Lobby Holzwirtschaft

Nirgendwo in der Welt wird mit Holz so innovativ gebaut wie zwischen München und Tirol. Vor allem mit vorgefertigten Elementen holt Holz rasch zu den gängigen Materialien auf. In Sachen Lobbyismus kann die Branche allerdings noch von der Härte des Stahls lernen.




Bäume

Wo die Kettensäge schnitt, changiert die Fläche zwischen Schwarz und Silbergrau. Alt ist der Baumstamm, steinalt. Als Alexander der Große durch die heutige Südtürkei marschieren ließ („333 – bei Issos Keilerei“) und die Kelten der späten Eisenzeit in Oberbayern die ersten großen Siedlungen errichteten, da trieb dieser Baum aus. Und als Kimbern und Teutonen sich um 100 v. Chr. mit den Römern herumschlugen, traf ein Sturm die Eiche, als hätte Thor seinen Hammer geschwungen: Der Stamm barst, rollte einen Hang hinunter, klatschte ins Moor – und blieb erhalten.

Denn im Gegensatz zu anderen Baumarten vermodern Eichen nicht im Moor. Huminsäuren fressen sich ins Holz und härten es aus. Und wenn dann ein Chiemgauer Landwirt 2100 Jahre später seine Wiese drainieren will und drauflosbaggert, kann es passieren, dass er auf merkwürdig steinartige Stämme stößt. Dass er sie ausgraben, schätzen und versteigern lässt. Und dass er, weil ihr edles Holz begehrt ist, für solch eine Mooreiche 5000 Euro einsteckt.

Nun liegt der Stamm mitten in der „City of Wood“ in Bad Aibling zwischen Wohnblock und Hochhaus unter einer Art Grillhäuschen, das ihn vor Regen schützt, daneben ein abgeschabter Tisch und ein Damenrad. Kurz über der Bruchstelle, wo der Sturm die Eiche geknickt hat wie ein Zündholz, wächst eine Rotbuche. Vier Blätter hat der Winzling schon entrollt. Vielleicht ist dies das Bild, das die Geschichte vom Holzbau in Oberbayern am besten erzählt: wie aus altem Material etwas Neues erwächst.

Einerseits dient Holz seit je dem Menschen sowohl als Bauwie auch als Brennstoff. Ob Balkon oder Brücke, Fassade oder Fensterladen, Tisch oder Terrasse: Viel Holz liegt vor der Hütte, hängt an der Hütte, steht und brennt in der Hütte. Und es ist genug davon da: 3 380 602 000 Kubikmeter Holz wachsen hierzulande laut Bundeswaldinventur, davon jeder dritte in Bayern. Tendenz steigend, denn Nachhaltigkeit ist des deutschen Försters zweiter Vorname. Deutschland ist Europas Waldmeister in Sachen Holzvorrat.

Andererseits geht es im neuen Holzzeitalter weder um Häuschen zum Warten oder im Garten, noch um heimelige Almhütten mit einer Außenhaut aus verwitterten Schindeln. Nein, es geht um eine neue Art, mit Holz zu bauen. Es geht um Größeres, buchstäblich – um Hightech-Holz und Hochhäuser. Hochhäuser?

Eines steht nur eine Baumlänge entfernt. Wer den Lift bis ganz nach oben nimmt, schaut aus knapp 24 Meter Höhe locker über die Wipfel der meisten alten Eichen, Buchen und Birken im Parkgelände von Bad Aibling. Die Mooreiche unter ihrem Dach wirkt vom achten Stock aus gesehen wie ein Knüppel.

Doch zum höchsten Holzhaus Deutschlands später. Denn am besten begreift man den Wandel im Holzbau, wenn man weiter vorn beginnt. Wenn man also zuerst Josef Huber besucht.

Die Mooreiche auf dem Gelände der „City of Wood“ ist etwa 2100 Jahre alt und wird wohl kaum noch zu Baumaterial verarbeitet. Aber das ist auch nicht nötig, denn Bauholz (re.) gibt es in Bayern mehr als genug.

Bretter

Eine Stahlbrücke ruckt über ein Stück Hauswand hinweg und treibt binnen Sekunden mit Druckluft Dutzende Nägel in die Holzverschalung: sssss, dischdischdisch!, sssssssss, dischdisch! – präzise wie ein Chirurg, laut wie ein Schlagzeuger. Josef Huber muss die Stimme mächtig heben, um verstanden zu werden: „Das sind die Entwicklungen im Holzbau, die es braucht, um konkurrenzfähig zu sein gegenüber anderen Materialien.“

Sein Großvater Johann hat den Betrieb in Bachmehring 1923 als Zimmerei gegründet. Fast 90 Jahre später setzen Huber & Sohn 39 Millionen Euro um, und dazu braucht es mehr als einen Tischlerschuppen. Josef Huber ist Chef einer Fabrik.

Natürlich wird auf den 25 000 Quadratmetern der Huberschen Produktionshallen auch noch klassisches Handwerk betrieben – hier ein Bogenfenster, da ein Wintergarten, dort eine Sonderschalung für die Notausgänge eines ICE-Tunnels oder demnächst für den Windkanal von Porsche. Das meiste Holz aber bearbeiten Maschinen in hoher Taktung: Eine Anlage lackiert Holzfenster vollautomatisch. Eine zweite fräst Keilzinken in Balken und verleimt sie sofort zu Konstruktionsvollholz, das stabiler ist als Massivholz. Eine dritte fräst in Sekunden Schwalbenschwänze: eine Art Keil aus Balken Nr. 1, ein keilförmiges Loch in Balken Nr. 2. „Eine einfache, günstige und haltbare Holzverbindung“, ruft Huber. „Die wurden früher auf dem Reißboden von Hand aus dem Holz gestemmt. Das dauerte lange. Deshalb sind Schwalbenschwänze aus der Mode gekommen und fast vergessen worden. Heute können wir sie durch computergesteuerte Fräsen wieder einsetzen.“

Diese Neuerungen im Holzbau meint Josef Huber, wenn er vom Aufholen gegenüber der Beton-Stahl-Ziegel-Konkurrenz spricht. Am meisten aber schwärmt er über die Möglichkeiten, die Holz beim Vorfertigen bietet: beim Zusammensetzen großer Bauteile bereits im Werk. „Vorfertigung“ ist das Zauberwort, das allen Experten die Augen leuchten lässt.

