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Gewinner national

Eckhard Jann weiß: Fehler stehen nicht allein, sie sind immer Teil einer langen Kette. Wer sie vermeiden will, muss nicht Schuldige finden, sondern weit zurückliegende Irrtümer.

Text: Dorit Kowitz

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Eckhard Jann ist Pilot, Trainer und Berater für das Sicherheitsmanagement in großen Unternehmen. Als Experte für die Ursachenforschung von Unfällen in der Luftfahrt hat er vor über zehn Jahren den ersten und einzigen Lehrgang dazu entwickelt und mittlerweile hunderte Sicherheitsmanager der Branche ausgebildet.

Jeder Mensch trifft rund 20 000 Entscheidungen – am Tag. Zigtausende geschehen unbewusst, wie etwa die, beim Laufen einen Fuß vor den anderen zu setzen. Tausende andere erledigen wir so routiniert, dass wir sie fast gar nicht bemerken: Blinker rechts, Hebel nach oben, Blinker links, Hebel nach unten.

Dass wir dabei Fehler machen, ist unvermeidlich und sogar nötig, denn aus ihnen lernen wir. Gefährlich wird es jedoch, wenn Fehler unbemerkt zur Routine werden, unbewusste Entscheidungen auf einer falschen Wahrnehmung beruhen oder bewusste Entscheidungen auf falschen Voraussetzungen. Dann können Flugzeuge abstürzen, Ölplattformen explodieren oder Kernschmelzen in Atomkraftwerken Menschen und Umwelt radioaktiv verseuchen. 

Keiner will das – wieso kommt es trotzdem dazu? Liegt es wirklich am Versagen Einzelner, die späterer vor Gericht gestellt werden? Der Unfallexperte und Sicherheitsmanager Eckhard Jann weiß aus Erfahrung: So einfach ist es nicht. Es gibt nie nur eine Ursache, einen Auslöser, einen Schuldigen. Jede menschengemachte Katastrophe basiert vielmehr auf einer Kette von Fehlentscheidungen, die auf unterschiedlichen Ebenen vorausgegangen sind. 

In seinem Buch «Fehler Eins» beschreibt Jann, wie man grundlegende falsche Entscheidungen identifizieren und dadurch schwerwiegende Folgen verhindern kann. Seine Erfahrungen und Erkenntnisse verbindet er zu einer Methode der modernen Fehlerkultur für Unternehmen, die er auch in seinen Schulungsprogrammen für die Luftfahrtbranche lehrt. Seine wichtigsten Thesen: 

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Eckhard Jann ist auch Pilot.

1. Die Ursache liegt weit zurück
Katastrophen oder Unfälle, die von Menschen verursacht wurden, sind immer auf einen „Fehler Eins“ zurückzuführen. Er ist der Ausgangspunkt einer ganzen Fehlerkette. Dass 1986 das Spaceshuttle Challenger kurz nach dem Start explodierte, lag an defekten Gummidichtungen. Obwohl bekannt war, dass die Dichtungen bei niedrigen Temperaturen porös wurden, startete die Rakete bei Kälte. Ein kleiner Fehler, auf den weitere Fehler und Fehlentscheidungen folgten, hatte tödliche Auswirkungen. (…) Verantwortlich ist aber nicht allein der Mensch, der vielleicht einen Moment unaufmerksam oder leichtsinnig war. Wir handeln nämlich nie losgelöst von den äußeren Umständen. 

Herr Jann, warum ist die Suche nach der Ursache von Fehlern so wichtig?
Eckhard Jann: Beim Identifizieren des initialen Fehlers schauen wir zunächst zurück. Es geht aber darum, den Blick nach vorne zu richten, in die Zukunft. Sie können unterschiedliche Vorfälle haben, die alle den gleichen Ursprung, den gleichen „Fehler Eins“ haben. Die Fehlerkette verzweigt sich aber in unterschiedliche Richtungen. Fehlerketten muss man sich vorstellen wie komplexe Kunstwerke aus Dominosteinen: Am Anfang kippt einer um, und von dort nimmt das Unheil seinen Lauf – je nachdem, wie die anderen Steine stehen. 

Solche Ketten nehmen an wichtigen Punkten verschiedene Bahnen, auf denen sie am Schluss nur zu dem Vorfall führen können, den Sie identifiziert haben. Wenn Sie immer nur auf das Ende der Fehlerkette schauen, werden Sie zukünftige Vorfälle also nicht verhindern, denn Sie kümmern sich nur um Symptome, nicht um die Ursachen. 

