Ein drolliger Gewerbekomplex

Die Gartenstadt ist die große Utopie der britischen Stadtplanung. Sie verbindet architektonische, wirtschaftliche und soziale Ideen. Doch in England sind Gartenstädte aus der Mode. Die aktuellen Siedlungen wären gern ökologisch korrekt oder sind schlicht Nostalgie.




Ich folge unauffällig einem japanischen Touristen, der einen Kreisverkehr fotografiert. Natürlich keinen normalen Kreisverkehr, nein, den ersten in Großbritannien – gebaut 1909 in Letchworth Garden City, einer geplanten Stadt, die einen Wendepunkt im modernen stadtplanerischen Denken darstellt und deshalb bis heute Menschen aus aller Welt anzieht, die sich für geplante Städte interessieren. Es ist ein guter Kreisverkehr. Wenn auch ein kleiner ...

Ein Zug von Londons King’s Cross hat mich und den Touristen an einem sehr ordentlichen Bahnhof entlassen. Vor uns liegt einen breite Allee, gesäumt von Linden und Buchenhecken, und ein großer, eher zweckmäßiger Brunnen. Die Straßen gehen radiär und akkurat von dieser zentralen Ader ab. Eine der Straßen hinunter, dem Japaner mit seinem Stadtplan hinterher, singen Vögel in den Bäumen, die weiß verputzten Hausfassaden schauen uns heiter an. Letchworth mit seiner komischen, anrührenden Liebe zu Kreisverkehren sieht aus wie eine englische Vorstadt aus dem Bilderbuch. Als Vorstadt war es allerdings überhaupt nicht geplant.

Zum Ende der Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts manifestierte sich in der Literatur und der Kunst das britische „Arts and Crafts Movement“. Sowohl der Kritiker John Ruskin als auch der Designer William Morris hatten zuvor sehr detailliert über die Defizite der Industriegesellschaft geschrieben, doch die größte öffentliche Aufmerksamkeit bekam Morris’ „News from Nowhere“ (1890), die „Kunde von Nirgendwo“. In dem romantisch sozialistischen Werk wurde eine auf gemeinsamem Besitz und Demokratie basierende Zukunftsgesellschaft entworfen. In Morris’ Vision gab es kein Geld, keinen Privatbesitz, keine Klassengesellschaft und vor allem keine großen Städte.

England, so schrieb er, „ist derzeit ein Garten, in dem nichts verdorben ist und nichts verschwendet wird (...)“ Sich auf eine (imaginierte) Vergangenheit besinnend, fuhr er fort: „Wie im Mittelalter mögen wir alles sauber und ordentlich (...), wie Menschen es tun, wenn sie an die Macht der Architektur glauben (...)“. Nach Erscheinen des Buches scheiterte eine Reihe von Experimenten gemeinschaftlichen Lebens, ohne eine Spur zu hinterlassen. Doch irgendetwas, das in den Worten des Schokoladenfabrikanten und Planers von Bournville, George Cadbury, widerhallt, der sagte, dass „niemand dazu verdammt sein soll, dort zu leben, wo keine Rose wächst“, hatte in Großbritannien Wurzeln gefasst.

Das Beste aus beiden Welten

Es war ein anderer utopischer Roman, „Looking Backward: From 2000 to 1887“ (Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887) von Edward Bellamy, der auf den Stenotypisten Ebenezer Howard derart verstörend und inspirierend wirkte, dass er den Rest seines Lebens der Planung und Realisierung des Garden City Movement, der Gartenstadt­Bewegung, widmete. Letchworth wurde sein Prototyp.

Howard fasste seine Idee in dem berühmten Planungsdiagramm „The Three Magnets“ zusammen, in dem Land und Stadt zur Land­Stadt zusammenfließen und so das Beste beider Welten verbinden. Für Howard litten die Städte an Überfüllung, fehlender Natur, Alkoholismus und Verschmutzung. Das ländliche Leben dagegen war gesund, doch es mangelte an Arbeitsplätzen und damit der Möglichkeit eines ordentlichen Einkommens. Im Jahr 1898 veröffentlichte Howard das kaum wahrgenommene „Tomorrow – A Peaceful Path to Real Reform“, das 1902 sehr viel erfolgreicher unter dem Titel „Garden Cities of Tomorrow“ (Gartenstädte in Sicht) wiederveröffentlicht wurde.

