Grün ist mehr als die Hoffnung

Nachhaltiges Wirtschaften ist kein Selbstzweck, gerade für Schwellenländer. Wer Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit vernachlässigt, setzt seine wirtschaftliche Entwicklung aufs Spiel, sagt Yale-Professor Daniel Esty.




Heer Esty, können es sich arme Länder überhaupt leisten, „grün“ zu sein?

Die eigentlich Frage ist: Können es sich arme Länder leisten, nicht „grün“ zu sein? Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik führt in vielerlei Hinsicht zu ökonomischem Wachstum und treibt die gesamte Entwicklung eines Landes voran. Gerade in einer Welt mit hohen Energiepreisen kann es sich kein Land, kein Unternehmen und kein Haushalt erlauben, Chancen der Energieeffizienz und des verbesserten Umweltschutzes nicht zu nutzen. Länder, die sich nicht um die Umwelt kümmern, werden ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.

Es fällt aber schwer, bei Ländern, die Wachstum aufzuholen haben, an wirtschaftliche und ökologische Win-Win-Situationen zu glauben.


Natürlich gibt es Themen, die Interessenkonflikte bergen. Aber Regierungen dürfen nicht nur darauf schauen, was Investitionen in den Umweltschutz kosten, sondern sie müssen auch die Kosten des Nichtinvestierens in Betracht ziehen. Umweltschäden sind oft nicht auf den ersten Blick sichtbar, aber deswegen nicht weniger real. Für eine Regierung ist es ein schlechtes Geschäft, Menschen und Unternehmen die Kosten für Verschmutzung nicht in Rechnung zu stellen. Denn das Ergebnis ist eine kranke Bevölkerung, weil sie schlechte Luft atmet und dreckiges Wasser trinkt. Es ist an der Zeit, dass sich jedes Land zu einer durchdachten und entschlossenen Umweltpolitik aufrafft.

China, Indien und Brasilien spüren die negativen Folgen ihres schnellen Wachstums immer stärker. Die Luft verschlechtert sich, das Wasser ist verschmutzt, die Zahl der durch Umweltschäden verursachten Todesfälle steigt. Aber wird das schnell genug zu einer neuen Umweltpolitik führen?

Kluge Entscheidungsträger in Unternehmen und Regierungen wissen, dass sie nicht warten dürfen, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. In einigen Entwicklungsländern sind die Umweltprobleme so gravierend, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. In China beispielsweise ist die Luftverschmutzung heute so extrem, dass man vielerorts von der obersten Etage eines Gebäudes die Straße nicht mehr sehen kann. Auch die Wasserverschmutzung und dadurch der Wassermangel werden ständig schlimmer. Aufgrund dieser Entwicklung hat China nun begonnen, Umweltschutz ernst zu nehmen und entsprechende Mittel dafür bereitzustellen.

Laut Schätzungen sind weltweit fast ein Viertel aller Todesfälle auf Umwelteinflüsse zurückzuführen. Wie können sich Bürger in Entwicklungsländern Gehör verschaffen, um eine Verbesserung der Verhältnisse einzufordern?


Gute Umweltbedingungen sind deutlich häufiger in Ländern mit einer verantwortungsbewussten Führung anzutreffen. Dazu zählt auch, dass Menschen sich beschweren können, eine freie Presse über Probleme schreibt, Nichtregierungsorganisationen die Regierung kritisieren und dass es ein starkes Parlament gibt, vor dem sich die Regierenden für ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen. Der Öffentlichkeit fällt also die sehr wichtige Rolle zu, die Umweltschutzpolitik eines Landes kritisch zu begleiten. Und je mehr Macht die Öffentlichkeit hat, desto besser sind in der Regel die Umweltbedingungen.

KANN SICH DIE DRITTE WELT UMWELTSCHUTZ ÜBERHAUPT LEISTEN?

Bedeutet das dann umgekehrt: Umweltverschmutzung untergräbt die Stabilität einer Gesellschaft?


Genau das, und viele Regierende sind sich dessen bewusst, insbesondere in China. Lange Zeit dachten sie, sie könnten ihre Macht am besten mit der Schaffung neuer Jobs und schnellem Wirtschaftswachstum sichern. Heute weiß die Politik: Wachstum um jeden Preis wird zu einer Gegenreaktion in Form sozialer Unruhen führen.

Was ist für den Umweltschutz wichtiger: politischer Wille oder Geld?

