Im Dickicht

Klinische Studien versprechen viel Gutes: medizinischen Fortschritt, neue Wege der Heilung, wirtschaftlichen Erfolg. Zugleich bergen sie aber auch beträchtliche Risiken. Das macht sie außergewöhnlich komplex. Keine einfache Situation für die Beteiligten, die ihren Weg finden müssen. Allein und gemeinsam.




 Der Sponsor Ulrike Gnad-Vogt, Chief Medical Officer, CureVac GmbH, Tübingen

„Studien sind Hoffnung und Risiko zugleich.“

CureVac ist ein biopharmazeutisches Unter­nehmen, das Wirkstoffe auf Basis der Ribo­ nukleinsäure (RNS) entwickelt. Wir engagieren uns vor allem in der Krebstherapie – unsere Medikamente sollen das Immunsystem zur Bekämpfung der Krebs­ zellen anregen. Darüber hinaus arbeiten wir an pro­phylaktischen Impfstoffen, etwa gegen Grippe. Mit 120 Mitarbeitern und eigener Produktion ist CureVac ein kleines Unternehmen auf dem Pharmamarkt, aber ein recht großes im Feld der Biotech­Unternehmen.

Klinische Studien sind für uns Hoffnung und Risiko zugleich. Man muss sich klarmachen: Ich will ein Medikament entwickeln, dessen Wirkstoff sich in vielen Tierversuchen als vielversprechend gezeigt hat, doch klinische Studien sind die entscheidende Prü­fung, ob der ausgewählte Wirkstoff wirklich wert ist, ein Medikament zu werden. Wirkt der Stoff tatsäch­ lich bei Patienten, kann er zugelassen werden? Für Menschen, die jahrelang an einer Substanz geforscht haben, ist das keine abstrakte Frage – sie ist existen­ziell. Und es ist eine ungeheure Erleichterung, wenn ein Wirkstoff klinische Tests besteht, man also eine Chance zu seiner Weiterentwicklung bekommt.

Die Studien haben natürlich auch eine immense wirtschaftliche Dimension. Sie sind unsere einzige Chance, einen Wirkstoff auf den Markt zu bringen, unsere Investitionen zu amortisieren und schließlich Geld zu verdienen. Weil wir als kleiner Spezialist unser Risiko kaum streuen können, potenziert sich das noch: Wir arbeiten in einem begrenzten Wirkstoffgebiet und setzen damit zwangsläufig alles auf eine Karte. Hinzu kommt, dass klinische Studien viele Jahre dauern, und wir währenddessen weiter an der Wirkstoffgruppe arbeiten. Bringt eine Studie dann ein negatives Ergeb­nis, hat man eventuell jahrelang in die falsche Richtung geforscht.

Scheitern ist schrecklich, egal, in welcher Phase man sich befindet, aber besonders enttäuschend ist es, wenn es erst in Phase III passiert. Zumal bis dahin oft schon viele Millionen Euro in die Entwicklung geflossen sind.

Klinische Studien setzen uns enorm unter Druck, auch weil wir auf ihre Durchführung nur begrenzt Einfluss haben. Wir können unseren Wirkstoff nur so gut wie möglich machen, die Studie so gut wie mög­ lich planen und überwachen – ihre Durchführung aber müssen wir an Clinical Research Organisations (CROs) delegieren. So gut wie möglich, heißt für uns: Wir müssen Studien mit medizinisch relevanten Zie­len planen und unseren Wirkstoff mit den besten verfügbaren Standardtherapien vergleichen. Natürlich wäre es bisweilen auch möglich, die Wahrscheinlich­keit eines positiven Studienergebnisses zu erhöhen – etwa durch den Vergleich mit eher schwachen Thera­ pien oder auch durch die Wahl leichter zu erreichender Studienziele. Das ist ja auch die Kritik an vielen Stu­dien. Aber was bringt das? Formal positive, aber wenig relevante Studienergebnisse allein reichen später oft nicht für eine Zulassung. Außerdem sollen die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung über­nehmen – und die vorgeschaltete Zusatznutzenprü­fung ist mittlerweile sehr streng.

Um erfolgreich zu sein, brauchen wir also quali­tativ hochwertige Studien. Das ist eine Frage eines guten Studiendesigns – aber man muss die Studien auch umsetzen können. Und das ist für einen kleinen Spon­sor nicht einfach. Eine Studie vorzubereiten kann bis zu zwei Jahre dauern. In dieser Zeit müssen wir uns mit Behörden und Gremien abstimmen, mit Ärzten und den CROs. Wir sind von ihnen abhängig, haben aber keine Spezialabteilungen etwa für Behördenkon­ takte im Haus, so wie die großen Pharmaunternehmen. Stattdessen arbeiten wir mit externen Beratern.