Howards Utopie war eine Gartenstadt mit 30 000 Einwohnern, die von einem Agrargürtel mit weiteren 2000 Einwohnern umgeben wäre. Im Zentrum der Stadt sollte sich ein Garten befinden, der zu Fuß in nur fünfzehn Minuten zu durchqueren wäre. Arbeitsplätze würde eine Leichtindustrie bringen, die mit lokalen Materialien lokale Bedürfnisse befriedigt.

Leider waren zu Beginn dieses Projektes, das Letchworth werden sollte, statt der vorgesehenen 300 000 Pfund aus philanthropischen Quellen nur 40 000 Pfund zusammengekommen. Zudem erwiesen sich die Mieten für viele ländliche Arbeiter als zu hoch. So wurde Letchworth zu einer Heimat für Radikale aus der Mittelschicht, die als Cranks, als Spinner, bezeichnet wurden.

Architektonisch hatten Raymond Unwin und Barry Parker bei ihren mittelalterlich inspirierten Entwürfen freie Hand. Die Würde von Arbeit und traditionellem Handwerk preisend, spiegelten die Gebäude die Einfachheit von handgewebten Kitteln und Sandalen wider, die viele der ersten Siedler tatsächlich trugen. George Orwell beschrieb sie Jahre später in einer Novelle nicht gerade freundlich: „Ich kenn’ die Sorte. Vegetarier, einfaches Leben, Gedichte, Verherrlichung der Natur, vor dem Frühstück im Tau herumrollen. Sie sind entweder Naturkost­Freaks oder haben irgendwas mit Pfadfindern zu tun – jedenfalls sind sie ganz große Anhänger der Natur und der frischen Luft.“ Ausflugsgesellschaften kamen mit der Eisenbahn aus London, sie glotzten und lachten über die Bewohner und ihre Zurück­aufsLand­Prinzipien.

Zweifelsohne hat sich Letchworth seit den ersten exzentrischen Jahren verändert, aber seine Ideale schufen eine Bewegung, die im Bau der Welwyn Garden City (kürzlich von dem Kritiker Tom Dyckhoff beschimpft als „etwas, das deine Mama entwerfen könnte“) und des Hampstead Garden Suburb mündete. Beide liegen geografisch näher an der Metropole und behaupten sich heute ökonomisch besser als Letchworth.

Das Ideal und die Wirklichkeit

Die Gartenstädte waren keine Antwort auf die Wohnungsprobleme der Ärmsten, und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Wohnungsbau ein wichtiges politisches Thema. Nach dem Krieg galten „gute Wohnungen für Helden“ als Bollwerk gegen den Bolschewismus, der Wohnungsbau wurde Sache der Regierung. Das Gartenstadt­Ideal galt, nicht zum letzten Mal in Krisenzeiten, als eine effektive politische Lösung. Letchworths Versprechen eines sonnigen Idylls mit sauberer Luft und viel Platz war ein attraktives Vorbild, aber der staatlich geförderte Wohnungsbau nach dem Vorbild der Gartenstadt blieb weit dahinter zurück.

Der öffentliche Wohnungsbau und staatliche Gelder haben Letchworth gerettet, aber auch verändert – weite Teile am Stadtrand könnten Schlafbezirke jeder Großstadt sein. Im Zentrum von Letchworth stehen zurzeit 15 bis 20 Prozent der Gewerbeflächen leer. Die Industrie der Stadt schrumpfte in den Siebzigerjahren, und die Pendler lassen Letchworth zumindest oberflächlich wie einen konservativen Teil des London umgebenden Speckgürtels wirken. Aber immer noch verweist vieles auf die Ursprünge: die Schule St. Christophers mit rein vegetarischem Essen, Menschen in Birkenstocks und solche, die Esperanto sprechen. Und welche Stadt hat schon einen Mahjong­Verein?

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Großbritannien eine neue Ära für geplante Siedlungen, erstmals agierte der Staat in großem Maßstab als Stadtplaner. Regierungsberichte führten 1946 zum New Towns Act, einem Gesetz, das stark von den Gartenstädten beeinflusst war. New Towns waren nach modernen und funktionalen Aspekten geplante und neu erbaute Städte. 28 New Towns sollten den Abercrombie­Plan von 1944 flankieren, der vorsah, anderthalb Millionen Menschen aus London abzusiedeln. Dahinter stand der Wunsch, die Zersiedlung in den sogenannten Grüngürteln zu stoppen. Jonathan Glancey, einer der wichtigsten Architekturautoren Großbritanniens, bezeichnete die neuen Siedlungen, Orte wie Basildon oder Stevenage, als „CockneySibirien“, wohin die von den Deutschen ausgebombten Londoner ohne emotionalen oder architektonischen Kompass verfrachtet wurden.

