Spielen. Rechnen. Entscheiden.

Wer sich den Risiken im internationalen Wettbewerb stellen will, muss sie einschätzen können. Und die Reaktion der Konkurrenten voraussagen.
Das klingt schwierig? Ist es auch. Aber Experten wissen sich zu helfen: mit der Spieltheorie.




Überall Landkarten. Fast scheint es, als sei Gordon Woos Büro im Londoner Zentrum damit tapeziert. Und alle zeigen Nordamerika – bedeckt von hunderten bunten Kästchen. Hastig erklärt der Mann in dem schlecht gebügelten Hemd, dass die kleinen Vierecke die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen und die Höhe der zu erwartenden Schäden in einzelnen Gebieten darstellen. Rot steht für hohes Risiko und große Schäden, Blau für niedriges Risiko und kleine Schäden. Erdbeben, Wirbelstürme, Springfluten – der promovierte Mathematiker Woo hat für jede Katastrophe die passende Formel parat. „Natural Catastrophist“ nennt sich dieser Job auf Visitenkarten-Englisch. Einige von Woos Modellen nutzt sein Arbeitgeber, die Risiko-Beratung Risk Management Solutions (RMS) aus New Jersey selbst, andere verkauft RMS in Form von Katastrophen-Prognose-Software an Versicherer in aller Welt, die damit ihre Prämien kalkulieren.

Im vergangenen Herbst allerdings stieß Woo an seine Grenzen. Er hatte es mit einer Katastrophe zu tun, bei der alle bewährten Methoden zur Risiko-Einschätzung versagten: dem Attentat auf das World Trade Center. „Ich hatte es nicht mehr mit den Launen der Natur, sondern mit rational handelnden Gegnern zu tun.“ Hilfe fand er schließlich bei einer Theorie, deren Name eher zu Sandkasten und Lego als zu einer Katastrophe mit tausenden Toten und verheerender Zerstörung passt – bei der Spieltheorie. Mit ihr lassen sich Konflikte aller Art auf einfache Spiele reduzieren, deren Regeln die Kosten-Nutzen-Kalküle der Beteiligten sind. Dabei benehmen sich Spieltheoretiker wie multiple Persönlichkeiten ohne Gefühl. Sie versetzen sich in die Spieler, um rationale Züge und logische Reaktionen der Gegner zu durchdenken. Am Ende schätzen sie ab, wie hoch das Risiko des Einzelnen ist, geschlagen zu werden, wie sich dieses Risiko minimieren lässt oder ob es Ergebnisse gibt, bei denen keiner der Spieler als Verlierer vom Platz geht.

Politikwissenschaftler analysieren auf diese Weise zum Beispiel Abrüstungsverhandlungen, Wirtschaftsberater Unternehmensübernahmen oder auch Lizenzvergaben wie beispielsweise in der Telekommunikation. Woo versucht es jetzt mit Terrorismus-Risiken.

Die Situation zwischen Attentätern und Polizei vergleicht der Mathematiker mit einem Duell zwischen zwei Cowboys: Nehmen wir also an, die beiden Revolverhelden schreiten langsam aufeinander zu. Beide könnten jederzeit auf den anderen schießen. Sie könnten aber auch warten, bis der andere näher und daher leichter zu treffen ist. „Welches die beste Strategie ist, hängt von dem Verhalten des Gegenübers ab. Wartet der andere, ist Geduld die beste Überlebensstrategie. Zieht er aber seine Pistole, wäre man ihm besser zuvorgekommen.“ Terroristen seien in der gleichen Lage: Sicher sei, dass sie einen Anschlag planen. „Je mehr Zeit sie sich dafür lassen, desto eher sind sie erfolgreich. Zugleich steigt aber auch ihr Risiko, entdeckt zu werden.“

Um aus solchen Spielen brauchbare Ergebnisse zu ziehen, muss man die Spielregeln genau studieren. Woche für Woche hat Woo deshalb seit dem 11. September damit verbracht, akribisch jede Information über den Anschlag auf das World Trade Center zu sammeln. Ihn danach zu fragen, das ist, als drücke man eine Start-Taste. In doppelter Sprechgeschwindigkeit spult Gordon Woo Fakten über Fakten ab: „Wussten Sie, dass schon 1994 ein Algerier versucht hat, mit einer Verkehrsmaschine in den Eiffelturm zu fliegen? Oder dass die USA mittlerweile Flugabwehr-Raketen an ihrer Ostküste stationiert haben?“ Aber Woo muss auch einräumen, dass er trotz aller Informationen von einer alltagstauglichen Formel noch weit entfernt ist.

