Respekt!

In einem Berliner Café wird das Mitbringen von Kinderwagen verboten. Eine Diskussion über die vermeintliche Diskriminierung von Müttern beginnt. Fernsehteams drängeln sich, weltweit hagelt es Schlagzeilen. Nur eines wird in der Aufregung vergessen: der Kaffee.


Der Kaffee ist schwarz, so wie man es kennt. Doch ansonsten verbindet nicht viel das Getränk in der kleinen Kanne mit der Flüssigkeit gleichen Namens, die man in den weitaus meisten Cafés eingeschenkt bekommt. Im ersten Moment, während er noch richtig heiß ist, schmeckt der Yukro aus Äthiopien ein wenig saurer als gewohnt und etwas leichter, weniger bitter und aggressiv. Doch lässt man ihn stehen, entfaltet sich ein ganz erstaunliches Geschmackspanorama. Da ist die Säure, die an Zitrone erinnert, aber auch eine fruchtige Süße, und dahinter ein Hauch Bergamotte, wie man ihn von Earl-Grey-Tee kennt. Überhaupt erinnert dieser Kaffee in seiner Geschmackstiefe eher an einen sehr guten Tee. Aber genau darum geht es schließlich auch in dem Berliner Café „The Barn“: Um Kaffee, der so gut ist, wie wir es normalerweise nur von Spitzenwein erwarten. Bloß schade, dass man darüber so selten spricht. Stattdessen geht es erst mal immer nur um die „Pollerkrise“. 

Kleine Entscheidung – große Wirkung

Schwer zu sagen, wie viele Cafés es in Prenzlauer Berg gibt. Eine Website listet knapp 200 für den gerade elf Quadratkilometer großen Stadtteil auf, aber das ist eher niedrig gerechnet. In jeder Straße des angesagten Kiezes finden sich Orte für eine schnelle Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen, eine kurze Pause oder eine Stunde Arbeit am Laptop. Und weil das Viertel zu den kinderreichsten Gebieten Berlins gehört, rennen durch die meisten Cafés auch sehr kleine Besucher, man hört Geschrei oder muss sich an Baby- karren vorbeidrängen. Das alles ist in Berlins nördlicher Innenstadt Alltag. Außer in den beiden Filialen von The Barn. Womit die zwei Kaffeehäuser weltbekannt wurden.

Es war eigentlich eine kleine Entscheidung, die der Betreiber Ralf Rüller fällte: Er wollte in seinen Cafés keine Kinderwagen – und damit das jeder verstand, stellte er hinter die Tür des größeren Geschäftes einen Betonpoller, an dem man mit vier Rädern nicht vorbeikommt. Trivial, doch der 45-Jährige löste damit einen Proteststurm aus. Zunächst ereiferten sich nur lokale Zeitungen und TVSender über das angebliche „Kinderhasser-Café“, wenig später war The Barn ein globales Politikum. „Ist dies das strengste Café der Welt?“ fragte etwa das angesehene USOnline-Magazin „The Huffington Post“. Sogar in Hongkong schaffte es die Kaffeestube auf eine Titelseite. Dabei wollte Ralf Rüller eigentlich nur eines: seinem Hauptprodukt den Platz einräumen, der ihm seiner Meinung nach gebührt. 

„Ich muss zugeben, dass ich mit dieser Reaktion überhaupt nicht gerechnet habe“, sagt er selbst. „Es war sehr heftig, laufend kamen Fernsehteams und Journalisten. Am schlimmsten waren die Attacken aus dem Internet. Leute, die noch nie hier waren, haben uns beschimpft und zum Beispiel Nazis genannt.“ 