Wer schon mal ein Haus hat bauen, ausbauen, umbauen lassen, weiß um die Mühsal des Handwerks: Stein auf Stein. Jedes Fensterloch dreimal nachmessen. Es regnet: Plane drüber, es hört auf: Plane runter. Mit der Handkreissäge auf Behelfsböcken zusägen. Mit dem Kran die Straße blockieren. Jede Dachlatte einzeln draufnageln, jede Steinwollrolle reinfummeln, jede Gipskartonplatte über Kopf anschrauben. Und was nicht passt, wird passend gemacht. Kurz: gute, ehrliche Handarbeit – aber abends Rückenschmerzen. Und die Monate auf und mit dem Bau kosten Zeit, Geld, Nerven, Haare.

Josef Huber, 47, hat zwar sein volles Haar noch, doch man kann seine Zähne förmlich knirschen hören ob dieser Verschwendung von Kreativität. „Holz kann man ja so schön zuschneiden“, ruft er mit leichter Ironie, „und daher wird auf jeder Baustelle jeden Morgen das Rad neu erfunden.“ Huber ist von Haus aus nicht Schreiner, sondern Bauingenieur. Er hat über den Holztellerrand hinausgeschaut. „Wir müssen Systemlösungen entwickeln, die gut funktionieren, die geprüft sind und dann massenweise eingesetzt werden können. Die Betonindustrie hat uns das vorgemacht.“

Wie wäre es, dachte er Ende der Neunzigerjahre, zur Abwechslung mal nicht nur die Sparren eines Dachstuhls zu fertigen – sondern ganze Wände? Ganze Dächer? Vor elf Jahren begann sein Werk, Dachelemente zu produzieren: von der Innenverschalung bis zur Lattung. Sogar die Löcher für Sanitärrohre und Schornsteine sind schon ab Werk vorgeschnitten. Nur die Ziegel müssen die Dachdecker noch auflegen. Vier solcher Elemente decken ein normales Haus, mehr als 3000 davon gingen vergangenes Jahr von Bachmehring aus auf die Reise, viele davon für die Deutsche Reihenhaus AG.

Parallel dazu entwickelte Huber & Sohn eine Holzmassivwand, deren Kanthölzer über Schwelle, Rähm und aussteifende Holzplatten verbunden sind, und meldete sie unter der Nummer 10125349 zum Patent an. Und weil das bereits mit den Dachelementen so gut geklappt hatte, begann die Firma nach demselben Prinzip Wandelemente zu bauen. 1500 sind es heute im Jahr: nicht bloß inklusive Gipskarton, Dampfsperre, Holzfaserdämmstoff, Acht-Zentimeter-Kanthölzern, Holzwerkstoffplatte zum Aussteifen und einer Fassade – sondern auch inklusive Fenstern und Türen, Sonnenschutz und Rollläden, Insektenschutz und Elektrik für die Außenbeleuchtung.

Eine fertige Hauswand steht in der Werkhalle, zwölf Meter lang. Sogar der Schlüssel steckt schon in der Tür. „Das ist nur eine Bautür“, ruft Huber, „die richtige Haustür wird am Schluss eingesetzt. Die würde sonst auf dem Bau Kratzer bekommen.“ Trotzdem, man möchte sofort aufschließen und loswohnen.

Fünf solcher Wände passen auf eine Wechselpritsche – bereit für den Lkw, bereit für die Montage. Das geht, weil Holz im Vergleich zum üblichen Baumaterial sehr leicht ist – und sehr stabil. „Diesen Vorfertigungsgrad erreicht man nicht mit Ziegel, Stahl oder Beton“, ruft Huber, und sogar über das Dischdischdisch! der Nagelbrücke hinweg kann man den Stolz mitschwingen hören. „Darin liegt der große Vorteil des Holzbaus.“

Noch steckt der in den Kinderschuhen, verglichen mit der jahrzehntelangen Tradition der Moderne in Sachen Beton, Stahl, Ziegel, Glas. Doch das Denken ändert sich. Wer einmal verfolgt hat, wie lange Abrissfirmen brauchen, um Bausünden der Siebzigerjahre „zurückzubauen“, wie viel Energie bei der Herstellung von Stahlbeton, seiner Verbauung und Entsorgung nötig ist, der sieht die Nachhaltigkeitsdiskussion der vergangenen Jahre in anderem Licht. Ein Brett, ein Balken, eine Holzdämmung lässt sich problemlos rückgewinnen und nochmals verwenden. Und selbst wenn Holz schließlich, am Ende seines Lebenszyklus, verbrannt wird, entsteht dabei nur so viel CO2, wie der wachsende Baum einst der Luft entzogen und in sein Holz eingebaut hat.

Josef Huber ist Pragmatiker, doch natürlich weiß er auch um das ökologische Argument. Und dehalb ärgert ihn ein Punkt enorm: „Schauen Sie mal die Zementoder die Stahlindustrie an“, sagt er, und seine Stirn legt sich in oberbayrische Falten. „Die haben es geschafft, von der Energiesteuer befreit zu werden. Unsere Branche aber, die mit umweltfreundlichem Material arbeitet, wird nicht befreit. Meiner Meinung nach müsste es umgekehrt sein.“

Das aber hieße, dicke Bretter zu bohren in Berlin, wo die Entscheider sitzen – klassische Lobbyarbeit, die andere besser können, bislang zumindest. „Wenn ein Ex-Verkehrsminister im Namen der Autoindustrie in Berlin anruft, erhält er sofort einen Termin. Wenn sich einer unserer Holzverbände in Berlin meldet, weiß dort niemand, wie viele Arbeitsplätze dahinterstehen.“ Huber ist jetzt einigermaßen in Rage. „Dabei hat die bayrische Holzbranche mehr Beschäftigte als die hiesige Autoindustrie – und hier sitzen BMW, Audi und MAN! Aber unsere Lobby ist schlecht. Wir haben kaum Großbetriebe und bundesweit 15 oder 20 Holzverbände.“ Zu viele Fürstentümer, Herr Huber? Josef Huber lacht und winkt ab: „Ich mag sie gar nicht zählen.“

Die Maschinen in den Hallen nageln, blasen, hobeln, kreischen. Wenn die Holzbranche so laut ihre Bedürfnisse vorbrächte, wie ihre Maschinen arbeiten – sie würde wohl mehr Gehör finden in Berlin.

