Dem Zufall auf die Schliche kommen

Der Aufwand für die Entwicklung eines neuen Medikaments wird selbst von Experten leicht unterschätzt. Mindestens fünf Jahre braucht es in der Regel, bis Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung sich in der Arzneimittelentwicklung niederschlagen, schätzt Richard Bergström, Generaldirektor der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA). Elias Zerhouni, einst Chef der größten öffentlichen Forschungsorganisation der USA, den National Institutes of Health, gestand nach seinem Wechsel zum Pharmakonzern Sanofi-Aventis, dass das Aufgreifen von Forschungsergebnissen und das Umsetzen in Produkte „viel schwieriger“ sei, als er erwartet habe.


Das hängt auch mit der Art und Weise zusammen, wie Pharmafirmen den Puls der Forschung fühlen. Nicht nur die Wissenschaftler von Sanofi-Aventis durften beispielsweise ihre Forschungsergebnisse bis vor Kurzem nicht publizieren – was die Zusammenarbeit mit öffentlichen Forschungseinrichtungen unmöglich macht.

Diese Praxis haben die Firmen inzwischen geändert, schließlich gibt es nur eine begrenzte Zahl kluger Köpfe innerhalb der eigenen vier Wände. 95 Prozent aller Medikamenten-Innovationen werden außerhalb der großen Pharmafirmen entwickelt, schätzt Jochen Maas, der Forschungschef von Sanofi-Aventis Deutschland. Deshalb schließt das Unternehmen derzeit Kooperationen mit der Berliner Charité, der Münchner Ludwig-Maximilians- und der Heidelberger Universität. Das Mitspielen in der großen Kapelle der öffentlichen Grundlagenforschung soll helfen, die molekularen Ursachen von Krankheiten besser zu verstehen, um künftig planvoller nach einem Gegenmittel suchen zu können als bisher.

Unter dem Stichwort „offene Innovation“ lässt Elias Zerhouni, der seit einem Jahr die weltweite Forschung bei Sanofi-Aventis leitet, seine Kollegen gemeinsam mit Grundlagenforschern ergründen, welche Gen-, Protein- oder Stoffwechselveränderungen eine Krankheit beeinflussen. Diese Strategie, die sogenannte Translationale Medizin, ist inzwischen blanke Notwendigkeit: Gegen viele Krankheiten, insbesondere Krebs, lassen sich mit der traditionellen Methode der Medikamentensuche – Herumprobieren – keine neuen Arzneien mehr finden. Kein Pharmaunternehmen kann es sich heute noch leisten, allein auf den Zufall zu setzen und Hunderttausende verschiedener chemischer Substanzen (Small Molecules) zu testen.

Inzwischen schneidern Forscher sich den passenden Wirkstoff gegen ein krank machendes Protein im Labor zurecht. Dafür sucht entweder ein Computer solche Small Molecules heraus, die wie Knebel in die Öffnungen eines krank machenden Proteinmoleküls passen und es damit stilllegen. Oder aber die Forscher hetzen Substanzen auf die Krankheitswurzel, wie sie der gesunde Körper sonst selbst produzieren würde: sogenannte Biologics, Biopharmazeutika wie zum Beispiel Antikörper.

„Die Entwicklungszeiten sind kürzer, die Ent wicklungskosten geringer und die Erfolgswahrscheinlichkeit der Biologics ist größer als die der Small Molecules“, sagt Jochen Maas. Zudem steht dahinter die Hoffnung, dass mit dem molekularbiologischen Wissen über die Vorgänge in den Zellen nicht nur die für eine Krankheit wie Krebs ursächlichen, defekten Proteine gefunden werden. Im Idealfall lassen sich Biopharmazeutika wie Antikörper auch schneller herstellen als Small Molecules.

Der Trend gilt weltweit. Laut einer Studie der Tufts University sind seit dem Jahr 2000 fast doppelt so viele Biopharmazeutika (65) zugelassen worden wie in der Dekade davor (39) und fünfmal so viele wie in den Achtzigerjahren (13). Auch in Deutschland stammen mittlerweile 17 Prozent der zugelassenen Medikamente aus dem Labor, 2010 waren sogar 27 Prozent aller neu zugelassenen Medikamente Biologics (6 von 22). „Ziel ist es, in den nächsten Jahren auf 50 Prozent zu kommen“, sagt Maas. Sicher auch deshalb, weil es deutlich schwieriger, oft sogar unmöglich ist, Biopharmazeutika zu kopieren.

Das zahlt sich für das jeweilige Pharmaunternehmen aus. Während der Preis von Small Molecule-Medikamenten nach Ablauf des Patentschutzes sofort um rund 80 Prozent fällt, weil billige Nachahmerprodukte (Generika) den Markt überschwemmen, sind Biosimilars kaum 30 Prozent günstiger als die Original-Biologics, denn sie müssen in aufwendigeren klinischen Studien getestet werden als Generika. Zudem lassen sich mit Biologics oft hohe Preise erzielen: Eine Therapie mit dem Krebsmedikament Glivec (Imatinib) von Novartis beispielsweise kostet pro Jahr und Patient 56 000 Dollar.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.