Wirtschaftsbücher gelesen und empfohlen von Peter Felixberger

Sudhir Venkatesh:
Underground Economy - Was Gangs und Unternehmen gemeinsam haben.
Econ, 2008; 336 Seiten; 18 Euro

Auf einen Blick

Ein indischer Soziologiestudent verbringt für seine Doktorarbeit Jahre in den ärmsten Ghettos von Chicago. Besser gesagt in einer Gang bewaffneter Drogen-Dealer, mit etwa 250 Mitgliedern, die vom Crack-Verkauf bis zum Eintreiben von Schutzgeld die gesamte Palette organisierter Kriminalität beherrschen. Das ist beste Gonzo-Wissenschaft, auf exzentrische Weise subjektiv, engagiert, mit Leidenschaft erzählt.

Warum lesen?

Gangster beschäftigen sich mit ihrem Geschäftsmodell genauso intensiv wie Manager. Es geht um Mitarbeiterführung, gerechte Löhne, Karriereplanung, Investitionen und ja, auch um werteorientierte Geschäftsführung. Also genau wie in Konzernen darum, Respekt, Vertrauen, Verantwortung, Leistung und Kundennähe jeden Tag aufs Neue in der Organisation umzusetzen.

Für wen?

Manager bekommen hier die wichtigste Lektion für ihren Job in klaren Worten erklärt. Nämlich: Probleme zu erkennen und Entscheidungen zu treffen. Garantiert ohne Beraterfirlefanz und Meeting-Budenzauber.

Kernaussage

"Du musst verstehen, dass die Black Kings keine Gang sind, sondern eine Communi-ty-Organisation - wir befriedigen die Bedürfnisse der Menschen." J. T., Gangsterboss Stephan Selke: Fast ganz unten -Wie man in Deutschland durch die Hilfe von Lebensmitteltafeln satt wird.Westfälisches Dampfboot, 2008; 240 Seiten; 19,90 Euro

Auf einen Blick

Fast 800 Lebensmitteltafeln versorgen mittlerweile knapp eine Million Menschen hierzulande. Es ist nicht nur der Hunger, der diese Menschen an die Tafeln treibt. Sie wollen Gesellschaft, Gespräche und das gute Gefühl, willkommen zu sein und keine Fragen beantworten zu müssen. Ein Soziologe legt die erste kritische Sozialreportage über die Projekte vor. Er seziert den Alltag, lässt die Beteiligten zu Wort kommen. Er zeigt auch die Schattenseiten: Denn hinter dem Gutmenschentum finden sich jede Menge egoistischer Antriebe. Und er fragt, warum die vielen Tafeln eigentlich bislang politisch nichts bewegen.

Warum lesen?

Hier will einer aufrütteln - nicht nur als solidarische Pflichterfüllung, sondern auch als Appell an die Akteure, die Tafelidee nicht zum Menschenzoo verkommen zu lassen, in dem die Armen von Gutmenschen durchgefüttert werden.

Für wen?

Für alle, die Gutes tun.

Kernaussage

"Das eigentliche Ziel der Tafelbewegung müsste die Selbstabschaffung der Tafeln sein. Dann wären die Tafeln wirklich erfolgreich."

Nassim Nicholas Taleb:
Der Schwarze Sc hwan - Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse.
Carl Hanser, 2008; 435 Seiten; 24,90 Euro

Auf einen Blick

Warum passieren extreme und unvorhersehbare Ereignisse? Warum wird das Unwahrscheinliche wahr? Warum sind wir blind gegenüber dem Zufall? Taleb gibt unbequeme Antworten: Wir denken erstens viel weniger, als wir glauben. Und wir verschwenden zweitens beim wenigen Nachdenken unsere Energie aufs Nebensächliche. Was fatale Folgen hat: Wir wissen das Falsche oder nichts. Wie bei Börsenkrisen, Flugzeugabstürzen oder Stromausfällen im negativen oder bei Buch-Bestsellern, Google oder zufälligen Mega-Hits im positiven Sinn. Experten tappen sowieso im Dunkeln.

Warum lesen?

Es gibt nur wenige herausragende Wirtschaftspublizisten. Und es gibt noch weniger ausgezeichnete Wirtschaftsbücher. Deshalb ist es eigentlich unwahrscheinlich, ein ausgezeichnetes Wirtschaftsbuch von einem herausragenden Wirtschaftspublizisten zu finden. Taleb ist dieser schwarze Schwan. Ein einsamer Dissident, der sich selbst so wenig traut wie den vermeintlichen Gesetzen und Regeln, nach denen Wirtschaft funktioniert.

Für wen?

Alle Betriebswirte, die den Begriff "Topdown" noch wie ein Mantra verehren. Es gibt einfach keine Erfolgsplanung von oben nach unten. Es gibt nur ein Ausprobieren und einige wenige Gelegenheiten beim Schopf zu packen.

Kernaussage

"In der Kluft zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir zu wissen glauben, werden Schwarze Schwäne produziert."

