Wenn Konsumenten bei Aldi oder Alnatura Bio-Karotten aufs Band legen, haben sie ein gutes Gewissen. Wenn Investoren sich für nachhaltige Anlagen entscheiden, machen sie das, weil es sich für sie auszahlt. Robert Haßler, Experte für Corporate Social Responsibility, kurz CSR, hält allein das Ergebnis für wichtig. Seine Rating-Agentur Oekom Research AG bewertet das ökologische und ethische Handeln von Unternehmen. Ein Gespräch über das Gutmenschentum an den weltweiten Kapitalmärkten.




Herr Haßler, eigentlich haben Sie momentan allen Grund zur Freude: Der Markt für faire Produkte wächst seit Jahren, zuletzt um 40 Prozent auf weltweit 1,6 Milliarden Euro. Manch einer spricht – in Anlehnung an die erfolgreiche Öko-Brause – sogar schon von einer Bionadisierung der Gesellschaft.

Auch auf die Gefahr hin, dass Sie mich jetzt einen Skeptiker nennen: Ich bin zumindest vorsichtig, was das derzeit so hochgelobte grüne Gewissen der Käufer angeht. Wissenschaftler haben schon häufig festgestellt, dass Menschen oft zwar das eine sagen, zugleich aber das andere tun. An der Kasse entscheiden sich viele doch lieber für den schicken Marken- und nicht für den fair hergestellten Turnschuh.

Sicher wächst die Zahl jener, die ihre Kaufentscheidung nach sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten, etwa beim Lebensmittelkauf. Aber die Gestaltungsmacht der Verbraucher wird meiner Ansicht nach leicht überschätzt. Der viel spannendere und einflussreichere Hebel für Produkte, denen das Label Nachhaltigkeit gebührt, sind die institutionellen Anleger ...

... von denen es aber erst eine Handvoll gibt. Viele deutsche Fondsmanager halten beispielsweise die im Altersvermögensgesetz festgehaltene Pflicht, ihre Anleger über ethische, soziale und ökologische Belange zu informieren, für nicht viel mehr als eine lästige Formalie.

Rein vom Volumen her mögen Sie recht haben. In Deutschland liegt der Anteil nachhaltiger Investitionen trotz recht beeindruckender Wachstumsraten erst bei etwa einem Prozent des gesamten Fondsmarktes. Und nur zwei deutsche institutionelle Investoren, die KfW Bankengruppe und die Münchener Rück, haben bislang die „Principles for Responsible Investment“ der UNO unterzeichnet.

Doch im Ausland sieht die Situation schon ganz anders aus: In den USA summieren sich nachhaltige Geldanlagen schon auf mehr als zehn Prozent des gesamten Fondsvermögens. Dort machen viele Pensionsfonds ihre Investmententscheidungen auch bereits ganz konkret davon abhängig, ob ein Unternehmen an den Leitbörsen New York und London in den neu etablierten Nachhaltigkeitsindizes gelistet ist, die nur Unternehmen aufnehmen, die in Sachen CSR innerhalb ihrer Branchen zu den Klassen-Besten gehören.

Wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Entwicklung?

Wir haben in Deutschland keine Aktienkultur – zumindest noch nicht. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass unser Rentenversicherungssystem nicht wie im Ausland auf großen Pensionsfonds basiert. Da sind uns Länder mit einer am Kapitalmarkt gedeckten Altersvorsorge weit voraus.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen Sie unsere Nachbarn aus Skandinavien. Im staatlichen norwegischen Pensionsfonds stecken rund 200 Milliarden Euro an Vermögen, er ist europaweit der größte und weltweit der zweitgrößte Pensionsfonds. Sein Geld, so steht es in den Statuten, soll nur in ethisch korrekten Unternehmen angelegt werden. Hintergrund ist eine ausführliche öffentliche Diskussion Ende der neunziger Jahre. Damals wurde bekannt, dass der Pensionsfonds unter anderem in ein Unternehmen investierte, das Landminen herstellte – und das, obwohl sich Norwegen kurz zuvor aktiv für die Anti-Landminen-Konvention eingesetzt hatte. Der öffentliche Druck war so groß, dass das Investment wieder zurückgezogen wurde.

Seitdem wird jedes Unternehmen, in das die Fondsverwalter investieren wollen, von zwei unabhängigen Gremien – einem eigens dafür einberufenen Ethikrat und einer Abteilung bei der norwegischen Zentralbank – daraufhin geprüft, ob es eine saubere Weste hat. Wer sich unethisch verhält, wird aus dem Portfolio geworfen. Im vergangenen Sommer traf es Walmart. Begründung: Der weltgrößte Einzelhändler verstoße systematisch gegen Arbeits- und Menschenrechte. Sie können sicher sein: So eine Meldung steht am nächsten Tag in der weltweiten Wirtschaftspresse.

Und sie wird weitreichende Konsequenzen haben. Aber ist so eine Entscheidung vernünftig und für die Leser weltweit auch rational?

Gewiss – sofern Sie mit rational nachvollziehbar meinen. Man muss nicht jedes einzelne Kriterium der norwegischen Kommission kennen, um die Kernaussage der Entscheidung zu begreifen: Wir wollen keine Unternehmen unterstützen, die ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung nicht nachkommen.