Eine solche Formel wäre eine Lizenz zum Gelddrucken. Der Bedarf an Versicherungen gegen Terrorschäden ist riesig, doch wagt sich derzeit kaum eine Gesellschaft mit entsprechenden Angeboten auf den Markt. Im Gegenteil: Geschockt von dem 50-Milliarden-Dollar-Verlust, den die Branche nach der New Yorker Katastrophe verkraften musste, weigern sich die meisten Versicherer, Terrorismus-Schäden zu decken. Wo immer eine Police ausläuft und erneuert wird, schreiben die Assekuranzen ihren Kunden entsprechende Ausschlussklauseln in die Verträge. Die wenigen Versicherungen, die das Risiko nicht scheuen, schätzen die Prämien für Terrorschäden eher, als sie sie berechnen. Woo sagt: „Die meisten sind so teuer, dass sie sich kaum noch jemand leisten kann.“

Sollte aus Woos Gedankenspielen mehr als eine Spielerei werden, könnten Versicherer schon bald die Risiken für einzelne Ziele kalkulieren und Policen zu vernünftigen Preisen anbieten. Wie ein solches Modell aussehen könnte, erklärt Woo anhand von Beispielen, die er auf eine weiße Tafel in seinem Büro kritzelt. „Ein Terrorist plant eine Reihe von Anschlägen und muss sich zwischen den Zielen New York oder Washington entscheiden.“ Auf welche Stadt die Wahl falle, hänge von zwei Faktoren ab – der Symbolkraft und dem Grad der Sicherheitsvorkehrungen. „Natürlich wird er am Ende eher die Metropole angreifen, bei der das Verhältnis von Symbolkraft und Sicherheit günstiger ist.“ Weil der Attentäter aber weiß, dass das FBI wahrscheinlich dieselben Überlegungen anstellt, wird er eventuell auch die andere Stadt angreifen, damit die amerikanische Bundespolizei sich nicht auf seine Strategie einstellen kann. Den Gegner derart zu verwirren nennen Spieltheoretiker Mixed Strategy. „Wann und wo ein Anschlag passieren wird, lässt sich also nicht vorhersagen“, erklärt Woo. „Aber es lassen sich Aussagen über die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes auf die Städte und damit auch über das Versicherungsrisiko treffen.“

Woos Modell hat allerdings einen Haken – für Psychologie ist darin kein Platz. Handeln Menschen nicht hundertprozentig rational, versagt die Spieltheorie. „Die Crux ist, dass man Situationen oft zu stark vereinfachen muss, um brauchbare Ergebnisse zu erzielen“, meint Siegfried Berninghaus, Professor für Volkswirtschaftslehre und Spieltheoretiker an der Universität Karlsruhe. „Vor allem aber muss man genau wissen, was Terroristen unter Erfolg und Misserfolg verstehen, sonst ist man gedanklich schnell auf dem falschen Spielfeld.“ Zynisch gefragt: Ab wie vielen Opfern oder Fernsehbildern gilt ein Attentat als Erfolg?

Woo kümmern diese Argumente nicht. „Die Terroristen, mit denen wir es heute zu tun haben, handeln ziemlich rational.“ Die Amerikaner mit ihrem milliardenteuren technischen Abwehr-Equipment unterschätzten sie, wenn sie sie als einfache Kriminelle abstempeln. „Also spielen sie das Spiel äußerst dilettantisch – Bin Laden dagegen ist ein verbrecherischer Stratege.“ Und Woo schiebt hinterher: „Man muss schon ein wenig verrückt sein, um sich in Verrückte hineinversetzen zu können.“