Anders ausgedrückt: Je weiter man vom entdeckten Vorfall, der vielleicht nur ein kleines Symptom darstellt, zurückgeht, desto höher ist die Chance, dadurch größere Probleme zu verhindern?
Genauso ist es. Es gibt eine riesige Dunkelziffer von latenten Fehlern und Widersprüchlichkeiten in Organisationen. Was Sie am Anfang sehen, ist in der Regel nur die Spitze Ihres Eisbergs. Wer sich darum kümmert und immer nur die Symptome zu beheben versucht, leistet der Entwicklung einer fatalen Fehlerkette, die nachher zur Katastrophe führen kann, unbewusst Vorschub.

In seinem Buch führt Jann aus:
Risiko ist das Einzige, was wir in unserem Leben oder unserem Betrieb beeinflussen können. Gefahren bleiben bestehen. Weder Glatteis noch ein Orkan oder ein Erdbeben lassen sich durch uns aufhalten oder beeinflussen. (…) Risiken können wir grundsätzlich beeinflussen, verändern oder schlussendlich auch akzeptieren. (…) Das Risiko ist immer das Ergebnis aus Eintrittswahrscheinlichkeit und erwarteter Schwere des Vorfalls. Ich betone ganz bewusst, dass es sich um die erwartete Schwere handelt und nicht um die tatsächlichen Auswirkungen eines Vorfalls. 

(…)

Versicherer können die Sterblichkeitsrate für einige Risikosportarten sehr genau berechnen: Bei Motorradrennen liegt die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Unfalls bei 1 zu 1000, beim Drachenfliegen bei 1 zu 560, beim Base-Jumping bei 1 zu 60 – und beim Bergsteigen in Nepal bei schon mal 1 zu 16. Buchen Sie keine Pauschalreise auf den Annapurna. (…)

Nach einer Studie der amerikanischen Kommission für nukleare Sicherheit von Mitte der 1970er-Jahre war rechnerisch nur alle 1 000 000 oder sogar nur alle 10 000 000 Jahre mit einem Super-GAU zu rechnen. Die Öffentlichkeit war beruhigt, weltweit begannen die Staaten in großem Umfang Atomkraftwerke zu bauen. Damals wurden aber weder Gefahren durch einen terroristischen Angriff noch Auswirkungen eines Tsunamis berücksichtigt. Heute schon: Bei aktuell geschätzten 500 Atomkraftwerken weltweit wäre nach neuen Schätzungen alle 20 Jahre eine Kernschmelze wie in Tschernobyl möglich. 

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„Fehler Eins
Alles beginnt aus einem Grund“ 

Eckhard Jann
Vahlen, 2021

225 Seiten, 26,90 Euro

Zur Zusammenfassung

2. Unser Denken ist grundsätzlich fehleranfällig
Unser Denken ist fehleranfällig, weil unser Gehirn Abkürzungen sucht. Fast immer stehen Fehler mit der sinnlichen Wahrnehmung im Zusammenhang. Wir verhören uns, unterliegen einer optischen Täuschung oder werden Opfer von selektiver Wahrnehmung. Wir nehmen die Realität nicht wahr, wie sie ist, sondern durch einen Filter von Erfahrungen, Erinnerungen, mentalen Modellen und Emotionen. 

Hinzu kommt, dass unser Denken von Gewohnheiten geprägt ist. Das menschliche Gehirn wäre völlig überfordert, würde es alles um uns herum permanent neu erfassen und bearbeiten. 

Ein typischer Denkfehler ist der Halo-Effekt. Dabei schließt das Gehirn von einer hervorstechenden Eigenschaft einer Person auf alle unbekannten Eigenschaften. Wer überdurchschnittlich gut aussieht, wird oft auch für besonders erfolgreich und intelligent gehalten. 

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass unter starkem Stress die Fehlerwahrscheinlichkeit bei hochkomplexen Aufgaben auf bis zu 100 Prozent steigt.
Aus der Atomwirtschaft bekannt ist die „Human Error Rate Prediction“, die aus zwei Faktoren errechnet, wie wahrscheinlich ein menschlicher Fehler in einem Prozess ist: Zeitdruck und Komplexität der Aufgabe. Stress allein führt nicht zu hundertprozentiger Fehlerwahrscheinlichkeit, aber …

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Longlist – national

Gewinner:

Eckhard Jann

Fehler Eins

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Das Phönix-Prinzip

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