Die Zusammenarbeit mit Behörden, den Ethik­ kommissionen und Zulassungsstellen klappt trotzdem sehr gut. Ich finde es positiv, dass diese Kontroll­instanzen unsere Studien nochmals unabhängig auf Patientensicherheit und ethische Standards prüfen und den wirtschaftlichen Interessen der Sponsoren etwas entgegensetzen. Wenn sie lange mit einer Substanz gearbeitet haben und von ihr überzeugt sind, werden Sponsoren manchmal ein wenig betriebsblind.

Wir haben uns beispielsweise lange vor Beginn einiger unserer ersten Studien mit dem Paul­ Ehrlich­ Institut über die Prüfpläne beraten und sie durch die genaue Abstimmung verbessern können – das sorgte neben glatten Genehmigungsverfahren auch für qua­litativ hochwertige Studien.

Eine mitunter nicht ganz konfliktfreie Abhängig­ keit besteht eher zu den CROs. Probandenrekrutie­ rung, die Betreuung der Studienzentren, das Monito­ ring der Patienten – das können wir als kleiner Sponsor nicht selbst leisten und müssen diese Auf­ gaben delegieren. Da kann es mitunter zu Problemen kommen, etwa wenn aufgrund von Personalknapp­ heit bei der CRO die Projekte großer Pharmafirmen bevorzugt werden. Dann müssen wir die Arbeit der CRO an den Studienzentren mit einem deutlich grö­ßeren Aufwand als geplant unterstützen und überwa­ chen. Zum Glück passiert das nicht dauernd. Meis­ tens können wir die auftretenden Probleme im Dialog lösen, und mit der Zeit spielen sich die Teams ein. Jedes unserer Studien­Projekte ist schließlich auch für eine CRO neu.

Das Risiko des Scheiterns – das bleibt freilich be­ stehen. Aber wer in der klinischen Forschung arbeitet, darf nicht ständig an dieses Risiko denken. Vielmehr sollte er die Chancen sehen, mit der eigenen Arbeit deutliche Therapieverbesserungen für Patienten erzielen zu können. Wenn ich mich für eine Tätigkeit in diesem Bereich entscheide, muss ich eine gewisse Unsicherheit schlichtweg aushalten.“ 

Die Ethikkommission
Joerg Hasford, Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer

„Entscheidungen sind immer ein Gang auf dünnem Eis.“

Eines ist klar: Wir sind ein Nadelöhr für die Pharmaindustrie, die ihre Medikamente auf den Markt bringen will, denn wir müssen zwei Grund­rechte in Einklang bringen: das Grundrecht auf Wür­de und Unversehrtheit der Teilnehmer in klinischen Studien und das Grundrecht auf Forschungsfreiheit.

Eine Studie ethisch zu beurteilen heißt, die Risi­ken für die Teilnehmer abzuwägen gegen den erwar­ teten Nutzen für sie selbst, aber auch für Patienten, die in Zukunft von diesem Medikament profitieren könnten. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung. In einer Ethikkommission sind unterschiedliche Professionen und Risikoperspektiven vertreten – Ärzte, Statistiker, Juristen, Pharmakologen, Theologen, Phi­losophen, Männer und Frauen – aber die Entschei­dungen sollen im Einvernehmen fallen. Der Weg des geringsten Widerstands kann bei dermaßen wichtigen Fragen jedoch nicht das geltende Prinzip sein, daher werden oft harte Diskussionen geführt. Es wäre aber unklug, einzelne Fachkompetenzen zu überstimmen. Denn wenn später ein Sponsor oder ein Teilnehmer wegen eines erlittenen Schadens klagt, könnten die Überstimmer haftbar gemacht werden.

Die Entscheidung, ob eine Studie ethisch vertret­bar ist, gleicht einem Gang auf dünnem Eis. Zwar weiß man in einigen Fällen gut Bescheid über die Effekte bestimmter Wirkstoffgruppen und kann Analogieschlüsse ziehen oder sich Zell­ und Tierversuche anschauen. Außerdem kann man beim Test ganz neuer Wirkstoffe eine besonders niedrige Anfangs­ dosierung und ein schrittweises Vorgehen vorschrei­ben, etwa, dass an den Tests jeweils ein Proband nach dem anderen teilnimmt und nicht mehrere gleichzei­tig – aber ein Risiko bleibt immer.