Mit 215 Angestellten ist Huber bereits einer der Großen der Branche. „Die deutschen Holzbau-Betriebe haben durchschnittlich sechs Mitarbeiter – nur acht Prozent der Firmen haben 20 Angestellte oder mehr“, sagt Heinrich Köster und zuckt mit den Schultern. Sechs Mitarbeiter? Wirklich sechs? Köster muss es wissen, er ist selbst „mit Sägemehl getauft“ worden und Schreiner gewesen. Heute ist er Präsident der Fachhochschule Rosenheim, einer Kaderschmiede der Holztechnik.

„Die Rosenheimer“ sind bekannt. Zwei von drei Holztechnologen kommen von hier. Sie entwickeln neue Fassaden-Dämmstoffe aus Holz und testen deren Energiebilanz. Sie lassen ein zwei Stockwerke hohes Prüfgerät mit Erdbebenstärke an Schrauben, Fachwerkknoten und anderen Bauteilen zerren und reißen. Sie versuchen, einer Rohholzdecke mit sogenannten Tilgern das Dröhnen, Poltern und Schwingen abzugewöhnen. Und sie machen sich selbstständig mit ultraleichten und dennoch stabilen Holzplatten wie die Firma lightweightsolutions in Bad Aibling. Vielleicht kommt aus Rosenheim auch eines Tages ein Thermoholz aus Fichte oder Kiefer, das wir für Terrassen nutzen können statt der teureren Harthölzer Lärche und Douglasie.

Aber sie tun auch etwas in Sachen Lobbyarbeit für den Werkstoff Holz. „Pro Holz Bayern“ ist eine Art Cluster, die hiesige Variante von „ProHolz Austria“, eine Plattform, die zum Beispiel Holzbaukonstruktionen ins Internet gestellt hat, um Wissen zu verbreiten. Und ein halbes Dutzend Hochschulen, von der FH Rosenheim bis zur University of British Columbia in Vancouver, führen seit 15 Jahren das „Forum Holzbau“ durch. „Das ist die größte Konferenz zum Thema“, sagt Köster. „Wir gehen an die Orte, wo die Vernetzung notwendig ist. Es ist wichtig, dass sich die Leute in der Branche besser kennen. Cluster ist zwar ein bisschen ein Modewort. Aber wenn die Menschen sich verstehen“, sagt er und lacht, „dann geht schon was.“

Köster ist zufrieden damit, dass sich der Werkstoff Holz langsam in den Markt hineingearbeitet hat. In Österreich und in der Schweiz seien mittlerweile 30 bis 40 Prozent der Einund Zweifamilienhäuser aus Holz. „Hierzulande sind es auch schon fast 20 Prozent, das sind immerhin 1000 Häuser im Monat.“ Einen großen Markt sieht er bei mehrgeschossigen Holzgebäuden, allerdings: „Da brauchen Sie Firmen mit einer gewissen Kapazität, das schaffen Sie mit einer Sechs-Mann-Firma nicht.“

Zumal die Vorfertigung auch hier Chancen bietet. „Ein Aspekt, der zunehmend in den Fokus rücken wird“, sagt Köster, „ist das Durchschnittsalter auf dem Bau: Das liegt heute um die 40, 42 Jahre. Durch den demografischen Wandel wird sich das bald in Richtung 48 Jahre verschieben – da gehen Arbeiten auf dem Bau wie etwa das Mauern schwerer von der Hand. Die Arbeitsplätze in der Vorfertigung aber können Sie ergonomisch gestalten. Von daher wird dieser Prozess wichtiger werden.“

Das Vorfertigungs-Konzept von Josef Huber rechnet sich durchaus jetzt schon. An Mehrgeschoss-Häusern sei das Interesse so groß, dass er plane, ein Grundstück dazuzukaufen und eine weitere Werkhalle zu errichten.

Und was, wenn ein Fertig-Element auf die Baustelle gelangt und dort nicht passt? Dann ist der ganze Rationalisierungseffekt der Vorfertigung dahin und damit auch die Wertschöpfung für Huber & Sohn. Präzision ist daher das A und O. Möglich wird sie durch CNC-gesteuerte Fräsen. CNC heißt „Computerized Numerical Control“ und meint die computergestützte Steuerung einer Maschine. Die Huberschen Fräsen, einmal gefüttert mit Daten, fräsen auf fünf Achsen. Die eine Anlage kostet eine viertel Million, die andere eine ganze Million. Doch dafür liefert sie auch Beeindruckendes: Vorn fährt ein Kantholz ein, hinten kommt keine Minute später ein Fensterteil heraus – Profil, Länge, Bohrlöcher und Verbindungsschlitze inklusive. Fürs Schleifen und Lackieren warten weitere Maschinen. „Bei der Rationalisierung sind wir noch nicht am Ende“, ruft Huber. „Die Maschinen sind noch zu teuer. Und sie könnten so gestaltet werden, dass weniger Zuarbeit von Hand notwendig ist.“

Schon jetzt aber schafft Huber & Sohn mit ihnen ein scheinbares Paradox, das in dieser Form wohl nur mit dem Werkstoff Holz machbar ist: Die Firma stellt individuelle Massenware her. Es braucht nur wenige Sekunden, um die Daten für ein neues Werkstück im PC einzugeben, dann fräst die Anlage mit maschinengenauer Präzision los.