In dieser Zeit entstand sowohl in den alten Innenstädten als auch in den New Towns eine von Architekten wie Le Corbusier inspirierte Generation von Gebäuden im Stil der Moderne und des Brutalismus. Dieser Architektur wurde in Großbritannien in den vergangenen 40 Jahren gern Seelenlosigkeit und Hässlichkeit vorgeworfen, doch die Kritik beruht auf einem romantischen Bild der Vergangenheit, in dessen Zentrum der Mythos des englischen Dorfes steht: strohgedeckte Landhäuser in einer grünen, stillen Kulisse – wie in einem Gemälde von Thomas Gainsborough oder auf Fotos aus dem Viktorianischen Zeitalter.

Man kann die Planungen der Vierzigerund Fünfzigerjahre als einen Versuch betrachten, mit diesem Bild zu brechen oder es zumindest in eine zeitgemäße Form zu bringen. Letztendlich scheiterten diese Orte am ökonomischen Niedergang in der Nachkriegszeit. Städte wie Crawley oder Stevenage, die autonom funktionieren sollten (genau wie Letchworth), wurden in der Folge Teil des Pendlergürtels und leuchtende Beispiele für die Betonierung ganzer Landstriche, in einigen Fällen entwickelten sie sogar ihre eigenen Slums mit Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung. Und dabei war Le Corbusiers eigene utopische Vision, die Ville Radieuse, gar nicht so weit von der Gartenstadt entfernt: 95 Prozent der Stadt sollten aus Parkund Grünflächen bestehen, zwischen denen Gebäudegruppen unregelmäßig angeordnet wären.

1992 wurden die Entwicklungsgesellschaften abgeschafft, die die New Towns geplant und eine Generation sicherer, angenehmer Wohnungen geschaffen hatten, wie sie seit den viktorianischen Slums längst überfällig gewesen war. Inzwischen gelten die New Towns zum Teil als recht erfolgreich, insbesondere Milton Keynes ist seit seiner Gründung in den späten Sechzigerjahren fast jedes Jahr gewachsen.

Vorzeigekandidat Poundbury

Trotzdem ist die Nachkriegsarchitektur und ­stadtplanung bei der Neuen Rechten als irgendwie unbritische Katastrophe verschrien. Die Dämonisierung führte zu einer Deregulierung von Planungsgesetzen und in der Folge zur Spekulation mit Grundeigentum. In der Debatte um die Umsiedlung von Städtern aufs Land schrieb Clive Aslet, ein ehemaliger Redakteur des »Country Life Magazine«, über Milton Keynes, es sei „9000 Hektar einstmals ergiebigen Jagdgebiets“. Die einzige seit den späten Sechzigerjahren erbaute und von diesen Kritikern akzeptierte New Town ist Poundbury.

In seiner Rede anlässlich der Party zum 150. Geburtstag des Royal Institute of British Architects (RIBA) nannte Prince Charles 1984 den Entwurf des Architekten Peter Ahrends für eine Erweiterung der National Gallery am Trafalgar Square einen „Riesen­Furunkel im Gesicht einer viel geliebten und eleganten Freundin“. Der Plan wurde gestoppt. Auf der RIBA­Website wird die Rede unterdessen allerdings galant als „Unhöflichkeit gegenüber der Architekturgeschichte“ bezeichnet.

Charles’ Rede markierte den Beginn eines Kreuzzugs für die Planung einer Stadt auf 160 Hektar Land für 2400 Wohnungen im Herzogtum Cornwall. Seine ganz eigene Utopie sollte von einem traditionellen Ansatz gekennzeichnet sein, umgesetzt durch den Architekten Léon Krier, der als Straßen enge Serpentinen verlangte (zur Verkehrsberuhigung) und Schottergässchen, die seine Idee vom englischen Dorf verkörperten.