Wann wir ein Risiko als zu hoch einschätzen? Das hängt davon ab, wie wahrscheinlich es mit welchem Schweregrad eintritt und ob die Schädigung reversibel ist. Auch die Erkrankung und die Frage, ob ein Wirk­ stoff an gesunden oder kranken Menschen getestet wird, sind wichtige Gesichtspunkte. Bei einem Impf­stofftest an Gesunden sind weit geringere Risiken akzeptabel als bei einem Krebsmitteltest an Schwerstkranken. Entscheidend ist zudem, ob ein Patient ein­ willigungsfähig ist. Wirklich schwierig wird es, wenn der Patient selbst von einer Studie keinen Nutzen ha­ ben kann, wohl aber zukünftige Patienten. Wenn etwa die Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung eines Wirkstoffs zunächst an Gesun­den getestet wird, darf wirklich nichts schiefgehen.

Das sind schwierige Entscheidungen, aber alles abzulehnen, weil ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann, wäre auch keine Lösung. Zwar votieren wir im Zweifel für den Teilnehmerschutz und gegen die Durchführung einer Studie, aber damit liegt man ethisch nicht automatisch richtig. Denn unethisch wäre es ebenso, Kranken eine mögliche Hilfe zu ver­ weigern, nur weil man es sich bei der Risikobewertung zu einfach macht.

Deshalb diskutieren wir oft intensiv mit den Sponsoren und zeigen Lösungswege auf, sodass beide Grund­ rechte zusammenfinden. Von allen beantragten Arzneimittelstudien gehen weniger als fünf Prozent ohne Beanstandungen durch, etwa gleich viele werden definitiv abgelehnt. Die überwältigende Mehrheit der Anträge aber wird so modifiziert, dass wir zustimmen können. Dabei geht es oft um eine bessere Patienten­ aufklärung, denn das ist kein Papierkram, sondern die Grundlage, auf der sich ein Mensch für oder gegen eine Studienteilnahme entscheidet. Oder es werden zu risikoreiche Patientengruppen gewählt. Manche Sponsoren wollen sich auch gern enge Intervalle bei den Nachuntersuchungen sparen, die der Sicherheit der Teilnehmer dienen. Es kann aber genauso um Versicherungsfragen gehen.

Die Sponsoren sind in der Regel sehr kooperativ. Schwierig kann es werden, wenn die Therapie in der Kontrollgruppe an dem hierzulande in der Kranken­versorgung üblichen Standard ausgerichtet werden soll. Schließlich möchten Sponsoren, dass ihr Produkt wie ein Phönix aus der Asche steigt und brilliert. Da­ bei ist das Problem, dass viele Studien multinational durchgeführt und die Prüfpläne in den USA erstellt werden. Da liegt es für Sponsoren dann nahe, die vielerorts oft niedrigeren Versorgungsstandards für die Kontrollgruppe zu übernehmen.

Es ist auch unethisch, Patienten einen übertriebe­nen Nutzen vorzugaukeln – Medikamente, die in auch nur annähernd hundert Prozent der Fälle wirken oder frei von unerwünschten Nebenwirkungen sind, gibt es nicht.

Trotzdem kann ich über die Zusammenarbeit mit den Sponsoren nicht klagen. Versuche der unlauteren Einflussnahme kommen äußerst selten vor. Wenn mich jemand kontaktiert, um was zu ‚drehen‘, sage ich gleich, dass ich darüber einen schriftlichen Ver­ merk für die Geschäftsstelle mache – dann wird das Gespräch in der Regel sofort beendet.

Den Vorwurf, ein bürokratischer Haufen zu sein, hören wir eher aus medizinischen Fachgesellschaften und von Patientenvertretern, die meinen, wir würden die Kranken zu sehr schützen und den medizinischen Fortschritt bremsen. Viele Patientenorganisationen werden von Pharmaunternehmen unterstützt – vielleicht zeigt sich da deren Einfluss? Dennoch prüfe ich die Kritik und Anregungen von Patientenvertretern sehr ernsthaft, denn sie vertreten oft legitime und be­rechtigte Anliegen.

Aber es ist unsere Aufgabe, genau hinzuschauen und gegebenenfalls nachzufragen. Wer sollte es denn sonst tun, wenn nicht die Ethikkommission? Eine gewisse Unsicherheit bleibt ohnehin, denn es passieren nun mal Fehler.