Siegfried Berninghaus bezweifelt, dass dies reicht. Besser ließe sich die Spieltheorie auf Wettbewerbssituationen in der Wirtschaft anwenden, etwa auf das ständige Feilschen um Förderquoten auf dem Ölmarkt zwischen der Opec und den kartellfreien Staaten. Russland, der größte ungebundene Erdölexporteur hat zuletzt im Mai gedroht, den bestehenden Konsens zu brechen und seine Fördermenge zu erhöhen. Offensichtlich hofft das Land, anderen Anbietern mit einer solchen Offensive Marktanteile abjagen zu können. Der Haken: Je mehr von dem schwarzen Gold auf den Weltmarkt sprudelt, desto niedriger wird der Preis pro Barrel Rohöl.

Spieltheoretiker vergleichen den aufkeimenden Konflikt mit dem so genannten Gefangenendilemma: Zwei Menschen haben gemeinsam eine Straftat begangen und werden nach ihrer Festnahme von der Polizei getrennt verhört. Jeder der beiden steht vor der Entscheidung, entweder gegen seinen Kollegen auszusagen oder zu schweigen, das heißt, zu kooperieren. Die mögliche Konsequenz der einen oder anderen Variante hängt direkt von der Entscheidung des anderen Gefangenen ab. Schweigen beide, hat also die Kooperation Bestand, werden beide freigesprochen. Belasten beide jeweils den Partner, werden sie zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Sagt allerdings einer der Gefangenen gegen seinen Kollegen aus, während der andere schweigt, so wandert der belastete Verbrecher lebenslang hinter Gitter, während der andere freikommt. Der Kooperateur endet also mit dem schwarzen Peter, während der andere die Kooperationsbereitschaft schamlos ausnutzt und für seinen Eigennutz freigesprochen und damit belohnt wird.

Die einzig logische Verhaltensweise in einer derartigen Situation ist also, eigennützig gegen den Partner auszusagen und nicht zu kooperieren. Denn kooperiert dieser, dann ist man frei, kooperiert er ebenfalls nicht, dann reduziert die eigene Aussage zumindest das Strafmaß von lebenslänglich auf zehn Jahre. Die nüchterne Konsequenz dieser Überlegung ist also, dass Individuen zwar von wechselseitiger Zusammenarbeit profitieren, der eigene Vorteil aber noch größer ist, wenn man die Kooperationsbereitschaft anderer eigennützig ausbeutet.

Die Opec steckt im gleichen Dilemma. Noch weiß die Organisation nicht, ob Russland seine Drohung wahr macht und die Öl-Fördermenge erhöht. Sie muss sich aber jetzt schon entscheiden, wie sie reagiert. Dreht sie den Ölhahn auf, sichert sie sich zwar Marktanteile, bewirkt aber ein rasantes Sinken der Preise. Russlands Vorstoß wäre dann als schiere Dummheit entlarvt. Denn die Konkurrenz zwischen Opec und Russland ist im Unterschied zu Woos Terroristen-Duell keine, bei der sicher ist, dass eine Seite gewinnt, und die andere verliert.

Vielmehr besteht bei diesem Beispiel auch die Möglichkeit, dass beide Konkurrenten verlieren. Russland bekäme am Ende anstatt eines größeren Stückes nur den gleichen Anteil vom Kuchen. Der Kuchen insgesamt würde jedoch schrumpfen. Tatsächlich hat die Opec Ende Juni beschlossen, zunächst bis September abzuwarten und noch einmal alle Nicht-Mitglieder zur Kooperation aufzurufen.

„Szenarien wie diese sind in der Wirtschaft alltäglich“, sagt Professor Berninghaus. Glücklicherweise biete die Spieltheorie aber eine ganze Reihe praktischer Verteidigungsstrategien. „Droht ein Preiskampf à la Gefangenendilemma, sind öffentliche Absichtserklärungen hilfreich.“ Der Spieler sollte ankündigen, die Preise zwar eigentlich stabil halten zu wollen, aber unter allen Umständen auf mögliche Preissenkungen der Konkurrenz zu reagieren. „Die Drohung nimmt dem Gegner jeden Reiz, seine Preise zu senken. Und das Versprechen bestärkt ihn, den Status quo beizubehalten.“ Geht diese Strategie schief, rät Berninghaus zum so genannten „tit for tat“ – wie du mir, so ich dir. „Macht ein Wettbewerber die Preise im eigenen Markt kaputt, sollte man auf seinem wildern. Das wird ihn ziemlich sicher zur Raison bringen.“ Wichtig dabei sei aber, glaubwürdig zu signalisieren, dass man eine Kooperation vorziehen würde.

