Keimzelle Dresden

Die Biotechnologiebranche in der sächsischen Landeshauptstadt ist noch jung und fragil. An mutigen Visionen und konsequenten Akteuren mangelt es jedoch nicht. Die Chancen für einen international bedeutenden Wissenschaftsstandort sind gut ­ der Nährboden ist bereitet.




Alles begann im Frühjahr 2001 mit einer kleinen Völkerwanderung: Etwa 100 Wissenschaftler und Verwaltungsexperten aus dem Raum Heidelberg machten sich auf nach Dresden. Im Umzugstreck dabei: hochsensible Apparaturen und biologisches Forschungsmaterial. Die Umsiedler aus aller Herren Länder hatten ein klares Ziel vor Augen: eine hochmoderne Keimzelle für die Biowissenschaften zu etablieren. Und das auf Weltklasse-Niveau.

Knapp ein Jahrzehnt später gibt es eine beachtliche Erfolgsstory zu erzählen: Ausgehend vom neuen Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), gefördert von Bund, Land und Stadt und eng verzahnt mit Wirtschaft und Wissenschaft vor Ort sind wegweisende Forschungsschwerpunkte mit hohem Anwendungs-potenzial für die Medizin und die Materialtechnik entstanden. Die Aussichten auf zügige Übersetzungen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen sind an vielen Stellen ausgezeichnet. Und genau das ist Dresdens Chance für die kommenden Jahre: Aus Ideen an Ort und Stelle Produkte machen ­ so sichert sich die Stadt langfristiges Wirtschaftswachstum aus den modernen Lebenswissenschaften.

Doch wie funktioniert so eine Wissenschaftsansiedlung? Wie vernetzt man Neues und Bestehendes? Wer beflügelt wen? Und wo kommt das ganze Geld dafür her?

Spiritus Rector des 2001 generalstabsmäßig vorbereiteten Umzugs von Heidelberg nach Dresden war der mittlerweile emeritierte Professor Kai Simons, zuletzt aktiv am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL). Der Finne koordinierte von der Neckarstadt aus den Neubau des Dresdner Max-Planck-Instituts und führte dafür ein hochkarätiges Gründungsteam zusammen. Mit von der Partie sind bis heute zwei seiner früheren EMBL-Kollegen: der Italiener Marino Zerial und der Brite Anthony Hyman. Als vierter Professor mit internationalem Renommee begeisterte sich der deutsche Neurobiologe Wieland Huttner aus Heidelberg für die Idee. Später stieß noch der australische Wissenschaftler Jonathon Howard zum MPI-Direktorium. Allesamt brillante Forscher ­ Simons war ein echter Coup gelungen.

Das MPI-Team war sich der Chancen wie auch der Risiken des Unterfangens bewusst. Simons hatte Anfang der neunziger Jahre einer Kommission zur Bewertung der DDR-Wissenschaftsstandorte angehört. Ihm war klar: Biotech in Dresden war komplettes Neuland. Und nicht nur das: Die Biotechforschung in Deutschland generell war gewaltig im Hintertreffen. Doch das wusste auch die Politik. Und so kam es um die Jahrtausendwende zu einem Schulterschluss zwischen hoch ambitionierten Forscher- und Innovationsgeistern auf der einen Seite und konsequenter Förderung durch den Bund, die sächsische Landesregierung und die Stadt Dresden auf der anderen.

Neues und Bewährtes vernetzen

Die politischen Kräfte, Unternehmen und Wissenschaften rund ums MPI und die TU Dresden verknüpften sich zum "Netzwerk BioMeT Dresden". Gemeinsam erarbeitete man eine Vision: die "Biotechnologieregion Dresden". Die erfolgreiche Bewerbung bei der InnoRegio-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung war der nächste Meilenstein: Knapp 24 Millionen Euro flossen so in die sächsische Landeshauptstadt und stärkten den sich neu ansiedelnden Biowissenschaften den Rücken. Wichtiges Augenmerk dabei: sie an die vor Ort verankerten Ingenieur- und Materialwissenschaften sowie die Informatik und Medizin anzudocken. Nur so kann sich ein Biotech-Exzellenz-Cluster mit ganz eigenen Schwerpunkten bilden.