Den Unternehmer traf das hart. „Ich mag Kinder, und es ging mir auch gar nicht um ein generelles Verbot. Es war eher ein Appell an gegenseitigen Respekt: Ein unruhiges oder schreiendes Kind ist für einen Gast, der Stille sucht, nun einmal störend.“ Und Stille gehört zu Rüllers Konzept. Er wollte einen Raum der Entschleunigung schaffen. Einen Ort für Kaffeeliebhaber. Für puren Genuss. Ohne Musik, ohne Lärm. Man besucht The Barn, um zu schmecken, sich zu unterhalten, eine Zeitung oder ein Buch zu lesen. Das schätzen die Gäste, darunter übrigens zahlreiche Eltern. Tatsächlich hat der Gastronom auch sehr viel positive Resonanz geerntet. „Es gibt in der Nachbarschaft kein Café mehr, in dem man in Ruhe seine Tasse Kaffee genie-ßen kann. Genau das sucht aber auch eine Mutter, wenn sie endlich einmal einen Moment für sich allein hat.“ 

Der ruhige, bedacht wirkende Mittvierziger versteht die Aufregung bis heute nicht: Es gibt zahllose Cafés in Laufweite, in denen die Kleinen gerne gesehen werden. Zum Konzept seines Lokals passen sie eben einfach nicht. Schon aus Platzgründen: Der Raum im Shop in der Auguststraße hat zwischen Tür und Tresen eine Breite von 1,20 Meter, erklärt Rüller, und dort seien trotzdem jeden Tag Kinderwagen reingeschoben worden – obwohl seit zwei Jahren ein Schild auf das Karrenverbot hinweist. „Das geht schon aus Brandschutzgründen nicht.“ Seine zweite Filiale in der Schönhauser Allee, in der er seit Oktober 2012 auch Kaffee röstet, ist ein schlicht eingerichteter, im Vergleich riesiger Saal. Aber auch hier soll der Kaffee eben vor allem die Sinne ansprechen. Und dafür braucht es nun mal Stille.

Frisch gebrüht – Kännchen für Kännchen

Das war schon Konzept, als er vor gut zwei Jahren anfing. Ralf Rüller stammt vom Niederrhein, hat rund 20 Jahre für eine Bank gearbeitet, unter anderem in Japan und Großbritannien, wo er die Slowfood-Bewegung kennenlernte. Als er entlassen wurde, ging er nach Berlin – ohne konkrete Idee. „Ich habe mich dann gefragt, wo meine Leidenschaften liegen. Ich trinke gerne Kaffee, ich backe gerne Kuchen, ich mag gutes Brot. Und es gibt wenige Coffeeshops, in denen alle Produkte gut sind. Oft bekommt man guten Kuchen, aber der Kaffee ist eher ein Randprodukt.“ Rüller nennt sich selbst einen Fan von Spezialisierung. „Ein Restaurant mit drei Gerichten ist vermutlich besser als eines mit 200. Ein reduziertes Menü erlaubt es dem Gastwirt, sich zu konzentrieren und die Dinge wirklich gut zu machen. Also weg von der Masse mit etlichen Extrawünschen.“ 

Es gibt in The Barn auch Espresso und Milchkaffee, doch die Spezialität des Hauses ist die Slow Bar: frisch gebrühter Kaffee, der Kännchen für Kännchen zubereitet und ausschließlich schwarz serviert wird. Ende Januar waren in der Slow Bar drei Sorten im Angebot: der eingangs erwähnte Yukro aus Äthiopien mit einem Stich von Zitronenlimonade. Buzira aus Burundi, der an süße Blaubeeren und Kirschen erinnert. Und Tujico aus Brasilien, über den in der Karte steht: Haselnuss und Milchschokolade, mit der Frische von Lychees.

Das sind Beschreibungen, wie man sie von teuren Weinen kennt. Rüller sieht auch durchaus Parallelen. „Kaffee ist wie Wein von Lage zu Lage ganz unterschiedlich. Die Bohnen differieren in Größe, Dichte und Geschmack.“ Außerdem kann man Kaffee wie Wein etwas stehen lassen. „Richtig gute Filterkaffees öffnen sich wie Rotwein, wenn sie runterkühlen.“ Und sie erfordern die Expertise von Spezialisten: „Man kann sich bei Kaffee wie bei Wein in Sphären bewegen, die jenseits des Alltags liegen. Vielleicht schmeckt da nicht mehr jeder Gast jedes Detail. Aber alle merken, dass der Kaffee gut ist.“ Auf seiner Website steht, The Barn sei eher ein Geschmackslabor als ein Coffeeshop.