Korrekt sägen ist also das eine. Doch Vorfertigung ist auch nicht möglich ohne zwei weitere Dinge: dass einer korrekt misst. Und dass einer korrekt plant.

Berechnen

Die Brücke leuchtet wie der Übergang in eine andere, heimelige Welt. Dunkle Bäume in der Abenddämmerung, matte Straßenlaternen, die weiße Häuser blau erscheinen lassen, das Innere der überdachten Brücke lockt mit sanftem Licht. Ein langer Quader, weit entfernt von den martialischen Tunneln, durch die Fußballer wie Gladiatoren in die Arena laufen – konstruiert nicht aus Beton und Stahl, sondern aus Holz. Rechts und links sind die Wände durchbrochen, um zu schauen, woher der Fluss kommt und wohin er fließt. Die Brücke ist klar und freundlich. Sie macht den Übergang leicht.

Wer wissen möchte, wie der Architekt Hermann Kaufmann tickt, muss dieses Foto betrachten. Metergroß hängt es in seinem Arbeitszimmer in der TU München. Das Objekt des Fotos, die lichte Brücke, liegt drei Bahnstunden entfernt, geht über den Alten Rhein und verbindet so Österreich mit der Schweiz. Kaufmann könnte nun darauf verweisen, dass für den Bauherrn, die Landesregierung von Vorarlberg, eine Holzbrücke günstiger zu unterhalten ist als eine stählerne. Doch Kaufmann erzählt etwas anderes: Dort stand schon früher eine Holzbrücke, und wenn ein Auto darüberfuhr, machte es ba-dumm, ba-dumm – eine Kindheitserinnerung Kaufmanns, die den Impuls gab, die alte Holzbrücke zu ersetzen durch: eine Holzbrücke. Das Foto ist auch ein Stück Heimat.

Das Architekturbüro von Hermann Kaufmann liegt in Schwarzach. Kaufmann ist Jahrgang 1955 und gilt als Mitglied der Neuen Vorarlberger Bauschule: eine Bezeichnung für eine Bausprache, die Formen, Materialien und Konstruktionsarten des Alpenraums aufnimmt, ohne gestrig und rückwärtsgewandt zu wirken. Für Systeme wie die Wohnanlage Ölzbündt, eine Art großer Holzbaukasten, ist der Architekt vielfach ausgezeichnet worden. Kaufmann ist seit Langem Vorredner und Verfechter der Vorfertigung.

Er ist außerdem Professor für Holzbau an der Technischen Universität München. Die große Ausstellung „Bauen mit Holz“, die im vergangenen Winter in der Pinakothek der Moderne lief, hat er mit konzipiert. Er will den Holzbau voranbringen, theoretisch und praktisch.

Hermann Kaufmann, groß, glatt rasiert und grauhaarig, umkurvt im blau-weiß gestreiften Hemd den äußeren von vier aneinandergereihten Uni-Tischen. An diesem Tag sind drei davon leer, doch sicher sind sie an anderen Tagen auch mal vollgestellt mit Modellen, Projektentwürfen und Hausarbeiten. Ein fester Händedruck, ein Glas Wasser, zwei wache Augen blicken durch die Hornbrille. Draußen im Gang hallen die Stimmen mehrerer Studentinnen, sie klackern vorbei an Vitrinen mit dem Projekt „Studenten bauen in Nairobi eine Handwerksschule“. Dann wird es wieder leise im lichtdurchfluteten Büro von Hermann Kaufmann, und als er die erste Frage beantwortet, ertönt der freundliche Singsang eines Mannes, der im Holzbauland Vorarlberg geboren und heimisch ist.

Professor Kaufmann, wozu sollen wir mit Holz bauen? Reichen Ziegel, Stahl und Beton nicht?

Holz ist sinnlich und warm, jedes Brett und jeder Balken ist anders, und es lässt sich fantastisch bearbeiten. Aber vor allem ist es das nachhaltigste Material, das wir haben: Ein Drittel der jährlichen Holzernte in Deutschland würde ausreichen, um damit sämtliche Neubauten zu errichten. Wir haben beim Bau jahrelang über Energieeffizienz und Wärmedämmung nachgedacht. In den kommenden Jahren werden wir sicher dazu übergehen, das Bauwerk als Gesamtsystem zu betrachten und von der Wiege bis zur Bahre dessen CO2-Bilanz einzupreisen. Wenn wir die Erzeugung, Wiederverwertung und Entsorgung von Ressourcen und so weiter betrachten, sind die Qualitäten von Holz unschlagbar: Es wächst mit Sonnenenergie, bindet Kohlendioxid, und wenn man ein Haus irgendwann wieder abbricht, kann man die Balken neu verwenden. Jetzt gibt es die Energiewende, und irgendwann wird es ganz automatisch eine Ressourcenwende geben.

Das ökologisch-pragmatische Argument ist das einzige?

Nein, auch bauhistorisch ist Holz heute wieder ein äußerst spannendes Material. Früher waren die meisten Städte weltweit überwiegend aus Holz gebaut. Vor allem das 19. Jahrhundert hat das geändert: In Preußen zum Beispiel sank innerhalb von zwei Generationen der Anteil an Holzbauten von 50 auf 10 Prozent. In der Moderne galt Holz als altväterlich. Unsere Zeit aber hat dieses Material neu entdeckt und seine Möglichkeiten stark erweitert. Die Ausstellung hier in der Pinakothek wollte genau das zeigen: was heute alles möglich ist. Sie war auch eine Hommage an das Material.

Ihr Kollege Wolfgang Pöschl kritisiert, dass die Verwendung von Holz nicht zur reinen Akrobatik verkommen darf, indem man die Grenzen immer weiter auslotet – und zum Beispiel Hochhäuser aus Holz entwirft.

