Michael Steinbeis

Der Familienunternehmer Michael Steinbeis half in den Siebzigerjahren dem ersten Recycling-Papier auf den Markt. Doch zum Gründer wurde er erst, als er in Rente ging.




Vor einigen Jahren hockten zwei Männer zusammen und unterhielten sich. Der eine groß gewachsen, mit weißem Bart und randloser Brille. Der andere trug seine Haare wie Columbo und legte, genau wie der TV-Inspektor, den Kopf schief, wenn er etwas ahnte. Beide Männer konnten gut zuhören, vor allem aber gut miteinander denken. Und so dachten sie darüber nach, wie man ein Wohnviertel nachhaltig beheizen kann.
„Mit Holz“, sagte der eine.
„Mit Nahwärme“, sagte der andere.
„Mit einem Heizhaus, das was hermacht.“
„Und das den Anwohnern nützt.“
„Eine Heizung, schnell befüllbar mit Brennstoff – und das ohne eine Staubwolke.“
„Und wo man die schwere Asche nicht rausschleppen muss wie bei meiner Pelletheizung zu Hause.“

Die beiden Männer waren Freunde, sie dachten zudem nachhaltig und praktisch, und da beide auch noch Unternehmer waren, gründeten sie ein gemeinsames Sub-Unternehmen: die B&O Saatinvest Heizhaus ohg, die irgendwann in EcoCont GmbH & Co. KG umbenannt werden soll. Ihr gemeinsames Unternehmen produziert und verkauft die „Heizikone“, eine pfiffige Hackschnitzelheizung in einer schönen Hülle. Und angesiedelt ist es auf jenem Gelände in Bad Aibling, von dem in diesem Heft immer wieder die Rede ist.

Einer der Männer war der B&O-Chef Ernst Böhm. Von dem anderen handelt diese Geschichte.

Der Mann stellt sich nicht vor mit Worten wie: „Ich heiße Michael Steinbeis, bin 73 Jahre alt und war bis Juli 2010 im Aufsichtsrat der Steinbeis Holding.“ Oder: „Ich bin Gründer und Aufsichtsratsmitglied der Ecolohe AG in Bad Aibling.“ Man atmet erst mal tief durch, wenn man seinen ersten Satz hört: „Ich bin aufgewachsen in einem Familienunternehmen, ich war buchstäblich von Geburt an dazu bestimmt, darin zu arbeiten, bin dafür ausgebildet worden und habe meine Lebensarbeitszeit ausschließlich hier verbracht.“ Punkt.

Ein Satz, vollgestopft mit Familie, Pflicht und Verantwortung. Werte, die das eigene Wollen ins zweite Glied rücken – so sehr, dass Michael Steinbeis den eigenen Namen hintanstellt, wenn er über Michael Steinbeis spricht. Gegenüber anderen Managern und börsengelisteten Unternehmen, hat er einmal geschrieben, „war es mir immer peinlich, Namensträger zu sein“. Steinbeis ist ein großer Name in der Papierbranche. Zu Spitzenzeiten hat die Gruppe umgerechnet fast eine halbe Milliarde Euro umgesetzt. Da war Michael Steinbeis schon mitten im Geschehen.

Wenn ein Urahn für seine Verdienste um die Eisenindustrie im Königreich Württemberg persönlich geadelt wird; wenn dessen Sohn im Königreich Bayern ein Dampfsägewerk errichtet, ein zweites kauft und Wälder im Inntal dazu, schließlich eine Papierfabrik erwirbt und eine Zahnradbahn auf den Wendelstein bauen lässt; wenn dessen Sohn geschäftlich ins Straucheln gerät und sich in der Weltwirtschaftskrise das Leben nimmt; wenn wiederum dessen Söhne mithilfe ihres loyalen Finanzdirektors fast alles verkaufen, aber nach 1945 mit einer kleinen Papierfabrik und der Zahnradbahn erneut im Begriff sind, einen Konzern aufzubauen – dann ist für einen Stammhalter im Nachkriegsdeutschland der Weg deutlich gesteckt. „Die Frage, was ich mal mache, hat sich mir nie bewusst gestellt“, sagt Michael Steinbeis.