Von der Ernte bis zur Tasse – aus einer Hand

Doch die Parallelen zur Welt des Spitzenweins enden nicht beim Aroma. Wie ein guter Weinhändler möchte Ralf Rüller direkt von den Erzeugern kaufen, vielleicht sogar mit ihnen zusammen den Kaffee weiter verbessern. „From Crop to Cup“ heißt das Prinzip: von der Ernte bis zur Tasse – alles aus einer Hand. Sein Yukro-Kaffee beispielsweise stammt von einer Kooperative in Äthiopien, die ihre Bohnen in der Region Oromia auf 1900 bis 2100 Metern Höhe anbaut. Bis vor drei Jahren, erzählt Rüller, hatten die Bauern keinen Kontakt zu den Käufern von Kaffeespezialitä-ten. Inzwischen haben sie, dank des wachsenden Marktes für Spitzenprodukte, ihr Einkommen erheblich verbessert, sie können ihre Kinder zur Schule schicken und Häuser bauen. „Das ist kein Fairtrade, sondern direkter Handel“, sagt Rüller. „Es gibt keine Mittelsmänner, alles geht an die Farmen. Das ist nachhaltiger, gibt dem Farmer eine Identität und einen langfristigen Markt, der auf Qualität beruht.“ 

Die gekauften Bohnen müssen geröstet werden, und seit Oktober vergangenen Jahres kann der Kaffeespezialist in Berlin auch das in Eigenregie: Rüller hat eine fast 60 Jahre alte Röstmaschine aus Gusseisen gekauft, weil sie die Hitze gut speichert, wodurch die Bohnen schonender verarbeitet werden. Er hat ein großes Kühlsieb montiert, damit die Bohnen schnell abkühlen, was ebenfalls ihr Aroma verbessert, und außerdem einen modernen Ökofilter angeschlossen, um störende Gerüche zu neutralisieren. Die Röstmaschine, sagt der Jungröster, sei übrigens ein weiterer Grund, warum in dem Lokal keine Kinder rumlaufen sollten: Die Maschine sei heiß, die Absperrung überwindbar, eine Verletzungsgefahr nicht auszuschließen.

Sind die Bohnen geröstet, geht es an die Zubereitung. „Es gibt viele kleine Handgriffe, die den Geschmack von Kaffee erheblich verbessern“, erklärt der Gastronom. „Kaffeegenuss beginnt bei der Sauberkeit der Maschine. Und bei der Wahl der richtigen Milch. Wir nehmen eine Biomilch aus dem Berliner Umland, die sehr gut schmeckt und nicht homogenisiert ist. Die wärmt man aber bitte nicht dreimal auf, wie man das so häufig sieht. Das sind für mich eher Milkshakes, wo der Kaffeegeschmack keine Rolle mehr spielt. Wir machen die Milch immer frisch, genau für ein Getränk, außerdem wird sie auch nur auf 56 bis 59 Grad erhitzt, wodurch die Laktose stärker karamellisiert. Das Getränk ist dann sofort trinkbar – ohne Zucker. Und all das schmeckt man.“

Einige Regeln für Espressomaschinen sind so simpel, dass man sie auch zu Hause befolgen kann: Man muss den Filter heiß halten; wenn er kalt ist, wird der Kaffee sauer. Man darf den Filter nicht nur ausschlagen, sondern muss ihn ausspülen, sonst bleiben Reste drin. Und man muss ihn abtrocknen. „Sauber, heiß und trocken muss der Siebträ-ger sein, bevor der Kaffee eingefüllt wird: Wenn Sie diese Regeln befolgen, verbessern Sie jeden Kaffee.“

Altes Wissen – guter Kaffee

Deutschland habe durchaus noch Nachholbedarf, findet Rüller. Die Kaffeekultur und das mit ihr einhergehende Handwerk seien in Nordeuropa, in Australien und in den USA viel weiter entwickelt. Das zeigt sich auch im Publikum: Neben vielen Stammgästen direkt aus der Nachbarschaft, kommen immer wieder Kaffeespezialisten aus aller Welt, die während ihrer Berlinreise bewusst The Barn besuchen. Die Szene ist eine gut vernetzte, eingeschworene Gemeinschaft.