Es sollte flächendeckend Stein aus der Gegend verwendet werden, die Gebäude sollten im „menschlichen Maßstab“ gebaut und „dem traditionellen englischen Stil verpflichtet“ sein. Geplant war ein dicht besiedeltes urbanes Dorf, in dem häuslicher Privatbesitz mit sozialem Wohnungsbau kombiniert werden sollte. Der Bau von Poundbury begann 1993 – und bis heute ist kein Ende in Sicht: In zwei Richtungen wuchert es weiter, in einer dritten stößt es an eine ziemlich schäbige Sozialsiedlung aus den Sechzigerjahren.

„Wie ausgestorben“, sagte der Taxifahrer, und das ist es tatsächlich. Als ich später zwischen Nieselregen und Sonnenschein durch die Straßen von Poundbury laufe, bin ich erschlagen von der Stille und der Abwesenheit von Menschen. Ich höre Kinder spielen, doch ihre Stimmen sind geisterhaft, gedämpft von hohen Backsteinmauern. Ich höre nur das Knarzen des Schotters unter meinen Füßen. Der Ort hat Qualitäten einer Filmkulisse – eine irreale Vision eines zeitlosen Englands.

So sieht es also aus in Poundbury, das an die alte Arbeiterstadt Dorchester anschließt. Die Gebäude erscheinen vor dem grauen englischen Sommerhimmel schmächtig. Eine schlecht gelaunte, vom Regen glitschige Kopie von Rodins „Denker“ im Jubilee Court wirkt irgendwie fehl am Platz. Eine Flagge vor einem Geschäft für Elektromobile kämpft mutig in den Böen. Dank der spärlichen Ausschilderung (eine Design­Entscheidung, um die Blickachsen nicht zu zerstören), habe ich mich schnell verlaufen. Durch eine Seitengasse tauchend, gelange ich auf ein georgianisches Halbrund mit einem kleinen Park, in dem Kinder Fußball spielen. Das Mauerwerk ist makellos. Umgeben von Asphaltstraßen statt historischen Pflastersteinen wirkt das Ensemble wie eine Requisite. Durch Lücken zwischen den Häusern, die absichtlich in unterschiedlichen Stilen gebaut wurden, erhascht man einen Blick auf weite, in Licht und Schatten getauchte Wiesen, über die Wolkenschatten rasen. Eine Landschaft wie früher.

Problemkandidat Poundbury

Es ist auch auf den zweiten Blick nicht alles gut in Poundbury. Zeitungen berichten hin und wieder von Beschwerden der Bewohner über schlechte handwerkliche Qualität und Fertigung. Außerdem gibt es Spannungen unter den Bewohnern. Kris Adams, 33, ein kleiner, bulliger Mann mit kurzen Haaren, schiebt einen Kinderwagen mit Ellie, 3, zum Haus seiner Freundin. Unten im Wagen liegen ein paar Sixpacks. Er ist auf einem zweiwöchigen Urlaub von einer Bootswerft in Poole, wo er arbeitet. Seine Unterarme, dick wie Taue, sind mit aufwendigen Tattoos bedeckt. „Es ist gut hier, yeah, angenehm, kein Krach, kein Ärger.“ Er fragt, ob ich seine Partnerin kennenlernen will.

Hayley Hawks, eine jung aussehende 26­Jährige, empfängt uns in einer der öffentlichen Wohnanlagen des Ortes an der Tür ihres pseudo­georgianischen Reihenhauses. Hinter ihr rennen drei kleine Kinder herum, gelegentlich kommen sie zur Tür, um Schotter für ihren Spielzeuglaster zu holen. Sie hat ein offenes rundes Gesicht und spricht sanft, aber undeutlich, sie rollt das R, wie in dieser Gegend typisch. „Ich bin jetzt zwei Jahre hier. Als sie mir sagten, ich bekäme eine Wohnung in Poundbury, wusste ich erst nicht, wo das war. Und als ich herkam, habe ich mich verlaufen, und niemand wusste, wo mein Haus ist!“

Sie erinnert sich an ihren ersten Eindruck. „Ich so: ‚Wie sehen die Leute hier denn fern‘, weil hier keine Satellitenschüsseln waren, und dann hab’ ich erfahren, dass Charles die nicht an den Häuserwänden will, also ist alles unterirdisch.“ Beinahe entschuldigend fügt sie hinzu: „Aber es ist schon angenehm, jeder sagt ‚Guten Morgen‘, nur ...“, sie stockt, „es ist piekfein. Echt, ich gehör’ hier eigentlich nicht her. All die großen Torbögen und so, das ist alles ein bisschen pompös. Es hat was von Dorchester, ein bisschen altmodisch und so. Aber Dorchester ist eine große alte viktorianische Stadt und das hier ... das ist neu. Ich fühl’ mich hier manchmal ein bisschen fehl am Platz.“