Lars Reppesgaard:
Das Google -Imperium - Wie Google wirklich tickt.
Murmann, 2008; 280 Seiten; 19,90 Euro

Auf einen Blick

Google ist eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Das Prinzip: mit Werbung Geld zu verdienen und es in den Ausbau von Technik und neuen Diensten zu stecken. Längst sind wir alle Bewohner des Planeten Google. Ein Wirtschaftsjournalist durfte jetzt als einer von wenigen bei Google recherchieren. Im Hauptquartier in den USA genauso wie in Europa. Er hat die Gelegenheit klug genutzt. Und so gelingen ihm als Erstem umfassende Einblicke hinter die Kulissen. Ohne jede Verschwörungstheorie.

Warum lesen?

Google hat sich verselbstständigt: Es ist wie ein Kinder-Raumschiff, das tut, was es will. Und dabei nicht merkt, dass es teilweise bereits jenseits von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten agiert. Hauptsache, das Image ist bunt und freundlich. Zum zehnten Geburtstag braucht man deshalb keine Jubelschrift, sondern eine klare, ehrliche und kritische Analyse. Das könnte beiden Seiten helfen: Google, weil es mehr über sich erfährt. Und den Millionen Verbrauchern, die es in der Hand hätten, Google das Licht auszudrehen.

Für wen?

Internet-Nutzer, Tüftler, Blogger und alle Menschen, die Technik nicht verstehen, aber sie täglich nutzen und endlich mehr darüber wissen wollen. Ferner für Wirtschaftsinformatik- und Mathematik-Studenten, Programmierer, aber auch Marketing- und PR-Leute, die sich bei Google bewerben und ebenfalls mehr erfahren wollen.

Kernaussage

"Es geht darum, Google nicht schwarzweiß zu bewerten. Wichtiger ist: Was haben wir davon, und wo lauern die Fallen? Damit man selbst eine Entscheidung treffen kann, wie man künftig mit dem Imperium umgeht."

Kathrin Passig / Sascha Lobo:
Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin.
Rowohlt, 2008; 288 Seiten; 19,90 Euro

Auf einen Blick

Der Lifestyle Of Bad Organization, kurz Lobo, ist das Gegenteil dessen, was Nutzenmaximierer und Ordnungsfetischisten wollen. Die Kernthese lautet: Alles Machbare lässt sich aufschieben, sogar das Unumgängliche kann man getrost unterlassen. Die alte Fahrlehrerweisheit "Langsam kommen lassen" korrespondiert dabei mit dem chinesischen Wu Wei: Das Notwendige muss im richtigen Moment und dann ohne Anstrengung und wie von allein geschehen. Denn wer ständig alles gibt, hat im entscheidenden Moment nichts mehr draufzulegen.

Warum lesen?

In der ewigen Flut von How-to-do-Ratgebern mit Glücksversprechen aller Art ist es eine Wohltat, sich einmal nicht verbessern und optimieren zu müssen. Im Gegenteil: Nur her mit den menschlichen Schwächen wie Disziplin- und Antriebslosigkeit! Sie zeigen doch nur, dass wir mit vielem im Leben überfordert sind und das Paradies längst woanders vermuten.

Für wen?

Alle Leidensgenossen, die sich im täglichen Wahn nach Vollkommenheit und Erfolg der eigenen Unzulänglichkeit bewusst werden und sich nicht weiter schämen wollen. "Schieb dein Unglück auf die lange Bank! " ist das Mantra der neuen Effizienzverweigerer. Steuererklärungen, To-do-Listen und wichtige E-Mails verlieren plötzlich an unmittelbarer Macht und Bedeutung.

Kernaussage

"Du musst dich doch nicht bemühen. Die Bäume werden doch auch von selber grün." (Tocotronic, Rockband aus Hamburg)

Ori & Rom Brafman:
Kopflos - Wie unser Bauchgefühl uns in die Irre führt - und was wir dagegen tun können.
Campus, 2008; 216 Seiten; 19,90 Euro

Auf einen Blick

Viele von uns sehen sich als vernünftige oder zumindest vernunftbegabte Wesen. Sind wir aber nicht, denn wir sind auch Weltmeister im Gehirn-Ausschalten. Etwa, wenn wir trotz stark fallender Kurse Aktien halten und nicht verkaufen - gegen jede Vernunft hoffend, dass am Ende doch noch alles gut wird. Oder wenn wir eine Meinung über einen Film oder ein Buch äußern, ohne ihn gesehen oder es gelesen zu haben. Zwei Brüder, der eine Psychologe, der andere Topmanager, arbeiten sich mit Vergnügen durch die ewig lange Liste des laufenden Schwachsinns. Zeigen unter anderem den Unsinn von Vorstellungsgesprächen und die Macht eines hübschen Lächelns in der Werbung für Bankkredite.

Warum lesen?