Sein Leben schien vorbestimmt. Der nach Bayern einwandernde Urahn war Jahrgang ‘39 und wurde mit 24 Jahren erster Geschäftsführer der Firma Otto Steinbeis & Consorten. Michael Steinbeis ist ebenfalls Jahrgang ‘39 und 24, als er am 2. Mai 1963 ins Unternehmen eintritt – 100 Jahre später. Doch schließlich brach Steinbeis das Muster und gründete 2007 eine eigene Firma: die Ecolohe GmbH in Bad Aibling, die sich mit der Umwandlung von Biomasse in Energie beschäftigt. Was ihn dazu trieb? Er hat die Frage natürlich erwartet.

Er ist 73, doch das leicht lächelnde Gesicht scheint das eines Mittsechzigers zu sein. „Ein Motiv war, einmal ganz allein Unternehmer und nur sich selber verantwortlich zu sein“, sagt er. „Ein Leben lang habe ich in einer Firma gearbeitet, die zwar nicht Tausenden von Aktionären gehört, aber doch einer Familie mit mehreren Dutzend Mitgliedern – da ist man sehr eng eingebunden und muss Rücksicht nehmen.“ Als Michael Steinbeis dort aufhörte, hat er es genossen, etwas neu anzufangen. „Ganz allein, mit meinem eigenen Geld.“

Ein Haus am Hang im heimeligen Brannenburg, Steinbeis sitzt auf dem Sofa. Auf dem Beistelltisch liegen ein Buch über Mendelssohn und eines über Finanzmärkte – die beiden Seiten des Michael Steinbeis, der ab und an mit dem Cello seine Frau Marie begleitet, wenn sie am Flügel sitzt. An der Wand hängt
groß eine schneebedeckte Voralpenlandschaft. „Der Maler ist ein Freund von uns“, sagt Steinbeis. Der Hausherr, gutes Abitur, kein Studium, ist ein Bildungsbürger. „Mein Vater hat nicht studiert und auch bei mir ein Studium für überflüssig gehalten. Das habe ich dann so gemacht. Ein Ingenieurstudium hätte mich vielleicht interessiert, aber ich glaube, nichts verpasst zu haben.“

Der Vater verlangt ihn, der sohn hat ihn: schneid

Hermann Steinbeis nahm den kleinen Michael früh mit auf seine Kontrollgänge zur Druckpapiermaschine. „Der Geruch einer Papierfabrik berührt mich noch heute, das ist sehr vertraut“, sagt Steinbeis. Sein Vater war „ein leidenschaftlicher Papiermacher“, der neugierig war auf neue Produkte und sich früh traute, seine Sparten breit aufzustellen und wenig zentral zu lenken. Seine erste Papiermaschine schaffte maximal 5000 Tonnen im Jahr (Steinbeis Papier GmbH im März 2012: 266 000 Tonnen), aber schon bald wurde die zur Steinbeis-Gruppe gehörende Firma Zweckform für ihre Formulare und Durchschreibebücher bekannt und die ebenfalls zu Steinbeis gehörende Firma Gessner für ihre Staubsaugerbeutel und Autofilter. Die Unternehmensgruppe entwickelte selbstklebende Etiketten, grafische Papiere und Chemie-Cellulose aus Baumwollfasern.

„Groß sein in kleinen Märkten“ hieß das Nischen-Motto, und Michael machte fleißig mit: Er experimentierte an einem Bodenbelag aus Zellstoff, Latex und Kork, der PVC tragen konnte. Doch bevor seine Versuchsreihe sich auszahlte, bremste ihn der Zeitgeist: PVC kam aus der Mode, stattdessen kuschelten sich Teppiche in die Wohnlandschaft der Siebzigerjahre. Michaels Flop kostete die Firma mehr als eine Million D-Mark – „mein Vater hat das aber geschluckt, ohne mit der Wimper zu zucken, und mich zu weiteren Anläufen ermutigt“. Der Senior hatte seinen Sohn auch stets mit in die Berge genommen und „Schneid“ von ihm gefordert. Das hieß zum Beispiel, „einen steilen Skihang im Schuss hinunterzufahren, auch wenn es in einem fürchterlichen Sturz endete. „Das habe ich ein bisschen aufs Geschäft übertragen“, sagt Michael Steinbeis.