Mehr als 30 Verbundprojekte sind durch die InnoRegio-Förderung realisiert worden. Das interdisziplinäre Networking wurde beständig erweitert. So kümmert sich der Verein Biodresden seit 2007 als Nachfolger von BioMeT um die enge Verknüpfung der vielfältigen Initiativen. Und der Freistaat Sachsen flankierte das Engagement durch die "Biotechnologieoffensive Sachsen ­ biosaxony".

Rund 100 Millionen Euro flossen aus diesem Fördertopf zusätzlich nach Dresden, ein Teil davon in das Ende 2003 fertiggestellte BioInnovationsZentrum (BIOZ). Dieser Gründerort bietet jungen Biotechfirmen nicht nur günstige Mieten. Die derzeit 24 dort angesiedelten Firmen können auch auf eine breite Palette von Technologie- und Serviceangeboten zurückgreifen, darunter Labors mit kostenintensiven Geräten. Sie profitieren zudem von den kurzen Korridorwegen zwischen High-Biotech-Forschungseinheiten sowie Beratern und Dienstleistern in diesem Wirtschaftsegment.

Die Rahmenbedingungen für die neue Biotechszene Dresdens waren und sind günstig. Das BIOZ platzt heute aus allen Nähten ­ längst ist vom Neubau eines BIOZ-2 die Rede. Auch das initialzündende MPI ist auf Expansionskurs. Das Institut beschäftigt rund 360 Menschen, und es wird international immer mehr beachtet. Die MPI-Forscher und -Administratoren arbeiten nach dem vom EMBL adaptierten "Dresdner Modell" mit schlanker Verwaltung und flachen Hierarchien. Die Mitarbeiter stammen aus 45 Nationen und kommen auf ein Durchschnittsalter von knapp über 30 Jahren. Haussprache ist Englisch, das ist im MPI so normal wie an vielen anderen Biotechstandorten der barocken Stadt an der Elbe.

Viel ist erreicht worden, aber bis von einem wirklichen Cluster der internationalen Biotechnologieforschung gesprochen werden kann, also von einem Standort, an dem bis auf Weiteres niemand mehr vorbeikommt, wird es wohl noch eine Weile dauern. Professor em. Kai Simons will Dresden daher noch lange nicht mit Cambridge oder San Diego vergleichen. Aber er sagt realistisch und ambitioniert: "Der Biotechstandort Dresden ist ein Faktum. Die Entwicklungen und Prognosen sind vielversprechend. Allerdings ist die Lage noch nicht robust, und keiner kann sagen, wohin die Reise geht."

Den Bürger mitnehmen

Für eine erfolgreiche Expedition sind zwei Dinge entscheidend: Die Forschung muss weiterhin international beachtete Maßstäbe setzen. Aber genauso wichtig ist die Politik. Sie darf nicht aufhören, sich für die Branche national wie international stark zu machen.

Über die bisherige Unterstützung der Parteien herrscht zwar allseits Zufriedenheit. So erntet der junge Dresdner Wirtschaftsbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) viel Lob, der gemeinsam mit seinem Kompetenzfeldmanager André Hofmann im Rathaus die Biotechnologie betreut. Doch bei den Dresdner Bürgern ist der visionäre Charakter dieser Sparte noch kaum bekannt. Kein Wunder: Der politische Diskurs fokussiert sich zu sehr auf die (derzeit noch mäßigen) Arbeitsplatz- und Umsatzzahlen ­ der Zukunftsbedeutung der Investitionen wird zu wenig Beachtung geschenkt. Um das zu ändern, sind die Netzwerke vor Ort aktiv geworden. Die Handelshochschule Leipzig wird in den kommenden Monaten Bewertungskriterien erarbeiten, um die Zukunftsträchtigkeit der Biotechnologie besser fassen und für den Bürger anschaulicher darstellen zu können.