Beides gleichermaßen. Vielen Entwicklungsländern mangelt es zunächst an finanziellen Ressourcen, um für sauberes Trinkwasser zu sorgen oder eine ordentliche Müllentsorgung zu organisieren. Die allmähliche Industrialisierung dieser Länder führt zu neuen Problemen, nämlich allen möglichen Formen der Umweltbelastung.

Die Symptome einer solchen Entwicklung beziehungsweise Überentwicklung sehen wir in China und anderen stark wachsenden Ländern. Doch unser Environmental Performance Index (EPI) und der vorherige Environmental Sustainability Index (ESI) zeigen ganz deutlich: Reichere Länder schneiden im Lauf der Zeit generell besser ab als ärmere. Weil sie die Mittel haben, in Umweltschutzmaßnahmen zu investieren.

Trotzdem gibt es auf jedem Niveau der Entwicklung Länder, die besser abschneiden als andere mit ähnlichen wirtschaftlichen und geografischen Voraussetzungen. Das zeigt: Eine verantwortungsbewusste Führung hat offenkundig Einfluss auf die Umwelt.

Costa Rica beispielsweise liegt im EPI weit vor Nicaragua. Deutschland und Frankreich rangieren deutlich vor ihrem Nachbarland Belgien ...


Es gibt viele weitere Beispiele. Die Belgier waren über ihre Platzierung in unserem Umwelt-Ranking schockiert. Sie dachten, sie würden sich auf demselben Niveau bewegen wie Deutschland und Frankreich. Wir aber hatten herausgefunden, dass Belgien deutliche Defizite zeigt, die nichts mit einem unterschiedlichen Wohlstand zu tun haben, sondern mit schlechter Staatsführung: Belgien hat veraltete Industrien, hohe Schadstoffemissionen, verseuchtes Grundwasser, eine Landwirtschaft, die große Schäden anrichtet, und ein schwaches Regulierungssystem. Vergleicht man Costa Rica und den Nachbarn Nicaragua, taugt die geografische Lage ebenfalls nicht als Erklärung für die ungleichen Umweltbedingungen. Während Costa Rica Umweltschutz ernst nimmt und gut investiert, enttäuscht die Regierung von Nicaragua in dieser Hinsicht. Das Land hat eine Menge Geld für Waffen und Kriege verschwendet und besaß nie die finanziellen Mittel, um Trink- und Abwassersysteme oder eine solide Müllentsorgung auf die Beine zu stellen.

Vor allem afrikanische Staaten haben enorme Finanzierungsengpässe. Sollten die Industrieländer dort für grundlegende Umweltschutzinvestitionen aufkommen?

Zunächst müssen alle Staaten ihre eigene Kosten-Nutzen-Analyse durchführen. Sie werden erkennen, dass Investitionen in den Umweltschutz bei geringem Kostenaufwand oft so große Dividenden abwerfen, dass sie es sich gar nicht erlauben können, nicht zu investieren. Sehr arme Staaten benötigen dennoch die Unterstützung der Weltbank und anderer multilateraler Förderbanken oder die Entwicklungshilfe reicherer Länder.

Einige Länder scheinen die positiven Effekte nachhaltiger Umweltpolitik trotzdem nicht erkennen zu wollen. Wie kann man sie in die richtige Richtung drängen?

Wir glauben, dass der Environmental Performance Index Ländern deutlich aufzeigt, wo sie Nachholbedarf haben. Und wir halten viel von der Veröffentlichung dieser Information, sodass die Länder sehen, wie sie im Vergleich mit anderen – vor allem Staaten mit ähnlichen Voraussetzungen – abschneiden. Zum Beispiel Haiti und die Dominikanische Republik: Während Haiti sich im EPI auf Rang 119 wiederfindet, liegt die Dominikanische Republik auf dem 33. Platz. Beide Staaten befinden sich auf der Insel Hispaniola, also macht Haiti offensichtlich etwas falsch. Nun hat das Land die Möglichkeit, von der Dominikanischen Republik und ihren Best Practices zu lernen.

Viele Entwicklungsländer verdächtigen die industrialisierte westliche Welt, sie wolle ihnen ihre Arbeits-, Sozial- und Umweltbedingungen nur aufzwingen, um die eigene Industrie vor Wettbewerb zu schützen. Trifft dieser Verdacht zu?

Zumindest in der Vergangenheit fürchteten Entwicklungsländer tatsächlich, dass jede Bestrebung, die Umweltstandards zu verbessern, versteckter Protektionismus sei. Ich glaube aber, diese Sichtweise ist überholt. Wenn Entwicklungsländer klug sind, investieren sie heute aus Eigeninteresse in den Umweltschutz. Trotzdem brauchen wir faire Rahmenbedingungen, die verhindern, dass sich ein Land ohne jegliches Umweltengagement Vorteile im Handel verschafft.