Es gibt aber auch Fälle, bei denen Konfrontation die beste Strategie ist. Das belegt das Beispiel des Spielkonsolen-Herstellers Sega. Ende der achtziger Jahre hatte Hauptkonkurrent Nintendo mit seinem Entertainment System (NES), einer so genannten 8-Bit-Konsole, den Markt fest in der Hand. Jeder Versuch von Sega oder anderen Newcomern, seine Dominanz zu brechen, scheiterte. Nintendos Spieleheld, der kleine Comic-Klempner Super Mario, war zeitweise so populär wie Mickey Mouse, und der Aktienwert des Unternehmens überstieg den der japanischen Industrie-Riesen Sony und Nissan.

Schließlich kam Sega 1989 aber doch noch ins Spiel – mit Mega Drive, einer Spielkonsole der damals neuen 16-Bit-Generation. Nintendos Reaktion darauf scheint auf den ersten Blick unverständlich: Der Marktführer konterte erst zwei Jahre später mit einem eigenen 16-Bit-System. Wer sich in die beiden Konsolen-Konstrukteure hineinversetzt, erkennt warum. Sowohl Sega als auch Nintendo kämpften nicht um ihre Marktanteile, sondern um Profite. Hätte Nintendo sofort zum Gegenangriff geblasen, wären die Preise für die 16-Bit-Konsolen im Wettbewerb drastisch gesunken, sodass sie schließlich den alten 8-Bit-Maschinen Konkurrenz gemacht hätten. Weil Nintendo aber stillhielt und Sega den 16-Bit-Luxus-Markt überließ, konnte der Konzern noch zwei weitere Jahre saftige Gewinne aus seiner alten Konsole ziehen. Erst als die Herstellung der neuen Systeme günstiger wurde und die Märkte zusammenwuchsen, spielte Super Mario plötzlich auch in der 16-Bit-Liga mit. Diese rationale Lösung hat Sega offenbar vorhergesehen und sich deshalb trotz der bisherigen Fehlschläge in den Ring gewagt.

„Die Spieltheorie ist für alle Unternehmer ein hilfreiches Instrument, mit dem sie das Verhalten ihrer Wettbewerber untersuchen und das eigene überdenken können“, meint Leo Birnbaum, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company. „Allerdings muss ich mir sicher darüber sein, welche Motivation meine Konkurrenz verfolgt.“

Im Falle von Sega heißt das: Ich muss erkennen, dass Nintendos Ziel nicht etwa Technologie-Führerschaft oder Dominanz des Spielkonsolen-Marktes, sondern möglichst hohe Profite sind. Wäre die Nintendo-Führung anders motiviert gewesen, hätte sie vielleicht versucht, Sega gar nicht erst an den Ball zu lassen. „Je eindeutiger man die Ziele des Gegners ermitteln kann, desto leichter lässt sich der Ausgang eines Spieles voraussagen und eine Strategie finden, die das Spiel zu den eigenen Gunsten verändert.“

Zur Geschichte der Spieltheorie

Bereits 1944 veröffentlichten der Mathematiker John von Neumann und der Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern das erste spieltheoretische Buch: „Theory of Games and Economic Behaviour“.
Die Arbeit, die in der Welt der Wissenschaft als eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gefeiert wurde, bietet einen systematischen Rahmen für die Analyse von Situationen, in denen sich die Akteure in ihren Entscheidungen gegenseitig beeinflussen.

Das Gefangenendilemma

Die Situation:
Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe für das Verbrechen ist lebenslange Haft. Die Beweise sind dürftig.

