"The New Yorker" vom 24. Juli 2000

Sie sind riesengroß, wunderschön und werden systematisch vernichtet: alte amerikanische Tageszeitungen. Ihre Feinde sind absurderweise die, die sie bewahren sollen, die großen amerikanischen Bibliotheken. Um Lagerraum zu sparen, werden dort seit den fünfziger Jahren weit über hundert Jahre alte Tageszeitungen auf Mikrofilm gespeichert, eine Methode, die auf zwei Irrtümern beruht: Altes Papier gilt wegen seines hohen Säuregehalts als Material, das sich selbst zerstört. Ein Mythos, der inzwischen in Langzeitstudien widerlegt wurde. Und Mikrofilme gelten als besonders haltbar, was, wie jeder Nutzer von Mikrofilmarchiven weiß, ebenfalls nicht stimmt. Der Mythos Mikrofilm entwickelte sich aus seinem Nutzen im Krieg. Bereits 1870 verwendeten die Franzosen Mikrofilme, als die Preußen Paris belagerten. Während des Zweiten Weltkrieges und später im Kalten Krieg gehörte der Mikrofilm in den Spionage-Alltag. Verner Clapp, der in den fünfziger Jahren als Vize-Chef der Library of Congress die Mikrofilm-Archivierung durchsetzte, arbeitete bezeichnenderweise nebenher geheim für die CIA. Weil bei der Verarbeitung zu Mikrofilm die Originale oft zerstört werden, schrumpft in den USA diese Quelle historischen Wissens. Der Schriftsteller Nicholson Baker, der im " New Yorker" darüber schrieb, hat eine Stiftung gegründet, die nun alte US-Zeitungen lagert. Für einige Jahrgänge der "Chicago Tribüne", die von der British Library verkauft wurden, bezahlte er 63 000 Dollar. Die Zeitungen auf Mikrofilm zu speichern würde etwa 177 000 Dollar kosten. Bizarre Entwicklung: Die Originale sind heute billiger als die Kopien. (PL)


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