Es gab Zeiten, da galt das durchaus für eine breitere Masse, weiß Rüller. „Deutschland ist eigentlich ein Kaffeeland. Früher wurde hier richtig guter Kaffee getrunken. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Vakuum Pot, der ähnlich wie eine Espressokanne funktioniert: Er besteht aus zwei Kammern, in der unteren befindet sich Wasser, in der oberen Kaffeepulver. Beim Erhitzen wird das Wasser in die obere Kammer gedrückt, beim Abkühlen fließt es durch einen Filter als Kaffee zurück in die untere Kammer. „Das funktioniert für einige Sorten sehr gut, dadurch bekommt man mehr Körper in den Kaffee und mehr Frucht nach vorne.“

Für den Hausgebrauch empfiehlt Rüller allerdings einen anderen Klassiker: den guten, alten Porzellanfilter. Er sollte zu Beginn heiß durchgespült werden, das nimmt den Papiergeschmack. Dann füllt man den Kaffee ein, gießt ihn kurz an, lässt ihn eine halbe Minute ruhen und brüht danach langsam auf. Wer außerdem seinen Kaffee stets frisch kauft und darauf achtet, dass das Röstdatum nicht zu weit zurückliegt – „nicht das Haltbarkeitsdatum ist wichtig, das Röstdatum ist entscheidend“ –, hat schon sehr viel richtig gemacht. Ach so, und nach vier Wochen sollte der Kaffee verbraucht sein.

Eine Demonstration – für ein Produkt von Wert

Nicht unbedingt neues, aber mit Einführung der Kaffeemaschine verloren gegangenes Wissen. Früher wurde es in fast jedem Haushalt so gehalten. „Bei uns wurde das auch so gemacht“, sagt Ralf Rüller. Er ist auf dem Land aufgewachsen, in einfachen Verhältnissen, sein Vater war Postbote. Die Familie hatte einen Garten und machte einen Teil der Ernte ein, seine Mutter hat gekocht und gebacken – die Kuchen für The Barn werden nach ihren Rezepten hergestellt. All das war gut und richtig, und so möchte er es auch in seinem Leben und in seinem Unternehmen halten. 

Eine verklärte Sicht? Die früher-war-alles-besser-Nummer? Stellen Sie sich vor, es gäbe an jeder Ecke eine Weinbar mit gerade zwei Sorten im Angebot, rot und weiß. Die könnte man vor Ort trinken oder unterwegs aus dem Pappbecher. Man bekäme dort auch Wein als Schorle oder als Mixgetränk, vermischt mit Zucker, Sirup und Gewürzen. Zudem gäbe es Wein für unterwegs in Geschäften, Supermärkten, Bäckereien, am Kiosk und selbstverständlich in jedem Imbiss. Wir alle würden die ganze Zeit Wein trinken, achtlos und beiläufig. Und keiner wüsste so genau, was er da eigentlich zu sich nimmt. Verrückt, oder? Aber für Kaffee ist das normal.

Denn Kaffee ist heute ein reines Convenience-Produkt, ein völlig beliebiges, allzeit bereites Getränk, das – ähnlich wie früher die Zigarette – oft genug nur eine Pause füllt. Das mag toll sein für alle diejenigen, die zur „Genuss sofort“-Generation gehören. Für Menschen, die gelernt haben, dass Dinge einen Wert haben, den man nicht nur bezahlen muss, sondern dem man auch Respekt zollt, ist es wenig attraktiv. Das rückt die Strenge von The Barn ins richtige Licht. Ein Poller hinter der Tür hält nicht nur Kinderwagen draußen – er demonstriert eine Haltung. 


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.