Wie belohnen wir Entwicklungsländer für nachhaltige Umweltpolitik? Indem wir Agrarsubvention und Einfuhrzölle abbauen?


Bei grundlegenden Umweltstandards sollte es nicht um Gegengeschäfte gehen. Aber im Geiste eines offeneren Handels sollten die Industrienationen Subventionen an ihre Landwirte kürzen, um Entwicklungsländern größere Chancen am Markt zu geben.

Trotz aller Anstrengungen bleibt es doch ein Dilemma: Die globale Wirtschaft muss wachsen, um den Bedarf der rasant wachsenden Weltbevölkerung zu stillen. Dafür werden mehr Energie und Rohstoffe benötigt, die Verschmutzung wird schlimmer, mehr Wald wird gerodet, und mehr Flüsse werden eingedämmt werden. Umweltschäden sind programmiert.

Wirtschaftliches Wachstum hat sicherlich negative Auswirkungen auf die Umwelt. Deswegen brauchen wir verantwortungsvolle Maßnahmen, um diese Auswirkungen zu drosseln – und zwar auf globaler Ebene.

Aber nehmen wir erneut China als Beispiel: Wie weit wird die Umweltzerstörung fortgeschritten sein, bis das Land ein Wohlstandsniveau erreicht, auf dem es sich nachhaltigeres Wirtschaften verordnet?


Wir sprechen in diesem Zusammenhang oft über die Umwelt-Kuznets-Kurve, eine Kurve in umgedrehter U-Form. Sie zeigt an, dass die beginnende wirtschaftliche Entwicklung eines Landes – was der X-Achse entspricht – zu steigender Verschmutzung führt – der Y-Achse. Wenn diese Länder aber ein mittleres Einkommensniveau erreicht haben, geht die Schädigung zurück. Entscheidend ist: Wie verkürzen wir die Kurve und machen sie flacher? Damit der Zeitraum, in dem die Umweltbelastung ansteigt, ebenfalls kürzer wird und die Ausmaße der Schädigung geringer werden.

Bereits 1928 warnte Mahatma Gandhi vor dem nicht nachhaltigen Konsumverhalten westlicher Prägung: „Gott behüte uns davor, dass Indien sich je nach westlichem Vorbild industrialisiert. (...) Großbritannien brauchte die Hälfte der Ressourcen unseres Planeten, um seinen Wohlstand zu erreichen. Wie viele Planeten wird erst ein Land wie Indien benötigen?“ Diese Frage erscheint heute aktueller denn je.

Richtig. Dass Indien, China und andere Entwicklungsländer den Lebensstandard von Europa, Japan, Nordamerika oder Australien anstreben, stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Chance ist, die Produkte, die wir kaufen, zu verändern. Denn die materiellen Wünsche der sich entwickelnden Welt können wir nicht aufhalten. Es ist ganz normal, dass Menschen Kühlschränke besitzen wollen, um ihre Lebensmittel sicher zu lagern, und dass sie die Mobilität eines Autos genießen möchten.

Die Lösung ist: Wir müssen Kühlschränke herstellen, die nur sehr wenig Energie verbrauchen, und Autos, die nicht die Umwelt verpesten. Deswegen müssen die Regierungen aller Länder die Menschen für die von ihnen verursachten Verschmutzungen finanziell deutlich stärker in die Pflicht nehmen. Solch eine Welt böte genügend Anreize, um Produkte herzustellen, die der Umwelt nicht schaden.

Aber selbst effizientere Produkte können das Problem der Umweltverschmutzung nicht lösen, wenn die Nachfrage nach Autos, Kühlschränken und anderen Produkten westlichen Lebensstils über die Maßen wächst.


Der Anspruch muss eben sein, ein Auto zu bauen, das nicht nur sparsamer fährt, sondern keinerlei fossile Brennstoffe verbraucht und dadurch keine Verschmutzung verursacht. Es würde einen deutlich kleineren Fußabdruck in der Umwelt hinterlassen ...

Das klingt wie eine Utopie.