Er zeigte bald wieder Schneid. 1974 kaufte sich Steinbeis beim Konkurrenten Temming ein und ließ dort als weltweit erste Fabrik ein Druckund Schreibpapier entwickeln, das zu 100 Prozent recycelt war. Von selbst verkaufte sich das allerdings nicht. Steinbeis, inzwischen Mitte 30 und Vater dreier Kinder, zog erfahrene Mitarbeiter des Markenartiklers Zweckform hinzu und moderierte die Verständigung mit den eher technik-affinen Papiermachern. „Die Marketingleistung bestand darin, ein Papier, das nicht so weiß war wie üblich, zu einem nur wenig niedrigeren Preis zu verkaufen – mit dem Argument, die Ressourcen zu schonen“, sagt Steinbeis. „Wir haben einen Markt für RecyclingPapiere geschaffen, gegen den Widerstand der übrigen Druckpapier-Industrie. Denn die wollte sich natürlich nicht in die umweltfeindliche Ecke stellen lassen.“

Heute hat die Papierindustrie eine Recyclingquote von 70 Prozent und spart Wasser und Energie, wo sie kann. Damals aber waren ihre Fabriken Dreckschleudern, die die Grenzen des Wachstums strapazierten – bis Steinbeis kam. Das Papier wird zu einer Erfolgsstory, zumal es bereits Ende der Achtzigerjahre, wie die »Süddeutsche Zeitung« urteilte, „nichts mehr von dem Arme-Leute-Aussehen von einst“ hatte. Aus rund 100 Millionen Mark Umsatz in den Siebzigern werden Ende der Achtziger fast 700. Wenig später sind es bereits 900 Millionen Mark. Heute ist Altpapier die tragende Säule des Familienunternehmens.

„Ein schöner Erfolg“, sagt Steinbeis, und seine Stimme klingt, wie Konstantin Wecker singt: voll, bayrisch und aus der Kehle heraus. Allerdings liegt Steinbeis statt Scharfzüngigkeit und Pathos eher ein Wertkonservatismus nahe. Die Firma soll nicht 25 Prozent Rendite einfahren, das lehnt er als raubtierhaft ab. Drei Prozent pro Jahr plus Inflationsausgleich plus Ausschüttungen sind genug und realistisch.

Von Wäldern und Sägewerken über Spezialpapiere zu nachhaltig produziertem Altpapier: Die Steinbeis-Story stampft wie ein Güterzug durch die Geschichte der deutschen Industrialisierung. Es geht über Hügel und durch Täler. Die Lokomotive koppelt Waggons an, wenn die Strecke es zulässt, und koppelt welche ab, wenn der Zug an Fahrt verliert. In der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre bleibt nur eine Papierfabrik und die WendelsteinBahn übrig, die in den Sechzigern verkauft wird. Eine Fabrik in Brasilien für die Produktion von Autofiltern wurde 1984 wegen mangelnden Erfolgs ebenfalls veräußert.

In den Neunzigerjahren wird die Steinbeis-Gruppe von der Globalisierung bedrängt. Große internationale Altpapierkonzerne wollen dem Emporkömmling die Sparte abkaufen. „Doch statt die Auktionssituation zu nutzen“, sagt Michael Steinbeis, „empfanden wir die Angebote als Versuche einer feindlichen Übernahme.“ Er reagiert wie sein Vater Hermann, als Herlitz in den Sechzigerjahren Zweckform kaufen wollte: Unwirsch lehnt er ab. Man werde selber international.

Diesmal aber lehnt sich Steinbeis zu weit aus dem Fenster. Das Unternehmen nimmt viel Geld für Investitionen in die Hand, aber, nachträglich betrachtet, nicht genug. Das neue Terrain ist schwierig, die Preise für Papier gehen in den Keller, eine neue Maschine läuft nicht rund – und schon nach wenigen Jahren steht das Unternehmen kurz vor dem Konkurs. Die Familie beschließt: Waggons abkoppeln. Also: auf Kernkompetenzen konzentrieren.