„Ehrlich gesagt, glaube ich, dass die Sozialwohnungen für einige Bewohner ein gewisses Problem darstellen.“ Maurice Allen, 70, ist der stellvertretende Vorsitzende der Einwohnervereinigung von Poundbury. Er hat einen Abschluss in Jura und Krankenpflege und war früher bei der Marine. Er hat ein freundliches, vorsichtiges Auftreten. Er und seine Frau wollten sich verändern, als sie vor fünf Jahren aus einem winzigen Dorf hierherzogen. „Es ist ein gemischtes Siedlungskonzept, teilweise Privatbesitz. Manche Häuser sind von den Eigentümern bewohnt, manche wurden gekauft, um sie zu vermieten. Und dann sind da die Sozialbauten. Ich denke, es spiegelt die moderne Gesellschaft.“

Wir reden in einem Café, das zu einem Gartencenter gehört. Um uns herum nackte Backsteinwände mit lokaler Kunst. Ein Gemälde, vielleicht inspiriert von einer Reise nach Paris, starrt auf uns herab. Darauf eine entkleidete Frau, die von einem Beaux­-Arts­-Balkon hinabblickt und raucht. Raffiniert ausgedacht und schlecht gemalt. Das könnte eine Metapher für die ganze Stadt sein. „In einem normalen englischen Dorf mit solch prunkvollen Häusern wie diesen hier würde man nicht diese ...“, Allen macht eine Pause, „diese soziale Schicht erwarten – außer vielleicht als Unterstützung für die dort ansässigen Landwirte, Wildhüter, was auch immer. Einige lassen diese Leute bei sich putzen, aber sie müssen sie nicht unbedingt als Nachbarn haben. Das macht manchen was aus. Mir nicht unbedingt. Wir müssen eben versuchen, sie in die Gemeinschaft zu integrieren. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht.“

Emma Simes, 40, Immobilienmaklerin, sagt, dass „die Menschen hier viel Geld bezahlen und dafür Exklusivität erwarten. Die Häuser kosten zwischen 350 000 und 500 000 Pfund, die Mieten liegen bei 1200 Pfund im Monat. Es ist schön, elegant, vornehm, und das ist den Käufern wichtig.“

Das sieht Innes Harrison, 46, der gerade damit beschäftigt ist, den Briefkasten seiner Eltern zu lackieren, durchaus anders. „Man kann einen Ort nicht so planen, dass er ein Herz und eine Seele hat. Für die Alten funktioniert das hier. Aber jedes Mal, wenn Charles kommt, müssen alle Graffiti entfernt werden.“ Er lächelt bei dem Gedanken. „Insgeheim gibt es einen ziemlichen Abstand zwischen den Bewohnern hier und der übrigen Bevölkerung von Dorset. Sie nennen es Spielzeugstadt und halten uns für hochnäsig.“

Sobald man die ideale Gemeinschaft gründet, geht es schief

Für den Architektur­-Autor Jonathan Glancey war Poundbury „eine im Kern gute Idee, und deswegen sind so viele Menschen enttäuscht von dem, was daraus geworden ist“. Ein Regionalzug hat mich zu ihm gebracht, durch die flachen, nebligen Felder von Suffolk, über denen eine schwache Sonne den ganzen Himmel ausfüllt, bis zu einem winzigen Dorf. In einem vornehmen, mit Büchern ausgekleideten Salon sagt Glancey: „Es ist ein Ort, wie ihn sich ein Prinz oder ein Großgrundbesitzer ausdenkt. Es ist ein Vorort, keine echte Stadt. Und wenn man hinkommt, merkt man, dass alles eigentlich ein bisschen billig und fies ist: Überall künstlicher Stein, einige Details sehen aus wie Zeug aus dem Baumarkt.“

Das größte Problem für Glancey ist: „Sobald man eine ideale Gemeinschaft gründet, geht es schief. Alle Städte, die überlebt haben, haben sich auf ihre jeweilige Art ausgedehnt, und es ist die Aufgabe von Stadtplanern und Architekten, das zu verstehen. In dem Moment, wo man sagt, man hat eine Traumstadt, ist das, was man tatsächlich hat, ein Traum.“