Das müssen Sie auf zwei Ebenen betrachten. Natürlich werden Hochhäuser auch in Zukunft wohl kaum alle aus Holz gebaut. Es wäre schon ein Fortschritt, würde beim „normalen“ Bauen mehr Holz verwendet, also für vier, fünf oder sechs Geschosse. Aber um dem Material seinen verstaubten Nimbus zu nehmen und ihm auf die Sprünge zu helfen, muss man Gebäude entwerfen, die aufmerksam machen.

Also auch Hochhäuser.

Wir haben jetzt ein achtgeschossiges Bürogebäude in Vorarlberg gebaut, um all die Vorteile einer elementierten Holzbauweise zu zeigen: die Möglichkeit vorzufertigen, das schnellere Errichten gerade in städtischen Baulücken, den anderen Bauprozess. Da muss man eben bis zu acht Geschosse beherrschen, um einen neuen Markt zu eröffnen. Und die Branche muss mitziehen. Aber dafür ist sie derzeit kaum bereit. Noch sind das Sonderprojekte.

Abgesehen von diesen Leuchttürmen: Führt das Vorfertigen von Wänden, Dächern, ganzen Häusern nicht zu so etwas wie einer Plattenbauisierung in Holz?

Eben nicht, das ist das Spannende daran: Wir sind längst nicht mehr auf große Stückzahlen angewiesen wie beim Betonbau, damit sich ein Industrialisierungsprozess rechnet. Ein Brettsperrholz-Element, das eine Schwester der Betonplatte ist und ähnliche Funktionen im Bau übernimmt, kann man nach Belieben per CNC zuschneiden. Beim Holz findet also eine Vorfertigung statt, aber in handwerklichen Strukturen. Individuell bauen, obwohl ein System dahintersteckt: Dieser Schritt zurück zur handwerklichen Fertigung ist ziemlich intelligent.

Wird die Vorfertigung ein Holzhaus günstig machen?

Aus Kostengründen ist die Präfabrikation natürlich wünschenswert. Aber wir können froh sein, wenn wir mit Holz preisgleich mit konventionellen Materialien agieren können. Die Betonbauer üben schließlich schon seit Jahrzehnten im großen Maßstab. Der Holzbau ist mit Rationalisierungen noch nicht so weit.

Wo stehen wir, was vorfabrizierte Holzbauten angeht, auf einer Skala von 1 bis 10?

In der Technologie würde ich sagen: auf der 5. Aber bei der Stückzahl ist es erst eine 1. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

Und die anderen Nationen mit langer Holzbautradition?

Die Amerikaner haben unsere Handwerkskultur nicht und daher ein komplett anderes Verständnis von Bauprozessen. Die haben ein System entwickelt, das es ermöglicht, auf der Baustelle mit einfachen Werkzeugen Dinge zusammenzunageln. Vorfertigung gibt es da nur bei den „Ready Homes“, den Fertighäusern aus Holz. Die nageln sie schon im Werk größtenteils zusammen und transportieren sie dann auf großen Anhängern zum Wohnort. In Japan ist es ähnlich: Eine hohe Kultur im Holzfertighausbau, lange Produktionsstraßen stampfen Häuser für die Masse aus dem Boden. Aber im Bauen mit Architekten oder individuellen Bauen gibt es kaum Vorfertigungsprozesse.

Und die Skandinavier?

Die versuchen derzeit, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Bauten aus Betonfertigteilen haben dort den Holzbau verdrängt. Jetzt versuchen sie, vorgefertigte Holzbausysteme auf den Markt zu bringen. In Schweden existieren einige mehrgeschossige Bauten, sonst wird nur das Einfamilienhaus fast ausschließlich in Holz gebaut. Und natürlich die Saunas.

Müssen wir die Nutzungsdauer stärker ins Auge fassen, statt alles für die Ewigkeit in Stein zu meißeln?

Das ist überhaupt der Schlüssel fürs Bauen. Erstens müssen unsere Gebäude schön sein, damit sie geliebt werden. Und zweitens müssen sie intelligent konstruiert und konzipiert sein, damit wir sie umnutzen können. Das zeigt die Geschichte. Das nachhaltigste Bauen ist vielleicht in der Gründerzeit passiert: einfachste Materialien, einfachste Konstruktionsprinzipien, total flexibel nutzbare Grundrisse, große Raumhöhen. Die Gebäude sind schön, werden geliebt und deshalb heute für alles verwendet: als Wohnungen, Schulen, Hotels und so weiter.

Das moderne Bauen folgt anderen Konzepten?

Ja. Diese Konzepte sind auf Kurzfristigkeit ausgelegt – und wenn der Maßanzug nicht mehr passt, kann ich ihn nur noch wegschmeißen. Wir müssen wieder dahin kommen, dass in unseren Grundrissen möglichst wenige Elemente die Last tragen, dass Hausbau und Haustechnik trennbar sind – und dann noch die entsprechende Raumhöhe. Ich weiß, dagegen sprechen Energiekosten und Wirtschaftlichkeit. Aber jeder Kubikmeter, den wir dazupacken, wird sich in Zukunft rechnen. Davon bin ich überzeugt.

Noch ist der Achtstöcker „Holz 8“ in Bad Aibling das höchste Holzhaus Deutschlands, ein Sonderfall. Aber gut möglich, dass später Schulklas- sen hierher fahren, um zu sehen, wo das neue Bauen mit Holz begann.

Bau

Ein Holzhaus duftet, ist handwarm, schenkt ein gutes Raumklima und knackt immerfort? Wer „Holz 8“ betritt, dem steigt es kalt und säuerlich in die Nase. Doch das ist kein Wunder, denn nackte Betonwände riechen nun mal so. Das Treppenhaus ist ein seelenloser Aufgang, dem eines Parkhauses nicht unähnlich. Natürlich hätte man den Beton verkleiden können: mit Gips, mit Putz, mit Holz. Doch die Macher wollten möglichst viel zeigen und erzählen am Pilotprojekt „Holz 8“.