Dessen ungeachtet, stimmen die bisherigen Biotechleistungen in Dresden optimistisch. In den Labors des MPI-CBG wird Grundlagenforschung betrieben: Was genau geschieht, wenn sich Körperzellen teilen und teilen und wieder teilen und sie sich bei dieser Vermehrung zu Geweben und Organen zusammenfügen? Wie werden die Codierungen für diese Differenzierung auf zellulärer Ebene weitergegeben, sodass am Ende eine Leberzelle oder ein Teil eines Fingernagels entsteht? 25 Arbeitsgruppen gehen solchen und anderen Fragen nach. Relevanz hat ihre Arbeit nicht zuletzt für die sogenannte regenerative Medizin, in der es vor allem darum geht, Gewebe- und Zellverbände zu züchten, um sie anschließend Patienten transplantieren zu können. Wer nämlich die Vorgänge in den Zellen besser versteht, dem eröffnen sich auch neue Möglichkeiten, Prozessstörungen auf den Grund zu gehen ­ zum Beispiel, warum manche Zellen außer Kontrolle geraten und zu Krebs führen. Die hoch motivierten Forscher am MPI hoffen als Resultat ihrer Arbeit auf verbesserte Diagnose- und Therapiemöglichkeiten ­ nicht nur bei Krebs, sondern auch bei Diabetes und Alzheimer.

Neue Therapien im Blick

Diesem Wissensbereich wird in Dresden große Bedeutung beigemessen. Neben dem MPI hat sich deshalb binnen weniger Jahre eine zweite Institution in der Forschungslandschaft etabliert: das DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD). Geleitet wird es von Professor Michael Brand, den es im Jahr 2000 zunächst ebenfalls von der Universität Heidelberg an das neue MPI in die sächsische Hauptstadt verschlug. Als 2005 an der TU Dresden das neue Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) eröffnet wurde, übernahm Brand dessen Leitung. Das BIOTEC beherbergt und betreut seitdem Wissenschaftlergruppen unterschiedlichster biotechnologischer Forschungsbereiche und stellt eine hochmoderne Technologieplattform zur Verfügung. In diesem produktiven Umfeld nahm im Januar 2006 auch das CRTD seine Arbeit auf. Es konzentriert sich auf die Entwicklung neuer und verbesserter Therapien für Krebs-, Zucker- oder Knochenkrankheiten.

Brand war von seinem Zentrum so überzeugt, dass er sich bei der ersten Runde der Exzellenzinitiative des Bundes bewarb. Diese will universitäre Spitzenforschung in Deutschland mit internationaler Ausstrahlungskraft stärken. Im Oktober 2006 erhielt das Dresdner Team den Zuschlag ­ ein Riesenerfolg. Seitdem wird das Exzellenz-Cluster der TU Dresden "From Cells to Tissues to Therapies" über einen Zeitraum von fünf Jahren mit jährlich 1,5 Millionen Euro ausgestattet. Es ist der bislang einzige Exzellenzstandort in den neuen Bundesländern, worauf die Dresdner mächtig stolz sind.

Zurzeit arbeiten vier Professoren mit mehreren Nachwuchsgruppen am CRTD. Die Teams warten händeringend auf die Fertigstellung eines Neubaus, in den sie einziehen und von wo aus sie zügig wachsen wollen. Die "konsequente Schwerpunktsetzung" und die "produktive Vernetzung" in Dresden bezeichnet Brand als Schlüssel für den bisherigen Erfolg der gesamten Biotechszene. "Unsere Wachstumsdynamik rührt auch daher, dass ausgewiesene Experten aus der ganzen Welt nach Dresden kamen, um Neues auszuprobieren." Tatsächlich kann die Dresdner Biotechbranche längst mit international renommierten Wissenschaftsstandorten konkurrieren, wenn es darum geht, die besten Nachwuchskräfte zu rekrutieren.

Und nicht nur das: Bemerkenswert ist die interdisziplinäre Vernetzung. Sie ist notwendig, um wissenschaftliche Ergebnisse möglichst schnell in Richtung Marktreife zu führen. In Dresden gibt es deshalb eine enge Kooperation zwischen Grundlagenforschern und Medizinern am Universitätsklinikum. Im Bereich der Therapie von Blutkrebs ist die sächsische Landeshauptstadt in den vergangenen Jahren zu einem der bedeutendsten Standorte in ganz Europa aufgestiegen. Etablierte klinische Therapiemodelle konnten durch das am Krankenbett zusätzlich eingebrachte Know-how der Forscher verbessert werden. Fortschritte, von denen die Patienten der Uniklinik unmittelbar profitieren, zeigen sich ansatzweise bereits bei Diabetes-Therapien.