In den vergangenen Jahren haben uns zahlreiche Autoren zu überzeugen versucht, dass der Mensch ohne seine Bauchgefühle nicht viel auf die Reihe bringt. Jetzt müssen wir erkennen, wie sie uns systematisch vom Pfad der Vernunft abbringen. Wenn, wie im vorliegenden Fall, zwei Experten auch noch unterhaltsam schreiben können, kommt es zum seltenen Fall eines amüsanten Drei-Stunden-Leseabenteuers mit zehnmal so vielen Aha-Effekten.

Für wen?

Alle Menschen, die wenigstens wissen wollen, warum sie so oft herumdilettieren. Besonders PR- und Werbemanager, deren Ideen nicht selten Ausdruck dieser Kopflosigkeit sind. Sowie die ganz vernünftigen Führungskräfte, deren rationale Argumentkeule täglich durch die Büros schwingt.

Kernaussage

"Tatsache ist, dass jeder von uns durch Faktoren beeinflusst wird, die nichts mit Logik und Vernunft zu tun haben."

Robert Griesbeck:
Unser Wald muss moderner werden - Eine Fabel von der Globalisierung.
Droemer Knauer, 2008; 240 Seiten; 14,95 Euro

Auf einen Blick

Tierfabeln sind so alt wie der Böhmerwald. Das hat gute Gründe: Wenn Tiere wie Menschen handeln, werden unser Verhalten und dessen bizarre Abgründe sichtbar. Wie auch im vorliegenden Fall: Ein Wiesel und ein Auerhahn erfahren von einem Hofhund, der mit Herrchen jeden Abend in den Fernsehnachrichten verfolgt, dass die Globalisierung nicht mehr aufzuhalten ist. Und mit ihr die großen Plagen vom Waldsterben bis hin zu den Hedgefonds. Was tun? Am besten so schlau werden wie die Menschentiere. So beginnt eine erhellende Stop-and-go-Reise durch Bankenkrise, Religionskrieg und Volksverdummung. Doch die Klugheit der Tiere ist am Ende stärker. Genauso wie der Böhmerwald.

Warum lesen?

Das mediale Panikorchester, das uns täglich mit Horrormeldungen volldröhnt, nimmt keine Rücksicht mehr auf den gesunden Menschenverstand. Katastrophen und Unglück, wohin man blickt. Der ideale Nährboden für das Geschnatter um Auswege und Lösungen. Im Namen des Desasters ist alles erlaubt. Blöd ist nur, wenn die Lösungen zum Problem werden. Dann stehen wir da wie der Ochs vorm Berg.

Für wen?

Für alle Multiplikatoren, Entscheider und Wichtigtuer, die täglich die Weisheit mit Löffeln fressen und gleichzeitig die Welt mit selbiger aus den Angeln heben.

Kernaussage

"Was meinst du eigentlich, wie hoch die Arbeitslosigkeit im Wald ist?", fragte das Wiesel den Dachs. "Arbeitslosigkeit?", sagte dieser verblüfft. "Na, ich denke null. Es tut doch jeder von uns etwas."

Tim Harford: Die Logik des Leb ens -Warum Ihr Boss überbezahlt ist, Oralsex boomt und New Orleans nicht wieder aufgebaut wird.
Riemann, 2008; 352 Seiten; 19 Euro

Auf einen Blick

Die reine Lehre besagt: Wirtschaft ist das Ergebnis rationalen Handelns. Und alle Akteure sind im Normalfall berechenbar. Im Prinzip ja, erwidert der Praktiker, auch wenn die Folgen manchmal höchst überraschend sind. Ein Alltagsbeispiel: Man geht mit zehn Leuten in ein Restaurant. Im ersten Überschwang einigt man sich unbürokratisch, die gesamte Zeche zu gleichen Teilen auf alle zu verteilen. Klingt zunächst ökonomisch sinnvoll und gerecht, doch das Ende vom Lied sieht anders aus: Alle zahlen mehr, weil jeder mehr bestellt, in der Sorge, zu kurz zu kommen. Das ist wirtschaftliche Logik mit unangenehmen Folgen. Ökonomics-Autor Tim Harford ist eine sprudelnde Quelle, was die bizarren und tragischen Folgen rationalen Handelns betrifft. Harford gilt nicht umsonst als der Meister der "Kleine Ursachen-mit-großen-Folgen"-Literatur. In den USA ist er längst ein Bestseller-Autor.

Warum lesen?

Trotz aller Nebenfolgen: Im Grunde verhalten wir uns - jeder für sich - ganz clever. Es ist nur ein weitverbreiteter Trugschluss, zu glauben, dass die Folgen daraus ebenso positiv sein müssen. Wer Wirtschaft besser verstehen will, muss die kühle Logik des Handelns aus dem Wirklichkeitsgebrodel herausdestillieren.

Für wen?

Alle Menschen, die glauben, Wirtschaft sei pures Teufelszeug und das Ergebnis niederer Triebe. Insbesondere geeignet für Feuilletonredakteure und Gewerkschaftsfunktionäre, die gern Ursache und Wirkung vertauschen.

Kernaussage

"Wenn man die Welt verstehen will - oder herausfinden will, wie man sie verändern kann -, fängt man am besten bei den rationalen Entscheidungen an, die unser Leben prägen."




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