Ländern heute ihren Kaffee? Eine Reise um die Welt.





In Wien ist das alles nicht so leicht. Vieles ist in Wien nicht so leicht, aber besonders kompliziert ist es, eine allgemein anerkannte Institution infrage zu stellen beziehungsweise auch nur eine Alternative dazu in Erwägung zu ziehen. Und das Wiener Kaffeehaus ist eine Institution, gilt als Teil des kulturellen Genpools, als Manifest des heroischen Widerstandes gegen die 1683 Wien belagernden Türken (die bei ihrer Flucht vor Entsatzheer und dem letzten Aufgebot der Wiener Kaffeesäcke zurückließen, was – historisch nicht ganz haltbar, aber egal – als Grundstein der Wiener Kaffeehauskultur gesehen wird) und als unverzichtbarer Bestandteil Wiener Alltagskultur.

Dass das sehr viel mit Klischee zu tun hat, ist klar. Dass im Kaffeehaus mittlerweile mehr Touristen sitzen als Wiener Bohemiens, verblüfft nicht wirklich. Und dass ein gastronomisches Geschäftsmodell, das dem Gast erlaubt, beliebig lange bei einer Tasse Kaffee zu sitzen, ein absehbares Ende haben beziehungsweise von Kultur-Subventionen abhängig sein würde, erstaunt ebenso wenig.

Was freilich immer noch verwundert: Eigentlich spielt der Kaffee in Wiens Kaffeehäusern nur eine minimale Rolle. Gut, es gibt etwa dreißig mitunter gewöhnungsbedürftige Kaffee-Kreationen, bei denen Kaffee, Wasser, Milch, Sahne, Liköre und weitere Zutaten zu „Einspänner“, „Maria Theresia“, „Kapuziner“, „Kaisermelange“, „Mariloman“, „Mazagran“, „Obermayer“ oder dergleichen arrangiert werden. Trinkt aber kein Mensch mehr, man nimmt „Melange“ (Espresso mit Milch und Milchschaum) oder einen „Kleinen Braunen“ (Espresso mit separat servierter Milch) oder gleich ein Bier.

Wenn es wirklich Kaffee sein soll, geht man in Wien woanders hin. Seit den Neunzigern vor allem in (dem italienischen Vorbild nachgeahmte) Espressobars oder in Lokale, die ein zumindest ähnliches Gefühl vermitteln. Der Espresso ist ein unkompliziertes Credo für Lässigkeit und Eleganz, zwei Euro – und man ist ein bisschen italienisch. Das ist praktisch.

Und seit Kurzem sind da auch teils winzige Lokale, wo wie in Stockholm, London, Amsterdam oder New York Kaffee „neu“ gemacht wird. Von tätowierten Hipstern mit Hornbrillen aus biologisch angebauten, nachhaltig erzeugten, selbst gerösteten Hochqualitäts-Bohnen in sündteuren Hightech-Espressomaschinen oder meditativ-rituell mit laserperforierten Filtern aus den USA.

Die „Third Wave“ hat Wien mit der zu erwartenden Verspätung erreicht. Mit Beschädigung der stabil gebauten Institutionen Kaffeehaus und Espresso ist aber nicht zu rechnen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.