Shaws Beobachtung kommt mir oft in den Sinn, wenn ich mich mit der Frage beschäftige, warum Frauen in deutschen Führungsetagen nach wie vor so unterrepräsentiert sind. Die Argumente dazu drehen sich seit Jahren im Kreis wie Tänzer in einem Menuett. Die Gleichstellungsbeauftragten schimpfen: „Die Atmosphäre in den Unternehmen ist nach wie vor zu männlich geprägt, die Damen knallen an die Glasdecke, und die Kinderbetreuung in Deutschland ist eine Katastrophe.“ Die Personalchefs halten dagegen: „Wir hätten ja so gerne mehr weibliche Führungskräfte, aber wir finden keine. Und wenn wir doch welche auftun, kommen sie aus ihrer Elternzeit entweder gar nicht oder nur auf einen Teilzeitjob zurück.“


„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ George Bernard Shaw

Kann es sein, dass diese Debatten so überholt sind wie die Schnittmuster von Shaws Schneider? Verabschieden wir uns doch von den aus der Form geratenen Modellen und messen noch einmal neu. Denn das gebietet die Vernunft. Dieser Bericht steht für den Versuch, die Emotionen und Meinungen in der Frauenfrage beiseite und stattdessen schlicht Fakten sprechen zu lassen.

Jenseits von Rabenmutterdiskurs und Geschlechterkampf führen uns die nämlich zu der Erkenntnis, dass die Abwesenheit der Frauen in deutschen Führungsetagen betriebswirtschaftlich schädlich und volkswirtschaftlich eine Verschwendung von Ressourcen ist. Demografisch droht uns ein massiver Mangel: Die Babyboomer sind inzwischen in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt, der Nachwuchs wird immer knapper. Und es bedarf keiner höheren Mathematik, auszurechnen, dass unsere Volkswirtschaft in Wachstumsnöte gerät, wenn wir bei den Führungsaufgaben auch künftig auf die Hälfte des Potenzials verzichten.

Schwerer noch wiegen die Ergebnisse mehrerer Studien aus den vergangenen Jahren. Deren übereinstimmendes Fazit lautet: Firmen, in denen Mitarbeiterinnen führende Positionen einnehmen, erwirtschaften mehr Gewinn. Das ist nicht nur in Frankreich und im CAC 40 so, sondern auch in den Vereinigten Staaten und im Dow Jones. Die US-Frauenorganisation Catalyst untersuchte die 500 umsatzstärksten Unternehmen der USA und kam zum selben Schluss wie die Berater von McKinsey: Gemischte Führungsgremien sind signifikant erfolgreicher. Unternehmen mit vielen Frauen im Vorstand erzielen im Vergleich zu Wettbewerbern mit rein männlichen oder weiblich unterbesetzten Gremien eine bis zu 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite. Wo sich mindestens drei Frauen im Vorstand finden, steigen die Erträge nachweislich. Ganz abgesehen von der schlichten Tatsache, dass mehr als 70 Prozent aller Kaufhandlungen europaweit von Frauen getätigt werden. Wie vernünftig ist es da eigentlich, wenn von F & E über Marketing bis hin zum Vertrieb jede Entscheidung von Männern bestimmt wird?

EIN GESPRÄCH, EIN BUCH UND DIE FOLGEN

Für mich selbst war das Gespräch mit Nancy McKinstry im Jahr 2006 ein Schlüsselerlebnis. Die Amerikanerin und Vorstandsvorsitzende von Wolters Kluwer, einem der wichtigsten holländischen Verlage, wollte kaum glauben, dass unter den Vorständen der 30 Unternehmen im Dax nur eine einzige Frau zu finden ist (heute sind es immerhin schon vier). McKinstry verwies auf China, wo es schon damals jede Menge weiblicher Führungskräfte im Senior Management gab. Und sie stellte die richtige Frage: „Wie wollen die deutschen Unternehmen denn langfristig konkurrenzfähig bleiben, wenn sie auf 50 Prozent des Talent-Pools verzichten?“

Natürlich hatte ich mir diese Frage auch schon gestellt. Als Personalberater ist mir der Zusammenhang zwischen erstklassigen Führungskräften und Unternehmenserfolg wohlvertraut. Und dass der schlaueste Mann im Raum nicht automatisch der beste Vorstandsvorsitzende ist, würden hierzulande sogar die meisten Männer unterschreiben. Und trotzdem: Die Dringlichkeit des Themas wurde mir erst jetzt bewusst. Nancy McKinstry hatte recht, so konnte es nicht weitergehen.

Also entstand zunächst das Buch „oben ohne – Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt“, das deutschen Frauen Mut machen sollte, den Weg durch die Hierarchien anzutreten. Mit der Journalistin Barbara Bierach im gemischten Doppel befragte ich 20 Karrierefrauen im Ausland danach, woher sie kommen und wohin sie wollen – auch, um den Frauen hierzulande zu zeigen, was alles machbar ist, wenn man sich erst vom Rabenmutterkomplex verabschiedet. Nicht nur Miki Tsusaka, eine Japanerin, die damals in New York City für die Boston Consulting Group arbeitete und inzwischen nach Tokio umgezogen ist, hat sich unseren Fragen mit Freuden gestellt. „Ich habe dieses Interview gerne zugesagt, weil dieses Buch endlich einmal die Perspektive vertritt, ‚das Glas ist halb voll‘, erzählte sie gleich zu Beginn des Gesprächs. Sie werde von Journalisten ständig gefragt, wie viel Zeit sie denn noch für ihre Kinder habe, ob sie sicher sei, dass sie sich das antun wolle, sie komme sich oft vor wie eine Mutantin. „Warum gibt es so wenige Berichte darüber, wie der Balanceakt gelingen kann? offenbar ist es sensationeller, immer nur darüber zu berichten, wie schwierig alles ist.“

Diese Bemerkung wurde mir zur Verpflichtung, und seitdem beschäftige ich mich vor allem mit der Frage, wie der Weg nach oben von Frauen zu meistern ist – die Initiative „Generation CEO“ ist ein Teil meiner Antwort darauf.


