Vereinbarkeit von Schwangerschaft und Medikamenten

Schwanger! Eine Nachricht, die neben der Freude oft auch Fragen und Sorgen mit sich bringt. Besonders für chronisch kranke Frauen, die Medikamente nehmen müssen. Ihnen helfen Experten, die klären ­können, welcher Wirkstoff ein Risiko für das Ungeborene ist – und welcher nicht. 





Am Abend auf der Couch die Beine hochlegen und zur Ruhe kommen – was für viele Entspannung bedeutet, ist für Karla Schmidt eine Tortur. Die 41-Jährige hat das Restless-Legs-Syndrom. Sobald sie sich hinsetzt oder sich abends zum Schlafen ins Bett legt, überkommt sie ein unbezähmbarer ­Bewegungsdrang. „Ich muss dann die Beine strecken, kreisen lassen oder mit den Füßen herumwippen.“ Irgendwann ist es selbst so nicht mehr auszuhalten, sie muss aufstehen, durch die Wohnung laufen. Zu jeder Uhrzeit, auch mitten in der Nacht. „Dieses Gefühl, dieser Drang kriecht die Beine hoch, bis in die Hüfte und ist unerträglich.“ An Schlaf, an ein normales Leben wäre kaum zu denken, wenn sie nicht ständig Medikamente nähme, die die Krankheit zwar nicht heilen, aber die Symptome zumindest lindern können. Es sind schwere Medikamente, die sonst bei Parkinson-Patienten eingesetzt werden. Jahrelang arrangiert sich Schmidt mit den Nebenwirkungen: ständige Müdigkeit und ein unangenehmes Hautgefühl.

Und dann wird sie schwanger.
„Ich bekam Panik“, erzählt sie heute. „Ich hatte sofort Bilder von Contergan-geschädigten Kindern vor Augen.“ Statt sich über den positiven Schwangerschaftstest zu freuen, ist ihr einziger Gedanke, ob die Medikamente dem etwa acht Wochen alten Embryo schaden könnten, ja vielleicht sogar schon geschadet haben. Sie versucht ihren Arzt zu erreichen. „Aber bei meinem Neurologen gab man mir erst einen Termin in vier Wochen.“ Aus Sorge setzt sie die Medikamente auf eigene Faust ab. Sofort macht sich das Syndrom mit ­quälender Schlaflosigkeit und Unruhe wieder bemerkbar. Sie fühlt sich allein mit dem Dilemma, traut sich nicht einmal, in der Bekanntschaft um Rat zu fragen. „Medikamente in der Schwangerschaft sind ein heikles Thema, viele reagieren da­rauf sehr rigoros“, sagt sie. Also sucht die werdende Mutter im Internet nach Informationen, findet unverständliche Fachinformationen und abstruse esoterische Kommentare. Dann stößt sie auf Embryotox.

Internationales Netzwerk – und schnelle Hilfe

Seit 26 Jahren berät Embryotox Frauen in derartigen Lagen, erzählt Kinderarzt Christof Schaefer, der die Berliner Beratungsstelle seit ihren Anfängen leitet. 70 Anrufe am Tag, fast 15.000 im Jahr sind es mittlerweile, die bei Embryotox landen. Das Team aus Humangenetikern, Gynäkologen, Anästhesisten, Internisten und Apothekern kann meistens sehr schnell klären, ob eine Arznei ein Risiko für das ungeborene Leben darstellt oder nicht, ob ein Medikament besser abgesetzt und ersetzt werden sollte oder weitergenommen werden kann. „Wir sind auf eine breite Palette klinischer Situa­tionen gut vorbereitet“, sagt Schaefer. Drei Experten sitzen täglich am Telefon und können etwa 90 Prozent der Fragen von besorgten Schwangeren sofort beantworten. Dafür nutzen sie die langjährigen Erfahrungen mit Tausenden von Medikamenten, die in wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen dokumentiert sind. Bei schwierigen Fällen halten die Experten Rücksprache in einem internationalen Netzwerk von ­ungefähr 30 Zentren in Nordamerika und Europa, die sich mit den Nebenwirkungen von Arzneimitteln in der Schwangerschaft beschäftigen. „Damit können wir binnen 24 Stunden auch bei selten verwendeten Medikamenten feststellen, welche Erfahrungen es damit gibt.“

