Das Herzstück



Es ist ein weiter Weg vom vielversprechenden Wirkstoff bis zu einem neuen Medikament. Nur ein winziger Bruchteil aller Forschungsvorhaben der Pharmaindustrie meistert den Parcours vom Labor bis zur Zulassung: Kaum ein Prozent aller getesteten Wirkstoffe schafft es jemals als Pille auf den Markt. Die überwältigende Mehrheit versandet irgendwo im Prozess zwischen Entdeckung und Vermarktung. Lange genug dauert er ja: Es vergehen zehn bis fünfzehn Jahre, bis aus einer Idee ein Medikament geworden ist. In den Sechzigerjahren waren es im Schnitt noch acht.

Seitdem ist die Forschung komplizierter geworden, denn für viele Krankheiten kennen wir inzwischen die passende Medizin. Außerdem haben sich die Zulassungsbedingungen für neue Arzneien enorm verschärft, genau wie die Verfahren, in denen sich jeder Wirkstoff beweisen muss, bevor er sich irgendwann Medikament nennen darf. Ob eine neue Substanz wirksam ist, muss sie in klinischen Studien mit Menschen belegen. Sie bilden das Herzstück der Arzneimittelentwicklung – und den Schwerpunkt unseres Magazins.

Wir wollten wissen, was genau es mit den Verfahren zur Prüfung und Zulassung auf sich hat. Weshalb das Prozedere so komplex ist; welche widersprüchlichen Erwartungshaltungen an den Ausgang einer Studie geknüpft sein können; wer sie nach welchen Kriterien designt; wie Ärzte, Patienten, Forscher, Hersteller und Ethiker darüber denken und worauf wir Verbraucher uns verlassen können – oder eben auch nicht.

Wir haben im Zuge unserer Recherchen viel gelernt. Zum Beispiel über die enormen Fortschritte in der Behandlung von Aids-Patienten. Zwar ist die Krankheit bis heute nicht heilbar, aufgrund neuer Wirkstoffe ist die Lebenserwartung von HIV-Infizierten inzwischen aber fast genauso hoch wie die von nicht infizierten Menschen (Seite 66). Fast noch eindrucksvoller: die Therapieerfolge bei leukämiekranken Kindern in Deutschland, die weltweit als vorbildhaft gelten. Noch vor 40 Jahren starben hierzulande neun von zehn kranken Kindern, heute liegen die Heilungschancen der kleinen Patienten bei 80 Prozent. Für den Onkologen Günter Henze eine große Erfolgsgeschichte – und Resultat klinischer Studien (Seite 44).

Natürlich passiert immer wieder auch das Gegenteil. Patienten leiden, und Tests müssen abgebrochen werden, wie etwa bei TGN1412, dem Wirkstoff des Würzburger Unternehmens TeGenero, der als verstörendes Beispiel in die Geschichte klinischer Studien eingegangen ist (Seite 48). Er war eine tragische Ausnahme, sicher. Aber die Erprobung neuer Wirkstoffe bleibt eben auch bei sorgfältigster Planung ein Risiko. Ob ein Mittel bei allen Menschen gleich wirkt, ist zunächst ebenso unklar wie die Fragen, ob seine Nebenwirkungen kalkulierbar und tolerabel sind oder ob es überhaupt eine Verbesserung darstellt. Das mag uns gefallen oder nicht: Vernünftige Antworten lassen sich nur mithilfe von klinischen Studien finden.

Susanne Risch
Chefredakteurin


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.