Führung oder Ent-Führung?

Fragen an Stephan A. Jansen



Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 03/2015.

Lange galt es als erstrebenswert, Chef zu werden, inzwischen ziehen immer mehr vor allem jüngere Leute eine Fachkarriere vor. Woran liegt das?

Führung hat die vermeintlichen Privilegien und Möglichkeiten der Macht zugunsten einer Dienstleistungsfunktion für das Team verloren. Sie ist damit komplex, fordernd, kaum planbar, nicht linear und gleichzeitig immer stärker durch Compliance- und Governance-Systeme fremdkontrolliert. Dazu kommt, dass Führung nur dann notwendig und sichtbar wird, wenn es nicht läuft. Sie ist in den heutigen Tagen zu einer Art Dauerkrisenmanagement geworden, und das wiederum spricht nur bestimmte Typen an, die aber nicht zwingend Lust haben, die Hälfte ihrer Arbeitszeit auf die langjährige taktische Absicherung ihrer Konzernkarriere zu verwenden. Führung könnte also tatsächlich zu einem der Engpassfaktoren werden.

Besonders die sogenannte Generation Y soll sich der Führungsverantwortung verweigern – stimmt das eigentlich?

Generationsbeschreibungen stimmen letztlich nie – sie sind zu stark von der Beschreibung und der Erwartung der vorhergehenden Generation belastet. Einer aktuellen Studie von Deloitte zufolge, für die 7806 nach dem Jahr 1982 geborene Menschen in 29 Ländern aller Kontinente befragt worden sind, strebt in Deutschland nur jede dritte junge Frau (29 Prozent) eine leitende berufliche Position an, bei Männern sind es 46 Prozent. Das ist das Schlusslicht im internationalen Vergleich.

Aber auch in den anderen Ländern äußern die jungen Leute Zweifel am alten Modell. Die Studie beginnt mit dem Satz: „Die Millenials glauben in ihrer übergroßen Mehrheit, dass die Wirtschaft einen Neuanfang braucht, sowohl was die Aufmerksamkeit für Menschen und Ziele angeht, als auch ihre Produkte und Gewinne betreffend.“ Es scheint dieser Generation bei aller Produkt- und Gewinnproduktion an Sinnproduktion zu fehlen. Sie wünschen sich Arbeitgeber, die nicht nur Erfolge zählen, sondern auch von den Folgen der gemeinsamen Arbeit erzählen.

Da kommt wohl zum Tragen, dass diese Generation eine bisher nie gekannte konfliktfreie Elternbeziehung erlebt hat – und damit auch einen tiefen und ungefilterten Einblick in die Berufserfahrung der Eltern. Sie wissen um deren Angst vor Arbeitslosigkeit, den Stress mit immer schnellerer Restrukturierung, mit Burnout und Scheidung.

Bei der sogenannten Boheme, der zumeist herkunftsunterstützten Elite, lassen sich zwei Vorlieben erkennen: das Beamtentum und Experimente mit dem For-Profit- und Non-Profit-Unternehmertum. In Sachen Führung scheint sich allerdings nicht viel zu ändern: Studien der Universität Hohenheim und der Deutschen Hochschule der Polizei zeigen, dass die Führungsstile der jungen Gründer oft noch machiavellistischer und narzisstischer sind als die der von ihnen kritisierten Chefs.

Daneben gibt es aber immer noch eine durch Bildung aufsteigende Mittelschicht und damit auch viele neue Akademiker, die sehr wohl in Führungsverantwortung wollen. Ihre Herausforderung wird sein, dass sie genau jene Generation führen sollen, die sich gegen Führung stellt.

Das wird nicht ihr einziges Problem sein, wenn man die Arbeitswelt betrachtet.

Tatsächlich verändert sie sich grundlegend, dabei sind drei kurz-, mittel- und langfristige Trends erkennbar: (1) Aufgrund des demografischen Wandels wird aus dem in Deutschland seit Jahrzehnten gewohnten Arbeitgeber- ein Arbeitnehmermarkt. Junge Mitarbeiter werden wertvoller und wollen – so sie eine Führungskarriere anstreben – früher ran oder raus. Die Aufstiegsdauer sinkt, ebenso wie die Loyalität gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber. (2) Die von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vermutete „digitale Maschinisierung“ von geistiger Arbeit und zunehmend der Dienstleistung wird Arbeit und Führung verändern. (3) Die seit Jahren erkennbare „Feminisierung der Intelligenz“ könnte eine Feminisierung der Führung  bedeuten, die gläserne Decke durchstoßen und die derzeit als sinnvoll erachtete Frauenquote faktisch aufheben. Intelligente Arbeitgeberinnen werden intelligente Frauen einstellen und intelligentere Arbeitszeitmodelle normalisieren.

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