Späte Mütter – und ein höherer Beratungsbedarf

Die Idee einer toxikologischen Beratung für Schwangere kam Mitte der Achtzigerjahre von einer sehr engagierten Ärztin aus der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, erzählt Schaefer, der auf Pharmakovigilanz, also die Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln, spezialisiert ist. Der Mediziner bewarb sich für die ausgeschriebene Stelle und baute den Telefonservice auf. Obwohl Embryotox zunächst vom Berliner Bezirk Charlottenburg finanziert wurde – heute trägt das Land Berlin zusammen mit dem Bund die Kosten –, wandte sich der Service von Anfang an auch an Frauen aus anderen Bundesländern. Inzwischen ist die Beratungsstelle Teil des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsklinikums Charité.

„In Berlin sind wir natürlich besonders bekannt, aber der größte Anteil der Anfragen kommt aus Nordrhein-Westfalen, viele auch aus Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg“, sagt Schaefer. Bei fast einer Million Schwangeren pro Jahr in Deutschland sei der Bedarf für eine toxikologische Schwangerenberatung größer als sein Team bewältigen könne: „50 bis 80 Prozent aller werdenden Mütter nehmen im Verlauf der Schwangerschaft ein Medikament ein und bräuchten dabei Beratung.“ Und ihre Zahl dürfte eher steigen, weil immer mehr Frauen im höheren Alter schwanger werden – also dann, wenn ihr Krankheitsrisiko gestiegen ist und sie entsprechende Medikamente nehmen.

„Es gibt kaum eine Erkrankung, bei der sich schwangere Frauen nicht fragen, ob die Behandlung so weitergehen kann oder nicht“, sagt Schaefer. Häufig sind es chronische Erkrankungen wie Rheuma oder Epilepsie, bei denen werdende Mütter verunsichert sind, welches Risiko die Medikamente für ihr Kind bergen. Besonders hellhörig werden die Embryotox-Berater bei Medikamenten, die im Gehirn der Mutter wirken sollen. ­Immerhin ein Viertel der Anrufe betrifft solche Psychopharmaka, die zum Beispiel bei der Behandlung von Depressionen, Schizophrenie, bipolaren Erkrankungen oder Epilepsie eingesetzt werden. „Die Wirkstoffe gelangen beim ungeborenen Kind besonders leicht ins Gehirn, weil seine Blut-Hirn-Schranke noch nicht so ausgeprägt ist“, sagt Christof Schae­fer. Und noch wisse man viel zu wenig darüber, ob solche Medikamente die Hirnentwicklung beeinflussen und sich ­Nebenwirkungen möglicherweise erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Geburt manifestieren.

Schaefers Team muss ziemlich oft mit dürftigen Informa­tionen möglichst rasch zu einer Empfehlung kommen, die sowohl die Gesundheit des Kindes als auch der Schwangeren berücksichtigt. Es ist eine schwierige Risikoabwägung. Medikamente einfach vorsorglich abzusetzen wäre bei Patientinnen wie Karla Schmidt offensichtlich falsch: Der Schlafmangel und die Rastlosigkeit der werdenden Mutter wären für das Kind womöglich schädlicher als die Nebenwirkungen ­ihrer Arzneien.