Vielleicht auf Sicht von fünf bis zehn Jahren. Aber es scheint fast sicher, dass wir in den kommenden 20 bis 30 Jahren so ein Auto bauen können. Die Aufgabe von Regierungen ist es, klugen Menschen und Unternehmern Anreize zu geben, in vielversprechende Technologien zu investieren. Übrigens wurden bereits im vergangenen Jahr weltweit rund 100 Milliarden US-Dollar von Unternehmen in grüne Technologien gesteckt.

In der Zwischenzeit kämpfen Menschen in Entwicklungsländern täglich um ihr Überleben. Wie sollen die sich um CO2-Ausstoß und Recycling kümmern?

Zugegeben, arme Menschen haben kaum Handlungsspielraum, denn sie müssen als Erstes ihre Familien ernähren und für ein Dach über dem Kopf sorgen. Es ist schwer, Länder, die in der Frühphase ihrer Entwicklung stecken, zu überzeugen, Umweltprobleme ernst zu nehmen – vor allem, wenn es um solche langfristigen Veränderungen geht wie den Klimawandel. Aber es gibt heute viele Länder auf mittlerem Einkommensniveau, die ihre Armut deutlich reduziert haben und nun auf die Umwelt achten. Die ärmsten Staaten brauchen allerdings Unterstützung, damit sie die ersten grundlegenden Investitionen in den Schutz ihrer Umwelt leisten können.

Erwarten Sie rasche Fortschritte von China und Indien, die im EPI lediglich auf Rang 105 und 120 liegen? Diese wachsenden Wirtschaftssupermächte müssen schnell etwas tun, damit die Umwelt weltweit wirklich spürbar entlastet wird.


Ich glaube, China und Indien werden von anderen Ländern und deren Best Practices lernen. Tatsächlich haben sie damit bereits begonnen.

Chinas Regierung hat versprochen, den Energieverbrauch pro Einheit des Bruttoinlandsproduktes bis 2010 um 20 Prozent zu senken. Wird sie das Ziel erreichen?

Was verbesserte Energieeffizienz betrifft, hat sich China mit den angekündigten 20 Prozent ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Aber, das sage ich ganz offen, dieses Ziel ist nicht ambitioniert genug. China muss den gesamten Ausstoß an Treibhausgasen senken, nicht nur deren Wachstumsrate. Das Land unternimmt derzeit die ersten Schritte in Richtung einer ernsthaften Umweltschutzpolitik, aber der Weg ist noch weit.

Müssen wir darauf warten, dass China mehr tut? Oder können die entwickelten Länder größere Anstrengungen einfordern?


Ich glaube, der internationale Druck auf China wird steigen. Es ist ein großes und erfolgreiches Land mit riesigen Kapitalreserven. Die Welt erwartet von China, dass es einen Teil dieses Kapitals für besseren Umweltschutz einsetzt. Falls das Land das nicht tut, riskiert es in den Vereinigten Staaten, in Europa oder Japan seine Marktposition.

Wie können große westliche Unternehmen Vorbilder für Nachhaltigkeit in Entwicklungsländern werden?


Insbesondere Konzerne mit innovativen Produkten wie General Electric oder Siemens können als Vorbilder für den neuen Ansatz dienen, Umweltschutz als kommerzielle Chance zu betrachten. Sie sind betriebswirtschaftlich gut positioniert, weil ihre Produkte in diesem Bereich begehrt sind. Deshalb wird ihr Beispiel nachgeahmt werden. In Indien und China ist bereits eine wachsende Zahl an Firmen im Sektor grüner Technologien tätig.

Was aber ist mit Unternehmen, die keine Produkte wie Autos, Triebwerke oder Maschinen herstellen, die energieeffizienter gemacht werden können, sondern zum Beispiel Textilien, Beton oder Stahl? Eine grüne Herstellung dieser Produkte wird sich womöglich nicht in gleicher Weise auszahlen wie die Herstellung eines innovativen Produktes, das seinem Käufer Energiekosten spart.

Aus der Herstellung einer grüneren Version – eines welchen Produktes auch immer – können dennoch etliche Wettbewerbsvorteile entstehen: Grünere Fernseher und grünere Mobiltelefone sind Teil einer neuen Gesellschaft, in der Menschen für die von ihnen verursachten Umweltschäden zahlen müssen und deshalb auf Produkte bestehen, die die Umwelt gar nicht oder deutlich weniger schädigen als in der Vergangenheit.

Ich denke, es gibt für Firmen in der ganzen Welt genug Anreize, sich beim Umweltschutz deutlich mehr anzustrengen und dabei wettbewerbsfähig zu bleiben. Für alle Länder gilt: Investitionen in Umweltschutz zahlen sich aus.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.