B&O

Es ist schwül, gerade hat es wieder geregnet. Aus dem Asphalt des ehemaligen US­Stützpunktes Bad Aibling im Herzen Oberbayerns wabern kleine Dampfsäulen in den Himmel. Drum herum ist viel Landschaft und Stille und Geschichte auf dem parkähnlichen Areal, das B&O 2005 gekauft hat. An der Einfahrt, wo früher die Wachposten der GIs standen, tippen ein paar kichernde Teenager in ihre Smartphones. Hinter einer Baumgruppe wühlt sich ein Bagger in die Erde.




Erst Fliegerhorst der Nazis, dann Gefangenenlager der US-Army, schließlich Abhörzentrale der USA – jetzt wird in Bad Aibling Zukunft gemacht. Eine Stadt aus Holz entsteht hier, eine Nullenergie-Stadt: Arbeiten und Wohnen im Einklang mit der Natur, Raum und Ruhe für die Bewohner. Die „City of Wood“ ist ein Experiment – auch für die Zukunft von B&O und für Bad Aibling.

Die mächtigen Baumstämme, die entlang der Wege und auch quer über den Straßen platziert sind, könnte Obelix hingeworfen haben, so riesig sind sie. Tatsächlich hat sie der Bauherr hier ablegen lassen. Sie sind Teil der Philosophie des heutigen Geländes. Man hätte natürlich Geschwindigkeitsbeschränkungen erlassen oder die Fahrbahnen verengen können. Aber so eine massive Pappel, bei Bedarf quer über die Fahrbahn gelegt, erfüllt auch diesen Zweck, ökologisch korrekt und hundert Prozent bio.

Ähnliches gilt für die Lärmschutzwand am Rande des Campus. Normalerweise muss so ein Wall von einem Statiker geprüft und von einer Behörde genehmigt werden. Einen Holzstapel aber darf jeder errichten. Selbst dann, wenn er aus Baumstämmen aufgetürmt und so massiv ist wie eine mittelalterliche Stadtmauer. Und den Lärm schluckt er mindestens so gut wie die Konkurrenz aus Stahlbeton.

Ernst Böhm, 55, Geschäftsführer von B&O, ist ein höflicher, hochgewachsener Mann voller Visionen, der viel und gern über seine Ideen und am liebsten gar nicht über sich selbst reden mag. Er sitzt in seinem Büro in „Holz 8“, dem fast ausschließlich aus Holz errichteten und mit acht Stockwerken höchsten Büro- und Wohnhaus Deutschlands, in das B&O seine Firmenzentrale von München aus verlegt hat. Mitten in diese 70 Hektar locker bebaute Parklandschaft mit Baumgruppen und Gebäuden.

Der Blick auf den Campus, auf dem die „City of Wood“ stetig wächst, wird oft durch die Arme des Geschäftsführers verdeckt, der gestikuliert, um zu demonstrieren, was wo demnächst noch entstehen soll. Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser aus Holz beispielsweise, für die gerade der Architektenwettbewerb abgeschlossen wurde. Oder das Begegnungszentrum für die etwa 400 Menschen, die hier einmal wohnen könnten, in dieser sich selbst mit Energie versorgenden Gartenstadt, die Alt und Jung, Arm und Reich, Arbeit, Wohnen und Leben miteinander vereinbart.

Manchmal klingt das wie eine Vorlesung über die Integration und Vernetzung neuer Technologien. Es geht um Solarthermie und dezentrale Wärmepumpen, um Fotovoltaik und Holzhackschnitzel, um Klimaneutralität, Energieeinsparung und energetische Sanierung. Nicht mehr lange, dann soll es hier um 800 Arbeitsplätze, 200 Wohnungen, 300 Kinder in unterschiedlichen Einrichtungen, um Schulen und Ausbildungsplätze, um Tagungsgäste, Besucher und ja, vielleicht auch um Nachahmer gehen. Denn tatsächlich geht es B&O um nicht weniger als darum, auf diesem Gelände im Kleinen die funktionierende Stadt von morgen zu bauen.