Jede Kommission ist in einem ständigen Lernpro­zess. Doch wir könnten noch mehr lernen, wenn wir wüssten, ob es bei den genehmigten Projekten bei den Teilnehmern studienbedingte Schäden gegeben hat. Aber die Versicherer halten die exakten Daten über entschädigungspflichtige Vorfälle trotz intensiver Dis­kussionen unter Verschluss. So bleiben studienbe­ dingte, entschädigungspflichtige Vorkommnisse für uns eine Blackbox – das darf eigentlich nicht sein.“

Die Zulassungsbehörde
Jan Müller-Berghaus, Klinischer Assessor, Paul-Ehrlich-Institut

„Wir wollen Dinge möglich machen.“

Das Paul­-Ehrlich-­Institut ist neben dem Bun­desinstitut für Arzneimittel und Medizinpro­ dukte (BfArM) die zweite Zulassungsstelle für klini­sche Prüfungen – ohne unser positives Votum darf keine stattfinden. Im Mittelpunkt steht die Sicherheit der Patienten, daneben legen wir aber auch Wert auf den Erkenntnisgewinn. Dabei prüfen wir, ob eine Stu­die so angelegt ist, dass sie die darin formulierten Zie­le und Erkenntniszuwächse wirklich generieren kann.

Unsere Arbeit ähnelt der einer Ethikkommission, doch im Unterschied zu ihr schauen wir uns auch alle präklinischen Daten, den Herstellungsprozess und die pharmazeutische Qualität eines Wirkstoffs an. Das macht die Entscheidungen noch komplexer. Eine ge­ wisse Unsicherheit bleibt immer, sie hängt stark von der jeweiligen Entwicklungsphase eines Medikaments ab. In frühen Studienphasen ist unser Wissen naturgemäß begrenzt, doch je weiter die Entwicklung voran­ schreitet, desto umfassender werden die Dossiers. Bei Erstanwendungen am Menschen sind wir in den vergangenen Jahren restriktiver geworden, etwa bei Dosierungen oder der Steigerung der Probandenzahl, was viele Diskussionen mit Sponsoren nach sich zog. Aber zurücklehnen können wir uns nicht: Studien machen nur Sinn, wenn sie offene Fragen beantwor­ten. Gefahren kann man vorab abzuschätzen versu­chen, aber nicht mit letzter Sicherheit kennen.

Wir können deshalb nie sicher sein, richtig zu entscheiden. Das gilt auch für die Frage nach dem Er­kenntnisgewinn. Kann eine Studie einen Erkenntnis­ gewinn liefern? Natürlich schauen wir uns die Probandenauswahl an, die Dosierung, die Vergleichstherapie, außerdem haben wir umfangreiches Hintergrund­wissen und diverse Behandlungsrichtlinien. Allerdings überschauen wir bei der Bewertung einer klinischen Studie nicht das gesamte Entwicklungsprogramm eines Sponsors. So stimmen wir wohl auch Studien zu, deren Wirkstoffe nicht unbedingt einen bislang unbekannten Therapieerfolg versprechen. Was ich aber auch sinnvoll finde, denn vielleicht haben diese Mittel dafür weniger Nebenwirkungen.

Aufgrund der Komplexität der Aspekte, die zu berücksichtigen sind, fällt unser Votum in einem Team aus Medizinern, Biologen und Statistikern im­mer im Konsens. Wir lehnen selten Studien rundher­ aus ab, sondern versuchen, mit den Sponsoren Lösungen zu finden. Oft geht es um die Überwachung der Probanden, um statistische Verfahren und Analyse­methoden bei der Studienauswertung oder um Dosie­ rungen bei Erstanwendungen. Manchmal auch um die Frage, ob eine Nachsorge ambulant oder stationär stattfindet. Einfach ist das nicht, denn unser Verfahren ist sehr reglementiert: Der Sponsor darf nur einmal nachbessern, dann müssen wir entscheiden. Wenn es dann nicht passt, müssen wir ablehnen.

Deshalb fände ich es gut, wenn mehr Sponsoren vor der Einreichung in unsere Beratung kämen. Gerade kleine Sponsoren aus der Biotech-­Szene haben wenig Erfahrung mit Genehmigungsprozessen und ihr Budget ist knapp – da sollte es keine Fehler geben. Mit unserem Innovationsbüro geben wir Rat für die Erstellung des Dossiers: Welche präklinischen Daten sind erforderlich, welches Tier muss man für die Versuche nehmen, wie anspruchsvoll müssen Studien­ziele und Vergleichstherapien sein? All das kann man im Vorfeld klären.

Doch dieser Schritt fällt nicht jedem Sponsor leicht. Nicht wenige begreifen uns als Stolperfalle oder haben irrationale Ängste, sich bei uns eine Blöße zu geben. Dabei haben wir auch eine Peer­-Funktion, wir wollen Dinge möglich machen. Der wirtschaftliche Druck eines Sponsors darf unsere Entscheidung aber nicht beeinflussen.