Diese Haltung ist übrigens nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch ökonomisches Kalkül. Nehmen Sie etwa den Reputationsverlust, den ein handfester sozialer oder ökologischer Skandal bei einem Unternehmen verursacht. Unappetitliche Meldungen über Kinderarbeit oder Hungerlöhne können sich regelrecht in das Langzeitgedächtnis des Verbrauchers einbrennen. Und das schlägt sich auch in den Zahlen wieder.

Also ist es letztlich doch das neue Bewusstsein der Käufer, das die Unternehmen zum Umdenken zwingt?

Die Angst vor einem Image-Verlust ist einer der Beweggründe, aber sicher nicht der wichtigste. Das wachsende Interesse für ökologische und ethisch korrekte Anlageformen hat vor allem etwas mit einer langfristigen Risikoeinschätzung zu tun.

Alles um uns herum verändert sich, eine technische Innovation löst die nächste ab. Wenn sich ein Unternehmen angesichts dieses sich immer schneller drehenden Rads nicht schon heute Gedanken über die Ressourcen von morgen macht, fällt es über kurz oder lang auf die Nase. Und das wissen auch die Anleger und Analysten, die Weitblick und Innovationsbereitschaft von Unternehmen bei ihren Risikobewertungen entsprechend honorieren.

Schön und gut, aber die Investitionen in Umweltschutz und Soziales müssen sich auch rechnen. Zunächst kostet beides erst einmal Geld.

Wenn überhaupt, ist das nur kurzfristig der Fall. Untersuchungen zeigen, dass sich ethische, soziale und ökologische Ideen langfristig fast immer auch betriebswirtschaftlich rechnen.

Die Rechnung ist doch ganz einfach: Wenn ich heute in einen Energieversorger investiere, weiß ich, dass der CO2-Ausstoß eines Unternehmens einen Preis hat, der in Zukunft vermutlich steigen wird. Da zahlt es sich doch aus, schon jetzt in ein Unternehmen zu investieren, das CO2-effiziente Kraftwerke bauen will. Wer weiterhin auf veraltete Techniken setzt, mag zwar kurzfristig besser dastehen, zählt auf lange Sicht jedoch zu den Verlierern.

Wenn verantwortliches Handeln sich lohnt – warum tun sich viele Unternehmen hierzulande damit so schwer? Die meisten handeln doch offensichtlich eher aus kurzfristigen Marketing- Gesichtspunkten vermeintlich sozial.

Wir trennen in Deutschland gerne zwischen gut und wirtschaftlich. Was sich rechnet, kann nicht ethisch sein. Umgekehrt darf sich der moralische Antrieb nicht lohnen. Diese Haltung ist tief verwurzelt, und die schlechte Messbarkeit des Erfolgs von CSR-Maßnahmen macht die Sache nicht gerade leichter.

Erschwerend kommt hinzu, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Die Definition eines Weltverbesserers wird nicht viel mit der eines knallhart kalkulierenden Managers gemein haben, der realisiert, dass eine Reduktion des Energieverbrauchs um zehn Prozent sich für die Firmenkasse lohnt. Dass das in zweiter Linie auch der Umwelt nutzt, ist für den eher ein schöner Nebeneffekt.

Wie lautet Ihre persönliche Definition des Begriffs CSR?

Die Kurzversion: die sozial und ökologisch verantwortungsvolle Führung eines Unternehmens. Die Langversion ist wesentlich komplizierter. Wir haben unseren Rating-Ansatz vom sogenannten Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden abgeleitet. Dieser Katalog umfasst 800 Kriterien. Bei uns sind es wesentlich weniger, aber noch immer ist der Datenaufwand enorm.

Unsere Analysten fragen Mitarbeiter, aber auch Experten aus Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen unter anderem: Gibt es ein Umweltmanagement? Engagiert sich das Unternehmen für seine Mitarbeiter? Wie sieht es mit Sicherheitsstandards und Chancengleichheit aus? Und bei den Zulieferern: Halten die sich auch an soziale und ethische Standards?

Je nach Branche werden die Naturverträglichkeit und Sozialverträglichkeit eines Unternehmens von uns unterschiedlich gewichtet. Wenn wir etwa ein Unternehmen der Energiebranche bewerten, fällt dem Umweltschutz eine größere Bedeutung zu. Ein Betrieb, der seinen Mitarbeitern zwar sehr gute Arbeitsbedingungen bietet, zugleich aber gedankenlos Schadstoffe in die Umgebung pustet, hat bei uns wenig Chancen, Bestnoten zu erreichen, sondern landet eher im Mittelfeld. Ganz konkret vergeben wir Noten von A+ (das Unternehmen zählt innerhalb seiner Branche zu den Vorreitern) bis zu D- (das Unternehmen zeigt kaum Engagement).

Niemand bekommt gern in aller Öffentlichkeit Zeugnisse. Wie reagieren die Unternehmen auf Ihre Abschlussbewertung?

Ganz unterschiedlich. Das größte Lob ist für mich, wenn wir sehen, dass sich ein Unternehmen unser Urteil zu Herzen nimmt. Etwa die Deutsche Telekom. Das erste Mal haben wir den Konzern 1996 durchleuchtet, noch vor dem Börsengang. Das Ergebnis war wenig ruhmreich: Auf unserer Rating-Skala landete die Telekom damals im hinteren Drittel. Doch das Unternehmen nahm die schlechte Bewertung zum Anlass, ein Umweltmanagementsystem aufzubauen und vor allem das von uns stark kritisierte PVC aus den Außenkabeln zu verbannen. So eine Entwicklung freut uns natürlich besonders.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.