Gemeinsam mit einer Gruppe aus Vorstandsvorsitzenden von börsennotierten Konzernen und Gesellschaftern von namhaften Familienunternehmen habe ich ein Netzwerk geknüpft, das Managerinnen zwischen 30 und Anfang 40 bei ihrer Karriere bis in die höchsten Führungsgremien begleiten und ideell wie finanziell unterstützen soll. Alle Partner der Initiative schreiben Frauenförderung weit oben auf ihre persönliche Agenda, und auch, wenn die jeweiligen Maßnahmen ganz unterschiedlich gestaltet werden, im Ziel sind wir uns einig: Wir wollen dafür sorgen, dass die Mitglieder des Netzwerks ihren Platz in Vorständen und Aufsichtsräten finden – und Beispiele im ganzen Land nach sich ziehen.

Bis heute hat die Gruppe, zu der Bertelsmann, Haniel, Henkel, Hugo Boss, Mercedes Car Group, Otto Group, Siemens, Swisscom, Trumpf und Vodafone gehören, insgesamt 81 Frauen unterstützt. Alle Beteiligten haben sich verpflichtet, den Anteil weiblicher Führungskräfte auf ihren beiden obersten Entscheider-Ebenen nachhaltig zu steigern. Wie vernünftig das ist, welche Menschen die Initiative zusammengeführt hat und wie viel Expertise der weibliche Talent-Pool schon heute zu bieten hat, zeigt dieser Bericht.

Er ist eine Bestandsaufnahme – und erst der Anfang. Denn alle noch so rationalen Argumente allein bewirken natürlich nichts: Frauenförderung hat nicht nur das Ziel, sondern auch ihren Ausgangspunkt an der Spitze. Solange der Chef des Aufsichtsrats weiblichen Topmanagern aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht oberste Priorität einräumt, versickert das Vorhaben auf dem Weg durch die Ränge. Und nur wenn er einen CEO beruft, der das Thema mit dem nötigen Nachdruck verfolgt, hat es auf Dauer eine Chance, gehört und ernst genommen zu werden. Zu viele Herren aus dem mittleren Management haben noch immer nicht begriffen, dass der Einsatz für weibliches Talent kein Hobby ist, sondern von ökonomischer Vernunft diktierte Notwendigkeit. ohne entsprechende Zielvereinbarungen und Incentive-Programme wird es daher kaum gehen. Erst wenn dem ersten Bereichsleiter der Bonus gekürzt wird, weil er keine weiblichen Kräfte in der Pipeline hat und auch keine Idee, wie er das zu ändern gedenkt, geht spürbar ein Ruck durchs System.

GEMEINSAM FÜR FRAUEN – UND GEGEN DIE QUOTE

Unser Bericht will diesen Ruck und ist deshalb der Vernunft gewidmet. Der Vernunft der Unternehmensführer, dafür zu sorgen, dass in der Frauenfrage betriebswirtschaftliches Kalkül an die Stelle von Sonntagsreden tritt. Der Vernunft der gut ausgebildeten Frauen, zuzugreifen und die Karrierechancen, die sich für sie auftun, nun auch zu nutzen. Und letztlich der kollektiven Vernunft aller Beteiligten, eine gesetzliche Quotenregelung zu verhindern.

Im Grunde sind wir einer Meinung – die von „Generation CEO“ ausgezeichneten Frauen, die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und die Mehrheit der Leistungsträger der deutschen Wirtschaft: Eine Quote kann bestenfalls die Ultima Ratio sein. Sie wird weder der Arbeitswelt noch der Lebenswirklichkeit und schon gar nicht den qualifizierten Frauen gerecht.

Aber was, wenn sich weiterhin nichts bewegt? Wenn wir es auf Dauer beim folgenlosen Austausch der vielen guten Gründe belassen? Nicht nur die Norweger, auch die Franzosen, Niederländer, Belgier, Spanier und Briten haben bereits Gesetze für Frauenquoten in börsennotierten Gesellschaften auf den Weg gebracht oder diskutieren ihre Vorlage. EU-Kommissarin Viviane Reding droht inzwischen mit harten Bandagen: Sie will Mindestquoten für Frauen in Aufsichtsräten ab dem Jahr 2011, wenn bis dahin kein deutlicher Anstieg des Frauenanteils im Management gemessen wird. Ihre Botschaft ist deutlich: Wenn es nicht freiwillig geht, dann eben mit Druck.

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex reagierte bereits und formulierte die Regel, dass Aufsichtsräte hierzulande internationaler und vor allem weiblicher werden müssen. Künftig müssen börsennotierte Aktiengesellschaften in ihrem Corporate-Governance-Bericht also auch schriftlich begründen, weshalb sie nur wenige oder keine Frauen in ihr Aufsichtsgremium berufen haben. Auf die Begründungen bin ich gespannt. Vernünftige Argumente dafür sehe ich jedenfalls nicht.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.