Für Glancey haben alle erfolgreichen Städte einen Grund für ihre Existenz jenseits davon, dass es schöne Orte sind. Diese Gründe sind in der Regel Handel und Industrie. „Nicht aus Zufall ist der Schiffsbau am Clyde entstanden – Dinge wachsen organisch. Die New Towns konnten bei diesem Spiel nur verlieren. Es waren intellektuelle Konstrukte, wenn auch mit besten politischen Motiven.“

„Schauen Sie sich Deutschland an“, fährt er fort, „die erfolgreichste Wirtschaft Europas. Ihre Stärke ist die Produktion, die sich immer weiterentwickelt hat. Es geht da um einige der weltweit bekanntesten Produkte, und das gibt den Orten, in denen sie hergestellt werden, große Stärke und Identität. Wenn man sich München anschaut – die BMW­Stadt, das verleiht eine Identität. Stuttgart ist die MercedesBenz­Stadt. Die großen modernen Städte werden mit Dingen identifiziert.“

Städte sind für Glancey neurologische Leitungen, die mit der Zeit Schicht für Schicht entstehen wie Bäume. Für ihn ist das auch der Grund, warum Letchworth gescheitert ist. „Dort lebten Leute, die gemütlich einen auf Künstler und Mittelschicht machten und die moderne Welt um sich herum nicht brauchten oder nicht wollten. „Die Meinung, dass die Industrialisierung eine schreckliche Sache war, ist typisch angelsächsisch – das findet man auf dem europäischen Festland sonst nicht so, erst recht nicht im Mittelmeerraum, wo Städte schon immer wichtig waren. Doch in den angelsächsischen Kulturen, speziell in Großbritannien und in den USA, gibt es diese eskapistischen Planungsfantasien.“

Die letzte Inkarnation geplanter Siedlungen, der „letzte Fimmel“, wie Glancey es nennt, waren die Öko­Städte, eine Initiative von New Labour. „Ein totales Desaster. Aber es klang zeitgemäß: umweltfreundliche Städte, CO2­neutral. Aber schon der Bau erforderte das Zerstören schöner Landschaften, die Vorsätze scheiterten schon an der ersten Hürde. Wenn man die Propaganda vergisst, stellt man schnell fest, dass es keinen wirklichen Grund gab, sie zu bauen.“ Eine sauberere Lösung wäre es gewesen, bestehende Städte und Dörfer ökologischer zu machen, aber „das kriegst du nicht hin, wenn deine Wirtschaft nur ein großer, auf Dienstleistung basierender Einzelhandel ist. Sehr schnell endet man dann mit Supermärkten, Callcentern, Vertriebszentren, Lkw – all den Dingen, die nicht unbedingt zu den Idealen einer ökologischen Gesellschaft gehören.“

Das Erste, was man sieht, wenn man Schornsteine. Das Beddington Zero Energy Development wurde von Bill Dunster entworfen, der mit BioRegional, einer Beratung für Nachhaltigkeitsfragen, und der Ingenieurfirma Arup für die gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Peabody Trust in der Nähe von Sutton in Südlondon gearbeitet hat. Es gibt 96 Häuser: 23 für gemeinschaftliches Eigentum, 10 für Menschen, die dort arbeiten, 15 für Familien mit geringem Einkommen und der Rest, also die Hälfte, für den Verkauf auf dem freien Markt.

BedZed bezeichnet sich selbst als „belastungsarme“ Siedlung, kann aber auch als geplante Gemeinschaft betrachtet werden, weil jene, die dort leben, sich dafür entschieden haben, bei diesem einzigartigen Projekt mitzumachen. Die Anlage ist in Sachen Energie Selbstversorger, entsorgt selbst ihren Müll und hat eine Reihe von Designpreisen gewonnen. Weite Teile der Häuser sind mit Holz verkleidet, Metallbalkone ziehen sich über die Blöcke. Die Häuser sind mit viel Glas und an den Südfassaden mit Solarmodulen ausgestattet.

Ein Unding: nachhaltigkeit weit vor den Toren der Stadt

BedZed hat den Charme eines drolligen Gewerbekomplexes. Es hat seinen Ursprung in den Stadterneuerungsdiskussionen, die 1999 zu dem Bericht „Towards an Urban Renaissance“ führten, mit dem der Zersiedlung entgegengewirkt und die Attraktivität der Städte gesteigert werden sollte. „Orte, in denen überall Straßenbahnen fahren, Vögel in den Bäumen singen und Cappuccinos serviert werden“, sagt Jonathan Glancey lachend. „Nun, manches wurde getan, aber auf eine billige Art, denn wir sind nun mal in Großbritannien.“ Die Wahrheit ist, dass BedZed „Design“ und „Nachhaltigkeit“ brüllt, die meisten Bewohner aber zur Arbeit nach London pendeln, was alle Nachhaltigkeitsideen zunichte macht.