Wir haben unterschiedliche Rollen und müssen das akzeptieren. Jeder Sponsor hat das Recht, von sei­ nem Produkt überzeugt zu sein und schnell klinische Prüfungen in den gewünschten Dosierungen machen zu wollen. Es ist aber unsere Pflicht, vorsichtig zu sein und gegebenenfalls das Tempo zu drosseln. Das ist der Grundkonflikt unserer Beziehung.

Doch im Grunde kommen wir gut miteinander zurecht. Was vielleicht auch daran liegt, dass meine Kollegen und ich uns um eine angemessene Balance zwischen Antreiben und Bremsen bemühen. Denn wir sind schließlich auch Ärzte, wir wollen neue Medikamente. Aber zugleich sind wir Prüfer. Ich fühle durchaus eine gewisse Verpflichtung gegen­ über Sponsoren. Die Sicherheit steht über allem, doch zugleich möchte ich niemandem eine Therapie vorenthalten.

Bisweilen führt das zu einem ganz beträchtlichen inneren Druck. Umso wichtiger sind die Entscheidungen im Team. Was bleibt, ist die zwangsläufige Rest­ unsicherheit, ob man richtig liegt. Da muss man sich mental wappnen. Ich kann nicht sagen, wie ich das mache. Es ist wohl eine Charakterfrage.“

Die Clinical Research Organisation
Veronique Larsimont, Senior Director Clinical Operations, PRA International, Mannheim

„Wir sind die UNO der klinischen Forschung.“

PRA ist eine Full­Service­CRO mit etwa 10.000 Mitarbeitern in mehr als 80 Ländern. Wir kümmern uns im Auftrag von Sponsoren um die Abwicklung von klinischen Studien: Wir entwickeln mit ihnen den Prüfplan, führen Gespräche mit Behör­ den und Kommissionen, identifizieren und betreuen Prüfzentren, machen das Monitoring und die Doku­ mentation, werten die Ergebnisse statistisch aus und schreiben den Abschlussbericht – wir kümmern uns also von Anfang bis Ende. Der Sponsor ist der Spe­zialist für den Wirkstoff, wir sind die Experten für den Studienprozess.

Dieser Prozess ist mit seinen vielen Regularien und Beteiligten ausgesprochen komplex, was unsere Aufgabe sehr anspruchsvoll macht. Wir brauchen me­ dizinische Fachkenntnisse, Prozesswissen, Organisati­onstalent. Wichtig ist auch eine klare Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Obwohl alle Protagonisten dasselbe wollen – so schnell wie möglich kranken Menschen wirksame und sichere Medikamente zu­ gänglich machen – verfolgen sie im verschachtelten Studienprozess kurzfristig mitunter verschiedene Interessen. Wir stecken dazwischen, müssen moderieren, verhandeln, Lösungen finden. Im Grunde sind wir so etwas wie die UNO der klinischen Forschung – und manchmal auch die Prügelknaben.

Dabei geht es meist um klassische Konflikte zwi­ schen Qualität, Zeit und Kosten – egal, in welcher Studienstufe man sich gerade befindet. Sponsoren wollen möglichst zügig durch die Studie kommen: Behördenanträge sollen schnell gestellt, Probanden schnell gefunden, Daten im Eiltempo ausgewertet werden. Die Ungeduld ist groß. Doch zugleich verlan­gen sie Qualität, die natürlich Zeit und Geld kostet. Es ist ein Trugschluss zu glauben, ein möglichst schnell eingereichter Antrag würde Zeit sparen: Ist er fehlerhaft, kommt es zu Nachfragen, die den Prozess später verzögern.

Für uns als CRO ist klar, dass es nur mit Qualität geht, schon weil die Behörden Validität verlangen und weil es um Menschenleben geht. Der Sponsor weiß das im Grunde auch, aber er steht unter Druck, und das führt in der Praxis durchaus zu Diskussionen. Dennoch begreifen sich beide Seiten zum Glück als Partner und finden meist eine gemeinsame Lösung. Wir sind schließlich voneinander abhängig: Immer weniger Pharmaunternehmen beschäftigen heute noch eigene Prozessexperten – deren Expertise ist zu den stetig wachsenden, international agierenden CROs abgewandert. Andererseits leben CROs von stabilen Kundenbeziehungen. Entscheidend ist, dass jeder Sponsor die für seine Bedürfnisse passende CRO findet, sonst funktioniert eine solche Partnerschaft nicht. Das ist wie in jeder anderen Beziehung auch.