Dass es zügig vorangehen wird, davon ist Professor Brand überzeugt ­ und nicht nur er: Im ersten Halbjahr 2009 waren zwei einflussreiche Gutachtergruppen vor Ort, um das Erreichte, die Ziele und Visionen des CRTD zu bewerten. Große Anerkennung war allgegenwärtig, sagt Brand. "Wir sind auf einem sehr guten Weg", so sein Resümee.

Diesen Eindruck bekommt auch, wer über die Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Dresden diskutiert: Schnell fällt als "buzz word" der Begriff "Molecular Bioengineering". Bei diesem Spezialgebiet will man Vorgänge aus der belebten Natur auf ingenieurtechnische Anwendungen übertragen. Zum Beispiel die ausgefeilte Arbeitsteilung, die in jeder Körperzelle herrscht: Membranen bewegen sich, Informationsträger und Minimotoren befördern Botenstoffe und Signale. Lassen sich hieraus Prozesse ableiten, die in der Computertechnologie oder beim Umweltschutz genutzt werden können?

Auf der Suche nach Antworten bewegt sich die Forschung in Dresden auch in Richtung Nanotechnologie ­ laut BMBF die "Zukunftstechnologie schlechthin". In der Nanoforschung werden Prozesse und Strukturen in Miniformaten unter die Lupe genommen, also auf molekularer Ebene (ein Nanometer entspricht dem millionsten Teil eines Millimeters). Das geläufigste Beispiel für eine gelungene technische Nutzung ist der Lotuseffekt. Nach dem Vorbild der Lotuspflanze sind nanostrukturierte Materialoberflächen und Farben entwickelt worden, von denen Schmutz und Wasser abperlen, weil sie nicht daran haften können. Mit erforscht hat diesen Effekt in den neunziger Jahren übrigens Christoph Neinhuis, darüber hinaus hat er dessen Anwendung den Weg geebnet. Damals war Neinhuis Wissenschaftler an der Universität Bonn. Heute ist er Professor und Direktor des Botanischen Gartens sowie Prodekan der Fachrichtung Biologie der TU Dresden und ­ wen wundert's ­ Mitinitiator der Initiative "B CUBE", mit der das molekulare Bioingenieurswesen in der sächsischen Hauptstadt vorangetrieben wird.

Das geschäftige Forschernetzwerk in der Stadt hat es 2008 geschafft, auch hierfür die nötige Anschubfinanzierung zu sichern. Im Frühjahr vergangenen Jahres erhob das Bundesforschungsministerium B CUBE in den Rang eines Zentrums für Innovationskompetenz (ZIK). Bis zum Jahr 2014 werden nun erst einmal rund sechs Millionen Euro bereitgestellt. Damit werden drei Nachwuchsforschergruppen und die erforderliche Infrastruktur finanziert. Das Land Sachsen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die TU Dresden spendieren die drei für das Projekt erforderlichen Professuren. Die TU-Fakultät Maschinenwesen hat bereits den Lehrstuhl "Zelluläre Maschinen" eingerichtet. Bezeichnenderweise ist er nicht bei den klassischen Ingenieurwissenschaften angesiedelt, sondern im Biotechnologischen Zentrum BIOTEC.

Auch durch diese Initiative kommt der Grundgedanke der ursprünglichen Vision für Dresden zum Ausdruck: Die neue Biotechbranche und die ortsansässigen Ingenieur- und Materialwissenschaften werden von Anfang an miteinander verzahnt.

Pleiten gibt's woanders

So viele Pläne wurden geschmiedet, Prozesse angestoßen, Gelder verteilt ­ geht da nicht auch mal etwas schief? Offenbar nicht. Tatsächlich hat es große Biotechpleiten und -pannen in Dresden noch nicht gegeben. Das mag auch daran liegen, dass die Branche noch jung ist und mitten in der Bewährungsphase steckt. Trotzdem fällt Martin Pfister von der Koordinierungsstelle Biosaxony auch nach längerem Grübeln keine bedeutende Fehlentwicklung ein. Klar, es sei noch zu früh, für alle Marktakteure grünes Licht zu geben, sagt er. Aber mit der staatlichen Unterstützung sei eine solide Basis geschaffen worden: "Jetzt kommt es darauf an, Wachstum zu generieren und auf den Weltmärkten zu bestehen."