Der Richter macht jedem der beiden folgendes Angebot: Wenn du auspackst und somit deinen Partner belastest, gehst du frei aus, dein Komplize muss für den Rest seines Lebens in den Knast. Wenn beide gestehen, müssen beide für zehn Jahre hinter Gitter.

Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit, sich über ihr Vorgehen abzustimmen. Wie werden sie sich entscheiden?

Das Dilemma:
Jeder der Gefangenen hat zwei Möglichkeiten: er kann leugnen oder gestehen.

Die Anzahl der Haftjahre für jede der vier möglichen Zugkombinationen lässt sich in einer so genannten Payoff-Matrix darstellen.

Das Paradoxe ist: Wer schweigt, behält zwar die Option, dass er und sein Komplize freikommen, wenn auch der Komplize schweigt – das ist die aufs Ganze gesehen günstigste Lösung. Andererseits riskiert er eine lebenslange Haftstrafe, wenn er schweigt und sein Komplize gesteht. Also werden beide gestehen und jeweils zehn Jahre bekommen.

Übernahme-Strategie

Wie man anderen mit Hilfe der Spieltheorie Geld aus der Tasche zieht, machte einst der kanadische Spekulant Robert Campeau vor. Mit seinem Übernahmeangebot für den amerikanischen Konzern Federated Departement Stores, zu dem auch die berühmte Warenhauskette Bloomingdales gehört, eröffnete er ein Spiel, das er nur gewinnen konnte. Sein Angebot war zweiteilig: Aktionären, die schnell reagierten, versprach er mehr Geld für ihre Anteile als denen, die abwarten wollten, bis die Übernahme besiegelt war. Um zu verstehen, wie er daraus Profit schlug, muss man wissen, dass nach US-amerikanischem Recht jeder, der die Aktienmehrheit und damit die Kontrolle über ein Unternehmen erlangt, die anderen Aktionäre zu einem vorher festgelegten Preis auszahlen darf. Nehmen wir der Einfachheit halber an, Federated-Stores-Aktien hatten einen Wert von je 100 Euro. Der Spekulant bot dann allen Aktionären, die seinem Angebot sofort zustimmten, 105 Euro – selbst wenn die Übernahme später nicht zustande gekommen wäre. Allerdings beschränkte er sein Angebot auf die erste Hälfte aller Aktien. Die zweite Hälfte sowie die Papiere der Aktionäre, die nicht auf ihn eingingen, wollte er mit nur 90 Euro bewerten. Aus Gründen der Fairness sollten allerdings die Aktien der Verkaufswilligen nicht in der Reihenfolge ihres Einganges auf beide Tranchen aufgeteilt, sondern vielmehr ein Mischpreis für alle zustimmenden Aktionäre errechnet werden. Im Falle von 60-prozentiger Zustimmung sollten dementsprechend 102,50 Euro, im Falle von voller Zustimmung nur 97,50 Euro an die Alt-Aktionäre gezahlt werden. Spielen wir die möglichen Reaktionen auf das Angebot durch: Bei weniger als 50 Prozent Zustimmung wäre die Übernahme gescheitert, und die Aktionäre hätten ein Schnäppchen gemacht, wenn sie ihre Anteile für 105 Euro, also fünf Euro über ihrem eigentlichen Wert, verkauft hätten. Das Gleiche gilt bei einer Zustimmung von exakt 50 Prozent. Der Übernahmeversuch wäre dann erfolgreich gewesen, und die Verkaufswilligen hätten 15 Euro mehr bekommen als jene, die Widerstand leisteten. Stimmten im ungünstigsten Falle alle zu, hätten sie nur 97,50 Euro bekommen, also 2,50 Euro weniger, als ihre Aktien aktuell wert waren. Zustimmung war in jedem Fall die bessere Alternative: Gingen mehr als die Hälfte der Aktionäre auf das Angebot ein, bekämen die Verweigerer nur 90 Euro. Die gleiche rationale Strategie in allen drei Fällen – von Spieltheoretikern auch dominante Strategie genannt – war also, seine Aktien zu verkaufen. Zur Freude von Robert Campeau – tatsächlich stimmten fast alle Anteilseigner zu, und er bezahlte für das Unternehmen sogar weniger als 100 Euro pro Aktie.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.