Simon Courage, Bewohner von BedZed und zugleich Vorsitzender der „Nachhaltigkeits­Initiativen“ für BioRegional, meint: „Ich glaube, man kann nicht alles im ersten Schritt schaffen.“ Für ihn gibt es viele Dinge, die in BedZed funktionieren. Vorrangig ging es bei dem Bauprojekt um den Gemeinschaftssinn. „Die Umweltsachen sind super, und als Mensch, der hier lebt, weiß ich, dass meine Kinder stundenlang zum Spielen rausgehen können. Ich kenne hier 94 Nachbarn. Wir hatten es satt, in unterschiedlichen Londoner Vorstädten zu leben, wo wir nie jemanden auf der Straße gegrüßt haben.“

Das ideal bleibt: kleine, geplante Gemeinschaften

Letztlich ist BedZed eine clevere Design-Antwort auf die Frage nach der Neuen Stadt, aber es bleibt faktisch eine Werbung für die Architekten und den Teil der Umweltschutzbewegung, der sehr laut „Hallo, hier ist ein Windrad“ brüllt. Das Gemeinschaftsgefühl seiner Bewohner ist allerdings ein Beleg für das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Leben, das die Idee der Utopien bestärkt. Das Ideal einer kleinen, geplanten Gemeinschaft besteht in England nämlich tatsächlich bis heute. In „Diggers and Dreamers“, einem Leitfaden für gemeinschaftliches Leben, wird geschätzt, dass Hunderte solcher Siedlungen versteckt existieren.

Mit der Ankündigung der Öko­Ortschaft Northstowe, einer geplanten Stadt in Cambridgeshires „Silicon Fen“, ist die Debatte über geplante Gemeinschaften erst kürzlich wieder aufgeflammt. Die Stadt für 25 000 Menschen soll auf einem Golfplatz, auf Ackerland und einem ehemaligen Flugfeld errichtet werden, die Bauzeit beträgt bis zu 20 Jahre. Es scheint abgemacht, dass sie von Großbaufirmen errichtet und von Pendlern bewohnt wird. Für die Regierung ist sie die Wiederkehr der New­Town­Idee. Sowohl David Cameron als auch Grant Shapps, der derzeitige Wohnungsminister, haben in diesem Rahmen bewundernd von der Gartenstadtbewegung gesprochen.

Für John Lewis, den Vorstandsvorsitzenden der Letchworth Garden City Heritage Foundation, ist dieses Lob kein Zufall. „Ich denke, die Essenz der Gartenstädte ist, dass wir keine gesichtslosen Wohnsiedlungen wollen – Orte, an denen man sich nicht gern aufhält und Menschen nicht zusammenkommen.“ Lewis erzählt überschwänglich, dass die Stiftung ihre Immobilien in der Stadt an Unternehmen vermietet und den Profit in Letchworth investiert. „Wir haben eine kleine physiotherapeutische Klinik, die für die Einwohner kostenlos ist, ein fantastisches Jugendstilkino, einen 20 Kilometer langen Spazierweg, der um die Stadt herumführt, und ein Programm zur Beratung bei baulichen Problemen.“

Als Verfechter des „langfristigen Managements“ versucht die Heritage­Stiftung derzeit, ein internationales Institut zu gründen, um ähnlich inspirierte Städte weltweit miteinander zu vernetzen – es gibt sogenannte Gartenstädte in Frankreich, Brasilien, Australien und Neuseeland. Und natürlich in Deutschland, wo vor dem Zweiten Weltkrieg relativ viele Gartenstädte gebaut wurden, die heute aber alle Teile größerer Städte sind.

Seine letzten Diskussionen hatte John Lewis übrigens während eines Besuches chinesischer Wissenschaftler, die wissen wollten, wie man Orte „zwischen Riesenstädten und winzigen Siedlungen“ baut. So wird eine Idee für Spinner nach hundert Jahren vielleicht doch noch Zukunftsmodell. Inklusive Mahjong­Club.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.