Für uns ist das Beharren auf Qualität schlicht Teil der professionellen Arbeit, weil wir wissen, dass der Sponsor sonst Nachforderungen von den Behörden erhält und sich dadurch die Zulassung verzögern kann. Wir denken grundsätzlich langfristig und bis zum Ende des Prozesses, der Gesamtzeitraum ist für uns entscheidend. Dafür müssen die einzelnen Schritte zügig, aber mit Bedacht gemacht werden – was auch für uns wichtig ist, denn wenn es im Genehmi­gungsprozess zu unnötigen Verzögerungen kommt, stehen wir in der Kritik. Und wenn ein Sponsor unseren Rat partout nicht annehmen will? Dann machen wir ihn auf die möglichen Folgen aufmerk­sam, setzen seine Vorgaben um, reichen etwa einen Antrag bei der Ethikkommission ein, auch auf die Gefahr von Nachforderungen. Aber so etwas kommt eher selten vor.

Die Studien werden immer spezieller, bei gleich­zeitig wachsenden Probandengruppen. Das macht es nicht leicht, schnell und hochwertig zu arbeiten. Die größte Herausforderung aber ist, dass wir Anforde­rungen erfüllen und stellen müssen, die wir nicht selbst formulieren.

Wir müssen gemäß den Regularien liefern, die von den Ethikkommissionen und Zulassungsbehör­ den vorgegeben werden. Das ist etwas, das nicht alle Beteiligten sofort verstehen, etwa die Prüfzentren und Studienärzte, denen wir mit unserem strengen Monitoring durchaus lästig werden können. Denn die Mediziner stecken in ihrem eigenen Konflikt zwischen Tagesgeschäft und Studien – sie haben wenig Zeit. Wenn wir bei denen wiederholt anrufen, weil wir bestimmte Dokumente oder Unterschriften brauchen, macht ihnen das zusätzlich Arbeit. Wir können gut verstehen, dass wir ihnen mitunter wie Nervensägen erscheinen. Doch wenn die Zulassungsbehörde eine Unterschrift haben will, ist das eben so. Und die Sponsoren haben ebenfalls Ansprüche an uns, die wir nicht ignorieren können. Aber die Position zwischen allen Stühlen gehört nun mal zu unserem Job.“

Die Studienteilnehmerin
Anonyma (48), Brustkrebspatientin

„Ich möchte auch Patientin sein dürfen.“

Ich habe seit 15 Jahren Brustkrebs, habe viele Ärzte gehabt und Therapien ausprobiert und musste dabei immer viel selbst entscheiden. Irgend­wann habe ich mich regelrecht nach einer intensiven Betreuung gesehnt, nach jemandem, der mich an die Hand nimmt.

Das Gefühl, dass sich keiner wirklich um mich kümmert, war ein wichtiger Grund dafür, dass ich ab 2009 an einer klinischen Studie teilgenommen habe. Ich erhoffte mir auch eine stärkere Krebskontrolle, zudem wollte ich etwas für den medizinischen Fort­ schritt tun. Brustkrebs liegt bei uns in der Familie. Die Chemotherapie bei meiner Mutter hatte noch starke Nebenwirkungen, sie hat sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Seitdem hat sich viel geändert, ich selbst pro­ fitiere von wirklich guten Medikamenten. Nun wollte ich meinen Teil zur Weiterentwicklung beitragen.

Trotzdem habe ich die Studie nach anderthalb Jahren vorzeitig abgebrochen. Nicht wegen des Medi­kaments oder seiner Nebenwirkungen, sondern wegen des schlechten Umgangs mit mir. Ich musste abwägen, was belastender für mich ist: die Studienbedingungen oder die Gefahr der Metastasenbildung aufgrund des Verzichts auf ein möglicherweise hilfreiches Medika­ment. Und ich empfand das als sehr eindeutig.

Es handelte sich damals um eine kombinierte Phase-II­-Studie aus einer etablierten Chemotherapie und einem neuen Antikörper­-Wirkstoff, mit dem zu­ vor bei Prostatakrebs Erfolge erzielt worden waren. Innerhalb eines Tages habe ich mich zur Teilnahme entschlossen, ich hatte großes Vertrauen zu den Ärz­ten. ,Wir betreuen Sie ganz eng‘ lautete das Verspre­chen, und mit gravierenden Nebenwirkungen hätte ich nicht zu rechnen. Ich fühlte mich gut aufgeklärt.

Ob ich das Placebo oder den Wirkstoff bekommen würde, war mir ziemlich egal, die Chemotherapie gab mir Sicherheit. Ohne sie hätte ich niemals mitgemacht, denn eventuell ganz ohne Behandlung dazustehen ist für mich zu risikoreich. Ich habe täglich bis zu zehn Tabletten geschluckt, bin alle drei Wochen zur Unter­suchung, alle sechs Wochen zur Computertomografie, alle zwölf Wochen zur Knochenzintigrafie – das war eine Riesenfahrerei, aber es musste eben sein. Ich habe auch täglich Tagebuch geführt über meinen Zustand und die Nebenwirkungen. Da ist man immer in Kon­takt mit seiner Krankheit, was nicht einfach ist. Und es traten diverse Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Durch­fall, Geschmacksstörungen – da schmeckt die Schoko­lade nach Leberwurst. Vor allem aber entwickelte ich ein Hand­-Fuß­-Syndrom, hatte offene Hände, die wie verbrannt schmerzten, sodass ich meine Rollläden zu Hause nur mit Handschuhen hochziehen konnte.