Was ein wenig wie der Name eines Golfschlägers klingt, ist mit acht Geschossen das höchste Holzhaus Deutschlands, eines der höchsten Europas – und in seinem Kern befindet sich ein feuerfestes und rauchfreies Treppenhaus mit Laubengang. „Sonst hätte die Brandschutzbeauftragte unser Konzept gar nicht erst angeschaut“, sagt Josef Huber und lacht. Aber nicht nur die sollte genau hinschauen. Der Wohndienstleister B&O, der „Holz 8“ auf seinem Gelände in Bad Aibling im Frühjahr 2011 errichten ließ, will sich damit einen Markt erschließen.

Denn Mehrgeschosser aus Holz beginnen langsam in Europas Städten zu reüssieren. In Zürich stehen schon Sechsgeschosser aus Holz, in Berlin Siebener, im schwedischen Växjö Achter – und davon gleich vier nebeneinander mit zusammen mehr als 500 Wohnungen. In Hermann Kaufmanns Schublade liegt das Projekt „Life-Cycle Tower“, eine Holz-Beton-Verbundkonstruktion, die dereinst 80 Meter aufragen soll. Ob Wohnungen, Büros oder Hotelzimmer: Die 20 Geschosse können flexibel aus- und umgebaut werden, um sich ändernden Nutzungskonzepten Rechnung zu tragen.

Und in London, wo im Juli mit „The Shard“ (310 Meter) der höchste Wolkenkratzer Westeuropas eröffnet wurde und derzeit ohnehin alles in den Himmel wächst, steht in Murray Grove mit neun Stockwerken der Welt höchstes Holzhaus. Dessen Architekten planen bereits den nächsten Coup: Ihre Studie „Forest“ umfasst 25 Geschosse. Das ist auch deshalb möglich, weil in Großbritannien keine Maximalhöhe für Holzbauten existiert. Wer ein überzeugendes Brandschutzkonzept nachweist und Sprinkleranlagen einbaut, kann im Prinzip so hoch bauen, wie das Material trägt.

Das ist überraschend, denn neben der Pest gehören die städtischen Feuersbrünste des Mittelalters und der Neuzeit zu den großen kollektiven Traumata. Ob München (1327), Passau oder London (1662/66), Hamburg oder Chicago (1842/71): ein Versehen am heimischen Herd, und die strohoder schindelgedeckte Hütte stand in Flammen. Fegte ein Wind durch die engen Gassen mit ihren hölzernen Vordächern, brannte die ganze Straße unaufhaltsam nieder. Und dann das Viertel. Zu den vielen Todesopfern kam die Ohnmacht, dem eigenen Heim, der eigenen Heimat beim Abbrennen zusehen zu müssen – zuletzt in den Feuerstürmen, die im Zweiten Weltkrieg den Bombardements der Städte folgten.

Deshalb gibt es heute „Firewalls“, Rauchmelder und eine Gebäudeklasse 5, deren oberster Fußboden laut Bayerischem Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 18/2007/591 mit 22 Metern nur so hoch sein darf, wie die Drehleitern der Feuerwehr reichen – und ein gehöriges Fragezeichen beim Baumaterial Holz. Weil es nach DIN 4102 nur Baustoffklasse B2 ist („normal entflammbar“), musste Josef Huber den Nachweis erbringen, dass „Holz 8“ bei Feuer nicht sofort zusammenstürzt.

Das Materialprüfungsamt für das Bauwesen an der TU München nahm sich seine Massivholzwand vor, beplankt mit doppeltem Gipskarton (Baustoffklasse A2 „nicht brennbar“). Erst befeuerten sie die Wand 90 Minuten lang mit 1000 Grad. Am 6. Oktober 2010 um 9:43 Uhr prallte ein vier Zentner schwerer Bleisack gegen die Wand wie ein Rammbock. Und dann brach man den Gips weg, um das Holz zu begutachten: am Rande ein wenig angekokelt. Sonst nichts.

„Selbst die Materialprüfer waren erstaunt“, sagt Huber. Sie stellten ihm das gewünschte Zertifikat aus. Huber begann vorzufertigen, 570 Kubikmeter Holz wollten in die rechte Form gebracht werden, und in den Werkhallen störte der Winter die Produktion nicht. Drei Wochen brauchten die Betonbauer für Treppenhaus und Laubengang in Bad Aibling, dann fuhren Lkw Hubers Fertigwände auf die Baustelle. Ein Kran hob sie an den rechten Platz – und zog dreieinhalb Wochen später den Richtkranz empor. Sechseinhalb Wochen für acht Etagen à 160 Quadratmeter.

„Mit den Fertigwänden haben wir jede Etage in zwei Tagen geschafft“, sagt Josef Huber, und ohne das Dischdischdisch! der Maschinen ist sein Stolz jetzt unüberhörbar. „Das ist gerade in Städten interessant, ob es nun um Mehrgeschosser oder Aufstockung geht – die Straßenblockaden durch Großgerät, der Baulärm und Dreck für die Nachbarn, das alles ist viel schneller vorbei. Und alles bei hervorragender Energieeffizienz und Qualität.“

„Holz 8“ hat fast Passivhausstandard und entspricht den Förderkriterien der drei größten Bundesländer. Doch ein Pilotprojekt ist teuer, wenn es singulär bleibt. B&Os Pläne mit dem Konzept sind deshalb weitreichend. Geschäftsführer Ernst Böhm möchte zusammen mit Partnern lieber heute als morgen neben jeder bayrischen Hochschule ein derartiges Holzhochhaus bauen lassen: mit Studentencafé, Kita oder Seminarräumen im Erdgeschoss, Wohngemeinschaften vom ersten bis zum siebten Stock und Gastprofessoren im Obergeschoss. Kosten: fünf bis sechs Millionen Euro inklusive Innenausbau.