Die Holding verkauft gleich drei Sparten an US-Wettbewerber. Mit dem Geld globalisiert Steinbeis seine vierte: Fabriken von den USA bis China sollten Verpackungen drucken, dass die Maschinen glühen. „Wir haben dafür international erfahrene Manager eingestellt, die konnten die Fremdsprachen ganz toll“, spottet der Unternehmer. Leider hatten sie keine Ahnung von Etiketten. Steinbeis konnte nicht kundenbezogen genug liefern. Drei Jahre dauerte der Stress, dann wurde auch Waggon Nr. 4 abgekoppelt. Das war 2004.

Michael Steinbeis hat jetzt die Arme vor der Brust verschränkt. Man merkt ihm die turbulenten Jahre noch an. „Auch den Verpackungsdruck konnten wir durchaus mit gutem Gewinn verkaufen, an einen kanadischen Mitbewerber. Aber diese Krisen haben unser Vertrauen erschüttert: in uns als Unternehmerfamilie und in unser Glück als Investoren.“

Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, beim Enkel zerfällt’s? „Natürlich haben wir alle die ,Buddenbrooks‘ gelesen. Läuft das jetzt bei uns auch so?, haben wir uns gefragt. Mit Zerwürfnissen der Familie, Verzogenheit und so weiter?“ Es gab Krisentreffen auf Krisentreffen, viele der mittlerweile 40 Familienmitglieder in der Holding ließen sich auszahlen. „Ich war wirklich gespannt, was passieren würde“, sagt Steinbeis. „Früher hatten wir alle nicht viel Geld, das steckte immer in der Firma. Aber obwohl es nun möglich gewesen wäre, hat sich keiner eine Jacht gekauft oder einen Porsche. Alle haben ihr Geld zusammengehalten. Meine Schwester hat einen Kunstverlag erworben, ich meine Firma gegründet. Alles keine ethischen Katastrophen, denke ich.“

Das schlechte Gewissen der vierten Generation

Steinbeis fährt Mercedes, einen kleinen, er bewohnt ein schönes Haus, aber keinen Palast. Eine Wagner-Partitur liegt im Flur, nicht scheinbar nachlässig auf dem Kaffeetisch platziert. Im Norden wird eine solche Lebensführung gern „hanseatisch“ genannt. Der Hausherr sieht darin eher die „Steinbeis-Kultur“, die stets auch für die Firma galt: eine Mischung aus Fleiß, Sparsamkeit, Realismus und Menschenfreundlichkeit. Das Erbe seines im Schwarzwald geborenen Urgroßvaters Otto? „Durchaus“, sagt er, „der hat seine protestantischen Werte ins katholische Bayern mitgebracht und hier die Industrialisierung eingeläutet. Er ist immer ein geachteter, aber ungeliebter Außenseiter geblieben.“ Eine Rolle, der die Familie in der Region bis heute nicht entkommt.

Draußen stecken die Voralpen ihren Großen Riesenkopf (1337 Meter) in die Wolken, die Rotbunten grasen die Wiese vor dem Haus ab wie eh und je. Steinbeis braucht das. Nur einmal in seinem Leben ist er länger fort gewesen. „Zweieinhalb Jahre in Hamburg – aber das Leben in der Großstadt war nichts für mich. Mir fehlten die Berge. Und das Bayrische. Für einen Unternehmer ist das ziemlich luxuriös. Passt eigentlich nicht zum Image.“

Es passt eher zu einem Erben, und das hat ihn zeitlebens beschäftigt. Er hatte stets einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber denen, die sich hochgeboxt hatten. „Wenn Sie so wollen, ist es das schlechte Gewissen der vierten Generation. So aufgewachsen zu sein, dass man sich nicht mehr die allergrößten Härten zumuten muss. Das ist vermutlich etwas, das jeden Erben umtreibt: Womit rechtfertige ich das? Ich habe nur selten am Rande meiner Kräfte gearbeitet.“