Aber selbst das hätte ich bei guter Betreuung akzeptiert, zumal mein Onkologe sagte, diese Reak­tionen seien womöglich ein Zeichen dafür, dass mein Körper die wichtigen Antikörper bildet. Aber von den Studienärzten fühlte ich mich mit meinen Problemen allein gelassen – und das war entscheidend. Ich hatte mir eine gewisse Empathie erhofft, doch die Ärzte wechselten ständig, ich hatte insgesamt fünf. Und wenn ich sie um Rat bat, hieß es nur: ,Bei anderen Studienteilnehmern ist es noch viel schlimmer, wir können auch nichts machen.‘ Kontinuität? Ernst nehmen? Fehlanzeige.

So musste ich mir alles erkämpfen. Die Chemo­therapie wurde auf meinen Vorschlag hin reduziert. Aber es ist doch nicht der Job der Patientin, Vor­schläge zur Therapie zu machen. Hilfe gegen Neben­wirkungen? Ich habe mir selbst eine Akupunktur besorgt. Eine enge Kontrolle der Krebsprogression? Laut Prüfplan wurden die Befunde alle sechs Wochen verglichen, was aber bei einem langsam wachsenden Tumor keine Erkenntnisse bringt. Ich wollte Verglei­che mit dem Erstbefund, was die Ärzte erst nach Dis­kussionen mit dem Sponsor zuließen, der das übri­gens selbstverständlich fand. Oder das Kontrastmittel bei der Knochenzintigrafie: Ich vertrug es nicht und ließ mir wegen einer Armvenenthrombose einen Port legen – nach Absprache! Doch die Radiologen wollten ihn nicht nutzen, weil ich dadurch sterben könnte.

All die Diskussionen, der Streit – ich fand das un­menschlich. Die Studie wurde für mich immer mehr zur Belastung, zumal nicht eindeutig war, ob sie mir half. So habe ich sie nach vier Monaten intensiven Nachdenkens abgebrochen. Ich war heilfroh, als es vorbei war. Seitdem hangle ich mich wieder von The­rapie zu Therapie. Im Griff habe ich den Krebs nicht.

Die Studie damals war eine Chance – und es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Aber bei einer guten Betreuung würde ich mich wieder darauf ein­ lassen. Es ist einfach so: Als Teilnehmerin möchte ich trotzdem Patientin sein dürfen, der es mal schlecht geht, die Fragen hat zu ihrem Zustand. Ich denke, auch Studienärzte können da etwas leisten. Empathie kostet keine Zeit – man muss es nur wollen und kön­nen. Vielleicht sollte der eine oder andere Arzt einen Kurs in Patientenkommunikation belegen.“

Der Arzt
Carsten Bokemeyer, Direktor Medizinische Klinik II (Onkologie, Hämatologie), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

„Studien sind Teil der Behandlung.“

Wir führen ständig eine Vielzahl von Stu­dien der Phase I bis III durch, für privat­ rechtliche und akademische Sponsoren, aber auch selbst initiierte von Prüfärzten. So können wir un­seren Patienten als Teil der Behandlung neue Therapien anbieten, die sonst nicht verfügbar wären. Außerdem wollen wir als Wissenschaftler, dass neues Wissen entsteht. Studien haben gerade in der Krebsmedizin zu einer erheblich besseren Pa­tientenversorgung geführt.

Eine große Herausforderung ist es für uns, die Studien in den Klinikalltag zu integrieren, denn die aufwendigen Regularien führen zu enormen Kosten und einem riesigen Administrationsaufwand. Deshalb haben wir uns professionalisiert: durch eine eigene Studienzentrale, mit der Ausbildung von Dokumen­taren, mit der Identifizierung von Spezialisten. Und wir haben betriebswirtschaftliche Expertise aufge­baut, um zu beurteilen, ob die angebotenen Studien kostendeckend durchführbar sind – bei etwa einem Drittel ist das nicht der Fall.