Selbst drei Jahre nach Ablauf der InnoRegio-Förderung hat die Dresdner Biotechszene keine nennenswerten Verluste zu verzeichnen. So widersprüchlich es klingen mag: Offenbar hatte der Mangel an Venture Capital, das auf schnelle und hohe Renditen aus ist, durchaus auch eine positive Wirkung auf die Entwicklung der Branche. Pfister meint, wegen dieser Investitionszurückhaltung hätten "Start-ups ihre Geschäftspläne wesentlich gründlicher mit den Marktperspektiven abgeglichen".

Je weiter die Wissenschaft voranschreitet, desto mehr Impulse werden freigesetzt ­ auch an unerwarteten Stellen. So zieht die molekularbiologische und biomedizinische Entwicklungsdynamik in Dresden eine ganze Reihe von Unternehmen mit. Schon die Bilanz der InnoRegio-Förderung im Zeitraum 2001 bis 2006 konnte sich sehen lassen: 23 Neugründungen und acht Firmenansiedlungen schlugen positiv zu Buche. Aktuell gibt es laut Biodresden e.V. im Raum Dresden etwa 40 Biotechunternehmen und nochmals rund 30 Firmen, die für dieses Segment als Zulieferer oder Dienstleister agieren. Insgesamt beschäftigen diese rund 70 Unternehmen etwa 4500 Mitarbeiter, was einem Zuwachs seit der Jahrtausendwende um 40 Prozent entspricht. Hinzu kommen schätzungsweise 800 Wissenschaftler, die in Dresden der biotechnologischen Forschung nachgehen. Im Jahr 2000 waren es gerade 300, die Wachstumsrate beträgt 160 Prozent.

Die Dynamik, die aus den Wissenschaften herausdringt, ist überall spürbar: Die JADO Technologies GmbH zum Beispiel wurde 2001 von Wissenschaftlern des MPI-CBG und der TU Dresden gegründet ­ darunter Professor Kai Simons. Die Firma zählt heute zu den kleineren, aber erfolgreichen Biotech-Playern der Region. Sie widmet sich auf Grundlage neuer Biotechnologien der Entwicklung von Arzneimitteln gegen Allergien, Infektionskrankheiten und Alzheimer. Ein erster Wirkstoff durchläuft bereits klinische Tests der Phase II, bei denen das Therapiekonzept an Patienten überprüft wird. In den "Deutschen Biotechnologie-Reports" von Ernst & Young findet JADO regelmäßig Erwähnung.

Ein anderes, etwas größeres Unternehmen mit guten Marktchancen ist die 1999 als GmbH gegründete und 2001 in eine Aktiengesellschaft überführte Biotype AG. Diese Gesellschaft mit derzeit rund 30 Angestellten ist spezialisiert auf die Herstellung von "Biochips" ­ kleine Testkits, die zur molekularbiologischen Diagnostik von Krankheitserregern oder zur genetischen Identifizierung von Tieren und Menschen genutzt werden können. Letzteres ist unter dem Stichwort "genetischer Fingerabdruck" geläufig ­ die Technik wird in der Rechtsmedizin und bei der Strafverfolgung eingesetzt. Die Biotype AG bedient heute schon etwa ein Drittel des deutschsprachigen Marktes für derlei Produkte. Ihr kaufmännischer Vorstand, Wilhelm Zörgiebel, kam 1992 nach Dresden. Zuvor hatte er an der TH Darmstadt studiert, in Harvard promoviert und war im Anschluss für mehrere westdeutsche Firmen im Management aktiv. Nach der Wende ergriff auch er die Chance, sich im attraktiven wirtschaftlichen, wissenschaftlichen wie kulturellen Umfeld Dresdens beruflich neu aufzustellen.