Ganz anders als etwa sein Urgroßvater – der mythische Ursprung der Steinbeis-Saga. Otto Steinbeis hatte ab 1863 im Inntal 7000 Hektar Forst bewirtschaften und die Erträge zu Bauholz, Eisenbahnschwellen und Telefonmasten sägen lassen, die im sich industrialisierenden Bayern benötigt wurden; er hatte 1875 ein Dachziegelwerk errichtet, das Ersatz liefern konnte für die brandgefährdeten und deshalb nun verbotenen Schindeldächer; und 1890 hatte er die „Consorten“ ausgezahlt, weil er Alleininhaber der Firma sein wollte. Er ist zu der Zeit Anfang 50 und offen für neue Ideen. Also hebt Otto den Finger, als die k. u. k. Regierung Österreich-Ungarns die Urwälder des erst kürzlich besetzten Bosniens erschließen will.

Das Neuland reizt den Ingenieur. Für ein mehrere Hundert Kilometer langes Schienennetz überbrückt er Schluchten und trassiert Steilhänge. Bald transportieren seine Schmalspurbahnen 450 000 Festmeter Tannenund Fichtenholz im Jahr zum Adriahafen Rijeka, von dort verschifft die „Steinbeis“, ein firmeneigener Dampfer mit 2500 Bruttoregistertonnen, die gesägten Bretter nach Rotterdam und Bremen.

Otto schläft monatelang in einer Hütte in den Wäldern, er plant und rechnet und scheffelt Goldmark. Viereinhalb Millionen davon wird er in die Zahnradbahn, ein E-Werk und ein feines Jugendstil-Hotel auf dem Wendelstein stecken. „Das zahl’ ich aus meinem linken Westentascherl“, soll er damals geprahlt haben, aber vielleicht ist das auch nur gut erfunden. „Jedenfalls setzte er sich mit der Bahn ein Denkmal“, sagt Michael Steinbeis. Und der Rest des Vermögens? Den Besitz auf dem Balkan enteignete nach dem Ersten Weltkrieg das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Die übrigen Millionen fraß die Inflation 1923 dem glücklosen Sohn Ferdinand weg. Otto war 1920 gestorben.

Die Kinder sollen selbst entscheiden, was sie wollen

Familienunternehmen, die etwas auf sich halten, pflanzen ihren Kindern den Sinn für die eigene Geschichte von klein auf ein – genau wie Adelshäuser. Denn in der Historie liegen die Kraft, die Helden, die Vorbilder für die eigene Karriere. Bei den Steinbeis’ beginnt das mit den bloßen Namen: Zwischen 1807 und 1977 folgt auf Ferdinand von Steinbeis sein Sohn Otto, dann wieder Ferdinand, dann wieder Otto. Erst nach ihm und seinem Bruder Hermann, Michaels Vater, bröckelt die Zeit der großen Patriarchen.

Michael Steinbeis ist kein Patriarch. Er sagt: „Eltern sollten den Kindern das Thema ,Firma‘ und deren Traditionen und Werte nicht aufzwingen.“ Das klingt gut und richtig, aber er musste das erst aus der eigenen Vita lernen. Im Wohnzimmer in Brannenburg stehen die Fotos von fünf Enkeln. Sie haben alle gleichzeitig Großmama und Großpapa im Sommer besucht, 14 Tage lang. Michael Steinbeis und seine Frau haben eine Tochter, einen Sohn, noch eine Tochter. Alle haben sie studiert, sind Historikerin, Jurist, Psychologin geworden, und alle wohnen sie im fernen Berlin. Sohn Maximilian sitzt im Aufsichtsrat der Holding. „Max schreibt auch Romane, bringt aber einen guten Blick von außen in den Rat. Und die Jüngste überlegt jetzt, bei Ecolohe einzusteigen“, sagt Michael Steinbeis und nickt vor sich hin.