Einfach enthusiastisch und ohne Beachtung des Umfelds Studien zu machen, geht nicht mehr. Heute stellen sich viele Fragen: Haben wir die richtigen Pa­tienten für diese Studie? Ist die Studie andernorts bereits gemacht worden? Verspricht sie überhaupt ei­nen Nutzen, etwa durch geringere Nebenwirkungen oder eine Verlängerung der Überlebenszeit? Rein statistische Effekte wie etwa eine um zwei Wochen ver­längerte Überlebenszeit sind klinisch nicht relevant, so etwas bekommt man oft schon durch eine hohe Zahl von Probanden nachgewiesen. Wenn es aber um ein halbes Jahr mehr an Überlebenszeit geht – das wäre schnell ein neuer Standard.

Auf statistische Beschreibungen allein können wir uns nicht verlassen und auch nicht nur auf die Voten vorgeschalteter Institutionen. Ist eine geplante Studie medizinisch sinnvoll? Ist sie realistisch durch­ führbar? Darüber entscheiden wir am Ende in einem Gremium von Oberärzten in unserer Studienzentrale am Ende selbst. Und dabei fallen zwei Drittel mögli­cher Studien durchs Raster.

Entscheidend ist für uns die Qualität, auch weil wir die Balance halten müssen zwischen der Hilfe, die wir Patienten mit einer Studie eventuell anbieten können, und den Risiken, denen wir sie damit aus­ setzen. ,Würde ich das selbst tun?‘ – diese Frage stellt sich mir jedes Mal. Gerade bei Phase­I­Studi­ en, wenn ein Wirkstoff erstmals am Menschen ein­ gesetzt wird, sind wir viel vorsichtiger und aufmerk­samer als bei späteren Studien. Und wenn starke Nebenwirkungen auftreten, ist das auch für hartge­sottene Krebsmediziner belastend – da muss man sich ausbalancieren zwischen einem großen Maß an Empathie und der notwendigen Professionalität. Zum Glück machen wir oft überraschend gute Erfahrungen bei Studien, die die Rückschläge wieder aufwiegen, auch emotional.

Dieses Ausbalancieren spiegelt sich ebenso in den Motiven der Patienten für eine Studienteilnahme wider. Es gibt da eine Mischung aus Altruismus, der individuellen Hoffnung auf eine bessere Behandlung und eine innere Zerrissenheit, wenn es nicht funktio­ niert wie erhofft – ganz ähnlich ergeht es auch dem Behandler. Allerdings natürlich mit dem entscheiden­ den Unterschied, dass es bei ihm nicht um das eigene Leben geht.

Deshalb erwarten Probanden von uns Ärzten nicht nur eine medizinische Behandlung, sondern auch eine gute Betreuung. Das bedeutet viel Kommu­nikation, nicht nur über ihren individuellen Zustand, sondern auch über die medizinischen Erkenntnisse rund um Therapie und Krankheit und neue Möglichkeiten, die sich daraus ergeben können. Die Patienten sind keine Versuchskaninchen: Sie sind Menschen, denen es auch mental einmal schlecht gehen kann. Darauf müssen wir uns einstellen. Studienärzte sind auch behandelnde Ärzte – dieses Selbstverständnis halte ich für enorm wichtig.

Durch eine gute Organisation lässt sich Zeit für Gespräche schaffen, aus denen Vertrauen entstehen kann. Doch dafür müssen Studienärzte Aufgaben auf­ teilen, etwa durch das Einbeziehen des Pflegepersonals. Dabei hilft zum Beispiel eine für jeden Mitarbeiter nutzbare Datenbank mit Studieninformationen, sodass auch die Nachtschwester antworten kann, wenn ein Patient eine Frage zu seiner Studie hat. Und in einem guten Prüfplan sind oft bereits vorab bestimmte Reduktionen bei der Wirkstoffvergabe fest­ gelegt, wenn es zu Nebenwirkungen kommt.

Auch deshalb entwickeln wir Studienprotokolle gern aktiv mit, selbst wenn das mitunter zu Debatten führt. Zu wenige Nachuntersuchungen aus Kostengründen, zu viele Röntgenaufnahmen zur maximalen Demonstration des Nutzens – das sind Punkte, die wir immer wieder diskutieren. Denn gute Studienprotokolle gehören für uns zur Patientenbetreuung.

Wir agieren immer in einem Spannungsfeld zwischen Sponsoren und Patienten, Risiko und Nutzen, Aufwand und eigener Leistungsfähigkeit. Aber wir machen das, weil es sich medizinisch lohnt. Und wir würden gern noch mehr tun, würden gern mehr Ideen verfolgen, die wir Mediziner immer wieder ent­wickeln. Doch das wird schon aus Kostengründen immer schwieriger. Deshalb hoffen wir sehr auf Erleichterungen für akademisch initiierte Studien, etwa im Zuge der europäischen Harmonisierungen bei Vorgaben und Finanzierung.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.