Das Unternehmen hat Mitstreiter gefunden: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie fördert das Projekt. Die Hochschule Rosenheim kümmert sich um das energetische Monitoring. Für B&O ist es eine Win­win­Situation. Was sich hier bewährt, ist wenig später Standard bei den Sanierungsprojekten im Rest der Republik. Denn hier kann der Dienstleister der Wohnungswirtschaft seine Handwerker ausbilden, Materialien testen, Abläufe üben und verbessern – das Parkgelände in Bad Aibling ist Versuchsgelände, Labor und Utopie.

Zehn der 30 Gebäude, die von den US­Streitkräften hinterlassen wurden, sind inzwischen nach dem neuesten Stand der Technik saniert, zu Wohnungen oder Büros umgebaut und an das eigene Nahwärmenetz angeschlossen worden. Dazu kommen ein Hotel, ein Solarpark, der Strom für 770 Haushalte erzeugt, und die „Heizikone“, ein Biomasseheizwerk für die Wärmeversorgung, gestaltet vom italienischen Designer Matteo Thun.

Firmen haben sich angesiedelt. Es gibt zwei Kindergärten, eine Schule, ein Sportinternat und eine Bowlingbahn. 150 Menschen haben auf dem Campus schon heute eine Wohnung und einen festen Arbeitsplatz gefunden. Seit 2005 zieht die City of Wood immer mehr Bewohner, Unternehmen und Initiativen an, wächst und gedeiht, wird autarker und runder.

Eigentlich sollte auch ein Windrad Energie liefern und mit seinem Standort auf „Holz 8“ das Hochhaus krönen. Aber dann wäre es höher geworden als die Kirchtürme im nahen Mietraching. Und das, sagt Bad Aiblings Bürgermeister Felix Schwaller, 59, „das haben wir dann doch nicht genehmigen können“. Bei den neuen Straßennamen auf dem Gelände einigte man sich auf Widerstandskämpfer gegen das NS­Regime. „Das war uns schon wichtig“, sagt Schwaller. Denn das Parkgelände in Mietraching hat eine Vergangenheit, speziell sein Campus.

1936 errichteten die Nationalsozialisten hier einen Fliegerhorst. Nach dem Krieg übernahmen die Amerikaner den Platz und quartierten auf ihm das größte Durchgangslager für deutsche Kriegsgefangene ein. Später wurde auf dem Gelände eine der wichtigsten Abhörstationen der USA gebaut, mit der man den Feind jenseits des Eisernen Vorhangs belauschte. Bis zu 1000 Soldaten lebten damals im Schatten der riesigen weißen Kugeln, die aussehen, als hätte der liebe Gott ein halbes Dutzend gigantische Golfkugeln fallen lassen. Unter ihnen waren die Parabolantennen vor Regen und neugierigen Blicken geschützt. Als die Amerikaner 2004 abzogen, wurden die Gebäude nicht mehr gebraucht. Bad Aibling hatte plötzlich sehr viel Platz und ein paar Probleme.

Keiner wusste so recht, wer oder was nach dem Militär kommen sollte. Die Sportanlagen der Amerikaner übernahm die Gemeinde. Der Rest, rund 60 Hektar, lag brach. „Da war es schon ein Segen, dass B&O kam“, sagt der Bürgermeister. Auch wenn die Gemeinde die Pläne zunächst „etwas skeptisch betrachtete“. Der Herr Böhm habe wirklich viel Fantasie und Visionen und „mit Architektur, da kennt er sich aus“. Man hat sich gut zusammengerauft: „Als Gemeinde muss man auch flexibel sein.“

Flexibilität ist in Bad Aibling auch künftig gefragt. Denn so viel ist sicher: Es wird weitergehen in der City of Wood.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.