Vielleicht habe ihn bei seiner Firmengründung der frühere Waldbesitz der Steinbeis’ unterschwellig beeinflusst. „Solange ich in der Holding aktiv war, hatte ich, obwohl ich Papiermacher bin, nie die Idee, mich mit Holz zu beschäftigen. Das kam erst jetzt wieder.“ Dass Ecolohe regional arbeitet und Steinbeis nicht auf Flughäfen herumhocken muss, dass er Brotzeit mit Bauern machen, viel zu Hause und im Wald sein kann – all das kommt dem Erdund Bergverbundenen entgegen. „Es ist auch nicht so, dass ich mit der Firma wahnsinnig Geld verdienen will. Man will halt auf lustige Weise beschäftigt sein in diesem Alter, hmm?“

Der 73-Jährige lächelt wie Columbo. „Genau wie mein Urgroßvater mit seiner Wendelsteinbahn.“

„Die Alten damals, die Pioniere der touristischen Erschließung der bayerischen Alpen, hatten noch Zahnradbahnen gebaut“, schreibt Maximilian Steinbeis in seinem Roman „Pascolini“. „Diese brachial in den Fels getriebenen Trassen und Tunnel, diese schwindelerregend kühl über die Schluchten gespannten Viadukte, dieses sture, die Gegenwehr des Geländes mit übermächtiger Gewalt niederringende Vorbohren und Eindringen ins noch so Unwegsame.“ Eine wunderbare Metapher für die Gründer und ihre Zeit.

Hätte Michael Steinbeis sie gern zurück, die Bahn, die gerade ihren 100. Geburtstag gefeiert hat? Er, den Kopf schief, überlegt nicht lang. „Lieber das E-Werk.“ Und den Wald dort drüben am Riesenkopf, verkauft 1932? „Den schon. Aber in Deutschland würde ich heute keinen Wald mehr kaufen – viel zu teuer. Und dafür sind die Steinbeis auch zu sehr aktive Unternehmer: Wenn Sie Ihr Geld in Bäume stecken, können Sie sich erst mal nicht mehr rühren, der Cashflow ist minimal.“ Er überlegt kurz. „Nein, wenn schon Wald, dann müsste man wieder nach Bosnien. Wenn ein Junge bei uns sagen würde: ,Ist mir zu langweilig hier‘, und sich entschließen würde, da runterzugehen – das fänd’ ich toll! Oder auch nach Russland. Da haben Sie zwar ein enormes Risiko, aber auch uferlose Chancen. Das ist wie in den USA vor 150 Jahren.“

Oder wie in Oberbayern. 2013 wird das Unternehmen Steinbeis 150 Jahre alt. Heute besteht es nur noch aus der Steinbeis Papier GmbH in Glückstadt, Europas Marktführer für Büround Magazinpapiere aus Altpapier (Umsatz Stand März 2012: 184 Millionen Euro). Im Frühjahr hat das Unternehmen erklärt, dem frisch aus der Taufe gehobenen Deutschen Nachhaltigkeitskodex zu entsprechen – als erstes Industrieunternehmen überhaupt. Und die Steinbeis Gruppe mit ihren 378 Mitarbeitern strickt an einem neuen Konzept. „Wir sind dabei, uns vom Altpapier in andere Bereiche der Abfallund Recyclingtechnologie zu diversifizieren“, sagt Michael Steinbeis. „Insbesondere die Energieerzeugung ist interessant. Wir investieren in Windkraft, Solarparks und Bioerdgas.“

Seine eigene Firma Ecolohe meint er damit weniger, die ist mit geplanten zwei Millionen Euro Umsatz derzeit noch ein Leichtgewicht in der Branche. Eher denkt er an das neue Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, das auf dem Gelände in Glückstadt steht, Abfall aus der Papierherstellung verbrennt und damit die Fabrik mit Energie versorgt. Steinbeis könnte bald „urban mini-mills“ projektieren, Verwertungsanlagen für Ballungszentren, deren Größe auf die jeweilige Kommune abgestimmt ist und die zusammen mit ihr und ihren Bürgern betrieben werden.

Das würde passen zur derzeitigen Renaissance der Stadtwerke und zum stetig populärer werdenden Genossenschaftsgedanken. „Diese Stimmung sollten wir nutzen“, sagt Michael Steinbeis.

Er sagt immer noch „wir“, wenn er von der Firma spricht.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.