Sie selbst erinnert sich noch gut an ihren Anruf bei Embryotox. „Ich habe sofort gefragt, ob so etwas wie bei Contergan passieren kann.“ Die Beraterin hat jedoch erst einmal eine kurze Anamnese gemacht, „also gefragt, welche Erkrankung ich habe, in welcher Schwangerschaftswoche ich bin und welche Medikamente ich nehme“. Dann sei schnell klar geworden, dass bei ihren Medikamenten keine fruchtschädigenden Nebenwirkungen bekannt sind. Ihre Beraterin fand sogar zwei Fallbeschreibungen von Kindern, die unter diesem Parkinson-Medikament gesund geboren wurden. „Meine Beraterin sagte, das Risiko sei sicher geringer, als wenn ich viel Alkohol getrunken hätte“, erinnert Schmidt. „Das hat mich beruhigt, damit konnte ich etwas anfangen.“

Exakt vorhersagen oder gar ausschließen lässt sich ein Risiko üblicherweise nicht. „Nicht einmal Contergan hat bei allen Kindern zu Entwicklungsstörungen geführt“, sagt Chris­tof Schaefer. Obwohl die Sicherheitstests für Arzneien seit dem Contergan-Skandal erheblich verbessert wurden, ist die Wirkung vieler Medikamente auf das ungeborene Leben bislang noch kaum untersucht. Wie auch? Zwar werden alle Medikamente erst an Freiwilligen und später an Tausenden von Patienten getestet, aber niemand würde es wagen, einen neuen Wirkstoff gezielt Hunderten Schwangeren zu verabreichen und die Gesundheit der Kinder zu riskieren, um mög­liche Nebenwirkungen einer Arznei in der menschlichen ­Embryonalentwicklung finden zu können. Deshalb sind Forscher und Ärzte oft auf indirekte Informationen angewiesen. Beispielsweise die Beschreibung einzelner Fälle, bei denen Frauen ein Medikament eingenommen haben und nicht wussten, dass sie schwanger waren. Das daraus resultierende Wissen ist zwangsläufig lückenhaft. Und die daraus abgeleiteten komplexen Risikoabwägungen den Schwangeren zu vermitteln nicht einfach. „Eine klare Schwarz-Weiß-Antwort können wir oft nicht geben“, sagt Schaefer. „Deshalb ist es aus unserer Sicht am besten, wenn die Schwangere gemeinsam mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin am Telefon sitzt.“ Das ist schon allein deshalb hilfreich, weil Schaefer und seine Kollegen nur Empfehlungen aussprechen, nicht aber die Rolle des Therapeuten übernehmen können. „Das dürfen wir auch nicht, wir kennen die Frau ja gar nicht“, betont er.

Einige behandelnde Ärzte betrachteten den Service trotzdem mit gemischten Gefühlen, erzählt der Mediziner. Manche riefen von sich aus an, um bei den Experten Rat einzuholen. Aber es gebe auch das Gegenteil. Patientinnen, die ein zweites Mal anrufen, berichten mitunter, dass sich der Arzt nicht in seine Therapiehoheit reinreden lassen wolle und sich weigere, mit Embryotox zu sprechen. „Wenn das riskante Situationen sind, wo aus unserer Sicht eine falsche, für Kind oder Mutter schädliche Behandlung durchgeführt wird, dann rufen wir die Praxis mit Einverständnis der Patientin auch selbst an und bitten, die Therapie zu überdenken.“

Auch im Fall von Karla Schmidt wollte der behandelnde Neurologe nicht mit den Fachleuten von Embryotox reden. Die Beraterin hatte geraten, die Behandlung auf Medika­mente umzustellen, für die Erfahrungen von einigen Hundert Schwangeren vorlagen – sogenannte Opioide, die ebenfalls gegen das Restless-Legs-Syndrom helfen. „Mein Neurologe zog die Augenbrauen hoch, als ich ihm von Embryotox ­erzählte“, erinnert sich Schmidt. „Und er war auch nicht ­bereit, mit denen zu sprechen – aber die empfohlenen Medikamente hat er mir dann doch verschrieben.“

Nachvollziehbar ist diese Skepsis nur schwer, schließlich ist es einem einzelnen Arzt kaum möglich, all das Wissen über Medikamentennebenwirkungen in der Schwangerschaft zu sammeln, das Schaefers Service im Laufe der Jahrzehnte angehäuft hat.