Mit Biochips gegen Borkenkäfer

Das seither von Zörgiebel entwickelte Biochip-Segment eröffnet eine Reihe von zukunftsträchtigen Einsatzmöglichkeiten. So konzentriert sich die Biotype AG derzeit auf die Entwicklung von Diagnostikmodulen, die auch in der Humanmedizin Verwendung finden können. Gemeinsam mit dem Institut Holztechnologie Dresden (IHD) wird außerdem die Möglichkeit geprüft, Biochips zur Identifikation von Schädlingsbefall und der Verbesserung des Holzschutzes zu entwickeln.

Die Wechselwirkung zwischen Biologie und Materialwissenschaften läuft in Dresden unter dem Oberbegriff "Molecular designed Biological Coating (MBC)". Dabei will man physikalische Oberflächen mit biologischen Molekülen bestücken und daraus technischen und medizinischen Nutzen ziehen. Seit Juli 2007 ist auch hier das Bundesforschungsministerium involviert. Es fördert das Dresdner Engagement im Rahmen des Programms "Innovative Regionale Wachstumskerne" bis zum Jahr 2010 mit 5,7 Millionen Euro. Insgesamt ist sogar geplant, für den neuen Wachstumskern zehn Millionen Euro einzusammeln. Mehrere Unternehmen haben mit der TU Dresden und verschiedenen ortsansässigen Fraunhofer-Instituten ein Bündnis geschlossen, damit ein international bedeutendes "Wirtschafts-Cluster für biologisch aktivierte Oberflächen" entstehen kann.

In den kommenden Jahren will dieses Netzwerk konkrete Anwendungen präsentieren ­ darunter Knochenersatzimplantate für die Medizin oder Module für die Aufbereitung von Trinkwasser. Sechs Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden zurzeit angestoßen. Die Ausgangslage ist gut, denn die in Dresden entwickelte und bewährte Forschungsinfrastruktur steht auch dem Wachstumskern MBC zur Verfügung. Bis zum Jahr 2016, so die offizielle Losung, wird für das Cluster ein Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro erwartet.

Langfristig garantierter Erfolg

Entschlossenheit, Optimismus und Visionen sind in der Biotechbranche also reichlich vorhanden. Umfragen zeigen, dass sie auch im Krisenjahr 2009 zuversichtlich nach vorn blickt. Selbst der Hinweis, dass die Beschäftigten-, Firmen- und Umsatzzahlen im Vergleich zu den wesentlich größeren Computerchip-und Solarindustrien vor Ort marginal sind, bringt keinen der Beteiligten aus der Ruhe. Alle wissen: Die anhaltende Förderung der Solarindustrie ist in erster Linie dem politischen Willen geschuldet, die erneuerbaren Energien massiv auszubauen. Trotz jahrelanger Förderung durch den Staat sind sie jedoch in vielen Bereichen noch weit davon entfernt, ohne Subventionen auf dem freien Markt bestehen zu können. Verändern sich die politischen Rahmenbedingungen, bekäme die Solarbranche deshalb rasch Probleme.

Zwar wäre auch die Dresdner Biotechbranche bisher nicht lebensfähig ohne staatliche Förderprogramme. Aber die Spitzenforscher vor Ort wissen: Die Basis für ihr Handeln ist der anhaltende naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinn ­ und weniger ein politisches Programm. Dieser wissenschaftliche Fortschritt erschließt aus sich heraus immer wieder neue Technologie- und Anwendungshorizonte ­ auch in der sächsischen Hauptstadt. So baut die Biotechszene in Dresden neuerdings auch auf neue Bündnisse mit der hier ansässigen Solar- und der Computerchipindustrie. Das macht Sinn, denn der Wachstumskern MBC und das molekulare Bioingenieurswesen sind prädestiniert dafür, auch für diese Technologiezweige innovative Lösungswege aufzuzeigen. Solche Biotechsynergien sind für den Raum Dresden die große Zukunftschance, davon sind die Netzwerker überzeugt. Und dass sie ihre Visionen in Realität umsetzen können, haben sie ja schon bewiesen: Was mit einem Umzugstreck gen Osten begann, ist zu einem blühenden Wissenschaftsstandort geworden.