Immerhin, die Erfahrungen sind gemacht. „Für ,Holz 8‘ mussten wir natürlich einige neue Wege gehen“, sagt Josef Huber. „Das war Learning by Doing, aber wir wollten bei diesem Projekt schließlich auch alle lernen.“ Ein Beispiel? „Das Setzungsverhalten. Beton und Holz verdichten sich nach dem Verbauen unterschiedlich stark. Bei acht Geschossen kann da einiges zusammenkommen und zu Rissen führen. Also haben wir alle Decken auf Betonstempel gesetzt. Jetzt sind wir bei einer Setzung von weniger als 30 Millimeter angekommen.“ Oder die Fassadenfarbe. Man hat einen Hersteller gefunden, der zehn Jahre Garantie darauf gegeben hat, dass die Fichtenschalung nicht verwittert. „Wenn Sie solche Details erst mal abgeklärt haben, ist es auch nicht anders, als wenn Sie ein Einfamilienhaus produzieren. Das lief alles sehr ruhig ab.“

Es soll Sportskanonen in Bad Aibling geben, die den Ehrgeiz spüren, alle acht Stockwerke über die Treppe zu erklimmen. Josef Huber nickt zum Abschied und fährt lieber mit dem Lift in die oberste Etage, um das nächste Vorhaben auf dem Gelände durchzusprechen: die „City of Wood“. Die ersten Niedrigenergiehäuser aus Holz stehen schon, weitere sollen sich innerhalb der nächsten drei Jahre um den Moosbach am südlichen Rand des „Wohlfühlparks“ in Bad Aibling drapieren. Es wird schnell gehen, wenn die Hubersche Produktion erst einmal vorfertigt.

Bilanz

„Holz ist das älteste Baumaterial des Menschen“, sagt Hermann Kaufmann.
„Holz wächst nach“, sagt Josef Huber. „Holz ist warm“, sagt Hermann Kaufmann.
„Holz ist leichter als Beton und Stahl“, sagt Heinrich Köster. „Holz ist materialisierte Sonnenenergie“, sagt Hermann Kaufmann.
„Holz können Sie immer wieder verwenden“, sagt Josef Huber.
„Holz ist problemlos entsorgbar“, sagt Heinrich Köster.
„Holz brennt“, sagt Martin Lechner.

Außen Lärche, innen Hackschnitzel: Für die Heizikone in Bad Aibling, die Fernwärmezentrale, hat sich der Designer Matteo Thun von einer Kapelle im Tiroler Hochpustertal inspirieren lassen.

Brand

Wenn Martin Lechner derzeit in die Kapelle tritt, steht ihm der Sinn weniger nach Beten. Eher schon nach Reden, genauer gesagt: nach Schwärmen. Denn in jener Kapelle, zu der er momentan häufig pilgert, brennt keine Kerze, sondern eine von Holz genährte Flamme. Und Martin Lechner ist derart begeistert davon, dass er ins Anpreisen gerät: „Die Lärchenschindeln hier draußen, die Tuffsteinplatten, das brunierte Torblech – toll, oder?“

Die Kapelle ist natürlich keine, sondern ein Biomasseheizwerk. Aber tatsächlich fühlte sich der Südtiroler Designer Matteo Thun von der St.-Veit-Kapelle im Hochpustertal inspiriert. Als er seine Schöpfung schlicht „Feuerhaus“ nennen wollte, erschien das seinen Auftraggebern allerdings zu profan. Ernst Böhm und Michael Steinbeis (siehe Porträt auf S. 99) wünschten einen besonderen Namen, einen echten Hinhörer. Und so heißt die Anlage nun „Heizikone“ und liefert bis zu 500 Kilowatt Nahwärme für den gesamten Wohlfühlpark in Bad Aibling.

Ihr Brennmaterial ist Holz. Das Heizen damit ist ein Teil der menschlichen Kultur, seit ein Steinzeitmensch einen Blitz in einen Baum fahren sah. Üblicherweise liegen vor der Hütte aber Scheite, nicht Splitter. Doch Holzhackschnitzel haben Vorteile: Sie sorgen für eine gleichmäßige Hitze, müssen nicht von Hand nachgelegt werden und benötigen als Ausgangsmaterial keine teuren Baumstämme. Ihr Nachteil: Frisch gehäckselt enthalten sie zur Hälfte Wasser. Sie heizen schlecht und sind beim Lagern schimmelgefährdet. Eine gute Idee von Michael Steinbeis war, 2007 die Ecolohe GmbH zu gründen. Eine zweite, in der Region nicht bloß Biogasanlagen zu projektieren und zu betreuen, sondern das mit der Hackschnitzelproduktion zu verbinden. Und eine dritte, Martin Lechner einzustellen.

Lechner, 57, hat damit einen der aktuell 70 000 bayrischen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien inne und zugleich einen der 200 000 in der Holz- und Forstwirtschaft. Er selbst würde sagen, dass er breit genug sei für beide Arbeitsplätze, und dann derb lachen. „Meine Frau sagt auch: ‚Von einem schönen Menschen kann man nie genug haben.‘“

Vor allem aber hält Lechner die Augen auf für zwei. Neulich erst kam er aus Dinkelsbühl, und da fiel ihm wieder eines dieser grün geblähten Zirkuszelte auf, unter denen Mais oder Grassilage gärt. Er machte es wie so oft: Wenn er eine Biogasanlage entdeckt, fährt er auf den Hof und beginnt, mit dem Bauern zu plaudern. Er kann mit Leuten, und das muss er auch. Denn um mit dem auf reichlich Autonomie bedachten oberbayrischen Landwirt ins Geschäft zu kommen, muss man seine Sprache sprechen. Lechner ist selbst Landwirt und hat Landwirtschaft studiert. Das hilft.

In diesem Fall war der Mann nicht da, also steckte Lechner seine Visitenkarte in den Briefschlitz. Am nächsten Tag kam der Anruf. Man plauderte. Und irgendwann schlug Lechner dem Mann einen Deal vor, den er nun schon einige Male gemacht hat: Wie wäre es, neben das Zelt eine Trockenanlage zu stellen?