Doch solch eine Expertise zu dokumentieren und aufzubereiten, zu aktualisieren und gebührenfrei anzubieten verursacht Kosten – an denen sich Pharmafirmen beteiligen könnten, die mit den Medikamenten Geld verdienen. „Das passiert bislang nicht, und ich finde es auch grundsätzlich besser, die kontinuierliche Überwachung der Arzneimittelsicherheit von unabhängigen Institutionen durchführen zu lassen und nicht von den Firmen selbst“, sagt Schaefer. „Eine direkte Finanzierung über Pharmahersteller lehnen wir kategorisch ab.“

Gute Investition – und 50 Millionen Euro gespart

Auch eine finanzielle Beteiligung der Patientinnen wäre natür­ich denkbar. Schaefer allerdings fürchtet, dass selbst geringe Beiträge so manche Frau abschrecken könnten, sich beraten zu lassen, und verzichtet deshalb darauf – lieber kein Risiko für das ungeborene Leben eingehen.

„Embryotox und ähnliche Zentren sparen das Zehn- bis Fünfzigfache dessen ein, was ihre Dienste selbst an Kosten verursachen, indem sie Schwangerschaften verhindern, in ­denen Kinder geschädigt und im Extremfall lebenslang teure Pflegefälle werden würden“, schätzt Schaefer.

Berechnungen eines kanadischen Embryotox-Zentrums zu lebenslangen Versorgungskosten für Patienten mit angeborenen Fehlbildungen ergaben zum Beispiel: Eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte verursacht Kosten von etwa 125.000 US-Dollar, komplexe Herzfehlbildungen schätzungsweise 630.000 US-Dollar und alkoholbedingte Schäden drei Millionen US-Dollar. Zieht man diese Zahlen als Vergleichsgrößen heran und folgt den kanadischen Autoren in der Kalkulation, dass bei jährlich nur 600 Schwangerschaftsberatungen mindestens fünf Fehlbildungen vermieden werden, führt das zu Einsparungen von etwa 7,5 Millionen US-Dollar. Umgerechnet auf die Beratungsleistungen des Berliner Zentrums errechne sich eine volkswirtschaftliche Ersparnis von mindestens 50 Millionen Euro pro Jahr, schätzt Schaefer.

Tatsächlich könnte die Summe noch höher sein und das seelische Leid deutlich geringer, würden die Mediziner im Land Schaefers Rat folgen und sich bei der Verschreibung von Medikamenten für Frauen zwischen 15 und 49 Jahren weniger experimentierfreudig zeigen. Frauen im gebärfähigen Alter sollten nach Möglichkeit keine Arzneien zu sich nehmen, die sich nicht schon über Jahrzehnte als sicher bewährt haben, findet der Leiter der Beratungsstelle: „Neue Medikamente, die erst seit einem Jahr auf dem Markt sind, haben bei Frauen in dieser Altersklasse nichts zu suchen.“ Denn wie bei Karla Schmidt kommt eine Schwangerschaft oft genug schneller als geplant – und wenn sie bemerkt wird, kann es bereits zu spät und eine schädigende Wirkung bereits eingetreten sein.

Viele Medikamente – und weniger Risiko

Immer wieder passiert das zum Beispiel bei Medikamenten mit dem Wirkstoff Isotretinoin, die oft gegen Akne verschrieben werden. „Dieser Wirkstoff ist hochgradig fruchtschädigend“, sagt Schaefer. Im Beipackzettel und auf der Packung wird zwar deutlich darauf hingewiesen, dass während der Einnahme und auch noch bis zu vier Wochen danach doppelt verhütet werden sollte. Frauen müssen sogar alle vier Wochen einen negativen Schwangerschaftstest vorweisen, um das nächste Rezept zu bekommen. Und trotzdem werden immer wieder Frauen während der Einnahme schwanger. Wenn es nach Schaefer ginge, sollte man bei Patientinnen im gebärfähigen Alter mit diesem Wirkstoff viel restriktiver sein. Ein anderes Problem sind die sogenannten Sartane und ACE-Hemmer, Mittel gegen Bluthochdruck, die im Körper einer Schwangeren nichts zu suchen haben, weil sie die Nieren des Kindes schädigen können. Auch für diese Medikamente gibt es risikoärmere Alternativen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.