Schöne Ferien!

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Und plötzlich ist es für einen Moment ruhig. Die Luft ist warm, Blätter rauschen im Wind, die Bäume bewegen sich hin und her. Ein Vogel zwitschert unverständlich, das Rascheln von Flügeln, dann ist er fort. Stille. Sich ausbreitend. Wie leichte Bewegung auf dem Wasser. Ein hineingeworfener Kiesel, längst versunken, da sind nur noch die Ringe, gleichmäßig wachsend, über die Wasseroberfläche ziehend, ohne Antrieb, ohne Geräusch, ohne Ziel. Das ist. Der Moment des ersten Gedankens. Ein Gefühl, als hätte jemand ein Fenster geöffnet, in einem Zimmer, das noch nie betreten wurde. Kein Wort. Nur. Stille.

Dann kehrt der Lärm zurück.

Balthasar Schramm, Chef von Sony Music Entertainment Deutschland, konnte nicht kommen, weil er nach Japan musste, wo sein Mutterkonzern eine I-Pod-Konkurrenz präsentierte.

Man muss sich das vorstellen.

Sony, das Unternehmen, das den Walkman erfunden hat und die Minidisc, kopiert ein Produkt, das eigentlich zu seiner Kernkompetenz gehört, von einem Unternehmen, das mit solchen Produkten bis vor kurzem nichts zu tun hatte. Dabei hatte gerade einige Minuten zuvor ein Entwickler für Handy-Nutzungen von Siemens erklärt, dass Me-too-Produkte, also Kopien originärer Konzepte, in Zukunft keine Chance mehr hätten. Und darum ging es schließlich bei Forward2Business, einem Kongress Ende Mai in Halle: um die Zukunft.

Der Entertainment-Branche.

Und damit, so könnte man denken, auch des Entertainments. Der Unterhaltung. Der Kultur. Aber Künstler waren kaum eingeladen, und von Content, Inhalten - Musik, Filmen, Texten, Bildern, Ideen - war selten die Rede. Es ging vor allem darum, wie man ihn verkauft, den Content. Um die Verpackung. Den Vertrieb. Und dessen Zukunft. Meistens jedenfalls. Ulrich Järkel von der Bertelsmann Music Group, der kurzfristig als Ersatz für den mit dem Update der Vergangenheit beschäftigten Sony-Chef eingesprungen war, erklärte, in seiner Firma wäre kaum Zeit weiterzudenken - das Alltagsgeschäft sei viel zu zeitraubend, mehr als eine halbe Stunde pro Woche sei nicht drin. Da hat er Glück, dass es auch eine Zukunft gibt, wenn man sich nicht darum kümmert.

Oder Pech?

Ein anderer Moment. Eine ruhige Seitenstraße an einem Sommerabend. Ein junger Mann auf dem Weg zum Zigarettenautomaten. Alle paar Meter reißt er ein Bein hoch. Tritte in die Luft. Auf Kopfhöhe. Kein Auto, kein Mensch, keine Störung. Und der Luft macht es nichts aus. Es ist warm. Und ich? Denke: Nein, ich leg' mich nicht mit ihm an. Es ist nur seine Zufriedenheit. In dieser Bewegung. Ja, vielleicht ist er ein Schläger. Aber hier, in diesem Moment, ist er bloß einer, der tut, was er tut. Mit allem, was er ist. Wie ein Kind. Das über Minuten in den Garten schaut. Schweigend. Bis es aufsteht. Zur Mutter geht. Und sagt: "Bist du sicher, dass man bei Regen nicht schwimmen gehen kann?" Bist du da ganz sicher?

Da war also dieser Mann von Siemens, der Handy-Anwendungen konzipierte, die in drei bis fünf Jahren auf den Markt kommen sollten. Dann einer aus der Entwicklungsabteilung von Volkswagen, der erklärte, dass, ausgehend von der Planungszeit und der Lebensdauer eines neuen Autos, der Zeithorizont seiner Firma bei rund 30 Jahren liege. Und eine Forscherin aus der Entwicklung von Philips antwortete, nach ihrer Planungsperspektive gefragt: "Wissen Sie, das Patent für die Mikrowelle wurde 1946 eingereicht, durchgesetzt hat sich die Technik in den achtziger Jahren. Das sind die Zeiträume, in denen Sie denken sollten." Und dagegen die Jungs aus der Musik- und Filmindustrie.

Deren Ergebnishorizont umfasst exakt den Zeitraum, den es braucht, um einen Song oder einen Film aus dem Internet zu laden. Reagieren statt agieren. Hinterherrennen statt vordenken. Und bloß nicht langfristig planen. Das ist tödlich, nicht nur für Entertainment-Konzerne. Aber zumindest im Fall der Musikindustrie ist es langfristig eine gute Nachricht: Denn 5000 kleine Firmen sind besser als fünf große.

Ich stelle mir die Ruhe vor. In den Entwicklungsabteilungen intelligenter Unternehmen. Gut bezahlte Fachkräfte. Warten. Auf eine Idee. In der Stille vor dem ersten Schuss. Vielleicht ist das nur eine Illusion.

Vielleicht gibt es das überhaupt nicht. Vielleicht müssen auch diese Leute Quartalsberichte verfassen. Und in denen muss mehr stehen als: "Habe unter einem Baum gesessen und geschaut, ob ein Apfel runterfällt, um die Schwerkraft zu entdecken." Aber das glaube ich nicht. Sie reden nur nicht darüber. Ich glaube, wer heute innehält und wartet, ohne Grenze und Ziel, wer die Konsenswerte Effizienz und Kontrolle verrät, spricht bloß nicht darüber. Der sagt: "Natürlich. Sicher. Klar. Controlling. Wichtig. Muss." Und sieht aus dem Fenster. Ein Baum, lautlos hinter der Glasscheibe. Ein Vogel. Kurz kreuzen sich die Blicke.

Aber das gilt natürlich nicht nur für die Arbeit.

Was will ich eigentlich sagen? Nix! Bloß: der Sommer.

Ferien.

Die Ruhe. Kein Fernsehen. Keine Zeitungen. Dann weißt du nicht, was passiert? Es passiert nichts, keine Sorge. Unterhaltung? Wozu? Keine leichte Lektüre. Wenn schon, dann ein kompliziertes Buch. Wann willst du es sonst lesen? Im Alltag? Da ist der Kopf viel zu voll. Aber wozu überhaupt ein Buch? Wozu den I-Pod mitnehmen? Wozu den Laptop? Wozu den Gameboy? Wozu die Stille vertreiben? Wann hast du Zeit für die Stille, wenn nicht jetzt? An einer Landstraße, an einem sehr heißen Tag, neben einem Feld, auf dem Staub liegt wie zu Hause auf den gesammelten Werken von Friedrich Nietzsche. Brennende Sonne. Und die Grillen laut wie Rasenmäher. Setz dich unter einen Busch, am Rand eines fast feuchten Grabens. Die Luft flimmert. Eine Bewegung, die keine Bewegung ist. Da sitzt du. Und es passiert.

Nichts.

Außer dass du schwitzt. Nein, es gibt keine Garantie für die Erkenntnis. Also gehst du zurück in das verdammte Hotel, reißt dir die verdammten Klamotten vom Leib und springst in den kleinen Pool. Uff, tut das gut. Den Kopf unter Wasser. Kühl. Und da hast du sie eventuell dann doch. Die Idee.

Schöne Ferien.