Mehr als 7000 Biogasanlagen gibt es mittlerweile in Deutschland. Rund 100 Kubikmeter Methan entstehen, wenn eine Tonne Frischmais vergärt – und außerdem eine Menge Wärme, die im Winter praktisch zum Heizen ist, im Sommer aber in die Luft geblasen wird. Wer benötigt da schon zusätzliche Hitze? Ich, sagt Martin Lechner. Um seine Hackschnitzel zu trocknen. Die Wärme ist da und muss nicht zusätzlich erzeugt werden. Der Bauer wird entlohnt für heiße Luft. Und wenn im Winter die Feldarbeit ohnehin ruht, kann er mit seinem Fuhrpark das fertige Stückgut abliefern. Ein Coup für alle.

Dieses Jahr wird Ecolohe 12 300 Tonnen Hackschnitzel so trocknen, im kommenden sollen es 16 000 Tonnen werden. Die Firma hat dafür einen eigenen Namen erfunden und geschützt: „flokets“. Die Holzflocken enthalten maximal 15 Prozent Wasser und sind damit im Heizwert Pellets vergleichbar, kosten aber 20 Prozent weniger. „Außerdem kommt unsere Wärme aus der Heimat“, sagt Lechner – statt aus den Spänen sibirischer oder schwedischer Stämme.

Das regionale Konzept wird auch auf dem Gelände in Bad Aibling verfolgt. Nördlich des Solarparks testet das Unternehmen eine Kurzumtriebsplantage: schnell wachsende Bäume, die nach drei Jahren gehäckselt werden sollen. Doch die Weiden sehen eher traurig aus – man könnte meinen, Ecolohe züchte hier Trauerpappeln. Zufrieden ist Lechner damit bislang kaum. „Das muss man noch mal durchmulchen“, sagt er und wendet den Wagen. Ein Testgelände eben.

„Wir haben uns gefragt, wie wir Hackschnitzel für die Städte attraktiv machen“, sagt Lechner. „Eine 08/15-Heizanlage aus Beton, oben ein Deckel drauf, ein großer Kamin guckt irgendwo raus – das macht nichts her im Stadtbild. Die Bürger akzeptieren so was nicht.“ Der Grundgedanke also: Warum in Gottes Namen muss ein Heizkraftwerk hässlich sein? Kann man da nicht etwas machen? Man kann. Hier kommt das Design Matteo Thuns zum Tragen – verbunden mit einigen klugen Gedanken. Die Anlage darf nicht zu teuer sein. Es darf nicht lange dauern, sie mit Hackschnitzeln zu befüllen. Es darf dabei nicht stauben. Die Asche muss leicht entsorgbar sein. Und es darf ruhig ein Mehrwert für die Bürger rausspringen.

Martin Lechner schiebt das große Tor des Heizhauses zur Seite. Ein hohler Holzwürfel, in dem ein grauer Container steht. Eine Förderschnecke spiralt gleichmäßig Waldrestehackschnitzel in einen Heizkessel. Eine fahrbare Tonne für 240 Liter Asche. Das war’s.

„Der Clou an dem Ganzen ist, dass es nicht teurer ist als ein konventionelles Heizkraftwerk“, ruft er. Die Anlage sirrt gleichmäßig vor sich hin. Lechner muss nicht rufen, aber er tut’s trotzdem vor Begeisterung. „Wissen S’, in München gibt’s ein Mädchengymnasium, die haben für eine neue 600-KW-Hackschnitzelheizung den Keller umgebaut, daneben einen Erdbunker eingerichtet und so weiter. Die dürfen wir auch beliefern, deshalb bin ich zum Direktor hin mit dem Vertrag. Da hab’ ich ihm unsern Prospekt mit der Heizikone gezeigt und gesagt:
– Wenn i gonz ehrli bin, sag i, des hätten Sie ‘braucht!
– Ja, sagt er, das wär’ wirklich toll. Aber was des kost’! Gell?
– Ja, sag’ i, des kost’ so rund um die 300 000 Euro. Komplett wie’s da is’.
– Wissen S’, was wir ‘zahlt ham?, fragt er. 600 000 Euro für den ganzen Umbau und des Ganze!“

Zudem spart man Zeit. Denn durch die Holzständerbauweise wird die Heizikone vorfabriziert. „Mit Schindeln dran und allem“, sagt Lechner. „Und dann stellen Sie das in drei Tagen auf.“ Und statt die Hackschnitzel in einen Erdbunker zu schütten, was ordentlich staubt, länger dauert und den Stadtverkehr aufhalten kann, tauscht ein Lkw-Fahrer einfach den Container aus. „Das geht ruck, zuck“, sagt Lechner, „genau wie die Entsorgung der Asche: Viele Anlagen haben nur einen Auffangbehälter, und den tragen Sie mal die Treppe hoch! Unsere Tonne können Sie hinausrollen.“

Der hohle Holzwürfel ist nicht ausgefüllt. Lechner fährt mit dem Arm einmal quer durch den Raum und sagt: „Sie sehen ja, wie viel Platz hier ist. Das hier sind zehn mal zehn Meter. Sie können die Anlage auch auf acht mal acht Meter bauen. Oder Sie zweigen einen Teil ab, damit die Anwohner ihn nutzen können.“

Und auf einmal, ganz plötzlich, entsteht vor den Augen das Bild eines mit Lärchenschindeln bedeckten Heizhauses in einem Innenhof in einer beliebigen Stadt. Mit Restholzhackschnitzeln heizt es einen Achtgeschosser aus Holz und einen alten Häuserblock, der mit Lärchenfassaden von Josef Hubers Männern neu gedämmt wurde. Die Fassaden waren vorgefertigt, genau wie die Heizikone, und so stand beides in wenigen Tagen. Im Winter nehmen frierende Väter und Mütter ihre Kinder an der Hand und führen sie ins Heizhaus, um sich dort aufzuwärmen. Und einmal im Monat nimmt ein Lkw die Asche mit und streut sie im Wald aus, damit der Boden seine Nährstoffe zurückerhält.

Noch ist das eine Vision. Aber eine realistische. Und eine schöne. Das neue Holzzeitalter kann beginnen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.